Netzfundstücke (58) – In memoriam, Comic, Hydra

Die 97. Sezession bleibt der Grundlinie treu, sich nicht am täglichen Klein-Klein auszurichten, sondern das Wesentliche in den Blick zu nehmen.

Im Fokus des offe­nen Hef­tes steht die »Erin­ne­rungs­kul­tur«, genau­er wird die Fra­ge gestellt: »In wel­chem Erin­ne­rungs­zu­stand ist unser Land?« Maß­geb­lich steht dabei der 8. Mai 1945 im Mit­tel­punkt: War das Leid für die Deut­schen danach zu Ende? Mit­nich­ten, wie das Autoren­por­trait Gert Ledigs von Sezes­si­on-Chef­re­dak­teur Götz Kubit­schek und die Arti­kel »1945 – Deutsch­lands Nach­kriegs­ver­lus­te« und »Befrei­ung 1945? Ein Euro­pa­l­e­xi­kon« aus­führ­lich darlegen.

Neben die­sen his­to­ri­schen Erör­te­run­gen sticht noch der Arti­kel »Soli­da­ri­scher Patrio­tis­mus – ein Umriß« von Sezes­si­on-Redak­teur Bene­dikt Kai­ser her­aus, in dem er die zen­tra­len The­sen sei­nes Buchs Soli­da­ri­scher Patrio­tis­mus – Die sozia­le Fra­ge von rechts kom­pri­miert wiedergibt.

Außer­dem wen­det Kon­rad Mark­ward Weiß das The­ma des Hef­tes und legt mit »In memo­ri­am Jean Ras­pail – eine Werk­schau« einen Grund­pfei­ler für eine leben­di­ge Erin­ne­rungs­kul­tur an den fran­zö­si­schen Aus­nah­me­au­tor und lei­den­schaft­li­chen Reak­tio­när Jean Raspail.

In aller Aus­führ­lich­keit – dies­mal müß­te es mit star­ken 46 Minu­ten die längs­te Heft­prä­sen­ta­ti­on sein – haben Götz Kubit­schek und Bene­dikt Kai­ser wie­der ein­mal das Heft auf dem kanal schnell­ro­da vorgestellt:

Das lesens­wer­te Heft kön­nen Sie bestel­len. Oder: Schlie­ßen Sie gleich hier ein Abo ab!


An die­ser Stel­le nut­ze ich noch ein­mal die Gele­gen­heit, um auf die bei­den von mir in der aktu­el­len Sezes­si­on-Aus­ga­be rezen­sier­ten Sie­fer­le-Bän­de auf­merk­sam zu machen. Rück­blick auf die Natur und Fort­schritts­fein­de? gehö­ren für mich die­ses Jahr defi­ni­tiv mit zu den wich­tigs­ten Buchveröffentlichungen.

Man wird im zeit­ge­nös­si­schen Wis­sen­schafts­be­trieb kaum jeman­den fin­den, der so all­um­fas­send und mit einer ver­gleich­ba­ren ana­ly­ti­schen Dich­te, den Libe­ra­lis­mus des aus­ge­hen­den 20. Jahr­hun­derts und wie er uns nun end­gül­tig im 21. Jahr­hun­dert gegen­über­tritt in sei­ne Ein­zel­tei­le zer­legt. Auf jeder Sei­te liegt theo­re­ti­sche Muni­ti­on, um das Sys­tem, das die Insta­bi­li­tät und Ver­flüs­si­gung der Ver­hält­nis­se zum Dau­er­zu­stand erklärt, von rechts unter Beschuß zu nehmen.

Also, der Lese­herbst steht vor der Tür.


In mei­nen 48. Netz­fund­stü­cken hat­te ich ein Gen­re exem­pla­risch am Autor Phil­ip K. Dick vor­ge­stellt, dem der Ruf der »Schund­li­te­ra­tur« anhaf­tet: Sci­ence-Fic­tion. Abge­se­hen von einer Rei­he an Gro­schen­heft­chen und Roma­nen, die das Vor­ur­teil bestä­ti­gen, genießt das Gen­re die­sen schlech­ten Ruf wei­test­ge­hend zu Unrecht.

Ähn­lich ver­hält es sich mit dem Medi­um »Comic«. Zwi­schen aller­lei Schund, der an der Ober­flä­che schwimmt, fin­den sich ambi­tio­nier­te Wer­ke, die sowohl the­ma­tisch als auch künst­le­risch zu über­zeu­gen wis­sen. Dabei gibt es vie­le Comics, die durch­aus rech­te Topiken auf­grei­fen und deren Prot­ago­nis­ten klas­si­sche rech­te Prin­zi­pi­en verkörpern.

