Ende August sorgte Bundesinnenminister Horst Seehofer für medialen Wirbel im politischen Sommerloch. Er übte Kritik an vermehrt auftretenden Urlaubsreisen von Asylbewerbern in deren Heimatland Syrien, die doch vorgeblich vor Krieg und / oder Verfolgung von dort geflüchtet seien. »Wer als syrischer Flüchtling regelmäßig in Syrien Urlaub macht, kann sich ja nicht ernsthaft darauf berufen, in Syrien verfolgt zu werden. Dem müssen wir seinen Flüchtlingsstatus entziehen.«
Das von Seehofer kritisierte Phänomen ist keineswegs neu. Bereits in den 1990er Jahren lagen Berichte über teils monatelange Heimaturlaube von Asylbewerbern vor – sei es für Hochzeitsreisen oder um Verwandte nachzuholen. Die Angst vor Verfolgung oder die brisante Lage im Heimatland – als Asylgrund in Deutschland geltend gemacht – schienen und scheinen die Reisefreude nicht zu trüben.
Der Auslöser für Seehofers aktuellen Vorstoß war eine investigative Recherche eines Bild-Reporters (selbst syrischer Asylbewerber), der die Praxis von Urlaubsreisen syrischer Asylanten nachzeichnete. Folgt man seinen Erkenntnissen, so reisten die meisten Syrer über Nachbarländer wie den Libanon, den Iran oder die Türkei in ihre Heimat.
Es gebe Tourismusbüros, die Reisen speziell für Syrer in ihre Heimat zu Pauschalpreisen anbieten – inklusive der Beschaffung von Dokumenten und Bestechungsgelder für die örtlichen Grenzbehörden. Die Ablehnung der beschriebenen Vorgänge ist obligatorisch. Doch wie sieht die Rechtslage aus? Grundsätzlich haben Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge das Recht zu reisen, und zwar auch ins Ausland.
Die Genfer Flüchtlingskonvention garantiert ihnen die Ausstellung eines »Reiseausweises für Flüchtlinge«. Subsidiär Schutzberechtigte, welche die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllen, aber den deutschen Behörden in irgendeiner Weise glaubhaft machen konnten, daß ihnen in der Heimat Schaden drohe, haben nach deutschem Asylgesetz ebenfalls die Möglichkeit, einen solchen Reiseausweis zu erhalten.
Damit können sie fast uneingeschränkt verreisen. Problematisch sieht es aber in der Tat mit Reisen in das eigene Herkunftsland aus. Gemäß Asylgesetz erlischt die Anerkennung als Asylberechtigter, wenn er »freiwillig in das Land, das er aus Furcht vor Verfolgung verlassen hat oder außerhalb dessen er sich aus Furcht vor Verfolgung befindet, zurückgekehrt ist und sich dort niedergelassen hat«.
In der Praxis gibt es freilich Schlupflöcher. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages stellte im Jahr 2018 im Rahmen eines Rechtsgutachtens fest, daß ein Erlöschen der Asylberechtigung nach § 72 Abs. 1a AsylG nur möglich ist, wenn die Person tatsächlich beabsichtigt, sich wieder dauerhaft im Herkunftsland niederzulassen. Selbst monatelange Urlaubsreisen und / oder Familienbesuche wären davon nicht betroffen.
Bei laufenden Asylverfahren sieht es moderat anders aus. Das Verfahren kann nach § 33 Abs. 3 AsylG eingestellt werden, wenn die betreffende Person vor dessen Abschluß in die jeweilige Heimat reist, da dann davon ausgegangen werden kann, daß sie sich dort sicher genug für eine solche Reise fühlt respektive ihr keine tatsächliche Verfolgung droht.
Aber auch hier gibt es Ausnahmen. Die gesetzliche Regelung greift nicht, sobald Asylbewerber angeben, auf ihrer Reise kranke Angehörige zu besuchen oder an religiösen Zeremonien teilnehmen zu wollen. Eine Überprüfung solcher Angaben dürfte in der Realität kaum möglich sein – entsprechend populär sind die üblichen Begründungsmuster.
Während die Bundesrepublik Deutschland also weiterhin Heimaturlaube von Asylbewerbern zuläßt, obwohl diese nach eigenen Angaben aus Furcht vor Krieg oder Verfolgung dort nicht leben könnten, haben andere Staaten bereits Gegenmaßnahmen getroffen, etwa die Schweiz. Zwischen Genf und Basel leben viele Asylbewerber aus Eritrea.
Die Anerkennungsrate für sie ist mit 75 Prozent und mehr konstant hoch. Doch immer wieder wurde bekannt, daß Eritreer, teils über Umwege, Reisen in die Heimat unternahmen. Daraufhin wurde die Rechtslage für solche Auslandsaufenthalte verschärft. Künftig geht der schweizerische Gesetzgeber davon aus, daß Asylbewerber, die in ihre Heimat reisen, sich freiwillig unter den Schutz dieses Staates stellen.
