Gerd Fesser: Sedan 1870: Ein unheilvoller Sieg, Paderborn: Schöningh 2019. 202 S., 29.90 €
Der 1941 geborene Historiker Fesser, der seine akademische Laufbahn an der Karl-Marx-Universität in Leipzig begann, vertritt die These, nach der Otto von Bismarck den Krieg gegen Frankreich planvoll provoziert hat. Dabei beruft er sich auf Historiker, deren Arbeiten ganz dem Paradigma des »deutschen Sonderweges« verpflichtet sind. Diese sehen eine unheilvolle und von der europäischen Entwicklung abweichende Tendenz in der deutschen Politik, die von Bismarck über Wilhelm II. bis zu Hitler reicht, in der Kriegführung als akzeptables Mittel der Politik galt. Die modernere Forschung hat hingegen gezeigt, daß Deutschland viel westlicher, auch demokratischer (Margaret Lavinia Anderson) als Frankreich, England und die USA, daß säbelrasselnder Militarismus und Kriegsbereitschaft keine Spezialität Preußen-Deutschlands (Sean McMeekin, Rainer Schmidt) gewesen ist. Ebenso war Deutschlands Flottenrüstung nicht Ursache der deutsch-englischen Entfremdung (Andreas Rose), die letztlich zur Triple-Entente und »Einkreisung« des Reiches geführt haben soll.
Wer eine detailreiche Schilderung der militärischen Operationen bei Sedan erwartet hat, wird enttäuscht werden. Fesser legt auf 202 Seiten eine stark geraffte Darstellung des Deutsch-Französischen Krieges samt Ursachen und Folgen vor. Die Schlacht selbst handelt er auf nur siebeneinhalb Seiten ab. Dafür bringt er lange Auszüge aus der »Fröschweiler Chronik« (fünfeinhalb Seiten) – um Plünderungen einer zügellosen deutschen Soldateska zu veranschaulichen – und aus den Sedaner Kapitulationsverhandlungen (acht Seiten). Hier hätte eine gestraffte Schilderung der Vorkommnisse mit zwei bis drei kurzen Zitaten durchaus genügt. Dafür kommen Erlebnisberichte der am Kampf beteiligten Soldaten zu kurz. Aus Theodor Fontanes Darstellung des Frankreichfeldzuges wählt Fesser als Auftakt zur Schlacht eine zweiseitige Beschreibung der Landschaft bei Sedan aus.
Die Kaiserproklamation im Spiegelsaal zu Versailles nennt Fesser eine »martialische Zeremonie«. Mit der Aussage, Volksvertreter des Norddeutschen Reichstages seien »vorsätzlich nicht eingeladen worden«, suggeriert er kontrafaktisch, an der Zeremonie hätten keine gewählten Abgeordneten teilgenommen. Nach Michael Stürmer waren allerdings eine »Handvoll Mitglieder des Reichstages« zugegen.
Eingedenk seiner Sozialisation in der DDR wundert es nicht, daß Fesser in der Pariser Kommune mit den Worten Karl Marx’ eine »Regierung der Arbeiterklasse« sieht, »das Resultat des Kampfes der hervorbringenden gegen die aneignende Klasse, die endlich entdeckte politische Form, unter der die ökonomische Befreiung der Arbeit sich vollziehen konnte.« Daß der Pariser Aufstand die Position der gewählten französischen Regierung bei den Friedensverhandlungen mit Bismarck entscheidend schwächte, muß davor zurücktreten.
Richtig schreibt Fesser, daß der Sieg im Krieg 1870 / 71 das deutsche Militär prägte. Die Prägung ist jedoch nicht verantwortlich für spätere Fehlentscheidungen wie den »Schlieffen-Plan«. Die politischen Konstellationen hatten sich 25 Jahre später grundlegend geändert. Der vom Autor monierte deutsche »Offensivgeist« gründet auf der Tatsache, daß die Triple-Entente als angenommener Kriegsgegner zahlenmäßig stärker war als das deutsche Feldheer. Darauf beruht die Überlegung, man könne die feindliche Allianz nur Stück für Stück – zunächst im Westen die Franzosen, dann im Osten die Russen – schlagen.
Die eigentliche Ursache für den erfolgreichen Maas-Übergang der Wehrmacht bei Sedan 1940 war weniger der Beginn des deutschen »Angriffskrieges« am 10. Mai 1940, sondern die französische Kriegserklärung an Deutschland acht Monate vorher am 3. September 1939. Viele Interpunktions- und Orthographiefehler belegen ein mangelhaftes Lektorat. Verweise auf die verwendete Literatur sind zum Teil fehlerhaft. In Kapitel 2 fehlen die Endnoten 32 und 48 im Anmerkungsapparat. Dadurch gerät der Bezug aller folgenden Verweise durcheinander. Auch was das Preis-Leistungsverhältnis angeht, kann der Leser bessere Arbeiten zum Thema finden.
Sedan 1870: Ein unheilvoller Sieg von Gerd Fesser kann man hier bestellen.