Ein Prozent vs. Facebook

Im Oberlandesgericht (OLG) Dresden scheint man nicht viel von dem im Bild der Justitia enthaltenen Ideal gerechter Rechtsprechung zu halten.

Am 16. Juni fäll­te es ein fol­gen­schwe­res Urteil: Es ent­schied gegen die Kla­ge der Bür­ger­initia­ti­ve Ein Pro­zent e.V. gegen den US-Netz­gi­gan­ten Face­book und gab dem Mil­li­ar­den­kon­zern bezüg­lich der Sper­rung des Ein Pro­zent Face­book- und Insta­gram­kon­tos Recht. Schlim­mer noch, das Gericht über­hol­te den Kon­zern sogar, der Ein Pro­zent »ledig­lich« des­we­gen gesperrt hat­te, weil der Ver­ein enge Ver­bin­dun­gen zur von Face­book als »Hass­or­ga­ni­sa­ti­on« ein­ge­stuf­ten Iden­ti­tä­ren Bewe­gung pflege.

Zumin­dest schob Face­book dies als Grund für die Sper­rung vor. Das OLG Dres­den dekla­rier­te Ein Pro­zent selbst nun flugs zur »Hass­or­ga­ni­sa­ti­on« und gab damit der Ent­schei­dung Face­books nach­hal­ti­ge juris­ti­sche Rücken­de­ckung. Das ist daher von Bri­sanz, weil der Begriff der »Hass­or­ga­ni­sa­ti­on« eine extrem schwam­mi­ge Eigen­de­fi­ni­ton des Zucker­berg-Kon­zerns ist, der kei­nen offi­zi­ell juris­ti­schen Ter­mi­nus dar­stellt: das Urteil des OLG kann also durch­aus als ein direk­ter Angriff auf die Mei­nungs­frei­heit gewer­tet werden.

Seit nun­mehr einem Jahr führt Ein Pro­zent die­sen müh­se­li­gen Rechts­streit gegen Face­book, der zuerst vor dem Lan­des­ge­richt Gör­litz ver­han­delt wur­de. Daß es sich bei dem Ver­fah­ren um eine ein­ma­li­ge Rechts­sa­che han­delt, die so in der Bun­des­re­pu­blik bis­her nicht dage­we­sen war, konn­te man am Urteil des dort ver­ant­wort­li­chen Rich­ters, Hans-Jörg Gocha, erken­nen, dem der Pro­zeß ersicht­lich eine Num­mer zu groß war.

Gocha ent­schied, daß die angeb­li­che ideo­lo­gi­sche Nähe zur Iden­ti­tä­ren Bewe­gung bei Ein Pro­zent gege­ben sei und daher die Sper­rung rech­tens wäre. Der Bür­ger­initia­ti­ve an sich wur­de kein Fehl­ver­hal­ten ange­las­tet. Das Erschre­cken­de, wenn man die zwei­fel­haf­te Kate­go­ri­sie­rung der Iden­ti­tä­ren als »Hass­or­ga­ni­sa­ti­on« ein­mal außen vor läßt, war, daß Gocha mit sei­ner Ent­schei­dung die »Kon­takt­schuld« als juris­ti­sche Kate­go­rie wie­der hof­fä­hig gemacht hatte.

Kein Wun­der, daß Ein Pro­zent dies nicht auf sich beru­hen las­sen woll­te, und in die nächs­te Instanz ging; mit der Aus­sicht dar­auf, daß ein über­ge­ord­ne­tes Gericht, sich von der Domi­nanz Face­books weni­ger beein­druckt zei­gen wür­de. Doch lei­der setz­te das OLG dem Gan­zen mit der Kate­go­ri­sie­rung der Bür­ger­initia­ti­ve als »Hass­or­ga­ni­sa­ti­on« noch die Kro­ne auf.

