Denoch wurde das Menschenbild der Gesellschaft kraft hegemonialer linksgrüner Neu-Bourgeoisie immer quasisozialistischer. Dies geschah und geschieht mit der Tendenz, möglichst alle Bedürfnisse, neuerdings als „Bedarfe“ beschrieben, zu befriedigen, ohne daß dafür, begonnen mit der Schule, persönliche Leistungsbereitschaft und Selbstüberwindung erwartet werden. Ergebnis ist eine Art Adipositas im erweiterten Sinne.
Die Corona-Maßnahmen verstärken diesen Effekt: Um einerseits zunehmend irre Corona-Zwänge aufrecht erhalten, andererseits aber in Wahlen bestehen zu können, wird in staatsozialistischer Manier das Kurzarbeitergeld verlängert und werden Kredite und Hilfen gewährt, die in die Pleite getriebenen Firmen eine Weiterexistenz finanzieren.
Wo rein physisch immer weniger gearbeitet wird, mag der Wert von Arbeit konkret kaum erfahrbar sein. Wer irgendwas macht, oft ausgehalten von der “öffentlichen Hand”, hält dies bereits für wertig, angefangen beim bloßen Existieren, insofern bereits dem Auf-der-Welt-sein Würde beigemessen wird.
Arbeiter, die die Gattung der fettgesessenen Büromenschen beargwöhnen, in Relation zu dem, was sie leisten, allzu komfortabel ausgestattet zu sein, liegen grundsätzlich ja richtig, insbesondere dann, wenn der “öffentliche Dienst” das Büro betreibt.
In den Parlamenten und in den Regierungen tummelt sich zudem eine neue höfische Gesellschaft, die, versorgt aus den Töpfen “öffentlicher Gelder”, eine Dekadenz entwickelt, die auf neue Weise an das Ancien Regime erinnert. Sich dem Volksvermögen anzuwanzen erscheint den neuen Hofschranzen nur recht und billig, weil sie sich selbst für unverzichtbar in ihrer vermeintlichen Kompetenz halten. Einmal auf eine Stimmung aufzuschwimmen und irgendwie eine Wahl gewonnen zu haben oder über eine Liste in die Legislative gerutscht zu sein, das reicht gerade Kleingeistern und Lebensverlierern für die Überzeugung von der eigenen Bedeutsamkeit aus. Die dicken Diäten passen zum gewonnenen Selbstbild und dem neu erworbenen Satz weißer Hemden.
Es gibt eine Menge Entscheidungsträger, die selbst nie Leistungsträger waren. Man sollte das wissen, wenn man sich als “aufrechten Demokraten” sieht.
Daß indessen dem Prekariat und der Zuwandererschaft aus dem islamischen Süden Miete und und Heizung zuzüglich eines Taschengeldes gezahlt werden, soll wohl als Errungenschaft im Sinne eines Minimal-Bürgergeldes gelten. Wer das als Gerechtigkeit verstehen will, zieht gern John Rawls herbei, nach dem sich der vermeintlich schlimme Kapitalismus legitimieren läßt, wenn die von ihm erwirtschafteten Gewinne eine soziale Politik finanzieren, die wiederum auf so hohem Niveau ohne kapitalistische Basis-Effizienz nicht zu haben wäre. Das gesellschaftliche Bedürfnis, die düster böse Ausbeutungswirtschaft durch einen sozialistischen Überbau-Himmel aufzuhellen, ist gegenwärtig fatalerweise allumfassend. -
Die marxistische Linke im 19. Jahrhundert entstand mit der Kritik an den sicht- und spürbaren Folgen der Ausbeutung in den Zentren der Industrialisierung, die die aufgeklärten und liberalen Beobachter schockierte und nach Alternativen suchen ließen. Andererseits sind die Grundlagen des gegenwärtigen Wohlstands der Industrieländer ohne Proletarisierung, Pauperismus, Kolonialismus und neuzeitliche Sklaverei nicht vorstellbar.
Der erfolgreiche Kapitalismus basierte global, also imperialistisch auf dem, was heute Rassismus genannt wird. Ohne diesen Rassismus gäbe es den Westen in heutiger Gestalt nicht. Seine Deklarationen zur Freiheit, Humanität und Gerechtigkeit waren früher so doppelmoralisch wie heute neurotisch.
