Sie wird ihre staatspädagogische Einflußnahme und Vormundschaft fortsetzen. Die letzten Corona-Wochen waren dafür der Auftakt. Eine offensive Gesundheitspolitik wird sich im Sinne weiterer Zwangsvereinnahmungen als hochwirksam erweisen, weil sie praktischerweise direkt mit der Angst operiert, mit der Sorge der Bürger vor Krankheit und Tod. Die setzen mittlerweile schon freiwillig ihre „Alltagsmasken“ auf.
Eine Tendenz zur Hygiene-Erziehung, die übrigens alle Diktaturen kennzeichnete, war bereits vor der sogenannten Corona-Krise deutlich. Noch in den Neunzigern erschien ein Rauchverbot in Kneipen gar nicht vorstellbar. Selbst wenn man lieber ohne Qualm am Tresen sitzen mag, so bleibt doch erstaunlich, wie problem- und widerstandslos das Rauchfrei-Dekret umgesetzt werden konnte. Überhaupt gilt namentlich der Raucher in der öffentlichen Wahrnehmung entweder noch positiv als Alltags-Outlaw oder schon negativ als Asozialer, der – als Süchtiger – sein Leben nicht im Griff hat und nicht leistungsfähig sein kann. Die Diskriminierungstendenz ist deutlich. Auf den Bahnhöfen hat er sich in ein gelbes Schandquadrat zu stellen und wird so mindestens kulturell selektiert. Ähnlich wie ein alter auszurangierender Diesel.
Alkohol, ohne Frage ein Gesundheitsrisiko, aber wie jedes Risiko eben deswegen der Freiheit bedürfend, findet sich ähnlich negativ stigmatisiert. Deswegen gibt es kaum mehr derbe Kneipen; das Saufen findet sich in Nischen und hinter die Gardine gebannt, wo es zwar intensiv erfolgt, aber nicht mehr in die Wahrnehmung der „gesellschaftlichen Öffentlichkeit“ fällt.
Berlin mag eine Ausnahme sein, so wie in mancherlei Hinsicht. Es steht zu seiner Späti-Anarchie, die sich noch etwas Schmutz leisten darf, „arm, aber sexy“, teils aus Verklärung verlorener Identität, eher wohl als touristische Eigenwerbung. Wer aber dort mit dem Bier in der Hand lässig über den Kiez flaniert, will nicht als unkultivierter Säufer gelten, sondern als Hipster und Individualist.
Hinter der forcierten Hygiene-Maßnahmenpolitik steht der Puritanismus einer maßgeblich linksgrün dominierten Mitte. Wenn schon Kapitalismus, dann zum einen bitte immer chancen- und besser noch verteilungsgerechter, zum anderen ökologischer und gesünder, die Wertschöpfungen angetrieben von „sauberer“ Energie.
Die Ernährung erfolgt in neuer ökologischer Verantwortung – ohne Gentechnik, ohne Massentierhaltung, ohne Glyphosat, klimaneutral sowieso. Das Klima avancierte überhaupt zum Maßstab der gesamten Welt-Haushaltung, und gewissermaßen erscheint der Abschied vom Schmutz der diskreditierten fossilen Energieträger als eine globale Hygienemaßnahme.
Symbolisierten qualmende Schlote einst Hoffnung und Fortschritt, darf es sie im durchsterilisierten postindustriellen Zeitalter überhaupt nicht mehr geben. Kohle, Erdöl und Erdgas gelten als böse Naturprodukte, als Fehler der Schöpfung oder Genschaden der Phylogenese, so wie CO2 den Greta-Jüngern als pures Gift erscheint, obwohl es die pflanzliche Biosphäre erst ermöglicht.
Daß die verqualmten Jahrzehnte der industriellen Revolution die Grundlagen für den heutigen, in sich selbst völlig maßlosen Lebens- und Konsumluxus ermöglichten, verdrängen die grünen Volkserzieher, gilt ihnen der frühere Mensch doch per se als ökologisch unvernünftig – im Gegensatz zum wieder mal „neuen Menschen“ mit seinem globalen Verantwortungsempfinden.