Das ist nicht nur auf klei­ne Nischen­ver­la­ge begrenzt, son­dern läßt sich auch bei den gro­ßen ame­ri­ka­ni­schen Comic­ver­la­gen wie bei­spiels­wei­se DC Comics fin­den. Bei­spiels­wei­se ist die DC-Figur des »Dunk­len Rit­ters« Bat­man, der in der von Deka­denz, Kri­mi­na­li­tät und Kor­rup­ti­on zer­fres­se­nen Metro­po­le Got­ham City Recht und Ord­nung wie­der­her­stel­len möch­te, alles ande­re als ein pro­gres­si­ver Charakter.

Das liegt fer­ner dar­an, daß Bat­man nicht als ein­di­men­sio­na­ler strah­len­der Held des ame­ri­ka­ni­schen Traums daher­kommt, der für das klar defi­nier­te »Gute« nach libe­ra­ler Vor­stel­lun­gen ein­steht, son­dern selbst das ambi­va­len­te Ergeb­nis sei­ner ver­kom­me­nen Stadt dar­stellt. Der­weil ist die Qua­li­tät der Comics maß­geb­lich von der Kom­bi­na­ti­on aus dem Autor der Geschich­te und dem Zeich­ner abhängig.

Ins­be­son­de­re bei einem Fran­chise wie Bat­man, das je nach­dem von ver­schie­de­nen Autoren und Illus­tra­to­ren geschrie­ben und gezeich­net wird, ist die­se dua­le Bezie­hung ent­schei­dend dafür, ob man nun ein gutes oder eher schlech­te­res Bat­man-Comic in den Hän­den hält.

Eini­ge der bes­ten Bat­man-Comics kom­men bei­spiels­wei­se aus der Feder Frank Mil­lers, der auch für die Comics 300 und Sin-City ver­ant­wort­lich zeich­net. Bat­man: Die Rück­kehr des Dunk­len Rit­ters (gibt es sogar hier bei Antai­os) gehört zwei­fels­oh­ne zu den Höhe­punk­ten des Genres.

Ein wei­te­rer Garant für hoch­wer­ti­ge Comics ist der eng­li­sche Autor Alan Moo­re. Der Klas­si­ker Watch­men, der vom Ver­lag völ­lig zu Recht »als einer der bedeu­tends­ten und bes­ten Comics aller Zei­ten« bezeich­net wird, ent­springt sei­nem Kopf. In einer alter­na­ti­ven Rea­li­tät haben die ame­ri­ka­ni­schen Super­hel­den der Watch­men den Lauf der Geschich­te geän­dert. Die USA haben den Viet­nam-Krieg gewon­nen und Nixon ist immer noch Präsident.

Doch wer­den die Watch­men von ihrer eige­nen Macht kor­rum­piert und Moo­re wirft die Fra­ge auf: »Who wat­ches the Watch­men?« Alan Moo­re ist es auch zu ver­dan­ken, daß aus dem rela­tiv schlich­ten Hor­ror­co­mic Swamp Thing eine tief­grün­di­ge­re Geschich­te wur­de, die mit der Ela­bo­ra­ti­on der Bezie­hung zwi­schen Mensch und Natur in phi­lo­so­phi­sches Ter­rain vorstößt.

Zusam­men­ge­faßt: Wie schon beim Sci­ence-Fic­tion lohnt sich auch das Stö­bern in der Comic­welt. Hier gibt es aller­lei Hoch­wer­ti­ges und Gehalt­vol­les zu ent­de­cken, was ohne gro­ße gedank­li­che Ver­ren­kungs­akro­ba­ti­ken als Anküp­fungs­punkt rech­ter »Pop-Kul­tur« fun­gie­ren kann. Denn wah­re Meta­po­li­tik zielt auf den sub­ti­len Trans­port der eige­nen poli­ti­schen Über­zeu­gun­gen über Medi­en wie Musik, Comics und Unterhaltungsliteratur.


Eben­je­nes Vor­ha­ben des sub­ti­len Trans­ports nimmt das Pro­jekt »Hydra Comics« aus Dres­den in Angriff (hier geht es zur Insta­gram-Prä­senz, hier zum Face­book-Account und hier zum Twit­ter-Pro­fil). Das Kon­zept hin­ter Hydra Comics: Jeder Kopf bringt sich so weit in das Pro­jekt ein, wie er möch­te – daher die Wahl der Hydra als Symbol.

Der Comic-Klein­ver­lag bringt dem­nächst sein gleich­na­mi­ges Erst­lings­werk Hydra Comics her­aus, das als Antho­lo­gie-Serie geplant ist und in des­sen ers­ter Aus­ga­be drei Zeich­ner mit drei ver­schie­de­nen Geschich­ten ver­tre­ten sein wer­den. Ers­te Ein­bli­cke erhält man auf den bereits ver­link­ten Pro­fi­len in den Sozia­len Medi­en. Außer­dem wird zum 50. Jah­res­tag des Todes von Yukio Mishi­ma die ita­lie­ni­sche Comic-Bio­gra­phie des Letz­ten Samu­rai von Hydra ins Deut­sche übersetzt.

