Was geschieht, ist nur ein weiteres Beispiel für die Kontingenz von Leben und Dasein. Abgesehen von der relativen Harmlosigkeit von Corvid-19 im Vergleich zu anderen existentiellen Herausforderungen: Wir sterben nun mal an irgendwas, das in unser Leben tritt. Dem sollte man entgegensehen. Das ist wichtiger als Impfungen, Heilung und Genesung. Vom Tod genas noch niemand.
Und man vergleiche in den Zeiten der Sorge und Vorsorge gerade jetzt unser vermeintliches Elend mit dem Sterben der Arten, der Mitgeschöpfe, verursacht allein durch unser immer weiter entgrenzendes Leben.
Insofern erscheint die derzeit allgegenwärtige Phrase „Bleiben Sie gesund!“ unangemessen. Man kann sich Mut wünschen, Glück, ein gutes Geschick, aber wenn man erkrankt, hat man damit einfach couragiert zurechtzukommen, indem man die Haltung strafft und seine Kräfte mobilisiert, so gut es geht. Täglich ertragen Millionen Menschen fürchterliche Krankheiten und Verletzungen. Man darf als Mensch auf Hilfe hoffen, nicht aber auf ewige Gesundheit.
In Kenntnis einer über Jahrzehnte erfolgten physischen und psychischen Verzärtelung von Mensch und Gesellschaft hätte man es freilich erwarten müssen, daß eine medizinisch gewichtige Bezeichnung für ein unklare Ansteckungskrankheit ausreicht, namentlich den Westen in eine grundstürzende Krise zu treiben. Geschichtlich gesehen ein geradezu peinlicher Vorgang im Vergleich dazu, wie unsere Vorfahren Heerscharen apokalyptischer Reiter nicht nur auszuhalten vermochten, sondern bei aller Trauer und allem Schmerz daran sogar wuchsen und reiften.
Tränen und Wehklagen gehört dazu, und niemand ist zum Heldentum verpflichtet. Auch Ärzte, Pfleger und Kassiererinnen sind – Bei allem Respekt! – keine Helden; sie tun ihre Pflicht. Das ist redlich. Mag sein, Redlichkeit sollte höhergehalten werden als Heldentum.
Angst ist menschlich, natürlich, gesund; aber sie darf nicht ins Würdelose münden. Die eigene Furcht beherrschen zu können ist Grundbedingung erwachsenen Daseins.
Bevor die „Corona-Krise“ begann und in der allgegenwärtigen monströsen Vergrößerung des stachlig anmutenden Virus ihr beredtes Symbol fand, war ein Modewort im Dauergebrauch: Resilienz. Was ist nun damit? Jetzt gerade gilt es, resilient zu sein. Aber Modewörter zeigen eben nicht an, was gerade Fakt ist, sondern deuten vielmehr auf das, was vermißt wird. Mit Empathie, Toleranz, Bildung usw. verhält es sich ebenso. Diese Worte sind im Schwange, deuten aber mehr als einen Bestand die Leerstellen an.
Nein, es geht nicht um Lässigkeit, schon gar nicht um Verantwortungslosigkeit und Zynismus. Um so mehr ist der Widerstand gegenüber den eigenen Affekten gefordert, gesunder Menschenverstand, die Unterscheidung von Zahl und Phänomen, das Herstellen von Zusammenhängen und das Beachten von Kontexten, letztlich die Entwicklung jener Urteilskraft, die einen besser als Expertenmeinung aus der Gefangenschaft von Fiktionen und Zuschreibungen in eine Freiheit finden läßt, die offensives Handeln und Hilfsbereitschaft ermöglicht.
Aber bevor sie ausgebildet und eingeübt ist, wäre zu beherzigen, was die Vermessenheit der Gegenwart vergessen ließ: Demut. Offenbar war sie den Alten wesenseigen, weil die täglich und unmittelbar erfuhren, daß es plötzlich vorbei sein konnte mit dem bißchen Glück und dem bißchen Leben. Und daß man besser dankbar war, wenn alles gerade mal noch zusammenhielt und man sich seines Daseins im Augenblick sogar freuen konnte. Darin bestand das rechte Maß, im Wissen um die Unwahrscheinlichkeit der eigenen Existenz, in die Einsicht darin, daß man eben nicht das Maß aller Dinge ist, sondern von etwas viel Größerem als dem eigenen Selbst gemessen wird.
Stets darf man hoffen, nie aber sicher sein. Es gibt keine Garantien, kein Anrecht auf ein Leben ohne Leid, Mangel und Krankheit. Niemand wünscht sich das Böse, aber täglich sollten wir davon ausgehen, daß es uns trifft. Mag ja sein, wir wurden gerade jetzt darüber belehrt, worum es eigentlich geht. Damit hätte „Corona“ sogar einen gewissen Zweck erfüllt, wenn uns zur Erkenntnis verholfen wäre, wie unwichtig all die Anhaftungen sind, die wir früher für unabdingbar hielten.
Es geht um Weniges, aber dieses Wenige hält uns, selbst wenn wir nicht gesund bleiben. Wir bleiben es über kurz oder lang ohnehin nicht, ebensowenig wie uns dieses Leben bleibt.
Stefanie
Bleiben Sie gesund!
Das ist ein ein Imperativ. Er fordert uns zu etwas auf, was doch gar nicht in unserer Macht steht, bei aller Eigenverantwortung. Krank werden wird zur Befehlsverweigerung. Die Weitergabe eines Keimes - auch unwillentlich und unwissentlich wird gleichgesetzt mit Körperverletzung. Es gilt als unverantwortliche anderen zu nahe zu kommen, zu berühren, Körperflüssigkeiten auszutauschen. Das was zu jeder Existenz gehört wird zum Verbrechen. Andersherum kann man auch das Krank werden demjenigen zurechnen: hätte er mal esser aufgepasst, selber Schuld, ist halt unnötig Risiken eingegangen. So eine Einstellung tötet am Ende jede Solidarität ab, so sehr sie auch beschworen wird. Am Ende wird Gesundheit zur Regelgröße, die von Gesellschaftsingeneuren eingestellt werden kann: Blutdruck, Cholesterin, Virenlast. Am besten jederzeit per Fitnessarmbad zu überwachen, eingepflegt in die eigene virtuelle Identität.