Aus der Gegenwart heraus fehlt uns Heutigen die Vorstellung von früheren, längst historischen Härten, denen wir unseren Lebenskomfort verdanken. Marx jedenfalls faszinierte die grundstürzende Kraft der Bourgeoisie und des Kapitals sowie die davon ausgehende technische und soziale Mobilisierung. Im “Kommunistischen Manifest” schreibt er bereits 1848:
Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat die buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen natürlichen Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig zerrissen und kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose „bare Zahlung“. Sie hat die heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, der ritterlichen Begeisterung, der spießbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung ertränkt. Sie hat die persönliche Würde in den Tauschwert aufgelöst und an die Stelle der zahllosen verbrieften und wohlerworbenen Freiheiten die eine gewissenlose Handelsfreiheit gesetzt. Sie hat, mit einem Wort, an die Stelle der mit religiösen und politischen Illusionen verhüllten Ausbeutung die offene, unverschämte, direkte, dürre Ausbeutung gesetzt.
Die Bourgeoisie hat alle bisher ehrwürdigen und mit frommer Scheu betrachteten Tätigkeiten ihres Heiligenscheins entkleidet. Sie hat den Arzt, den Juristen, den Pfaffen, den Poeten, den Mann der Wissenschaft in ihre bezahlten Lohnarbeiter verwandelt.
Die Bourgeoisie hat dem Familienverhältnis seinen rührend-sentimentalen Schleier abgerissen und es auf ein reines Geldverhältnis zurückgeführt.
Die Bourgeoisie hat enthüllt, wie die brutale Kraftäußerung, die die Reaktion so sehr am Mittelalter bewundert, in der trägsten Bärenhäuterei ihre passende Ergänzung fand. Erst sie hat bewiesen, was die Tätigkeit der Menschen zustande bringen kann. Sie hat ganz andere Wunderwerke vollbracht als ägyptische Pyramiden, römische Wasserleitungen und gotische Kathedralen, sie hat ganz andere Züge ausgeführt als Völkerwanderungen und Kreuzzüge.
Neben der gewerkschaftlichen und marxistischen Kritik entwickelte sich eine religiöse, die u. a. in Richtung katholischer Soziallehre fortgeschrieben wurde. Überhaupt keine Rolle in der heutigen Rezeption spielt hingegen eine philosophisch-anthropologische Interpretation, u. a. Arthur Schopenhauers, die desillusionierend klarstellt, der Mensch, der vermeintlich ausbeutende wie der daran leidende, handele eben gemäß seiner Natur, also egoistisch und böse. Wenn ausnahmsweise mal nicht, so müßten dafür starke Motive her.
Friedrich Nietzsche verstärkte dies:
Leben selbst ist wesentlich Aneignung, Verletzung, Überwältigung des Fremden und Schwächeren, Unterdrückung, Härte, Aufzwängung eigner Formen, Einverleibung und mindestens, mildestens, Ausbeutung.
Von den leistungsfähigeren Arbeitern wurden die sozialen Härten der Industrialisierung als individuelle Chance zur Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse angenommen. Sich regen bringt Segen. Ohne Fleiß kein Preis. Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Wer sich als fit erwies, körperlich wie geistig, der stieg auf, in die Arbeiteraristokratie oder gar selbst ins Unternehmertum. Bildung wurde nicht zugereicht, sondern errungen. Nicht wenige der großen Ingenieursnamen entstammen der Arbeit und dem Handwerk.
Insofern der Liberalismus juristisch Chancengleichheit verlangte, fungierte er als Pate der frühen Arbeiterbewegung, so wie die Arbeiterbildungsvereine von Liberalen inspiriert waren. Die Forderungen nach einerseits rechtlicher, andererseits sozialer Gleichheit liefen erst später auseinander.
Florian Meinel schrieb dazu jüngst klug und treffend: “Es ist, wie wir seit Hegel und Marx wissen, die Abstraktheit der Tauschbeziehung unter Gleichen selbst, durch die der Einbau aristotelischer Sozialvorbehalte in das Recht der Freiheit zum Scheitern verurteilt ist.” Darüber sollte links öfter mal meditiert werden.
