Catherine Nixey: Heiliger Zorn. Wie die frühen Christen die Antike zerstörten, München: DVA 2019. 400 S., 25 €.
Bringt man die Kernthese von Cathrine Nixeys Heiliger Zorn auf den Punkt, so gibt es bei dem Begriff der Christenverfolgung ein jahrhundertealtes Mißverständnis: Christen waren nicht die Gehetzten der römischen Kaiserzeit, sondern die eifernden Verfolger aller Andersgläubigen. Nicht ohne Grund läßt Nixey ihre Geschichte der christlichen UrIntoleranz 385 n. Chr. mit der Zerstörung des Athenetempels in Palmyra durch Zeloten beginnen. Waren es doch 2015 die fanatischen IS-Anhänger, welche erneut die Kulturgüter der Ruinenstadt schändeten! Die Parallele drängt sich auf: Zwischen Christentum und Islamismus besteht demnach, was Dogmatismus und religiösen Haß angeht, kaum ein nennenswerter Unterschied. Ein zutiefst sonderbares, unsympathisches Christentum durchzieht als roter Faden Nixeys Darstellung der Spätantike.
Diese gerät trotz packender Erzählkunst zu einer holzschnittartigen Darstellung mit klar verteilten Rollen. Auf der einen Seite befindet sich der friedliche heidnisch-philosophische Multikulturalismus, ein in Tunikund Sandalen gewandeter Vorläufer des heutigen Liberalismus, dem die von skrupellosen Bischöfen aufgehetzte Sekte des frühen Christentums mit ihrem monistischen Fanatismus gegenüber steht. Werden einerseits Nixeys Betrachtungen vom Wunsch nach Verständnis der paganen Lebensrealität getragen, so zeichnet sie andererseits eine mangelnde Empathie für die christliche Perspektive aus. Die Rezitation von Psalmen erscheint ihr heute wie damals als absurd, das von einsamer Askese geprägte Leben der frühen Mönche nur bedingt dem Seelenheil zuträglich, aber überwiegend als Verursacher klinischer Depressionen. Dadurch erinnern Nixeys detailreiche Schilderungen bei gleichzeitiger einseitiger Parteinahme an eine Mischung aus Umberto Eco und Richard Dawkins. Sicherlich eine gute Voraussetzung um 2017 im angelsächsischen Raum mehrfach zum Book oft the Year gekrönt zu werden! Durch diesen vermeintlich aufklärerischen Furor ist Heiliger Zorn als verpaßte Gelegenheit zu bewerten.
Denn der Stoff, aus dem Nixey ihre spätantike Erzählung über den Aufstieg des Christentums webt, trägt durchaus eine besondere Dramatik in sich. Man muß ihr Recht geben, wenn sie die Tragik der sterbenden heidnischen Welt veranschaulicht. Die zahlreichen Kulte des römischen Kaiserreichs, die, solange sie sich der Pax Romana unterwarfen, von administrativer Seite geduldet wurden und einander weitestgehend ignorierten, verloren in der Blütezeit des Kaiserreichs zunehmend an Anziehungskraft. So fand das aus dem Osten des Reichs drängende Christentum ein spirituelles Brachland für seinen Missionsgedanken vor, welches es geschickt zu nutzen wußte. Es ist Nixey zuzustimmen, daß dies keinesfalls ein friedlicher Vorgang war. Das frühe Christentum war längst in der Profanität angekommen, beherrschte die Politik der Hinterzimmer und das Spiel um Posten hervorragend und schaffte es bei einem Bevölkerungsanteil von zehn Prozent im Jahre 313, die konstantinische Wende einzuleiten und schon 380 n. Chr. zur alleinigen Staatsreligion des römischen Imperiums aufzusteigen. Eine Erfolgsgeschichte, die sicherlich nicht nur durch Nächstenliebe geprägt war. Bald wurde der Besitz unerwünschter Literatur unter Strafe gestellt, und immer wieder fanden gewalttätige Übergriffe auf heidnische Tempel und deren Priester statt. Dem früheren Christen erschienen diese Anlagen als Brutstätten teuflischer Dämonen, die sich von den Nahrungsspenden der Heiden ernährten.
Der Neuplatoniker Damaskios, welcher 482 durch christliche Agitation aus Alexandria, dem einstigen Zentrum spätantiker Philosophie vertrieben wurde, veranschaulichte den Schmerz eines untergehenden Zeitalters: »Stimmt es denn nicht, daß wir tot sind und nur zu leben scheinen, wir Griechen? Oder sind wir am Leben und das Leben ist tot?« Gerade in den frühen Tagen des Christentums war diese künftige Dominanz jedoch keineswegs sicher. Vor allem der römischen Verwaltungselite galt die neue religiöse Bewegung als Unruhestifter und setzte sie daher Repressionen aus. Nicht nur, daß sie sich überwiegend aus Anhängern der Unterschicht zusammensetzte, auch, daß diese sich weigerten, den Kaiser als Gott zu verehren, sorgte für gehörige Spannungen. Der Briefwechsel von Plinius dem Jüngeren mit Kaiser Trajan zeigt diese Verwunderung.
Plinius klagt über die Hartnäckigkeit, mit der sich Christen weigerten einzulenken. Er attestierte ihnen eine sonderbare Sehnsucht nach dem Martyrium, die ihm unverständlich blieb. Ihre Hinrichtungen bedauerte er, vollstreckte sie aber mit der Härte des kaiserlichen Gesetzes. Zum Abschluß der Lektüre von Heiliger Zorn bleibt ein gewisses Bedauern. Wohl hauptsächlich darüber, daß Nixey beim Blick auf die antiken Quellen selten ihre postmoderne Brille abzulegen vermag und ihren ganz eigenen Kreuzzug führt. Auch erscheint das in zahlreiche Strömungen und Glaubensbekenntnisse zersplitterte frühe Christentum zu oft als einheitlicher Akteur.
So fanden sich beispielsweise viele christliche Kritiker des fanatischen und skrupellosen Patriarchen Kyrill von Alexandria. Bedenkt man, daß schon Augustus in seiner Regentschaft über 2000 unliebsame Schriftrollen verbrennen und Ovid wegen schlüpfriger aber harmloser Gedichte lebenslang ans Ende der (römischen) Welt verbannen ließ, so ist Nixeys These, daß geistige Intoleranz erst ein Produkt der christlichen Missionierung sei, nicht ernsthaft haltbar.
Heiliger Zorn von Catherine Nixey kann man hier bestellen.