Abermals Griechenland
Nachdem ich heute durchs Feuilleton stöberte, fiel mir auf: Um ein Haar wäre mein Griechenland-Bericht auch so ein peinlicher Reise-Odyssee-Artikel geworden, wie man ihn momentan in allen Zeitungen von taz. bis Welt vorfinden kann.
Das Narrativ ist in diesen Texten stets das selbe: Weltoffener Journalist X befindet sich – wahlweise allein, oder mit Begleitperson Y – in irgendeinem abgelegenen Geheimtip-Winkel der Zweiten oder Dritten Welt und verdient sich einen müden Notgroschen dazu, indem er literarisch mehr oder weniger wertvoll von seiner strapazenreichen Rückreise klagt. Die Stories enden stets dort, wo sie hingehören: In der Quarantäne.
Wie gesagt: Der Abstecher in dieses neue Genre bourgeoiser Krisenliteratur bleibt mir und Ihnen, werte Leser, zum Glück erspart – die Infrarotthermometer, die man bei der Einreise nach Ungarn auf unser Köpfe richtete, waren der einzige leise Hinweis auf das was kommen würde; man kan sagen: Die Corona-Krise war für uns tatsächlich eine Nebensache, neben dem großen Konflikt an der Grenze.
Kaum drei Wochen später hat sich der Fokus verschoben. Nahezu unbeachtet von der Weltöffentlichkeit donnern am 25. März zwei Kampfjets über die Tränengaswolken entlang des Evros, um den griechischen Nationalfeiertag zu begehen. In einem Jahr wird sich der Beginn der Revolution zum zweihundertsten Mal jähren, dieses Jahr feiern viele griechische Soldaten den Festtag in ihren Stellungen. Dort wurden sie übrigens von der örtlichen Bevölkerung mit einem Ausmaß an Jubel empfangen, für das man sich in der Bundesrepublik wohl schämen würde. An ihrer Seite sind zu diesem Zeitpunkt – neben Polen – auch deutsche Bundespolizisten im Einsatz, wie man auf diesen Aufnahmen erkennen kann.
Als in der Folgenacht auf der türkischen Seite des Grenzzauns unzählige Feuer auflodern, rechnen die Grenzschützer wohl zuerst mit einem erneuten Angriff – immer wieder hatte es regelrechte Manöver der Migranten gegeben, die im Feuerschutz türkischer Tränengasgranaten versucht hatten, die Europäische Union zu erreichen. Es wird routinemäßig Alarm ausgelöst, weil man wie in den vergangenen Tagen Gruppen mit Bolzenschneidern erwartet.
Am Morgen des 26.03. jedoch bietet sich den Griechen ein ungewohntes Bild: Das große Migrantencamp ist menschenleer, übriggeblieben sind nur schwelende Müllhaufen. Wenig später ist es offiziell: In der Nacht hat die Türkei ihre Grenze nach Griechenland wieder geschlossen. Türkische Sicherheitskräfte haben daraufhin das Lager geräumt und die ca. 4500 Insassen auf verschiedene Abschiebelager im Land verteilt. Anschließend steckten sie die Unterstände der Migranten in Brand.
Die Gründe dafür sind nicht ganz klar. Es wird wohl kaum Erdogans Absicht gewesen sein, den Griechen ein verspätetes Geburtstagsgeschenk zu machen. Die türkische Regierung verweist auf zwei bestätigte Corona-Fälle in der provisorischen Lagerstätte; man habe das Camp aus „humanitären Gründen“ geräumt und die Migranten für 14 Tage in Quarantäne geschickt. Allerdings dürfte sich die türkische Regierung nach über einem Monat erfolgloser “Dauerbelagerung” inkl. Propaganda-Offensive auch wenig Illusionen über die weiteren Erfolgsaussichten am Grenzübergang in Kastanies gemacht haben.
Unterm Strich bleibt folgendes festzustellen: Die Griechen haben unsere gemeinsame Grenze und damit ihr Versprechen gehalten. Sie haben dem machtpolitischen Kalkül der Türken Einhalt geboten, aber sie haben sich auch und vor allem dem Geltungsanspruch (meist) deutscher Medien und NGOs verwehrt, die Europa abermals durch emotionale Erpressung zum Handeln zwingen wollten.
Die Angst vor den bösen Bildern hat in Kastanies und auf Lesbos ihre Macht verloren. Das klingt zynisch, aber im Grunde meint es doch: Die griechische Regierung hat die moralpolitische Hybris der Journalisten und der Medien durch harte Realpolitik in die Schranken gewiesen. Und egal, wieviel politische Relevanz man dieser Entwicklung in Corona-Zeiten beimessen wird: Es ist ein Sieg, das darf man anerkennen. Wohl wissend allerdings, daß noch immer viele Wege über die Ägäis und nach Deutschland führen.
Laurenz
Der Generalstab dieser Invasionen sitzt in Berlin!