Slavko Goldstein: 1941. Das Jahr, das nicht vergeht.

Slavko Goldstein: 1941. Das Jahr, das nicht vergeht. Die Saat des Hasses auf dem Balkan, Frankfurt a. M.: S. Fischer 2018. 608 S., 30 €

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Wer Cur­zio Mala­par­tes Schil­de­run­gen über die Welt­kriegs­greu­el auf dem Bal­kan in sei­nem Werk Kaputt für dich­te­ri­sche Über­trei­bung hielt, wird bei Slav­ko Gold­steins epo­cha­lem Werk 1941 an der einen oder ande­ren Stel­le inner­lich Buße tun. Gewiß: Als Links­in­tel­lek­tu­el­ler mit Par­ti­sa­nen­bio­gra­phie hat der kroa­tisch-jugo­sla­wi­sche Ver­le­ger Gold­stein (1928 – 2017) sei­ne eige­nen ideo­lo­gi­schen Inter­es­sen, die sub­ku­tan auch in vor­lie­gen­dem Werk eine Rol­le spie­len. Aber 1941 ist kei­ne kom­mu­nis­ti­sche Mythenreproduktion.

Gold­stein ent­wirft ein Pan­ora­ma der Gewalt, das im Jahr 1941 weder ent­stand noch ende­te, aber eben in vie­ler­lei Hin­sicht in die­sem Schick­sals­jahr kul­mi­nier­te, als der Füh­rer der kroa­tisch-katho­li­schen Radi­kal­na­tio­na­lis­ten Ante Pave­lic den Unab­hän­gi­gen Staat Kroa­ti­en (Neza­vis­na Drža­va Hrvat­s­ka, NDH) aus­rief – mit ita­lie­ni­scher und deut­scher Unter­stüt­zung. War das Stre­ben der Kroa­ten zu ihrem eige­nen Natio­nal­staat his­to­risch ver­ständ­lich und inner­halb der kroa­ti­schen Sied­lungs­ge­bie­te weit­ge­hend erhofft wor­den, sorg­ten vor allem die mas­si­ven Ver­bre­chen der »wil­den Usta­sche« ab Mai 1941 dafür, daß auch patrio­ti­sche Kroa­ten auf Abstand zu den »Auf­stän­di­schen« (Usta­sche) gin­gen, die seit 1929 vor allem aus dem Aus­land als klan­des­ti­ne Ver­schwö­rer gegen Bel­grad wirkten. 

Als das »König­reich der Ser­ben, Kroa­ten und Slo­we­nen« inner­halb weni­ger Tage nach dem deut­schen Angriff im Früh­jahr 1941 aus­ein­an­der­fiel und die Usta­sche in den kroa­ti­schen Lan­des­tei­len die Waf­fen­ge­walt erhiel­ten, ent­lud sich die in zwölf Jah­ren auf­ge­stau­te Wut. Der mona­te­lang unge­zü­gel­te Ter­ror vor allem gegen Ser­ben, aber auch gegen Juden und ande­re, sorg­te für eine Wider­stands­tä­tig­keit nicht nur der (ohne­hin gegen den NDH ein­ge­stell­ten) Kom­mu­nis­ten und ortho­do­xen Ser­ben, son­dern auch rele­van­ter Tei­le der katho­lisch-kroa­ti­schen Land­be­völ­ke­rung, denen die Fol­ter­maß­nah­men, Erschie­ßun­gen und Mas­sen­mor­de der aus dem (meist ita­lie­ni­schen) Exil heim­ge­kehr­ten Usta­sche deut­lich zu weit gin­gen. Das sahen auch Wehr­machts­stel­len und ita­lie­ni­sche Ver­ant­wort­li­che so, und Gold­stein skiz­ziert deren Beschwer­de­po­li­tik eben­so plas­tisch wie die Liqui­da­ti­ons­po­li­tik der Ustasche.

Dies führ­te dazu, daß das (an der Küs­te um sei­ne Kron­ju­we­len Istri­en, Zadar und Split beschnit­te­ne) NDH-Kroa­ti­en wei­te­re Gebiets­sou­ve­rä­ni­tät an ita­lie­ni­sche und deut­sche Mili­tärs abtre­ten muß­te; zu stark sorg­ten die Ver­bre­chen für ein Anwach­sen der Par­ti­sa­nen­be­we­gung unter Josip »Tito« Broz.