Ein Grund zum Auf­ge­ben ist das für Ein Pro­zent jedoch kei­nes­falls. Der Pro­zeß und die Trag­wei­te der wäh­rend die­ses Rechts­streits gefäll­ten Urtei­le ist viel zu groß, als daß man jetzt klein bei­gebe. Denn am Ende eines kon­se­quent durch­ge­klag­ten Rechts­streits steht die end­gül­ti­ge Ant­wort auf die Fra­ge »Dür­fen pri­va­te Unter­neh­men mit mono­pol­ar­ti­ger Stel­lung im sozia­len Dis­kurs ihre Stel­lung dazu miß­brauchen, ihnen unlieb­sa­me, aber zuläs­si­ge Mei­nun­gen zu zensieren?«

Außer­dem gibt es wohl kaum einen ande­ren Akteur aus unse­rem Milieu, der die­sen ent­schei­den­den Pro­zeß stem­men könn­te. Rund 100.000 Euro hat das Ver­fah­ren bis hier­hin gekos­tet; eine Sum­me, die nur dank des brei­ten Unter­stüt­zer­netz­wer­kes der Bür­ger­initia­ti­ve auf­ge­bracht wer­den konn­te. Ein Pro­zent steht damit an der vor­ders­ten Front und in der ers­ten Rei­he für unser Milieu, indem der Ver­ein stellt­ver­tre­tend für jeden ein­zel­nen von uns sich gegen­über Face­book behauptet.

Der Ver­eins­vor­sit­zen­de Phil­ip Stein unter­strich dies mit einer Video­bot­schaft direkt nach dem Prozeß:

Damit es zu einem end­gül­ti­gen Grund­satz­ur­teil in die­sem Zusam­men­hang kommt, ist jedoch wei­te­re Hil­fe not­wen­dig. Stein bit­tet daher »jeden, dem die Mei­nungs­frei­heit in Deutsch­land noch etwas wert ist, und der dem US-Gigan­ten Face­book mit uns die Stirn bie­ten will, uns mit einem Betrag sei­ner Wahl zu unter­stüt­zen. Der Betreff lau­tet ›Grund­satz­ur­teil‹. Ihr alle könnt ver­si­chert sein: Wir kön­nen es jetzt gebrauchen!«

Und for­dert:

»Hal­ten wir zusam­men – und erkämp­fen wir uns zurück, was uns gehört!«

Wenn auch Sie den wei­te­ren Rechts­streit gegen den ame­ri­ka­ni­schen Mono­po­lis­ten unter­stüt­zen wol­len, spen­den Sie unter dem von Herrn Stein ange­führ­ten Betreff ›Grund­satz­ur­teil‹ auf fol­gen­des Konto:

Ein Pro­zent e.V.
IBAN: DE75 8505 0100 0232 0465 22
BIC: WELADED1GRL

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Kommentare (10)

Frederik Bruns

19. Juni 2020 10:43

Mir fehlen die Worte. Das ein deutsches Gericht einer solch schwammigen Wortschöpfung ("Hassorganisation") auch noch Legitimität verschafft. Wenn das "Eilverfahren" nun schon fast ein Jahr dauert kann man sich ausmalen wieviel Schriftsätze dort über den Äther gejagt wurden. Auch in Deutschland muss man sich das Recht bekommen leisten können...

Spende ist raus! Bitte bringen sie diesen Fall vor das Bundesverfassungsgericht Herr Stein!

Waldgaenger aus Schwaben

19. Juni 2020 12:29

Nun scheint es zum show-down zu kommen. Facebook und twitter gehen auch gegen Trump vor:

https://www.gmx.net/magazine/politik/facebook-loescht-werbung-trumps-verwendung-nazi-symbol-34805304

Wie immer er endet, die "Rechtsprechung" eines deutschen Gericht wird keinen Einfluss haben.

Der 3.November wird sicher ein historisches  Datum werden, doch selbst wenn Trump gewinnt, was ich kaum noch hoffe, wird er weiterhin einen harten Kampf gegen den militärisch-industriellen-medialen Komplex kämpfen müssen.

