Wenige Tage darauf hat der Bundesvorsitzende Jörg Meuthen eine Spaltungsdebatte losgetreten und die Partei dadurch in Zeiten der Corona-Krise in schweres politisches Fahrwasser manövriert.
Zuvor hatte der durch das Altparteienkartell instrumentalisierte Bundesverfassungsschutz den Flügel ohne triftige Grundlage zum ‚Beobachtungsfall‘ erklärt. Dieses ebenso vorhersehbare wie durchschaubare und perfide Manöver nutzten in den Folgetagen liberale Kräfte in der Partei, darunter verbliebene Luckisten und Petry-Kader, um einen „zornigen Ruf der Basis“ (Uwe Junge) zu inszenieren, und dadurch Druck auf den Bundesvorstand aufzubauen.
Im Vorfeld der AfD-Bundesvorstandssitzung schrieb der nordrhein-westfälische AfD-Landtagsabgeordnete Sven Tritschler in einer internen Whats App Gruppe:
Es läuft gerade eine groß angelegte Kampagne in Richtung BuVo. Diejenigen, die es noch nicht gemacht haben, darf ich bitten: Schreibt an den BuVo, fordert die Annullierung der Mitgliedschaft von Kalbitz (Falsche Angaben beim Aufnahmeantrag); Fordert strenge Maßnahmen gegen den Flügel; Die nächste Sitzung ist morgen! Also beeilt euch!
Mitten in einer der größten Gesundheits- bzw. Wirtschaftskrisen der BRD-Nachkriegsgeschichte wurde also zur Unzeit eine – offensichtlich von langer Hand geplante – innerparteiliche Auseinandersetzung in Gang gesetzt, an deren vorläufigem Höhepunkt ein Beschluß des Bundesvorstands stand, mittels dem der Flügel aufgefordert wurde, bis Ende April seine Auflösung zu vollziehen.
Vorwürfe gegenüber Flügel entbehren jeglicher Substanz
Keine Partei in der Partei: In diesem Kontext muß festgehalten werden, daß die Bildung von Interessenvertretungen entlang innerparteilicher Strömungen zur Meinungs- und Willensbündelung in der deutschen Parteienlandschaft einen völlig normalen Vorgang darstellt.
+ Beispiel Werteunion: Ein Blick auf die Netzseite des eingetragenen Vereins, der sich die Interessenvertretung in der CDU verbliebener konservativer Restbestände auf die Fahnen geschrieben hat, offenbart, daß die Werteunion über ein eigenes Vereinslogo verfügt. Der bundesweit organisierte Verein wird von einem Bundesvorstand vertreten, verfügt über Landesverbände mit eigens gewählten Vorständen, sammelt Spendengelder, führt Veranstaltungen durch, hat ein sogenanntes ‚Konservatives Manifest‘ zwecks politischer Willensbildung aufgesetzt, betreibt zahlreiche Netz- und Facebookseiten, einen Twitter-Zugang sowie einen Youtube-Kanal und ist über Email-Adressen erreichbar.
+ Beispiel Seeheimer Kreis: Die Arbeitsgemeinschaft ‚konservativer‘ SPD-Bundestagsabgeordneter verfügt ebenfalls über ein eigenes Logo, wird nach außen durch drei Sprecher vertreten, verfaßt eigene Positionspapiere, führt Veranstaltungen – darunter das Seeheimer Gartenfest und die Reihe Seeheimer Kreis im Dialog – durch, betreibt eine Netz- und eine Facebookseite, verfügt über einen Twitter- sowie einen Instagram-Zugang und über einen eigenen Netzvertrieb. Dort kann man unter anderem Kaffeetassen von Peter Struck, Franz Müntefering und Altkanzler Gerhard Schröder erwerben.
