Hans-Joachim Maaz: Das gespaltene Land

Eine Rezension von Jörg Seidel

Hans-Joa­chim Maaz: Das gespal­te­ne Land. Ein Psy­cho­gramm, Mün­chen: C. H. Beck 2020. 219 S., 16.95 €

Maaz’ Psy­cho­gramm speist sich aus zwei Kraft­quel­len: der Sor­ge um den see­li­schen Zustand des Hei­mat­lan­des und der jahr­zehn­te­lan­gen Arbeit mit psy­cho­ana­ly­ti­schen Metho­den. Aus die­ser Ver­ei­ni­gung zwei­er schein­bar inkom­men­sura­bler Kate­go­rien erge­ben sich span­nen­de und unge­wohn­te Ein­bli­cke, aber auch eini­ge argu­men­ta­ti­ve Schwierigkeiten.
Die Demo­kra­tie – um die geht es vor­der­grün­dig – ist in Deutsch­land akut gefähr­det. Nicht nur äußer­lich, insti­tu­tio­nell, son­dern auch inner­lich: Ihre Teil­neh­mer sind ihr see­lisch nicht gewach­sen. Das Urübel macht der Ana­ly­ti­ker ganz klas­sisch in frü­hen Bezie­hungs­stö­run­gen aus, die nicht sel­ten auf zu zei­ti­ge Mut­ter­tren­nung, auf Trau­ma­ta zurück­zu­füh­ren sind. Sie füh­ren zur Selbst-Ent­frem­dung oder zur Ver­pan­ze­rung, wie Wil­helm Reich es genannt hat­te, von dem Maaz wohl am stärks­ten beein­flußt ist.
Ver­schont bleibt davon nie­mand: Jeder stellt in der Fol­ge einen je eige­nen, indi­vi­du­el­len und schon ver­zerr­ten Zugang zur Rea­li­tät her. Die Stö­run­gen las­sen sich kate­go­ri­sie­ren. Maaz dekli­niert sie gleich drei­fach, jeweils unter ande­rem Vor­zei­chen – Demo­kra­tie, Frei­heit, Libe­ra­li­tät – durch. Der Mensch reagiert mit Kom­pen­sa­ti­ons­stra­te­gien, die der jewei­li­gen see­li­schen Fehl­ent­wick­lung ent­spre­chen. Das Ergeb­nis ist eine Norm­o­pa­thie und zwar im dop­pel­ten Sin­ne. Das Indi­vi­du­um ten­diert zur Kon­for­mi­tät, aber wenn die Defor­ma­tio­nen die Mas­se betref­fen, so ent­steht in der Sum­me ein fal­sches gesell­schaft­li­ches Leben als Nor­ma­li­tät. Auch welt­an­schau­li­che Inkli­na­tio­nen beru­hen letzt­lich auf früh­kind­li­chen Defi­zi­t­er­fah­run­gen – das Leid eint die Men­schen, die jewei­li­gen Bewäl­ti­gungs­ver­su­che tren­nen sie. Wenn wir unser gemein­sa­mes Leid als sol­ches gegen­sei­tig aner­ken­nen wür­den, dann müß­te doch ein Dia­log auch über die Ideo­lo­giegren­zen hin­aus mög­lich sein.
Frei­lich, die unzäh­li­gen krank­haf­ten Idio­syn­kra­si­en kön­nen in einer funk­tio­nie­ren­den äuße­ren Demo­kra­tie abge­fe­dert und ver­kraf­tet wer­den. Ver­liert die­se aber an Plau­si­bi­li­tät, etwa weil sie die Mei­nungs­frei­heit oder die mate­ri­el­len und sozia­len Sicher­hei­ten nicht mehr garan­tie­ren kann, so wächst die Gefahr einer gesell­schaft­li­chen Spal­tung. Wir müs­sen mit uns selbst ins Gericht gehen, jeder, wenn wir die­sen fata­len Ero­si­ons­pro­zeß auf­hal­ten wol­len, wir müs­sen wie­der wahr­haft zuhö­ren ler­nen, dür­fen den ande­ren nicht a prio­ri beschul­di­gen und sind auch genö­tigt, unse­re eige­ne Schuld an jedem Kon­flikt einzusehen.
Bis hier­her klingt das alles recht aus­ge­wo­gen, es spricht den Leser ganz kon­kret an, ermun­tert ihn zur kri­ti­schen Selbst­be­fra­gung. Die Bei­spie­le, die Maaz dann aber immer wie­der bringt, zei­gen die schwe­re gesell­schaft­li­che Schief­la­ge. Denn sei­ne The­men sind die AfD und Pegi­da, die Migra­ti­ons­po­li­tik, der Islam, der Gen­de­ris­mus, der Popu­lis­mus, der Femi­nis­mus, die Kli­ma­de­bat­te, also just all das, was der lin­ke Main­stream the­ma­tisch weit­flä­chig kate­go­ri­al besetzt hält. Gegen die­sen wen­det er sich: »Unter demo­kra­ti­schen Ver­hält­nis­sen bedeu­tet Zivil­cou­ra­ge, sich dem Main­stream zu wider­set­zen, poli­ti­sche Kor­rekt­heit infra­ge zu stel­len … und dem norm­o­pa­thi­schen Druck der Zuge­hö­rig­keit zu widerstehen«.
Man könn­te dem Autor hier Mut attes­tie­ren. Maaz scheint sich des Risi­kos bewußt zu sein: Ein ein­zi­ger Denun­zi­ant genüg­te, um auch ihm das »Nazi«-Etikett anzu­hän­gen, daß er als Sym­ptom des see­li­schen Ver­falls kenn­zeich­net – des­halb meint er, immer wie­der Unab­hän­gig­keits­er­klä­run­gen ein­bau­en zu müssen.
Das Buch krankt aber an grö­ße­ren Pro­ble­men. Wenn alles inner­see­lisch deter­mi­niert ist, dann wird die ratio­na­le Ein­sicht, das Argu­ment, ent­mach­tet. Auch die­se Schrift ist de fac­to obso­let: Pri­va­te The­ra­pie ersetzt öffent­li­chen Dia­log. Vor allem aber schei­nen im Argu­men­ta­ti­ons­ge­trie­be eini­ge Zahn­rä­der zu feh­len, jene näm­lich, die die Trans­for­ma­ti­on von der indi­vi­du­el­len Stö­rung hin zur gesell­schaft­li­chen Erkran­kung erklä­ren. Sind die in ihrer früh­kind­li­chen Ent­wick­lung gestör­ten Indi­vi­du­en Poli­ti­ker, Jour­na­lis­ten, Mana­ger und der­glei­chen, dann ist das noch ein­sich­tig – Maaz’ Idee eines Poli­ti­ker­stu­di­ums ist dort fol­ge­rich­tig und ori­gi­nell – wie aber eine je indi­vi­du­el­le Über­for­de­rung sich auf ein »kol­lek­ti­ves Über­for­de­rungs­ver­hal­ten« trans­for­mie­ren läßt, bleibt dun­kel. Anders gesagt: Kann sich jemand mit tie­fer Ein­sicht ins nur Spe­zi­fi­sche die all­ge­mei­ne Aus­sa­ge zutrauen?

Das gespal­te­ne Land. Ein Psy­cho­gramm von Hans-Joa­chim Maaz kann man hier bestel­len.

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