Die Didaktik greift mittlerweile überall ein: Zucker, Fett und Salz bekommen die rote Lebensmittelampel gezeigt. Schokolade ist nurmehr statthaft, wenn sie „fair“ gehandelt wurde und anderswo die Menschen schon auf den Plantagen und in der Herstellung garantiert glücklich machte. Überhaupt wird dem Verbraucher erst beim Betreten des Bioladens die Absolution erteilt, obwohl letztlich doch nur der konsequente Veganer dem Absolventenbild der neuen Lehre des sozialistischen Ökologismus entspricht.
Die in den keimfreien Eigenheimgebieten der Leistungs- und Entscheidungsträger der Neunziger und der Nullerjahre aufgewachsenen Saftpappenkinder, die ihre ideologische Ausrichtung in den von empfindungslinken Lehrern dominierten Schulen erfuhren, werden die alternativ uniformierten Aufpasser und Denunzianten im Sinne der neuen gesunden Ordnung sein und finden sich mit Autoritätsbeweisen ausgestattet, die keinen Widerspruch dulden: Weltoffenheit, Toleranz, Vielfalt als Losungen für das Gegenteil dessen, was diese Begriffe an sich meinen.
Aber der „neue Mensch“ war immer vorzugsweise der gesunde Mensch, ob im National- oder im sonstigen Sozialismus. Er ist es wieder. Und wieder auf radikale Weise. Wo die Möglichkeiten zur großen Gesundheit bestehen, werden sie umgesetzt, von der Architektur bis zum artigen Händewaschen. Die Hygiene wird im Weltanschaulichen wie Medizinischen zum totalen Richtmaß, kontrollierbar durch „Big Data“. Daß die durchbefohlene Sterilität an sich dem Ökologischen entgegensteht, ist ein Selbstwiderspruch der zu jenem zwischen angestrebter politischer Normierung und verkündeter Toleranz und Vielfalt paßt.
Wo in der Leistungsgesellschaft der Erfolgreichen des heimatlosen „anywhere“ Religion und Ideologie ebenso fehlen wie die frühere Sicherheit und heimatliche Einbindung, bleiben nur das hochzuhaltende eigene Ich im Sinne des praktizierten Egoismus und letztlich der eigene Körper.
Zum einen spiegelt er sich im Narzißmus der Selfie-Kultur, zum anderen wird er optimiert und effektiviert, was letztlich wiederum das neurotische linksgrüne Kompensationsbedürfnis bedingt, eine harte Basis der Hochleistung möge doch durch einen weichen menschlichen, allzu menschlichen Überbau ausgeglichen werden, vor allem mit der Schule als Hort der großen Gerechtigkeit für all und jeden. Zwar läuft die Ausbeutung weiter, weil die nun mal wesentlicher Teil der conditio humana ist und für den Hedonismus der Neubürger unerläßlich bleibt, aber sie erscheint viel ökologischer, viel verantwortungsvoller und vor allem urgesund wie ein Bio-Apfel.
Andreas Walter
Ausbeutung ein wesentlicher Teil der conditio humana?
Heutzutage mag das zutreffen, doch Parasitismus tritt auch in der Flora und Fauna nur sehr begrenzt auf. Von Mikroorganismen mal abgesehen.
Wettbewerb ja, ist sehr verbreitet, auch die Jagd, aber nicht Ausbeutung.
Selbst Nomaden achten normalerweise sehr genau darauf, die Narbe, Steppe, Sträucher oder sogar Bäume nicht zu überfordern. Pflanzen wappnen sich aber auch von sich aus mit Gift und Dornen vor Übernutzung, aus ihrer "Sicht" Missbrauch.
Das Phänomen, von dem Sie schreiben, betraf daher früher nur eine Minderheit, die es aber auch schon sehr lange gibt. So alt wie die Sklaverei selbst, vermute ich mal, wobei sich auch die Geschlechter schon immer nicht nur gegenseitig geliebt haben. Dass wahrscheinlich aber auch ein Khan oder Häuptling auch unverdiente Privilegien schon genossen hat kann auch mit relativer Sicherheit vermutet werden.
Der exponentielle Zuwachs auch an Ausbeutung ist daher ein Phänomen der Neuzeit, das sich dadurch zum Einen allein schon quantitativ, zum Teil aber auch qualitativ-neu erklären lässt, und zum Dritten auch der neuzeitlichen Aufmerksamkeitsökonomie geschuldet ist. Das Netz hat eine ganz neue Markttransparenz mit sich gebracht, die es so vorher noch nie gab. Dass nicht alle Tiere (und Menschen) gleich sind wissen aber (spüren?) auch die Tiere.