BTW:

1) Kann man auch über paypal spenden?

2) Die "rechte Internationale" wird mittelfristig nicht darum herum kommen eigene Medien mit entsprechender Reichweite aufzubauen.

 

Waldgaenger aus Schwaben

19. Juni 2020 15:52

Vor einigen Wochen ging durch die Presse, dass "Trump Twitter bedroht", weil sie seine Beiträge kommentiert hätten.

In Wahrheit war es so:

Twitter, facebook und andere soziale Medien haben das Plattform-Privileg. Wer auf twitter, facebook etc. beleidigt, bedroht oder verleumdet wird, kann die sozialen Medien nicht auf Schadensersatz verklagen, weil sie eben nur Plattform sind. Klassische Medien, wie TV, Radio, Zeitungen dagegen haften dagegen für ihre Inhalte (auch in ihren online-Präsenzen), egal von wem sie kommen. Wenn nun die sozialen Medien anfangen, Inhalte willkürlich zu zensieren oder zu kommentieren, sind sie keine reine Plattform mehr, sondern eben "normale" Medien. Trump will twitter etc. also nur hinsichtlich der Haftung alten Medien gleich stellen, wenn sie sich wie diese gebärden.

Das wäre  übrigens auch ein Hebel, den man in Europa ansetzen könnte.

Der_Juergen

19. Juni 2020 20:30

Die Videos von Tucker Carlson lassen klar erkennen, wohin die USA steuern: In Richtung auf eine kommunistische Diktatur. Wie der @Waldgänger glaube auch ich immer weniger daran, dass von Trump noch etwas zu erwarten ist. Der Unterschied zwischen Nero und ihm besteht darin, dass Nero fiedelte, als Rom brannte, und Trump twittert, während Amerika in Flammen steht. Von einem Präsidenten, der sein Land nicht führen will oder kann, werden sich immer mehr Anhänger abwenden. Die Mehrheit schwimmt stets mit dem Strom und wird, selbst wenn sie Plünderung, Brandschatzung und Denkmalschändung nicht billigt, mit dem Stärkeren marschieren - also mit Biden, der vermutlich schon während der ersten Legislaturperiode zurücktreten wird, nachdem er einen radikalen Kommunisten oder eine radikale Kommunistin zum Vizepräsidenten ernannt haben wird. Dass die Weissen, von denen viele bis an die Zähne bewaffnet sind, sich dann widerstandslos versklaven oder abschlachten lassen, glaube ich aber nicht. Es wird also vermutlich zum Bürgerkrieg kommen. In Deutschland verläuft die Entwicklung in ähnlicher Richtung, ausser dass die "Biodeutschen" nicht bewaffnet sind und, von einer kleinen Minderheit abgesehen, auch nicht gewillt oder fähig sein werden, Widerstand zu leisten. Es sieht also nicht gut aus. Aber wer im Moment gerade Raspails "Sieben Reiter" liest, weiss, dass der Charakterfeste auch in (manchmal nur scheinbar) hoffnungslosen Lagen seine Pflicht tut.

Franz Bettinger

20. Juni 2020 12:43

@Hass: In Bettina Röhls (Tochter von Ulricke Meinhof) Buch „Die RAF hat euch lieb“ steht auf Seite 33 (hier leicht verfranzelt):

Die 68-er meinten, den Menschen müsste man ihre beschissene Lage bewusst machen. Und ja, die jungen Leute, die dieses Bewusstsein erlangten, merkten plötzlich, sie haben „einen Hass“. Das Wort wurde damals unter Linken Mode. „Ich hab’n Hass.“ Gegen das Arbeiten, gegen Kinderkriegen, gegen die Ehe, ach, einfach gegen alles. 

MartinHimstedt

20. Juni 2020 16:15

Das fb eine politische Agenda hatte, muss mir erst einmal jemand beweisen: fb orientiert sich an geltendem „Recht“, da fb seinerseits ansonsten mit horrenden Strafen zu rechnen hätte.

