Peter Pomerantsev: Das ist keine Propaganda

Peter Pomerantsev: Das ist keine Propaganda. Wie unsere Wirklichkeit zertrümmert wird, München: DVA 2019. 296 S., 22 €

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Der Titel ver­rät es: Hier (ver) spricht einer Tache­les. Peter Pome­rants­ev, 1977 zu Zei­ten der Sowjet­uni­on als »Pjotr« in Kiew gebo­ren, seit Jahr­zehn­ten aber Welt­bür­ger mit Haupt­wohn­sitz in Eng­land, hat sich in die Tie­fen der Info­wars bege­ben. Wie funk­tio­nie­ren die Mecha­nis­men der Beein­flus­sung im digi­ta­len Zeit­al­ter? Frag­los ist dies heu­te das The­ma. Pome­rants­ev hat Eli­sa­beth Noel­le-Neu­manns Schwei­ge­spi­ra­le gründ­lich gele­sen: Das Bedürf­nis, »dazu­zu­ge­hö­ren« hat­te sie bereits 1974 als »mensch­li­ches Grund­be­dürf­nis« erkannt.
Aus Iso­la­ti­ons­furcht nut­zen Men­schen Ver­laut­ba­run­gen der Medi­en, um aus­zu­ta­rie­ren, was gera­de »öffent­li­che« (in Wahr­heit aber nur: veröffentlichte)Meinung sei, um sich oppor­tun ver­hal­ten zu kön­nen. Mit Noel­le-Neu­mann benennt er zwei Typen, die aus­sche­ren: Zum einen ist das der »har­te Kern«, dem schlicht einer­lei sei, was die Gesell­schaft von ihm denkt. Zum ande­ren: jene Akti­vis­ten, die »trotz aller Rück­schlä­ge wol­len, daß ihnen die Men­schen zuhören.« 

Heu­te ist via Inter­net jeder ein poten­ti­el­ler Sen­der von Nach­rich­ten und Ansich­ten – die Grund­re­gel der Schwei­ge­spi­ra­le gilt aber wei­ter­hin. Die Mas­se machts; die Likes, Fol­lower und Wie­der­ver­brei­ter zäh­len. Der Autor will dar­le­gen, wie es funk­tio­niert, durch Fake-News, Troll­fa­bri­ken und Kam­pa­gnen in den Sozia­len Medi­en Stim­mun­gen zu erzeu­gen und zu ver­stär­ken. Um zu die­ser Gemenge­la­ge zu recher­chie­ren, hat er die hal­be Welt bereist. Zum Teil bringt er sei­nen Lesern fas­zi­nie­ren­de Repor­ta­gen mit: Sei­ne Schil­de­rung von den Phil­ip­pi­nen, aus Mani­la, und wie dort Rodri­go Duter­te (auch) durch groß­an­ge­leg­te Inter­net­kam­pa­gnen an die Macht kam, sind bestechend. 

Auch aus Aser­bai­dschan, Vene­zue­la und Bah rain berich­tet er nach­voll­zieh­bar, wie dort mit­tels »Troll­ar­meen« angeb­li­che Jugend­be­we­gun­gen im Diens­te der jewei­li­gen Regie­run­gen insze­niert wur­den. Im Gan­zen fällt das Buch aller­dings ab. Zwi­schen sei­ne Repor­ta­gen aus aller Her­ren Län­der hat Pome­rants­ev eine Art »Live-Bericht« aus jenen Jah­ren gescho­ben, als sei­ne Eltern als Dis­si­den­ten mit dem klei­nen Pjotr aus der Sowjet­uni­on flo­hen. Was ein net­ter Kunst­griff hät­te sein kön­nen (»damals Des­po­tie – heu­te ande­re Des­po­tie«), floppt aller­dings, weil der Ton ein­fach nicht stimmt. Der Autor lie­fert mit die­sen ein­ge­streu­ten Pas­sa­gen eine Art Film­mu­sik, die den Leser auf »dras­ti­sche Zei­ten« ein­stim­men soll. Bei­spiels­wei­se drück­te Pome­rants­evs Mut­ter das Kind damals beim Grenz­über­tritt so fest an sich, daß »ein Abdruck mei­nes Gesichts auf ihrer Brust zurück­blieb« – komm, wie bei Jesus! Die größ­ten­teils ein­fäl­ti­ge Dra­ma­ti­sie­rung der eige­nen – zuge­ge­ben har­ten – Fami­li­en­ge­schich­te als Beglau­bi­gung des Zeu­gen­sta­tus ist nur das eine.
Zum ande­ren hat Pome­rants­ev eine kla­re Agen­da, und die ist deut­lich Anti-Trump und Anti-Putin. Das wäre legi­tim. Aber kann er die Abnei­gung begrün­den? Nein. Es gelingt ihm über­haupt nicht, die Wirk­sam­keit von all jenen putin- oder trump­ge­steu­er­ten »Bots« und »Cyborgs« über­zeu­gend zu ver­mit­teln. Wes­halb soll­ten auto­ma­ti­sier­te, ste­reo­ty­pe Bots, etwa in Putins »Troll­fa­bri­ken« gene­riert, Mil­lio­nen Fol­lower an sich bin­den? Ande­res Bei­spiel: Der Autor schreibt, daß in Mexi­ko im »vor­an­ge­gan­ge­nen Jahr« elf Jour­na­lis­ten ermor­det wor­den sei­en, und die Täter sei­en zu »99,75 Pro­zent« unge­straft davon­ge­kom­men. Was soll man davon hal­ten? Hat man einen Hun­der­s­tel­tä­ter also erwischt? Zudem »deckt« Pome­rants­ov »auf«, daß Mar­tin Sell­ner aus den Schrif­ten des ser­bi­schen Dis­si­den­ten und »Revo­lu­ti­ons­ma­chers« Srđa Popo­vić Nek­tar geso­gen habe. Popo­vić (Jg.  1973) ist ein ser­bi­scher Wider­stands­gu­ru. Pome­rants­ev nennt ihn brü­der­lich nur »Srd­ja«.
Er fin­det es hei­kel, daß sich nun ein »Rech­ter« wie Sell­ner bei Srd­ja bedient. Srd­ja woll­te »die Men­schen« näm­lich dazu aus­bil­den, die Macht zu über­neh­men. Was ist, fragt Pome­rants­ev, »wenn jene Men­schen, die die Macht über­neh­men, dies tun, um ande­re zu miss­han­deln?« Hier wird es kom­pli­ziert. Pome­rants­ev ver­kennt und ver­wech­selt Macht, Ohn­macht und Sub­ver­si­tät. Er ver­hed­dert sich und ver­mag die­se Maschen nicht auf­zu­lö­sen. Ja, unse­re Wirk­lich­keit wird wahr­schein­lich »zer­trüm­mert«. Aber nicht so, wie Herr Pome­rants­ev es sich vorstellt. 

Das ist kei­ne Pro­pa­gan­da von Peter Pome­rants­ev kann man hier bestel­len.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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