Björn Höcke: Nie zweimal in denselben Fluß

von Jörg Seidel

Björn Höcke: Nie zwei­mal in den­sel­ben Fluß: Björn Höcke im Gespräch mit Sebas­ti­an Hen­nig, Ber­lin: Manu­scrip­tum 2018. 291 S., 18.90 €

Das hät­te sich Pop-Phi­lo­soph Precht wohl nicht träu­men las­sen: daß sei­ne Apo­lo­gie der post­mo­der­nen Per­sön­lich­keit als Divi­du­um, als Teil­ba­res, in vie­len Iden­ti­tä­ten leben­des Wesen, aus­ge­rech­net von Björn Höcke ver­wirk­licht wer­den könn­te. Höckes öffent­li­ches Bild, von den rele­van­ten Medi­en ad nau­seam ver­brei­tet, ist so ver­hee­rend wie ein­di­men­sio­nal. Inner­halb die­ses Rah­mens ist an ein vol­les Höcke-Bild nicht zu denken. 

In sechs, grob an den bio­gra­phi­schen Ver­lauf gekop­pel­ten Gesprä­chen mit Sebas­ti­an Hen­nig offen­bart der wohl umstrit­tens­te Poli­ti­ker, wie er sich selbst und die Welt sieht. Schon vor­ab darf man kon­sta­tie­ren: Die­ses Buch unter­schei­det sich radi­kal von den übli­chen Selbst­dar­stel­lun­gen aus dem poli­ti­schen Betrieb durch den Ver­zicht auf Phra­seo­lo­gie, Mora­lis­mus, Par­tei­lich­keit und kon­se­quenz­lo­se Wil­lens­er­klä­run­gen. Selbst wenn Höcke im wei­te­ren Gesche­hen des Lan­des kei­ne Rol­le mehr spie­len soll­te, so steckt die­ses Buch doch vol­ler poli­ti­scher und auch phi­lo­so­phi­scher Ideen und ganz eige­nen Geschichts­in­ter­pre­ta­tio­nen. Und: Es ist so prall, daß kei­ne Rezen­si­on sei­ne wah­re Fül­le erfas­sen kann, es gilt: tol­le et lege! 

Wir haben es offen­sicht­lich mit einem kul­ti­vier­ten, gebil­de­ten Man­ne zu tun, des­sen natür­li­ches Argu­men­tie­ren immer wie­der in die Phi­lo­so­phie abglei­tet, ja Phi­lo­so­phie wird, also per­ma­nent den Blick von oben und von außen sucht, selbst in den ver­zweig­ten Laby­rin­then der Real­po­li­tik. Das mag einen Teil sei­ner Anhän­ger sogar befrem­den, denn der stän­di­ge Ver­weis auf Auto­ri­tä­ten – »wie XY sag­te« – kann mit­un­ter als etwas anstren­gend emp­fun­den wer­den und setzt den bewan­der­ten Leser vor­aus. Selbst die früh­kind­li­chen Erin­ne­run­gen wer­den sofort in geschichts­phi­lo­so­phi­sche Refle­xio­nen umge­münzt – die sich jedoch loh­nen; es gibt bei Höcke eine uner­war­te­te Abstraktionslust. 

Die scheint auch aus früh­kind­li­chen Erfah­run­gen her­aus ent­stan­den zu sein, aus einer glück­li­chen Kind­heit ohne grö­ße­re Restrik­tio­nen und aus einem dar­aus erklär­ba­ren Ver­lust­er­leb­nis: Gebor­gen­heit, Ver­traut­heit, Fami­lie, Natur, männ­li­ches und weib­li­ches Prin­zip, Dia­log, Wer­te, Geschichts­be­wußt­sein, Ver­wur­ze­lung, Träu­me … eine schein­bar ver­gan­ge­ne Welt, eine rich­ti­ge, eine gute Welt, die es wie­der­zu­ent­de­cken oder wie­der­her­zu­stel­len gilt. Poli­tik und AfD sind nur die Vehi­kel, not­wen­dig gewor­den durch eine zer­stö­re­ri­sche Zer­split­te­rung der Gesell­schaft. Auch wenn Höcke mit Leib und See­le Poli­ti­ker ist, wie man erfährt, so ist er es doch wider Wil­len und mit gro­ßer Distanz. Par­tei­den­ken ist ihm fremd, die Par­tei als Selbst­zweck ein Graus; sie hat Höhe­rem zu die­nen – dem Deut­schen Vol­ke – und Scha­den von ihm abzu­wen­den. Der Schwe­re der Auf­ga­be ist Höcke sich eben­so bewußt wie der Bedeu­tungs­lo­sig­keit des Ein­zel­nen. Es sei denn, die­ser Ein­zel­ne sei ein Gro­ßer, wie Bis­marck etwa – der am häu­figs­ten auf­tau­chen­de Name in die­sem nicht namens­ar­men Buch. »Preu­ßen ist als geschicht­li­ches Phä­no­men für die Erneue­rung unse­res Gemein­we­sens von ele­men­ta­rer Bedeu­tung«, lau­tet fast das Schlußwort.
Ein ande­rer Preu­ße, ein über­ra­schen­der all­zu­mal, fehlt nahe­zu, obgleich er auf fast jeder Sei­te prä­sent ist. Höcke ist Hege­lia­ner! Oder etwas ver­all­ge­mei­ner­ter aus­ge­drückt: Dialektiker.

Natür­lich nicht marx­scher Obser­vanz, son­dern hera­kli­ti­scher und eben hegel­scher. Das hät­te der Titel schon ver­ra­ten kön­nen, im Text jedoch ver­weist er immer wie­der auf das tief ver­in­ner­lich­te Ver­ständ­nis der Geschich­te als Fluß. Die Mär vom Reak­tio­när zer­fällt: »Es darf und kann kei­ne Rol­le rück­wärts geben, son­dern wir müs­sen das Gan­ze auf eine neue, höhe­re Stu­fe stel­len«, es gehe dar­um, »an die schöp­fe­ri­schen Strän­ge der Neu­zeit anzu­schlie­ßen«. Der­ar­ti­ge Hege­lia­nis­men gibt es die Menge. 

Höcke nutzt die­se Ein­sich­ten auch, um sich sowohl selbst zu rela­ti­vie­ren, als auch – hier wird Buber ins Spiel gebracht – das dia­lo­gi­sche Prin­zip, dem er sich ver­pflich­tet fühlt, anzu­prei­sen. Das will nun gar nicht ins Feind­bild pas­sen, doch klin­gen die­se Äuße­run­gen durch­aus authen­tisch. Auch der poli­ti­sche Geg­ner kann also von der Lek­tü­re pro­fi­tie­ren und viel­leicht sei­ne aver­si­ven Asso­zia­tio­nen neu kon­di­tio­nie­ren; er wird auch sonst nur weni­ges fin­den, was sie betä­ti­gen könnte.
Die­sen dif­fe­ren­zier­ten Aus­sa­gen und ver­söhn­li­chen Tönen, im ent­schie­de­nen Duk­tus vor­ge­tra­gen, kann man nur sehr vie­le und vor allem einen Leser wün­schen: Björn Höcke.

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Nie zwei­mal in den sel­ben Fluß von Björn Höcke kann man hier bestel­len.

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