Slavoj Žižek/Karl Marx/Friedrich Engels: Das Kommunistische Manifest. Die verspätete Aktualität des Kommunistischen Manifests, Frankfurt a.M.: S. Fischer Verlag 2018. 192 S., 10 €
Den Lesern der Sezession wurde der oftmals als »Popstar« unter den zeitgenössischen Philosophen umschwärmte Slavoj Žižek im Rahmen einer Bücherschau (vgl. Sezession 70) vorgestellt. Zwei Jahre später hat der höchst produktive Autor aus Ljubljana, dessen Themen zwischen Marxismus, Popkultur, Psychoanalyse und Globalisierungsanalysen oszillieren, bereits einige weitere Veröffentlichungen vorgelegt; aktuell folgt nun ein Doppelpack im S. Fischer Verlag.
Der Mut der Hoffnungslosigkeit ist dabei Jahresschau 2017 und radikal linke Streitschrift in einem. Erneut – nach den Kurztexten Blasphemische Gedanken und Der neue Klassenkampf – wendet sich Žižek hier dem Problem der Migrationsströme zu, das er neben der fundamentalistisch-terroristischen Bedrohung, der Rückkehr der Geopolitik in Folge des chinesischen Aufbruchs und das Aufkommen neuer »emanzipatorischer« Bewegungen in Europa als eines von vier Kernthemen der Gegenwart versteht.
In Fragen der Migration eckt Žižek regelmäßig im heterogenen linken Feld an; er pro jiziert – anders als sein Kompagnon, der maoistisch geprägte Philosoph Alain Badiou – keine Revolutionssehnsüchte in die nach Europa strömenden Flüchtlinge und Migranten (»nomadisches Proletariat«), denen Badiou etwa zuschreibt, sie würden sich im Zuge von Ausbeutungs- und Diskriminierungserfahrungen mit den autochthonen Subalternen verbünden, um gegen »die da oben« zu rebellieren. Žižeks Argumentation fehlt solch naiv-idealistische Ideologieproduktion, und er hält sich auch weiterhin fern von romantisierendem Multikulturalismus, dessen Bezugsrahmen – den Linksliberalismus – er wiederholt als heuchlerisch und systemstabilisierend entlarvt hat.
Auch Žižeks abermalige Fundamentalkritik des globalen Kapitalismus und die Analyse seiner Flexibilität, die es ihm trotz aller Nivellierungen beispielsweise erlaubt, identitätsstiftende Besonderheiten (lokale Religionen, Kulturen und Traditionen) zu vermarkten und zu integrieren, ist ebenso anschlußfähig für neurechtes Denken wie aktuelle Überlegungen zu Krisenpolitik (Krisen als »das Terrain, auf dem Schlachten geschlagen und gewonnen werden müssen«), politischer Korrektheit, Populismus oder islamistischen Entwicklungen.
Bezogen auf letzteres Feld argumentiert Žižek beispielsweise wie Richard Millet, wonach der Neofundamentalismus (nicht nur, aber auch Marke Islamischer Staat), so antimodern und sektiererisch er sich geben möge, ein dem »postmodernen« liberalkapitalistischen System selbst entspringendes Phänomen sei. Indes waren das die Gemeinsamkeiten, die in vorliegendem Werk zu diagnostizieren sind, so werden, mehr noch als in Žižeks vorhergehenden Veröffentlichungen, Trennlinien deutlich.
Denn Žižek rückt eine Gretchenfrage ins Zentrum: Sei man Kritiker des globalen Kapitalismus, weil dieser insbesondere lokale Traditionen und identitäre Zusammenhänge (Völker, Kulturen etc.) untergräbt? Oder goutiere man vielmehr diese zersetzende Kraft, weil man selbst ein universalistisches, »emanzipatorisches« Projekt verficht, während man wiederum als Gegner des Kapitalismus auftrete, weil er als System der Ausbeutung und Entfremdung gerade die universelle Solidarität und weltweite Befreiung – den Kommunismus – verhindere?
Als Kommunist leitet Žižek im Jahr des 200. Geburtstags von Karl Marx denn auch die Neuauflage des ungekürzten Kommunistischen Manifests ein. Klug und pointiert seziert er die Unzulänglichkeiten des gegenwärtigen neoliberalen Stadiums des Kapitalismus und stellt dessen Praxis der »Unfreiheit im Gewand ihres Gegenteils« ins Zentrum seiner Kritik. Die linke Suche nach dem »revolutionären Subjekt« in Form von Flüchtlingen wird einmal mehr als »obszön« und »zynisch« bewertet; bei der Lokalisierung des »Zorn-Potentials« (Peter Sloterdijk) scheint es unbedacht, »die Lücke der fehlenden Proletarier durch Import von außen zu füllen«. Daneben ist Žižeks Abschied vom Marxismus, den er empfiehlt, das zweite Sujet, das so manchen Lesern mit linkem Ideologiehintergrund aufstoßen dürfte: Statt »Marxist« zu sein empfiehlt Žižek vielmehr, Marxens begründende Fragen zu stellen und neue Antworten auf der Höhe der Zeit zu finden.
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