Gold­stein ver­steht es, die Irra­tio­na­li­tät der Usta­sche dar­zu­le­gen. Denn die von den Usta­scha-Füh­rern offen arti­ku­lier­te Ver­nich­tungs­lust an knapp zwei Mil­lio­nen Ser­ben über­wog jede tak­ti­sche Über­le­gung; der Drang nach Ver­gel­tung an den ver­meint­lich oder tat­säch­lich Begüns­tig­ten des unter­ge­gan­ge­nen süd­sla­wi­schen Ein­heits­staats unter ser­bisch-impe­ria­ler Domi­nanz schien gewich­ti­ger zu sein als die Siche­rung des jun­gen Staa­tes. Anders ist es nicht zu erklä­ren, daß man auf »Säu­be­rungs­ak­tio­nen« auch dann nicht ver­zich­te­te, als man längst bemerk­te, daß man durch eben­sol­che Liqui­da­tio­nen Par­ti­sa­nenzu­wäch­se und mili­tä­ri­sche Soll­bruch­stel­len en mas­se gene­rier­te. Der Unter­gang des NDH, zei­gen sich so unter­schied­li­che Beob­ach­ter wie Gold­stein, Mala­par­te und deut­sche Mili­tärs einig, wur­de durch den Mas­sen­ter­ror rasant beschleunigt.

Gold­stein beläßt es aber nicht bei der Dar­stel­lung der NDH-Ent­wick­lung ent­lang sei­ner eige­nen dra­ma­ti­schen Lebens­ge­schich­te, son­dern er unter­sucht auch zwei wich­ti­ge wei­te­re Bau­stei­ne des oft­mals unüber­wind­bar wir­ken­den chau­vi­nis­ti­schen Has­ses auf dem Balkan.

Ers­tens ver­weist er auf das schänd­li­che Mas­sa­ker im öster­rei­chi­schen Blei­burg im Mai 1945, als bri­ti­sche Gene­rä­le gesche­hen lie­ßen, daß Zehn­tau­sen­de Kriegs­ver­lie­rer – kroa­ti­sche Usta­sche, slo­we­ni­sche Weiß­gar­dis­ten, ser­bi­sche Tschet­niks, bos­nia­ki­sche und alba­ni­sche Frei­wil­li­ge, mon­te­ne­gri­ni­sche Natio­na­lis­ten und Res­te der Hee­res­grup­pe E der Wehr­macht sowie Tau­sen­de Zivi­lis­ten – durch die Hand anti­fa­schis­ti­scher Häscher umge­bracht wur­den: »Die Gefan­ge­nen wur­den mas­sen­wei­se ermor­det. Es war eine Orgie rach­süch­ti­gen Zorns.« Bemer­kens­wert offen for­mu­liert der Autor, daß »Blei­burg« ein Kriegs­ver­bre­chen war, »das jeder mora­li­schen, poli­ti­schen oder juris­ti­schen Recht­fer­ti­gung ent­behrt« – und das auch nicht dadurch ent­schärft wer­den kann, daß Tito am 14. Mai 1945 das Ein­stel­len des Mas­sen­mords anordnete.
Zwei­tens begreift man mit Gold­steins Über­gän­gen in die Krie­ge von 1991 ff. und in die Gegen­wart, wie tief die Trau­ma­ta durch die gegen­sei­ti­gen Ver­bre­chen von 1941 bis 1945 beim kroa­ti­schen und ser­bi­schen Volk saßen und teils noch sit­zen. Es wird ver­ständ­lich, daß das föde­ra­le, aus­glei­chen­de Jugo­sla­wi­en als Enti­tät aller Süd­sla­wen im Rah­men einer (von Tito ver­ord­ne­ten) »Brü­der­lich­keit und Einig­keit« objek­tiv not­wen­dig war.

Aber eben­so deut­lich wird, daß ent­fes­sel­te sub­jek­ti­ve Lei­den­schaf­ten stär­ker sind als ratio­na­le Über­le­gun­gen zur Ein­däm­mung chau­vi­nis­ti­scher Exzes­se. Das Buch rech­net nicht auf, es schärft den Blick für die heik­le Situa­ti­on auf dem Bal­kan, die sich auch heu­te bedroh­lich zuspit­zen kann, wenn ins­be­son­de­re inter­ne Wider­sprü­che exter­na­li­siert wer­den. Gut­mei­nen­de Kräf­te auf allen Sei­ten wer­den aus der blu­ti­gen Geschich­te ler­nen kön­nen. Gold­steins Buch kann dabei, trotz gewis­ser anti­fa­schis­ti­scher Ein­fär­bun­gen, helfen.

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1941. Das Jahr, das nicht ver­geht von Slav­ko Gold­stein kann man hier bestel­len.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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