Ein wich­ti­ges Pro­jekt, das alle Unter­stüt­zung verdient.

Nichts schreibt sich
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Kommentare (38)

heinrichbrueck

15. August 2020 17:30

Bei Batman interessiert mich nur, wann der Joker ihm endlich die Rübe wegpustet! Beide Pole, +Batman und -Joker, sind Teil der falschen Matrix. Gotham City ist des Teufels. Es gibt andere Möglichkeiten, nicht vom Mainstream verseuchte. Das RICHTIGE, darüber nicht diskutiert werden soll, wird totgeschwiegen. Vorgegebenes muß nicht immer koscher sein, bloß aus Gründen angesprochener Verhaltensweisen, die eine unbefriedigte Sehnsucht rechtfertigen (wenn auch nicht unbedingt erfüllen).

Der_Juergen

15. August 2020 18:29

Ich habe eben angefangen, die neue "Sezession" zu lesen, wobei ich mit dem Artikel von Markward Weiss über Jean Raspail begann. Raspail war ein Jahrhundertautor, fast - nicht ganz - in einem Atemzug mit Ernst Jünger zu nennen. Eindrücklich auch die Beiträge über den Terror der Sieger nach 1945. 

Wahrheitssucher

15. August 2020 23:45

Falls dieser Artikel eine Art Rezension der letzten Sezession sein sollte, so fällt er doch recht unzureichend aus.

Die Ausgabe ist für mich eines der allerbesten Hefte, kann mich im Moment an kein besseres erinnern (und ich besitze sie alle). Vorzügliche Mischung aktueller und historischer Schlüssel-Themen, nicht zuletzt zu Beginn mit den Beiträgen über die deutschen Nachkriegsverluste und die Befreiungslegende. Hervorragend auch Erik Lehnert und Dirk Alt, dessen Schlusssatz hier zitiert sei:

„Die Anti Rassismus Doktrin muss fallen, wenn wir leben wollen: Es gibt keine Alternative dazu.“

Seneca

16. August 2020 08:09

Ein anderes Netzfundstück: Mir fällt in letzter Zeit in den Kommentaren der WELT auf, dass zu bestimmten „Reiz“themen wie Trump, Corona und AfD es bestimmte Kommentatoren wie Aleksander, Bigfoot etc gibt, die unmittelbar flächendeckend und in einem einheitlichen Jargon auf sehr individuelle, kritische Kommentare antworten. Wenn man da mal eine Software wie bei Doktorarbeiten drüber laufen lassen würde und dies mit redaktionellen Inhalten von bestimmten Redakteuren abgleichen würde, dann vermutlich „Bingo“ ! Die Kommentarseite der WON ist für die Redaktion - für die verbliebenen Leser schon lange - vermutlich mittlerweile der relevantere Part geworden. 

RMH

16. August 2020 09:00

@heinrichbrueck,

der Film "Joker" mit Joaquin Phoenix in der Hauptrolle aus 2019 ist vermutlich das Beste, was das Blockbuster-Hollywood-Kino seit langem abgeliefert hat (und ggf. noch abliefern wird). Von mir gibt es dafür - wenn man sich denn überhaupt noch Major 5 Filme antun mag - eine klare Anseh-Empfehlung.

RMH

16. August 2020 10:43

Angestoßen durch die Bemerkung G.K.s, dass er ein Wiederholungsleser und E.K. wohl eher eine serielle (Viel-) Leserin sei, kam mir Nietzsches Gedanken von der ewigen Wiederkunft  des Gleichen in den Sinn. Bei den hier vorgestellten Fundstücken, der Bespr. des akt. Heftes der Sez., Comics etc., drängt es wieder an mich, was Nietzsche in seinem berühmten, über einen Aphorismus eigentlich hinausg. Aphorismus „Das größte Schwergewicht“ (Fröhliche Wissenschaft, 4. Buch, 341) ausführte. „Wenn jener Gedanke (Anm.: ewige Wiederkunft des Gleichen) über dich Gewalt bekäme, er würde dich, wie du bist, verwandeln und vielleicht zermalmen; die Frage bei allem und jedem: »willst du dies noch einmal und noch unzählige Male?« würde als das größte Schwergewicht auf deinem Handeln liegen! Oder wie müßtest du dir selber und dem Leben gut werden, um nach nichts mehr zu verlangen als nach dieser letzten ewigen Bestätigung und Besiegelung?“

Zermalmt es einen nicht, wenn man, wie im akt. Heft der S., immer und immer wieder die deut. Nachkriegsverluste reklamiert, sich mit einem offensichtlich PTBS gestörten Autor wie Ledig befasst, sich auf die alten Tage mit dem Thema Comics beschäftigen soll, obwohl man mit den legendären D.D. -Übersetzungen von Dr. Erika Fuchs eigentlich schon genug in früheren Tagen konsumiert hat und die dortigen Meme vergeblich versucht, abzustellen (grübel, kicher)?

limes

16. August 2020 11:40

Mag sein, dass es Comics gibt, die »rechte Topiken aufgreifen und deren Protagonisten klassische rechte Prinzipien verkörpern«. Für mich sind allerdings Comics kein Medium für ernsthafte Stoffe, sondern nur als erfrischend leichte »Literatur« interessant.