So weit, so normal und harmlos. Im Vergleich zu den zuvor beschriebenen Interessengruppen sind die sogenannten ‚Strukturen‘ des Flügels – sofern überhaupt vorhanden – schwach ausgeprägt, handelt es sich doch lediglich um ein informelles Netzwerk. Folglich bezeichnete der AfD-Politiker Frank Christian Hansel den Flügel in einem Twitter-Beitrag zutreffend als „Nicht-Organisation“ und somit als nicht organisiert bzw. strukturiert.
Vor diesem Hintergrund ist der Flügel zwar die größte Interessenvertretung innerhalb der AfD, der sich, je nach Schätzung, zwischen 30 Prozent und 40 Prozent der Parteimitglieder verbunden fühlen – dennoch ist der von innerparteilichen Kritikern mitunter erhobene Vorwurf, es handle sich um eine Partei innerhalb der Partei, schlechterdings unwahr und also nicht haltbar.
Ungerechtfertigte VS-Beobachtung: Der AfD-Bundesvorstand ist von der Unrechtmäßigkeit der Beobachtung des Flügels durch den Verfassungsschutz überzeugt, klagt er doch gegen dessen Einstufung als sogenannter ‚Verdachtsfall‘. AfD-Politiker Georg Pazderski schreibt zutreffend von der „Absurdität der Beobachtung“. Und weiter:
Der Verfassungsschutz wird ganz offensichtlich von den Altparteien gegen die AfD instrumentalisiert. Die Entlassung von Maaßen und die Einsetzung eines Erfüllungsgehilfen Merkels lässt nur diesen Schluss zu: Der neutrale Beamte musste Platz machen für einen braven Altparteisoldaten, der sich in den Kanon der Anti-AfD-Hetze des Establishments nahtlos einordnet. Mit seriösem Handeln hat das alles nichts mehr zu tun. Für mich ist das ein echter Demokratienotstand, dessen Hintergründe offensichtlich sind: Man sucht verzweifelt nach einem Weg, die Erfolgsgeschichte der AfD zu stoppen.
Bei der Forderung, den Flügel und seine Protagonisten vollständig zu erledigen, taten sich mit Uwe Junge und Georg Pazderski ausgerechnet zwei Parteifreunde hervor, die bei den Bundesvorstandswahlen Ende 2019 krachende Niederlagen erlitten hatten, weil sie innerhalb der Partei offenkundig nicht mehr mehrheitsfähig sind und sich durch abschätzige öffentlichkeitswirksame Aussagen über andere Parteimitglieder zunehmend isolieren.
Unter anderem schrieb Junge jüngst in einem Twitter-Beitrag, er fürchte, die AfD habe die bürgerliche Mitte langfristig verloren, „weil wir den Radikalen wie Gauland […] nicht rechtzeitig die Stirn geboten haben“.
Doch nicht nur den primus inter pares und AfD-Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland, auch die stellvertretende Vorsitzende Alice Weidel ging Junge kürzlich in aller Öffentlichkeit an, als er bei Twitter schrieb: „Alice Weidel, warum lassen Sie sich eigentlich in alle möglichen Gremien und Vorstände wählen und nehmen dann an den Sitzungen nicht teil? Sollte man mal den Mitgliedern erklären!“ Dem Vernehmen nach kämpfte Weidel zu diesem Zeitpunkt bereits mit einer Lungenentzündung.
Flügelauflösung als Dienst an der Partei
Zweifellos wäre die Nichtauflösung des Flügels geeignet gewesen, zu einer Zerreißprobe und einem zähen Abnutzungskampf innerhalb der Partei zu führen. Schon frohlockte das GEZ-Medium Tagesschau in freudiger Erwartung: „Es droht, zum wiederholten Male in der Parteigeschichte, ein erbitterter Machtkampf.“
Geschadet hätte eine derartige Auseinandersetzung vor allem den westlichen Landesverbänden. Während die Landesverbände im Osten über starke Landtagsfraktionen verfügen und Umfragewerte deutlich jenseits der 20 Prozentmarke vorweisen können (aktuelles Beispiel: Landtagswahlumfrage INSA für Sachsen-Anhalt vom 20. März: AfD bei 25 Prozent), liegt die AfD im Westen einer aktuellen Umfrage von Wahlkreisprognose.de für den Bund zufolge bei einem Mittelwert von 5 Prozent.
