Man konnte es nicht mehr hören, ihr Geraune über die Katastrophe, den Zusammenbruch, den Abgrund. Niemand ging Noah beim Bau der Arche zu Hand, war er doch ein offenkundig Verwirrter. In der ersten Stadt der Menschen verdrehte man die Augen, schüttelte den Kopf, äußerte Mitleid über die arme Familie, die im Wahn des Patriarchen gefangen war. Als dann die meterhohen Wellen der Sintflut über die Stadtmauern brachen, bereute mancher seinen Spott – zu spät.
Die Krise zeichnet aus, daß in ihr individuelle und kollektive Dramatik kollidieren. Ein Aus-ihr-Heraustreten ist ebenso wenig möglich, wie die eigene Haut abzustreifen. Sie macht jeden zu ihrem Gefangenen. Das Gefühl, Geschichte zu schreiben, ist meist kein angenehmes, denn es ist verbunden mit viel Schweiß, oft auch mit Blut.
In der Kalamität treten die historischen Tendenzen offen zu Tage. So führt die Pandemie nicht unerwartet von der Gemeinschaft zur Isolation, sondern treibt die Vereinzelung der Moderne nur auf die Spitze. Die Quarantäne spricht aus, was schon längst der Fall war.
Während der weltweite Ausnahmezustand das beklemmende Gefühl des Normverlustes zementiert, beginnt er auch den Außenseiter, denjenigen, welcher die größte „Bereitschaft zur Einsamkeit“ (Rüdiger Safranski) besitzt, zu rehabilitieren.
Über die Prepper wird so lange gelacht, bis man plötzlich verblüfft vor den leergefegten Regalen steht. Nun mischt sich Neid, fast schon Bewunderung in den Zorn über eine Betrachtungsweise, welche die Dinge – anders als die fälschlicherweise hierfür gerühmte Kanzlerin – tatsächlich »vom Ende her« denkt.
Wenn nun aber die Staaten ganz im foucaultschen Sinne die Wirtschaft unter das Primat der Bio-Politik stellen, dann sind in diesen Verwerfungen sämtliche Assetklassen betroffen: Börse und Ölpreis implodieren, Gold und Bitcoin erwiesen sich nicht als sichere Häfen, und der gemächlichere Immobilienmarkt wird dem jüngsten Kursmassaker wie immer mit Verzögerung folgen.
Milliarden lösen sich innerhalb weniger Stunden in Luft auf. Die Abstraktheit eines längst überlebten Finanzsystems entfaltet noch einmal ihre Klimax, indem sie Verzweiflung über den Verlust von Geldbeträgen aufkommen lässt, die physisch niemals existiert haben. In diesem Kollaps gibt es nur eine einzige Form von Wertpapieren, die individuelle Sicherheit im kollektiven Wahn garantieren kann: Bücher.
In Zeiten des Mangels, in denen nur die Zeit selbst als Überfluß erscheint, rächt sich die Ideologie des ästhetischen wie geistigen Minimalismus. Kahle Wände starren vorwurfsvoll auf den Zwangsheimarbeitenden, der vor laute Yoga nicht mehr weiß, wohin mit all dem Samadhi in seinen Gliedern.
Glücklich darf sich ein anderer Sonderling schätzen: Der Sammler, der mit einer eigenen Bibliothek in ein krisenfestes Depot investiert hat. Da die Krise zur Neuvermessung selbst bekannter Territorien zwingt, liegt klar im Vorteil, wer unabhängig von den Anlaufstellen der öffentlichen Hand ist. Auf einen Schlag will jeder haben, was in keiner anständigen Bibliothek fehlt. Lässig greift der Privatbibliothekar zum Bücherregal und findet dort das Decamerone von Boccaccio, Camus Die Pest oder Eigentlich müssten wir tanzen von Heinz Helle.
Wenn Fiktion zur Wirklichkeit wird, beschleicht den bibliophilen Außenseiter eine unheimliche Ahnung. Er hat darüber gelesen, nur hören wollte es keiner. Je länger der kulturelle Betrieb des Landes eingefroren ist, desto höher fällt selbst die Dividende von bisher eher vernachlässigten Anschaffungen wie Nachschlagewerken aus, die nun wichtige Versorgungslücken zwischen Universitätsbibliothek und Netzrecherche zu schließen vermögen.
Die geistige Autarkie, die eine eigene Sammlung im Moment der Krise verleiht, ist mehr wert als Mehl und Zigarettenstangen. Sie lässt uns die eigene Würde bewahren, legt Grundlagen für den Tag danach.
Wer eine Bibliothek besitzt, der weiß auch vom eigentlich aufziehenden Sturm, dem postmodernen Endspiel. Er ist gerüstet und wird ihn aussitzen wie das Coronavirus, welches gegen diesen nur ein Husten im Wind darstellt.
– – –
Von Konstantin Fechter ist in der kaplaken-Reihe erschienen: Bürgerkrieg und Sündenbock.
Solution
Ja, so ist es.
Im Keller habe ich u.a. Kartons voll NRG 5, sehr viel Wasser und meinen Buchbestand von einigen Tausend habe ich rechtzeitig - natürlich auch bei Antaios - aufgerüstet.
Ich fürchte allerdings, daß der Sturm auch über Schnellroda hinwegfegt und Schäden verursachen wird. Unsere Solidarität wird dann von den uns verbliebenen, wahrscheinlich schwindenden finanziellen Möglichkeiten abhängen. Daher ist es nicht verkehrt, gerade jetzt noch ein paar Bücher zusätzlich zu ordern.