Entsprechende Comic-Mythen stellten die Asterix-Erzählungen und Walt Disneys Geschichten um eine Geflügel-Sippe dar, in deren Mittelpunkt der cholerische Neurotiker Donald stand, der immer wieder zu Höhenflügen ansetzte und immer wieder eine Bauchlandung hinlegte, was ihn aber nie nachhaltig beeindruckte. Köstlich auch das »Psychogramm« der Duck-Sippe aus der Feder eines gewissen Grobian Gans …

In den Fünfzigern entstanden in Deutschland mit den Nick-Knatterton-Geschichten witzige zeichnerische Persiflagen auf das angelsächsisch geprägte Detektiv-Genre, die leider in Vergessenheit geraten sind.

Womöglich fehlt uns Deutschen als tragischem Volk die nötige Leichtigkeit für solch selbstironische Strichmännchen-Saga.

heinrichbrueck

16. August 2020 16:58

@ RMH

Dieser Film war eine unglaubliche Verhöhnung. Und die Chancenlosigkeit der demonstrierenden Clowns, die sogar in Clownsmasken (Schild eines Demonstranten: WE ARE ALL CLOWNS) gezeigt wurden, jemals dem System beikommen zu können. Und wie sehr die Weißen fremdgeistig verseucht sind, wie planlos ausgeliefert, ist der eigentliche Witz der Geschichte. Die Gewaltorgie, ohne eigengeistigen Plan, ein Medientyp wird erschossen (kleiner Höhepunkt seiner eigenen Sendung; blieb unverstanden), schließlich ein gesteuerter Kulminationspunkt als Simulation der Regisseure, eines schiefen gesellschaftlichen Dauerzustands, ohne Kratzer an der Gesamtmatrix, die Systemkrise als Verhöhnung der Teilnehmer, eine dauerhafte Lösung verunmöglicht. Eine Sklavenhaltergesellschaft ohne Wissen, keine Befreiung nach dem Reset, die alte Leier wieder von vorne. Der Moloch erlaubt keine Führungsmacht. „Ertrage die Clowns!“ - Wird nicht reichen. 

Niekisch

16. August 2020 19:02

"sich mit einem offensichtlich PTBS gestörten Autor wie Ledig befasst"

@ RMH 16.8. 10:43: Durch eine Störung gestört? Woraus genau schließen Sie die Offensichtlichkeit? 

RMH

16. August 2020 21:00

@niekisch,

klar, war eine steile Behauptung von mir - aber diese z.T. detailverliebte kalte Brutalität in seinen Schilderungen (und gleichzeitig KPD-Mitglied = Anstreben der Erlösung auf Erden), brauche ich persönlich nicht mehr. Habe ich genug in aller Breite davon in meinem Leben gelesen. Das ist aber meine persönliche Entscheidung - sollte jeder mit sich selber ausmachen. Ich habe mich gegen diese Wiederholungsschleife entschieden. Evtl. kommt wieder eine Phase, wo mich das literarisch interessiert (kann ich mir aktuell nicht vorstellen). 

Im Rahmen einer anzustrebenden Renaissance der deutschen Kultur (zumindest bei einigen, entscheidenden), könnte etwas anderes zur Wiederkunft anstehen. Ich glaube nicht an die politische These, dass "die Deutschen" sich erst einmal als Opfer des WK II begreifen müssen und die anderen als Aggressoren, damit sie sich im heute wieder als Deutsche finden. Der deutsche Opfergang taugt nicht zum politischen Mythos im Sorelschen Sinne (zumindest nicht mehr anno 2020).

 

Wahrheitssucher

16. August 2020 21:52

@ RMH

„Zermalmt es einen nicht, wenn man, wie im akt. Heft der S., immer und immer wieder die deut. Nachkriegsverluste reklamiert...“

Ja, da mögen Sie recht haben. Dieses Thema vermag einen zu zermalmen. Ich konnte das Buch „Der deutsche Aderlass“ auch nur einmal lesen und habe es nie wieder angeschaut.

Dieses ist aber nun doch beileibe kein Grund, dem Thema aus dem Wege zu gehen und es einfach liegen zu lassen.
Glauben Sie denn wirklich, dass allein die Tatsache, dass nach Kriegsende weitaus mehr deutsche Menschen den Tod fanden als im Kriege, auch nur im entferntesten im Bewusstsein unserer Zeitgenossen ist?