Letzterer Umfragewert ist zweifelsohne Folge einer aufgrund der Corona-Krise kurzfristig erstarkenden CDU, zeigt aber auch, daß der Abstand zur 5 Prozenthürde für die AfD im Westen deutlich geringer ist als im Osten.
Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung für die Auflösung des Flügels und die damit verbundene Vermeidung innerparteilicher Grabenkämpfe eine gute Nachricht für die Einheit der Partei. Letztlich handelte Björn Höcke im Einklang mit Punkt 5 des im Jahre 2017 verfaßten Kyffhäuser-Manifests: „Wir verteidigen die Einheit der AfD gegen Spaltungsversuche von innen und außen, denn das ist die größte Gefahr: daß wir uns auseinanderreißen lassen. Gewonnen hätte dann nur einer: der politische Gegner.“
Meuthen beginnt Spaltungsdiskussion zur Unzeit
Bedauerlicherweise scheint der Bundesvorsitzende Jörg Meuthen das Diktum, wonach innerparteiliche Einheit das Gebot der Stunde ist, noch nicht verinnerlicht zu haben. Meuthens Rede auf dem Kyffhäusertreffen im Jahre 2017 hatte noch folgende Passage beinhaltet:
Hier, liebe Freunde, sprechen wir miteinander, nicht übereinander. Der Flügel ist ein integraler Bestandteil unserer Partei und das wird er auch in Zukunft immer bleiben. Und ich sage auch deutlich: Wer das anders sieht, wer hier in ‚Ausschließeritis‘ verfällt, wer nicht erkennt, dass der Flügel ein wichtiger Bestandteil der Seele unserer Partei ist, wäre auch in der Position eines Bundessprechers fehl am Platze.
In dieser Hinsicht hat Meuthen recht und der Vollständigkeit halber sei angefügt, daß die vom Flügel propagierten Werte integraler Bestandteil der AfD bleiben. Schließlich lassen sich Strukturen – sofern sie überhaupt existieren – auflösen, aber die Gedanken, Einstellungen und Ideale Tausender Mitglieder bleiben bestehen. In diesem Sinne: Der Flügel ist aufgelöst, lang lebe der Flügel.
Desweiteren sagte Meuthen im Jahre 2017 auf dem Kyffhäuser:
Ich bin in dieser Funktion einfach davon überzeugt, und betrachte es als meine Aufgabe, integrativ wirken zu müssen, und ich gebe alles dafür, die unterschiedlichen Strömungen unserer Partei zusammen zu halten, von den eher freiheitlich geprägten Kräften bis zu den nationalkonservativen, die sich im Übrigen, wenn man genau hinschaut, doch vielmehr ergänzen als sich widersprechen. Nur gemeinsam können wir eine noch stärkere Schlagkraft gegen das ganze verkrustete links-rot-grün-gelb-schwarz-versiffte deutschlandabschaffende Parteienkartell entwickeln, die dieses Land so sehr und so dringend braucht. Der politische Gegner sitzt außerhalb der Alternative für Deutschland. Das sind die schon länger hier Regierenden, in welcher Konstellation auch immer. Das haben in den eigenen Reihen leider immer noch nicht alle begriffen, aber wir arbeiten daran.
Von diesen guten Vorsätzen zeigt sich Meuthen im April 2020 indes weit entfernt. Fast scheint es, als habe er eine führungspolitische Wende um 180 Grad vollzogen und wolle nun nicht mehr integrativ, sondern ausgrenzend wirken. Am Tage nach der Fassung des Auflösungsbeschlusses, am 21. März, ließ Meuthen gegenüber der FAZ verlautbaren:
Wir zerschlagen jetzt deren institutionelle Strukturen. Die haben ihre Homepage, die haben ihre Treffen, ihr Logo. Wir zerschlagen Strukturen, was es dieser Gruppierung viel schwerer macht, gemeinsam zuzuschlagen.
