Helwig Schmidt-Glintzer: Chinas leere Mitte.

Helwig Schmidt-Glintzer: Chinas leere Mitte. Die Identität Chinas und die globale Moderne, Berlin: Matthes & Seitz Berlin 2018. 124 S., 12 €

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Auch wenn das Zeit­al­ter, in dem wir leben, ins­be­son­de­re in geo­po­li­ti­scher Hin­sicht ein ergeb­nis­of­fe­nes bleibt, steht doch außer Zwei­fel: Chi­na ist die kom­men­de Welt­macht. Schwer­punk­te in Zeit­schrif­ten und Maga­zi­nen (vgl. auch den The­men­block in Sezes­si­on 83) sowie die täg­li­che Pres­se­be­richt­erstat­tung zeu­gen kon­ti­nu­ier­lich von dem immensen Ver­än­de­rungs­pro­zeß, der sich inner­halb wie außer­halb der Volks­re­pu­blik, in Asi­en, Afri­ka und Euro­pa, ange­lei­tet von Staat, Par­tei und Wirt­schaft des Mil­li­ar­den­rei­ches, vollzieht. 

Hel­wig Schmidt-Glint­zer, vor einem Jahr mit einer apo­lo­ge­ti­schen Mao-Bio­gra­phie her­vor­ge­tre­ten (vgl. Sezes­si­on 78), beschäf­tigt sich nun nicht mit den aktu­el­len Pro­jek­ten im Rah­men des chi­ne­si­schen Welt­erschlie­ßungs­pro­jekts »Neue Sei­den­stra­ße« – ob in Alba­ni­en oder Zen­tral­afri­ka –, son­dern tritt zwei, drei Schrit­te zurück. Der Tübin­ger Sino­lo­ge will zei­gen, daß das auto­ri­tä­re »Reich der Mit­te« just kei­ne »Mit­te« (geo­gra­phisch, poli­tisch, his­to­risch, öko­no­misch usf.) habe und gera­de des­halb die man­nig­fal­ti­gen inne­ren Wider­sprü­che bes­ser beherr­schen kön­ne, ja daß die­ses viel­fäl­ti­ge, aus der vol­len Geschich­te schöp­fen­de Chi­na schlech­ter­dings am bes­ten für die glo­ba­le Moder­ne gerüs­tet sei.

Schmidt-Glint­zer leis­tet aber nun – was bedau­er­lich ist – kei­ne Ana­ly­se die­ser zeit­ge­nös­si­schen Leis­tungs­fä­hig­keit, son­dern bie­tet eine essay­is­tisch-his­to­ri­sche Über­blicks­dar­stel­lung chi­ne­si­scher geis­tes­po­li­ti­scher Ent­wick­lun­gen spä­tes­tens seit Kon­fu­zi­us. Dort, wo die zeit­ge­nös­si­sche Situa­ti­on inter­es­sant wird und einer tie­fer schür­fen­den Aus­ein­an­der­set­zung bedürf­te – etwa hin­sicht­lich des chi­ne­si­schen Total­über­wa­chungs­pro­gramms des soge­nann­ten Sozi­al­kre­dit­sys­tems – beläßt der Autor es bei Andeu­tun­gen und schweift ab; das Geschicht­li­che ist sein Metier. 

Dabei ist Schmidt-Glint­zer zuzu­stim­men, daß Chi­nas Moder­ni­sie­rungs­pro­zeß Leh­ren für Euro­pas Zukunft bereit­hält. Ob neu­er Städ­te­bau, Umge­stal­tung öko­no­mi­scher Gefü­ge oder gigan­ti­sche (natio­na­le wie inter­na­tio­na­le) Infra­struk­tur­maß­nah­men – die epo­cha­len Ent­wick­lungs­kon­zep­te der chi­ne­si­schen Regie­rung zei­gen, so der Autor abschlie­ßend, »dass ohne weit­sich­ti­ge Pla­nun­gen und staat­li­che Len­kung die­ser Pro­zess durch Markt­kräf­te allei­ne weit weni­ger erfolg­reich ver­lau­fen wür­de«. Erneut wäre es just hier span­nend gewor­den: Wie könn­te das libe­ra­le Deutsch­land, wie kann das markt­li­be­ra­le Euro­pa der­ar­ti­ge Leh­ren über­haupt adap­tie­ren oder umset­zen? Allein, der gewiß klu­ge Essay wird an die­ser Stel­le bereits been­det. Vie­le reiz­vol­le Fra­gen blei­ben daher künf­ti­gen Publi­ka­tio­nen vorbehalten.
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Chi­nas lee­re Mit­te von Hel­wig Schmidt-Glint­zer kann man hier bestel­len.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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