Ist da nicht Aufklärung immer wieder von Nöten, zumal es Zahlen und Berechnungen gibt, die noch höher, drastischer und schrecklicher ausfallen?

Und vermögen Sie sich die Sprengkraft vorzustellen, die darin liegt, dass dieses einmal in breiteren Volkskreisen zu Bewusstsein kommen könnte?

 

Andreas Walter

16. August 2020 23:06

Es ist gut zu wissen, dass die Neue Deutsche Kleinfamilie auch ein paar durchaus talentierte Comiczeichner in ihren Reihen hat. Ob die auch mit den Besten der Konkurrenz mithalten können ist jedoch oft auch nur eine Frage der schieren Masse, aus der sich normalerweise dann Ausnahmetalente und dadurch dann auch ebensolche Comics hervortun. Der Herr Höcke als naive "Ausgeburt der Hölle“ (Bombe) aber auch Sahra 2035 (heiss) gefallen mir schon mal sehr gut. Themen gibt es ja genug, sowohl Geschichtliche, Politische - aber eben auch traditionell Deutsche. Das muss aber nicht immer nur Oktoberfest oder Goethe sein, oder von Humboldt oder selbst Adolf, auch die Besatzung und dadurch Amerikanisierung oder Sowjetisierung sind Teil unser Kultur, ebenso wie auch das Netz oder die EU. Genau aus dieser komplexen Mischung aber an Erfahrungen, Gute wie Schlechte, können wir jetzt schöpfen, ein neues, besseres Amalgam bilden. Eine Titan-Gold-Legierung zum Beispiel.

Maiordomus

17. August 2020 00:30

Am meisten beeindruckt zeigte ich mich in Sachen neue Nummer von zwei Buchbesprechungen von Ellen Kositza, wobei mich aber diejenige zum Thema "Lourdes" noch stärker beeindruckt hat. Habe das Buch vor ein paar Wochen gelesen, Kositze holt Enormes raus, fürwahr das Gegenteil einer Frömmlerstudie auf überragendem Niveau von Huysmans. Über "Hegel und die Folgen"  nach Kaltenbrunner von Sommerfeld freute ich mich natürlich, habe ich doch das Buch gleich bei seinem Erscheinen in einer Studentengruppe gelesen und diskutiert, von denen ein jeder unterdessen einen Weg gemacht hat, der von Kaltenbrunner mitgeprägt bleibt. Nur ist es nicht das letze Wort zu Hegel. Es fehlt doch zu einem erheblichen Teil die Auseinandersetzung mit der "Hegelschen Rechten" und den erstaunlichen Theologischen Jugendschriften des Denkers in Richtung "Der Geist des Christentums und sein Schicksal". Und auch wenn er sich manchmal wirr äussert, wäre es nach wie vor von Interesse, was Deutschlands bedeutendster politischer Gefangener der letzten 40 Jahre, er sitzt immer noch ein, eigentlich von und über Hegel sagen will.

Niekisch

17. August 2020 11:03

@ RMH 16.8. 21:00: Ja, ein jeder mag es für sich entscheiden. Ich bekam "Vergeltung" zufällig auf dem Flohmarkt in die Hand, blätterte durch und bemerkte sofort eine Schilderung des Bombenkrieges, die den Erzählungen meiner Mutter entsprach. Kalte Brutalität? Ja, diejenige der Bombardierer und ihrer Hintermänner. In der Person Ledigs? Weil Kommunist? Eine sehr gewagte Interpretation. 

Im übrigen schließe ich mich @ Wahrheitssucher 21:52 an. Wir müssen aus der mit Gift besprenkelten Kurve der Umerziehung auf die gerade Strecke der wahrheitsgemäßen Aufarbeitung der Vergangenheit, um überhaupt einen realistischen Blick auf unser großes Ziel zu gewinnen. Ein freier, selbstbewußter Blick, unbehindert durch Schuldkomplexe und irgendwelche Erlösungstränen in den Augen, die nicht nur von "links" genährt werden. 

Wahrheitssucher

17. August 2020 15:02

@ Maiordomus 

„Und auch wenn er sich manchmal wirr äussert, wäre es nach wie vor von Interesse, was Deutschlands bedeutendster politischer Gefangener der letzten 40 Jahre, er sitzt immer noch ein, eigentlich von und über Hegel sagen will.“

Ja, unbedingt!

Und es tröstet mich, zu lesen, dass auch Sie damit ein Problem haben...