Was den sogenannten einfachen Leuten von jeher als Tugend galt, Leistungswille einerseits, Maßhalten andererseits, das sicherte auch in der Moderne die Existenz und verbesserte die Lebensumstände. Wer es nicht brachte, der blieb auf der Strecke – tragisch, wenn dies von Unfällen, Krankheit und Alter verursacht war, folgerichtig, wenn es an Impetus und Willen fehlte.
Bismarcks Politik von Zuckerbrot und Peitsche – einerseits Sozialistengesetz, andererseits Sozialgesetzgebung – hatte Erfolg. Wer etwas für sich und seine Familie erreichen wollte, der hatte spätestens ab 1890 sehr gute Möglichkeiten dazu, wenn er nur selbst angestrengt Arbeit zu leisten verstand und zudem Bildung erwarb. Der Begriff Wertschöpfung ist von schönem Klang. Und nicht mal ein Fremdwort, sondern offenbar sehr deutsch.
Extrem links verblieb das nach radikaler Umverteilung der Besitzstände rufende Lumpenproletariat, aus dem sich später die Anhängerschaft der kommunistischen und nationalsozialistischen Partei rekrutierte. Die gut Ausgebildeten und Leistungsorientierten hingegen, die sich selbstbewußt eine eigene proletarische Kultur zu schaffen verstanden, gingen in der Sozialdemokratie auf oder blieben, katholisch sozialisiert, dem Zentrum treu.
Friedrich Engels, Marx um zwölf Jahre überlebend und beinahe schon Zeitgenosse der vorletzten Jahrhundertwende, wehrte sich in seinen Altersbriefen gegen eine Vulgarisierung des Marxismus. Er sah offenbar, daß der Kapitalismus eben nicht fallen würde wie ein tönerner Riese, sondern daß er neben der Tragik, produktiver Vernichter zu sein, unermeßlichen Kräften und Chancen Raum gab, wirtschaftlich wie politisch und letztlich sogar sozial.
Das erkannten ebenso die Revisionisten in der deutschen Sozialdemokratie und wandelten sich zunächst von Revolutionären zu Opportunisten, dann aber, spätestens in der Weimarer Republik, sogar zu staatstragenden Bürgern, während der deutsche Kommunismus sich mit dem Thälmannschen ZK stalinisieren ließ und an die Kommunistische Internationale hielt. Ohne den Sieg der Roten Armee hätte er sich in Deutschland und im übrigen Ostblock nicht durchsetzen können. Letztlich führte noch jede Spielart des Kommunismus in die Pleite, zuletzt eindrucksvoll in verschiedenen südamerikanischen Experimenten.
Gegenwärtig erleben wir den Wandel des politischen Menschenbildes als einen Rückfall hinter die Grundvereinbarungen der klassischen deutschen Sozialdemokratie. Denn was von links bis in die Christdemokratie hinein gefordert wird, begonnen mit Gerechtigkeit um jeden Preis, das entspricht eher kommunistischem Denken. Das allenthalben erhobene Verlangen nach unbedingter „Teilhabe“ erfolgt, ohne daß es mit Leistungsbereitschaft verbunden wird. Und wie immer uniformiert ein so gleichmacherisches linkes Denken die Gesellschaft.
Gleiches gilt für die “Bildung“. In den Schulen sollen sehr gute Zeugnisse als Prognose bester Chancen schon seit Jahrzehnten nicht mehr durch gründliches Lernen erworben, sondern einfach zugereicht werden. Mit dem Effekt, daß im Sinne von immer mehr „Abi“ der höchste Schulabschluß nicht mehr wie früher einen so interessanten wie einträglichen Beruf garantiert, sondern nur noch die Grundbedingung dafür darstellt.
Forderungen nach mehr Lebenskomfort legitimieren sich simpel mit dem bloßen Vorhandensein von Bedürfnissen, die der Staat gefälligst zu befriedigen habe, nicht etwa als Honorar für hartes Arbeiten oder geistige Qualifizierung, sondern einfach per Dekret. Jeder Anspruch erscheint per se legitim; Leistung hingegen braucht es nicht, um „teilhaben“ zu können. Die Politik soll den Bedürfnissen umstandslos entsprechen, ohne daß sie dafür etwa noch Forderungen zu stellen hätte.