Wird den Behörden eine solche Reise bekannt, so wird automatisch ein Verfahren zur Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft eingeleitet. Der Asylbewerber muß stichhaltig nachweisen, daß er schwerwiegende Gründe für seine Reise hatte (beispielsweise Tod oder schwere Erkrankung naher Verwandter) und es sich nicht um einen freiwilligen Aufenthalt handelte.
Im Gegensatz zur Bundesrepublik ist hier also die Beweislast umgedreht. Während für die bundesdeutschen Behörden ein Anfangsverdacht für die Überprüfung solcher Reisen bestehen muß und selbst dann Schlupflöcher bestehen, müssen Asylbewerber in der Schweiz stichhaltige Beweise liefern.
Im Königreich Norwegen, das ebenfalls eine Anlaufstelle für viele Eritreer ist, nahm man sich daran ein Beispiel und schränkte die Gültigkeit der Ausländer-Reisepapiere für eritreische Staatsbürger ebenfalls ein. 2016, zum 25jährigen Jubiläum der Unabhängigkeit, zeigten viele Eritreer die Absicht, in ihre Heimat zu reisen, um an den Feierlichkeiten teilzunehmen.
Die damalige Ministerin für Immigration, Sylvi Listhaug, warnte die Migranten mit Nachdruck, daß es Asylbewerbern nicht gestattet sei, ihr Herkunftsland zu besuchen. Man könne nicht behaupten, vor einem Unrechtsregime geflohen zu sein und Schutz in Norwegen zu suchen, um dann zurückzureisen und dem Regime die Ehre zu erweisen.
Wenn Migranten in ihr Herkunftsland einreisen können, frei von Repressionen an der Grenze und frei vor der akuten Furcht, dort schweren körperlichen Schaden zu erleiden, gibt es dafür zwei mögliche Erklärungsansätze.
- Die Sicherheitslage im Herkunftsland ist keineswegs so desolat, wie die Migranten es in ihrem Asylverfahren angeben. Wenn sie als Mitglied einer politischen Gruppierung oder ethnischen Minderheit verfolgt würden, dann wäre auch ihre Familie davon betroffen. Wie kann es also sein, daß die Familien der Asylbewerber weiterhin relativ unbehelligt dort leben können, Besuch empfangen und sogar große Feste wie Hochzeiten ausrichten können?
- Wenn ein Herrschaftssystem tatsächlich so restriktiv ist, wie es etwa von Syrien und Eritrea behauptet wird, politisch mißliebige Personen dort also gnadenlos verfolgt werden – spräche dann die ungehinderte Einreise der Asylbewerber in ihr Heimatland nicht dafür, daß sie im eigentlichen Sinne systemtreu sind, von den Machthabern daher nicht behelligt werden und bei den deutschen Behörden falsche Angaben machten? Durch die anhaltende Praxis der Heimatreisen von in Deutschland ansässigen Asylbewerbern kommt dem verschmähten und pejorativen Begriff »Asyltourismus« eine neue, realistische Bedeutung zu.
In der Vergangenheit wurde häufig versucht, diese treffende Wortschöpfung mit dem Argument zu diskreditieren, Migranten seien keineswegs rational handelnde Akteure, die den Bestimmungsort Deutschland aus persönlichem Kalkül ansteuern, um sich einen Platz an der Sonne zu sichern. Sie seien panisch Flüchtende, getrieben von der Angst vor Tod und Verfolgung, die in Deutschland den ersten sicheren Hafen auf ihrer Route erkennen.
Folgte man dieser linksliberalen Muster-Argumentation, wäre »Tourismus« tatsächlich keine treffende Bezeichnung. Reisen Migranten jedoch zurück an ihren Ursprungsort, nicht unter klandestinen Bedingungen, sondern durchaus offiziell, organisiert von gewerblichen Reisebüros und mittelbar finanziert vom deutschen Steuerzahler, so fällt es schwer, diese Praxis anders zu beschreiben als eben in Gestalt des »Asyltourismus«.
Die Gutgläubigkeit und Freigiebigkeit des bundesdeutschen Staates öffnet dem massenhaften Mißbrauch von Asyl und subsidiärem Schutz Tür und Tor. Schlupflöcher wird es immer geben. Auch die Schweiz und Norwegen werden solche Reisen auf Staatskosten nicht verhindern können.
Vor allem wenn Migranten über Drittstaaten ausreisen und es dabei verstehen, Ausweispapiere aus der Heimat und die neu erhaltenen Dokumente virtuos einzusetzen, läßt sich ihr Weg kaum nachvollziehen. Gleichwohl bilden derartige Restriktionen einen wichtigen Schritt hin zu einem kritischen Umgang mit jenen Migranten, denen es heute noch leicht gemacht wird, unser Asylsystem zu unterlaufen. Mit allen monetären wie gesellschaftlichen Folgen.