Kann uns da jemand der werten Foristen auf die Sprünge helfen?
 

nom de guerre

17. August 2020 18:31

@ RMH + Niekisch

Gert Ledig und PTBS erscheint mir nicht abwegig, hatte ich nur noch nie so gesehen. Ich habe seine drei Bücher 2001 oder 02 gelesen und fand besonders Vergeltung sehr verstörend. Ledig beschreibt ja nicht nur die, wie Sie, Niekisch, sagen, kalte Brutalität der Bombardierer, sondern bspw. auch eine Vergewaltigung (Mann und Mädchen, die einander vorher glaube ich nicht kannten, sind gemeinsam verschüttet, in der Erwartung des gemeinsamen, sicheren Todes kommt der Mann auf die Idee, das Mädchen zu vergewaltigen, zu allem Überfluss dreht er das Ganze am Ende auch noch um und betitelt sie als Hure), die sich nach meiner Erinnerung häppchenweise durch das halbe Buch zieht. So etwas mag es geben, wirkt aber in diesem Kontext seltsam deplatziert. Vor allem motiviert es nicht gerade dazu, das Buch nochmal zu lesen.

Darauf, dass mit dem Autor möglicherweise aufgrund seiner Kriegserlebnisse „etwas nicht stimmte“ und die krassen Schilderungen (auch) darauf zurückzuführen sein könnten, bin ich damals nicht gekommen. Insofern danke ich Ihnen, RMH, für den Denkanstoß.

Der_Juergen

17. August 2020 21:24

@Maiordomus @Wahrheitssucher

Der "bedeutendste politische Gefangene Deutschlands der letzten 40 Jahre" soll, wenn er dann noch lebt, im November freikommen und wird hoffentlich Gelegenheit haben, sich wieder zu Hegel zu äussern. Der Mann ist absolut integer und hochintelligent, argumentiert jedoch dermassen abstrakt, dass die allerwenigsten ihm zu folgen vermögen. Gewisse Vorstellungen von ihm kann man nur als Obsessionen bezeichnen. Dies alles ändert natürlich nichts daran, dass seine vieljährige Verfolgung ein unerhörter Skandal ist, so wie die der mittlerweile 91-jährigen Frau, die ebenfalls wegen reiner Meinungsdelikte hinter Gittern sitzt.

$

Valjean72

18. August 2020 10:47

@Wahrheitssucher @RMH:

Glauben Sie denn wirklich, dass allein die Tatsache, dass nach Kriegsende weitaus mehr deutsche Menschen den Tod fanden als im Kriege, auch nur im entferntesten im Bewusstsein unserer Zeitgenossen ist? ...

Und vermögen Sie sich die Sprengkraft vorzustellen, die darin liegt, dass dieses einmal in breiteren Volkskreisen zu Bewusstsein kommen könnte?

 

Ich sehe das wie Sie und möchte hiermit die Gelegenheit nutzen, der Sezession meinen Dank auszusprechen, dieses mE überaus wichtige Thema aufzugreifen.

Das offizielle Narrativ der vermeintlichen Befreiung Deutschlands ist eben nur aufrechtzuerhalten unter gezielter Ausblendung des oben zitierten Sachverhalts.

 

 

 

 

RMH

18. August 2020 11:58

@Valjan72,

ich denke, der durchschnittliche Sezessionsleser braucht keine Nachhilfe auf diesen Gebieten, ist doch das finden dieser Nische oft Ergebnis eines Weges, bei dem man zwangsläufig gängige "Narrative" hinterfragt hat. Eine neue Rechte, die nachwievor glaubt, irgendwelches Geraderücken an geschichtlichen Erzählungen würde die politische Lage in Deutschland ad hoc verändern, endet regelmäßig so, wie im berühmten Sketch "Don't Mention the war" aus Fawlty Towers. Es hat ca. 100 Jahre gedauert, bis der WK 1 halbwegs korrekt eingeordnet wurde und es wird mindestens ebenso lange dauern, bis dies mit dem WK II passiert kann. Mit der Brechstange erzielt man hier keine Wirkung. Für mein eigenes seelisches Wohlbefinden beschäftige ich mich im Wiederholungszyklus aktuell mit dem Freiheitsbegriff im "Don Karlos". Kann ich nur empfehlen, auch wenn es bei manchem Schullektüre war. 

Monika

18. August 2020 11:59

@ Wahrheitssucher „Und vermögen Sie sich die Sprengkraft vorzustellen, die darin liegt, dass „dieses“ (s.o.) einmal in breiteren Volkskreisen zu Bewusstsein kommt.“ NEIN !!!