Ich beobachte das seit Jahren, sei es durch eigene Tests oder auch mit Hilfe von Plattformen wie der „Wall of shame“: Härtester Antisemitismus, Aufruf und/oder Feiern von Straftaten durch die Grüne Jugend, Antifa-Seiten mit mehreren zehntausend Likes (die sich von dem „verbotenen“ linksunten.Indymedia, mit all seinen menschenverachtenden Inhalten, nur marginal unterscheiden), Islamismus und so weiter, stellt für facebook kein Problem dar. Kürzlich meldete ich eine dilettantisch gemachte fb-Fanseite, die einzig angelegt wurde, um Hass gegen Jörg Bernig zu schüren: Verstößt nicht gegen die GS. Jedenfalls: Ich dürfte mittlerweile eine dreistellige Anzahl derartiger Posts und Seiten gemeldet haben: Gelöscht wurden vielleicht 5%.

Wer sich schon einmal durch den „Melde-Baum“ von fb geklickt hat, wird vielleicht verwundert gewesen sein, dass es gar keine Möglichkeit gab (es wurde in den letzten Wochen wohl ein bisschen am Melde-System geschraubt), einen Beitrag zu melden, der jemanden beispielsweise als „Nazi“ bezeichnete. Aktuell zielt „Hassrede“ ab auf: Ethnische Zugehörigkeit, Nationale Herkunft, Religionszugehörigkeit, Kaste, Sexuelle Orientierung, Geschlecht oder Geschlechtsidentität, Behinderung oder Krankheit. Der Rest wird unter „Etwas anderes“ subsumiert – und in der Regel nicht gelöscht.

MartinHimstedt

20. Juni 2020 16:44

Da die anonymen Internetforen immer mehr verrohen, könnte hier tatsächlich wieder mehr entstehen: Auch dadurch, dass man häufig mit seinem Klarnamen, einem öffentlichen Profil und Bild agiert, sind fb-Gruppen noch deutlich besser zu gebrauchen, als jene außerhalb des Social Network.

Will facebook eine Zukunft haben, muss in nachfolgende Richtung zumindest gedacht werden:

  1. Politische Meinungsäußerungen (jeglicher Couleur) auf privaten Profilen grundsätzlich verbieten – in Gruppen mag dies was anderes sein.  
  2. Teilen der meisten Inhalte von Sezession bis Stern verbieten beziehungsweise anders denken.
  3. Kommentieren von insbesondere News-Beiträgen anders denken und/oder verunmöglichen. (Nicht im Sinne einer Moderation, sondern, man muss neue Wege gehen).  

facebook verdient mit dem Verbot einer Seite von Ein Prozent, oder wem auch immer, keinerlei Geld. facebook verdient unter anderem Geld mit sehr exakt aussteuerbaren facebook Ads.  

Heimatliebe

21. Juni 2020 04:22

Ich danke Ein Prozent für die Verteidigung der Meinungsvielfalt! Spende ist raus.

Franz Bettinger

21. Juni 2020 10:48

@Martin Himstedt: Sie spielen zu sehr nach den Regeln der Logik. Geben Sie bei Facebook als Hass-Begriff Ihren „Nazi“ spaßeshalber mal unter allen 12 Kategorien ein, z. B. unter „Hass gegen sexuelle Orientierung“. Dann werden 12 Facebook-Mitarbeiter sich den Kopf zerbrechen, was Nazi mit Sex zu tun haben könnte, und einer der Facebooker wird ihren Einspruch als berechtig durchgehen lassen. Wetten? Versuchen Sie’s! - Nein, ich selbst vertreibe mir nicht die Zeit mit sowas. 

Albin

21. Juni 2020 11:53

Es ist trotzdem an der Zeit verstärkt "alternative soziale Medien" zu nutzen.

Facebook, Instagram, Twitter & Co sind nicht das Ende der Geschichte.

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