Günter Biemer, James Derek Holmes und Roman A. Siebenrock (Hrsg.): Leben als Ringen um die Wahrheit

Günter Biemer, James Derek Holmes und Roman A. Siebenrock (Hrsg.): Leben als Ringen um die Wahrheit. Ein Newman Lesebuch, Ostfildern: Patmos 2020. 348 S., 36 €

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

John Hen­ry Kar­di­nal New­man (1801 – 1890) wur­de vor einem Jahr vom gegen­wär­tig amtie­ren­den Papst hei­lig­ge­spro­chen. Dies ist der Anlaß für die Wie­der­her­aus­ga­be der vor­lie­gen­den Antho­lo­gie, die 1984 erst­mals erschien und nun mit einer neu­en Ein­füh­rung ver­se­hen wor­den ist. Einer der Her­aus­ge­ber bemüht sich um New­mans angeb­li­che Vor­rei­ter­rol­le für das Zwei­te Vati­ka­num, doch die­se Mühe ist umsonst: New­man, der die angli­ka­ni­sche Kir­che ver­ließ, um sich mit Leib und See­le dem Katho­li­zis­mus zu ver­schrei­ben, war alles ande­re als ein Ökumeniker.
Im Gegen­teil, er ent­schloß sich gera­de des­halb zur Kon­ver­si­on, weil er bei­de Bekennt­nis­se am Ende eben nicht für gleich­wer­tig hielt. Das war auch sein Haupt­ar­gu­ment gegen den reli­giö­sen Libe­ra­lis­mus, den er zeit­le­bens bekämpf­te: näm­lich das Cre­do, daß jedes Bekennt­nis so gut wie jedes ande­re sei und es kei­ne posi­ti­ve Wahr­heit gebe. Sei­nen Über­tritts­pro­zeß, in des­sen Mit­te er noch glaub­te, der angli­ka­ni­schen Staats­kir­che den maß­vol­len Mit­tel­weg zwi­schen Pro­tes­tan­tis­mus und Katho­li­zis­mus als via media zuord­nen zu kön­nen, doku­men­tier­te New­man in unzäh­li­gen Brie­fen, Streit­schrif­ten und theo­lo­gi­schen Reflexionen.

Das New­man-Lese­buch möch­te die­sen Doku­men­ten Raum geben, um das Den­ken des Theo­lo­gen weit­räu­mig abzu­ste­cken. Die­ser Umstand führt dazu, daß es fast unmög­lich ist, ins Lesen hin­ein­zu­fin­den. Außer für his­to­risch­theo­lo­gisch Inter­es­sier­te, mei­net­hal­ben Stu­den­ten, die eine Haus­ar­beit ver­fas­sen sol­len, sind die Kon­tro­ver­sen New­mans mit sei­ner­zei­ti­gen Kol­le­gen und Vor­gän­gern, die inner­an­gli­ka­ni­schen Riß­li­ni­en, sei­ne Lek­tü­ren heu­te unbe­kann­ter Autoren und Ein­zel­fra­gen der Dog­ma­tik so gut wie irrele­vant. Auch der Kar­di­nal als Huma­nist, sei­ne Reden zuguns­ten der Uni­ver­si­tät als Hort der artes libe­ra­les und der leh­ren­den Insti­tu­tio­nen der Kir­che zur frei­en Zusam­men­kunft gelehr­ter Män­ner, sind höchs­tens unter »zeit­ge­nös­sisch« zu ver­bu­chen. Auf sei­ne Lek­tü­re der Kir­chen­vä­ter und des byzan­ti­ni­schen Chris­ten­tums deu­tet John Hen­ry New­man in den abge­druck­ten Pas­sa­gen stets nur hin. Man fin­det kein Wort davon, was genau ihn dar­an begeis­tert hat (und da gäbe es – man füh­re sich Gerd-Klaus Kal­ten­brun­ners oder Hugo Balls Schrif­ten zu die­sem Kom­plex genie­ßend zu Gemü­te – schier Unglaub­li­ches zu finden).

End­lich, nach etwa 250 Sei­ten, erlau­ben die Her­aus­ge­ber dem Hei­li­gen tie­fe­re Gedan­ken, die alle­samt um das krei­sen, was New­man mit einem Zen­tral­be­griff sei­nes Wer­kes »to rea­li­ze« genannt hat, zu ent­fal­ten: Gedan­ken über den Sitz des Glau­bens im indi­vi­du­el­len Leben. So schreibt er, Gott »gibt uns genü­gend Zei­chen sei­ner selbst, die unse­ren Geist in Ehr­furcht zu ihm erhe­ben kön­nen; aber er scheint so häu­fig rück­gän­gig zu machen, was er getan hat, und Fäl­schun­gen sei­ner Zei­chen zu dul­den, daß eine Über­zeu­gung von sei­ner wun­der­wir­ken­den Gegen­wart höchs­tens im ein­zel­nen Men­schen vor­han­den sein kann«. Im Kon­kre­ten, in eige­ner Krank­heit, Not oder Tren­nung bemerkt der Christ, daß Gott ihn kennt und von ihm Hin­ga­be for­dert: »Wer Freun­de oder Ver­wand­te hat, und sich aus gan­zem Her­zen in die Tren­nung von ihnen ergibt, wo die­se noch in Fra­ge steht, und beten kann: ›Nimm sie mir, wenn es Dein Wil­le ist, Dir über­ge­be ich sie, Dir ver­traue ich sie an‹, und bereit ist, beim Wort genom­men zu wer­den – auch die­ser ris­kiert etwas und ist Gott wohl­ge­fäl­lig.« New­man hat schon in sei­ner Zeit die Kir­che im per­ma­nen­ten Kampf gegen den Mate­ria­lis­mus und Athe­is­mus gese­hen. Sei­ne Argu­men­te gegen Athe­is­ten sind von der­art tie­fer eige­ner Gläu­big­keit, daß er sich schlicht nicht vor­stel­len kann, was ein Athe­ist von ihm in Wirk­lich­keit wol­len könnte.
Auf die­se Wei­se fin­det er jedoch etwas über die Got­tes­leug­ner her­aus, sowohl die wüten­den als auch die gleich­gül­ti­gen: »Denn es lebt in ihnen die Befürch­tung, daß es irgend­wo etwas Gro­ßes und Gött­li­ches gibt; und da sie es nicht in sich tra­gen, berei­tet es ihnen kei­ne Schwie­rig­keit zu glau­ben, es sei über­all dort, wo Men­schen Anspruch auf sei­nen Besitz erhe­ben.« Das ist eine per­fek­te Para­de nicht nur gegen spi­ri­tu­el­le »Sinn­su­che«, son­dern auch gegen die­je­ni­ge moder­ne Wis­sen­schaft und After­wis­sen­schaft, die in jeg­li­cher Reli­gi­on nichts als das »Herr­schafts­wis­sen« pri­vi­le­gier­ter Men­schen erken­nen kann. Der Leser wünscht sich mehr von die­sem Hei­li­gen – im Grun­de müß­te man noch ein zwei­tes New­man­le­se­buch edie­ren, das eher so wie das ver­grif­fe­ne, 1965 von Wal­ter Lip­gens her­aus­ge­ge­be­ne und in der Her­der-Büche­rei erschie­ne­ne Buch John Hen­ry New­man: Sum­me christ­li­chen Den­kens beschaf­fen wäre.

Leben als Rin­gen um die Wahr­heit, her­aus­ge­ge­ben von Gün­ter Bie­mer, James Derek Hol­mes und Roman A. Sie­ben­rock, kann man hier bestel­len.

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)