Wieso sollte „dieses“ einmal zu Bewusstsein kommen ? Wenn die verbliebenen Deutschen ohne Migrationshintergrund nach dem Scheitern eines „einzigartigen historischen Experiments“ ( Yascha Mounk) aus ihrer ewigen Konsumgegenwart erwachen ( woke heißt das heute), dann werden die  neuen breiteren Volkskreise  den Holocaust  ohne Folgeschaden leugnen können. Das wird der Hegelexperte wohl nicht mehr erleben.

https://taz.de/Holocaustleugner-im-Gefaengnis/!5456713/

Niekisch

18. August 2020 12:58

@nom de guerre 17.8  18:31: Das ist der Krieg in all seiner Abscheulichkeit, dem bürgerlichen Gemüt nicht nachvollziehbaren menschlichen Abgründen. Auch ohne Herrn Ledig können Sie in diese Unwelt abtauchen, indem Sie sich darüber informieren, was im untergehenden Berlin 1945 so alles passiert ist. Im Reichsluftfahrtministerium z.B. wurden wilde Orgien mit sexuellen Ausschweifungen im Sektrausch gefeiert, Soldaten wuschen sich nicht mehr, weil sie den Tod erwarteten, im Hoppegarten liefen bis in die letzten Tage Pferderennen, der Schwager Eva Brauns wurde beim Einpacken von Schmuck und Devisen sowie als Deserteur erwischt und in letzter Sekunde erschossen. Was Ledig schreibt muss überhaupt nicht Ausdruck einer PTBS sein, sondern ganz einfach Tatsachenschilderung. Kam es doch auch vor, dass deutsche Frauen sich unter Ehebruch russischen Offizieren andienten in der Erwartung, dann vor Massenvergewaltigungen geschützt zu sein. 

Wahrheitssucher

18. August 2020 14:41

@ RMH

Ihr Bemühen um die Aufrechterhaltung Ihres seelischen Wohlbefindens in Ehren, ich kann das nachvollziehen und mir auch zu eigen machen. Aber es geht hier doch um mehr als um das Wohlbefinden einzelner. Insofern fehlt mir das Verständnis dafür, dass Sie sich gegen die Thematisierung in der angesprochenen Weise positionieren. Zum Gebrauch einer “Brechstange“ dürften ja wohl auch ohnehin die Mittel fehlen...

Sie schreiben: „Es hat ca. 100 Jahre gedauert, bis der WK 1 halbwegs korrekt eingeordnet wurde und es wird mindestens ebenso lange dauern, bis dies mit dem WK II passiert kann.“

Und wie lange soll es dann für den Zweiten Weltkrieg dauern dürfen? Vielleicht 200 Jahre?

Valjean72

18. August 2020 15:40

@RMH:

Es ist weniger die Frage einer potentiellen Nachfilfe des durchschnittlichen Sezessionslesers, als die stetige Streuung/Verbreitung dieses Sachverhalts in die Mitte der Gesellschaft, um derart (neben anderen Themengebieten) den Boden für eine künftige patriotische Renaissance mitzubereiten.

 

links ist wo der daumen rechts ist

18. August 2020 23:48

Typisch deutsch 1

 

Könnte man bitte endlich einmal mit dem typisch deutschen Opfergejammere über die „Umerziehung“ aufhören.

Die begann nämlich nicht am 8. Mai 1945, sondern 1917 mit der Devise: Wilson oder Lenin.

Ein typisch deutscher Denker wie Rudolf Steiner konnte dem nichts mehr entgegensetzen.

Und die ersten Opfer dieser Umerziehung waren die Amis selber. Ich habe dazu an anderer Stelle ausführlichst aus dem Buch „Der Niedergang des amerikanischen Geistes“ von Allan Bloom zitiert.

Der angelsächsische rechte Liberalismus konnte dann alles links davon einheimsen; soweit die These von Schrenck-Notzing.

Und was die ebenfalls typisch deutsche Ansicht einer Umerziehung der Umerzogenen betrifft: das kann nicht klappen.

ff

 

Wahrheitssucher

18. August 2020 23:49

@ Monika

Können oder wollen Sie sich das Angesprochene nicht vorstellen? Und sollen Ihre Ausführungen ein Trost, eine Perspektive oder nur eine Prognose sein?

links ist wo der daumen rechts ist

18. August 2020 23:49

Typisch deutsch 2

 

Dazu hat erstens der große W.G. Sebald (bei dessen Namensnennung im letzten Sezessions-Video sogar Kubitschek ins Stottern kam) das Wesentliche gesagt.

Und zwotens ist es sinnlos, auf einer neurechten Seite die Vertreibungsopfer der Deutschen zu thematisieren und eine zumindest symbolische Aussöhnung mit Polen und Tschechen zu fordern, wenn das manche hier einerseits als Aufforderung zum „Bruderkrieg“ (!) mißverstehen und andererseits die Ostgebiete eh lieber nicht als Teil eines Merkel-Deutschland (wobei es gar nicht darum ginge) sähen. Diese Kaltschnäuzigkeit, sowas von typisch deutsch!

Und drittens hat Kubitschek himself vor kurzem so nebenbei einiges zur „Vergangenheitsbewältigung“ in meinen Ohren anklingen lassen: bei der Nennung der typisch deutschen (?) Baumnamen Eiche, Buche und Birke KANN man bei Zweien den Appendix -wald bzw. -au mitdenken und gelangt damit an typisch deutsche Schreckensorte, die sie waren und bleiben werden. ABER MAN MUSS NICHT.

