Hans-Peter Schwarz: Von Adenauer zu Merkel. Lebenserinnerungen eines kritischen Zeitzeugen, München: Deutsche Verlags-Anstalt 2018. 734 S., 50 €
»Wahrscheinlich gehöre ich zu den Typen, denen unwohl wird, wenn große Mehrheiten in der veröffentlichten Meinung, karessiert und manipuliert von den Regierungsapparaten, ihre Auffassungen als alternativlos proklamieren und jeden Zweifel niederzumachen suchen.« Nein, Hans-Peter Schwarz beschreibt hier nicht das Deutschland der Gegenwart, sondern den polit-medialen Diskurs zu Zeiten der Neuen Ostpolitik Willy Brandts. Abgestoßen vom regierungstreuen Konformismus nahezu aller Leitmedien und dem Linksdrall seiner Kollegen an den politikwissenschaftlichen Instituten der Republik, habe er sich, so der Autor, zu dieser Zeit den Konservativen zugewandt, in denen er das »kleinere politische Übel« gesehen habe. Kurz vor seinem Tod im Juni 2017 hat »Mr. Bundesrepublik«, wie der Politikwissenschaftler und Zeithistoriker mal bewundernd, mal despektierlich genannt worden ist, seine Autobiographie Von Adenauer zu Merkel: Lebenserinnerungen eines kritischen Zeitzeugen zu Ende geschrieben.
Am Anfang stand Ernst Jünger. 1958 wurde Schwarz mit seiner Dissertation über Jünger als Zeitdiagnostiker promoviert. Der vor allem stilistische Einfluß des von ihm bewunderten Autors auf das vorliegende Werk ist unverkennbar. Klar und präzise in der Sprache, ein unerschütterliches Selbstvertrauen zum Ausdruck bringend, hart und unerbittlich im Urteil, beschreibt Schwarz seine akademische Karriere und publizistischen Erfolge. Mit Biographien über Adenauer, Axel Springer und Kohl erreichte er viele Leser auch außerhalb des universitären Elfenbeinturms. Obwohl CDU-Mitglied und Mitglied des Vorstandes der Konrad-Adenauer-Stiftung, betont Schwarz seinen Anspruch, die von ihm untersuchten Gegenstände ungeschönt darzustellen. Leser seiner Werke werden feststellen, daß es in der Tat nie seinem Naturell entsprach, Personen zu idealisieren. So reagierte Kohl erzürnt auf die 2012 über ihn veröffentlichte Biographie und schrieb einen empörten Brief an Schwarz, aus dem hier ausführlich zitiert wird.
Gebannt folgen wir Schwarz’ subjektiv-authentischer Reise durch die Geschichte der BRD über die Wiedervereinigung bis zur sogenannten Flüchtlingskrise. Zeitgeschichtlich interessierte Leser kommen auf den gut 700 Seiten voll auf ihre Kosten. Etwas störend wirken lediglich des Autors ständige Klagen über die viele Arbeit, die er sich mit diesem oder jenem Projekt mal wieder aufgehalst habe. Hier kokettiert offensichtlich jemand mit seinem Erfolg – geschenkt. Es überwiegen die Passagen, in denen er sich so zeigt, wie es seinem Selbstbild entspricht: als ein unabhängiger, nonkonformer Analyst. Er beklagt den gegenwärtigen »Verfall des Selbstbehauptungswillens«, kritisiert den »quasireligiösen Kollektivschuldkult mit Auschwitz im Zentrum« und moniert den Einfluß »grüner Propaganda«, der maßgeblich zur nationalen Selbstaufgabe 2015 beigetragen habe. Schwarz, ein kritischer Geist, der Feigheit und Selbstzensur verachtete, wird fehlen.
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