Am 1. April brach Meuthen dann in einem Interview mit Tichy’s Einblick mitten in der dem Corona-Virus geschuldeten schweren Gesundheits- und Wirtschaftskrise ohne Not eine Spaltungsdebatte vom Zaun, die der AfD in der Außenwirkung enormen Schaden zufügen dürfte.
Max Otte kommentierte diese politstrategische Fehlleistung in einem Twitter-Beitrag wie folgt:
Jörg Meuthen hat den Lucke-Petry-Virus und betreibt aus ideologischen und persönlichen Gründen die Spaltung der AfD.
Als Sprecher der Bundespartei gehört es zu Jörg Meuthens Kernaufgaben, alle Mitglieder der AfD zu vertreten, auch jene, die sich den Werten und Idealen des Flügels verbunden fühlen. Die Zukunft wird zeigen, ob es Meuthen gelingen wird, den Weg zurück in die Mitte der Partei zu finden, oder ob er den Weg von Bernd Lucke und Frauke Petry gehen wird.
Gauland, Chrupalla und Weidel stehen für Einheit der Partei
Wie Einheit geht, hatten tags zuvor der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland, der Bundessprecher Tino Chrupalla und die stellvertretende Vorsitzende Alice Weidel aufgezeigt. In einer gemeinsam verfaßten und veröffentlichten Stellungnahme zur aktuellen Situation der Partei schreibt das Führungstrio:
Skandalös ist es, wie mit leicht durchschaubarem parteipolitischem Kalkül der Verfassungsschutz in einer für unsere Demokratie unwürdigen Weise gegen uns in Stellung gebracht wird. Darauf müssen wir alle und vor allem die Führungsgremien souverän und geschlossen reagieren.
Deshalb war es ein wichtiges Zeichen für unsere Partei, dass der „Flügel“ auf Forderung des Bundesvorstands selbst seine zeitnahe Abwicklung beschlossen hat. Es gibt nur eine AfD! Die Auflösung des „Flügels“ bedeutet die Rückkehr zur inneren Einheit der Partei und ist ein wichtiger Schritt zur Bündelung unserer Kräfte als freiheitlich-soziale Partei. Nur so können wir gesamtdeutsche Volkspartei werden.
Wir alle sind Mitstreiter für unsere gemeinsame Sache, der politische Gegner steht ausschließlich außen. Er bekämpft uns alle und nicht nur Teile von uns. Jetzt ist die Zeit gekommen, unsere gemeinsam beschlossenen politischen Ziele wieder in den Vordergrund zu stellen und uns gemeinsam zu unserem freiheitlich-sozialen Kurs zu bekennen. Mit Mut zur Wahrheit und vereinten Kräften für unser Land, für Deutschland!
Dem gibt es nichts hinzuzufügen, und Meuthens Gruppe wird sich exakt daran messen lassen müssen.
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Dr. Jan Moldenhauer ist Leitender Referent und Assistent der AfD-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt, Vorstandsmitglied im AfD-Kreisverband Magdeburg und 2. stellvertretender Vorsitzender der AfD-Stadtratsfraktion in Magdeburg.
Franz Bettinger
@AfD: Macht es nicht! Keine Spaltung der AfD! Wenn sie denn aber kommt, prophezeie ich den Meuthenianern eine Überraschung, wie einst Lucke und Petry sie erlebten. Nur wird das den Professor nicht kratzen. Ich halte Meuthen mittlerweile, nachdem ich ihn lang vor Zweiflern verteidigt habe, für einen Saboteur. Seine heilige Aufgabe ist es, die AfD zu schädigen, aktuell also zu spalten und final (mit <5% der Spaltprodukte) zu erledigen.