Wer die aufzuwendenden Mittel all der verlangten Ausgaben, Soforthilfen und Subventionen mit Anstrengung und Schöpferkraft errang, ist der Linken mittlerweile völlig egal. Fragte sie früher noch nach deren Erwirtschaftung oder verband ihre Vorschläge wenigstens mit Ideen, geht es ihr gegenwärtig nur um die Verteilung, so als wüchsen die Gelder von selbst in einem Schatzhaus nach, das nur geplündert werden müßte.
Daß die EU unter Leitung von EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen 750 Milliarden Euro auskehren will, das meiste davon als reine Gabe, um damit zu “helfen”, ohne die Verwendung der Mittel prüfen zu wollen oder zu können, steht für die gleiche sozialistische Verschwendungstendenz. Abgesehen davon, daß namentlich Frau von der Leyen der Wert öffentlicher Gelder schon einerlei war, als sie diese für dubiose Beraterhonorare in ihrer Zeit als deutsche Verteidigungsministerin versenkte.
Die basale Wirtschafts- und Finanzwelt, selbst zwar höchst problematisch voneinander entkoppelt, funktioniert grundsätzlich noch kapitalistisch, mindestens marktwirtschaftlich, aber die von ihr erarbeiteten Erlöse, zu denen die Steuern der gut ausgebildeten und passabel verdienenden Arbeiterschaft gehören, werden quasisozialistisch in der Finanzierung nicht nur illusionärer, sondern sogar dekadenter Gerechtigkeitsvorstellungen versenkt.
Wenn der Staat in dieser Weise fortfährt, die ihm von den Bürgern zwangsüberwiesenen Mittel zu verschwenden, wird ihm der Gedanke an Enteignungen immer wieder einschießen, weil er – je linker regiert, je mehr verteilend – immense Mittel vergeudet und Ausgaben vornimmt, die überhaupt nicht refinanzierbar sind. Für die rot-rot-grüne Regierung Berlins gelten Enteignungen daher bereits ein probates Beschaffungsmittel.
Die sogenannte Corona-Krise hat diese Tendenz forciert und einer bereits üblichen Umverteilung der Mittel zugunsten des sich heute kunterbunt gebenden Proletariats der Abkassierer Tür und Tor geöffnet, so daß das Wort vom Corona-Sozialismus zutreffend erscheint. Erst Krankschreibung per Telefon für jeden, jetzt Alimentierungen für viele. Nicht weil es das Erfordernis aus echter Notlage gäbe, schon gar nicht, weil ein Leistungsversprechen von den Alimentierten erwartet oder gar eingefordert wird, nein, einfach nur, weil Bedürftigkeit signalisiert wird.
Namentlich die Linke fordert gegenwärtig in den Parlamenten immer neue und umfassendere Mittel, um sie über jeden bejammerten Mangel zu verteilen. Ihren vor Wochen noch rigorosen Forderungen nach exekutiv durchregierender Beschränkungspolitik entspricht jetzt der Ruf nach großzügigem finanziellen Ausgleich für die von dieser Regelungswut Betroffenen. Und die Regierungen, teilweise längst pleite, haben das abzunicken und Bewilligungsbescheide auszustellen, anstatt mutig die mittlerweile völlig unsinnigen Beschränkungen aufzuheben, auf daß wieder Wertschöpfung betrieben werden kann.
Die Leistungsgesellschaft scheint sich jedoch eher in eine Transfergesellschaft zu wandeln, die immer weniger Werte schöpft, dafür aber um so mehr moralisiert. Die unbedingte Hilfsbereitschaft gegenüber dem von Flüchtlingen selbst in Brand gesteckten Lager Moria ist dafür ein Beispiel. Das ist der Eintritt in ein Endstadium, nicht nur ökonomisch und finanzpolitisch, sondern ebenso ethisch.
Maiordomus
"Bildung wurde nicht zugereicht, sondern errungen." Das ist genau der Punkt; fällt mir bereits für die Epoche des Humanismus auf, zumindest was Männerbildung betrifft.