Im Rahmen der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts für das Jahr 2019 geschah folgendes.
Der Präsident dieser Behörde, Thomas Haldenwang, bezeichnete Anfang Juli auf einer Pressekonferenz unter anderem unser Institut (und damit uns Verantwortliche) als “Superspreader von Haß und Gewalt”. Der Begriff “Superspreader” (deutsch: Superverbreiter) stammt aus der Virologie und bezeichnet im Zusammenhang mit Epidemien solche Infizierte, die eine ungewöhnlich hohe Zahl von Organismen mit einem bakteriellen oder viralen Krankheitserreger anstecken.
Im Zuge der Corona-Krise haben wir alle gelernt, wie mit solchen Virusschleudern umzugehen sei: den Kranken markieren und isolieren, die noch nicht Erkrankten warnen und immunisieren, den Virus ausmerzen.
Das Wort “Superspreader” klingt aus dem Munde Haldenwangs also wie eine klinische Diagnose, die eine Behandlungsmethode nahelegt, und dieser Umstand ist das eigentlich Besorgniserregende, besser: der schrille Warnton. Gegen Meinungen (nicht: Gewalttaten) so zu verfahren, kennzeichnet den unerbittlichen Hygiene‑, den Gesinnungsstaat.
Haldenwang setzt die Traditionslinie derjenigen fort, die über Andersdenkende wie über eine Krankheit denken und sprechen. Ihm schwebt ein “Gesellschaftskörper” vor, dessen Gesundheit vor Infektionen geschützt werden müsse. Indem Haldenwang auspricht, was er zuvor dachte, ist er im Dreischritt Denken-Sagen-Handeln auf der zweiten Stufe angelangt.
Seine Absicht ist klar: Er markiert uns als Kranke, unsere Arbeit als krankhaft, unsere Botschaft als etwas gefährlich Ansteckendes. Er warnt die Gesunden, er schlägt unsere Isolierung vor und hofft auf Immunisierung des Gesellschaftskörpers durch Aufklärungsbroschüren, deren Titel denen von Presseorganen und Medienanstalten ähneln: Spiegel, Welt, ARD undsoweiter.
Thomas Haldenwang ist von der Sorte, die sich die Hände nicht schmutzig macht. Das Handeln, das auf sein Denken und Sprechen folgen soll, überläßt er anderen. Wobei: Vielleicht verhält es sich bereits mit seinem Denken so. “Wo lassen Sie denken?” – das war ein Aufkleber aus der Frühzeit der Neuen Rechten nach der Wende.
Man möchte bei Haldenwang nachfragen: Wer in seinem Büro, in seiner Behörde, kam auf den Begriff “Superspreader”? Gab es nach dem launigen Gelächter über diese schöne, krasse Vokabel die kurze, stets sehr notwendige Katerstimmung des Gehirns, in der die Äußerungsverantwortung sich zu Wort meldet und die Schnapsidee vom Tisch wischt?
“Superspreader”, Menschen als geistige Krankheitsschleudern, medizinisches Vokabular, virologisches Besteck, Meinungseugenik – jetzt muß doch einer abbremsen helfen, muß seinem Chef sagen, daß es einen fundamentalen, vielleicht auch irgendwo im Grundgesetz niedergeschriebenen Unterschied gibt zwischen Meinung und Krankheit, Satz und Virus.
Aber: Ein Bremser war nicht im Raum. Daher: Wenn Haldenwangs Pressekonferenz für irgendetwas ein Zeichen war, dann für behördliche Enthemmung, für die Verantwortungslosigkeit der Macht und für die Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Presse, das Ungeheuerliche an diesem Vorgang zu erkennen und festzuhalten – unter anderem auch den seltsamen Umstand, daß wir alle gar nicht im Verfassungsschutzbericht auftauchten, dennoch aber Superthema der Pressekonferenz waren.
Wir selbst notieren es ja längst nur noch deswegen, damit es festgehalten wird – ohne darüber hinausreichende Absicht also. Wir machen uns nichts mehr vor: Es handelt sich nicht mehr um eine Verhandlung mit Anspruch auf Gehör, sondern um einen Schauprozeß. Und während da vorn einer weder die Worte noch die Tinte halten kann, denkt man auf der Bank sitzend darüber nach, ob es sich lohnen könnte, den Satzspiegel der Sezession insgesamt auf zweispaltig umzubauen (oder so).
In Ernst v. Salomons Fragebogen (Thorsten Hinz stellt diesen Roman in unserem Buch im Haus nebenan vor) gibt es eine feine Szene: Bei der Ankunft im us-amerikanischen Gefangenenlager müssen die deutschen Soldaten der Reihe nach durch ein Spalier von CIs rennen, die auf den Wehrlosen eindreschen, auch dann, wenn er strauchelt und fällt.
Salomon schildert nun, wie einer der Deutschen antrat und die Hatz nicht mitmachte – dieses Gerenne durch die prasselnden Hiebe, von denen jeder so wenige wie möglich abkriegen wollte. Dieser Mann also trat in die Gasse und durchschlenderte sie gemächlich, während die “Befreier” auf ihn einhieben. Als er einen Schuh verlor, blieb er stehen und angelte mit dem Fuß danach. Dann schlenderte er weiter.
Vielleicht dachte er unterwegs daran, daß er sich aus einem Stoffrand einen neuen Schnürsenkel drehen könnte. (oder so).
Joseph
Is ne gute Idee, das mit dem zweispaltig.