Wahrheitssucher

19. August 2020 00:20

@ links ist wo der Daumen rechts ist

Vermag Ihren Ausführungen weitgehend keinen Sinn , und was den letzten Satz betrifft auch keine Hoffnung zu entnehmen.

Monika

19. August 2020 09:09

@ Wahrheitssucher 

Ich kann mir das Angesprochene vorstellen. Und es wäre schön, wenn die junge Generation ein  Gefühl für das Leid, dass ihre Großeltern erlitten haben, hätten. Doch ,wo soll das herkommen ? Es gibt keine Erinnerungskultur, kaum mehr Zeitzeugen und nicht zuletzt der „Schuldkult“ verhindert jeden unmittelbaren Zugang. Die demographische Veränderung tut ihr Übriges. Mich hat Heft 97 aufgewühlt, weil es mich an die Erzählungen meines Vaters erinnerte (Jg. 26) . Hoffnung und Trost ?

Auch junge Menschen können über das Thema bewegend schreiben. Buchtipp 

“Und doch ist es Heimat“
 https://www.youtube.com/watch?v=IrXMF_GuGwc

 

 

 

Monika

19. August 2020 09:47

@ Wahrheitssucher 

Und noch eine Prognose, die hoffen lässt:

Mitunter kommt die heilsame Erinnerung von unerwarteter Stelle

https://www.spiegel.de/politik/ausland/skulptur-einer-vergewaltigung-in-polen-schockiert-russischen-botschafter-a-928457.html

Wahrheitssucher

19. August 2020 10:34

@ Monika
 

Offenbar hat es sich einmal gelohnt, den Spiegel zu lesen. Ein wirkliches Zeichen. Aber was aus dieser Aktion des polnischen Studenten dann geworden ist...

Es ist eine Crux: Wir müssen und wollen die Erinnerung an die Schandtaten derer aufrecht erhalten, deren Gemeinschaft wir doch letztlich suchen.

links ist wo der daumen rechts ist

19. August 2020 11:02

@ Wahrheitssucher

Hoffnungs- oder Sinnvermittlungsanstalten gibt es deren genug.

Es besteht für mich ein unauflösbarer Widerspruch darin, etwa immer wieder eine „erinnerungspolitische Wende“ bzw. ein Ende des „Nationalmasochismus“ zu fordern (von wem eigentlich? Dem Nanny-Staat?), wenn doch alles gesagt ist und es nur auf die Haltung eines jeden einzelnen ankäme. Wollen sie tatsächlich „Umerzogene“ „umerziehen“? Vielleicht auch noch in „Umerziehungslagern“?

Ich empfinde als Angehöriger der deutschen Kulturnation echte Trauer über den Verlust ehemals deutsch besiedelter Gebiete (von den menschlichen Opfern ganz zu schweigen), weigere mich, Breslau oder Karlsbad bei ihren heutigen Namen zu nennen, und habe auf diesen Seiten immer wieder daran erinnert, daß es Vereinzelte wie Paul Wilhelm Wenger waren, die an pragmatische Südtirol-Lösungen überhaupt nur dachten, während der Großteil der verantwortlichen Politiker die Ostgebiete schlicht und einfach verloren gab.

ff

links ist wo der daumen rechts ist

19. August 2020 11:05

Aber dann auf diesen Seiten lesen zu müssen, daß es doch besser wäre, wenn Pommern, Schlesien und Teile Ostpreußens weiterhin unter „polnischer Verwaltung“ stünden, weil man einem verkommenen Merkel-Deutschland diese Gebiete eh nicht gönne, verschlägt mir die Sprache.

Nur der Vollständigkeit halber: Niemand, der bei Trost ist, will unrealistische Gebietsrevisionen, aber symbolische Gesten der Versöhnung wären angebracht gewesen.

Und es ist diese spezifisch deutsche Kaltschnäuzigkeit bei der Abwicklung der eigenen Opfergeschichte, die einen W.G. Sebald dazu brachten, die „Luftkriegsdebatte“ zu entfachen, während er gleichzeitig in seinen drei großen Prosawerken den spezifisch deutschen Größenwahn einer Säuberung Europas kartografiert hatte. Diese „bipolare“ Sicht auf die deutsche Vergangenheit auszuhalten, vermag vielleicht wirklich nur ein Melancholiker, es geht aber nicht anders. Der Rest „hofft“ halt auf irgendwas.

nom de guerre

19. August 2020 14:38

@ Niekisch

Einverstanden, dass es all das gibt. Nur hatte ich bei Ledig schon den Eindruck, dass es ihm sehr darauf ankommt, Dinge möglichst drastisch und jenseits der Schmerzgrenze darzustellen. Es ist dann eben auch nicht erstaunlich, wenn dieser Roman bei seinem Erscheinen Ende der 50er keine große Leserschaft fand. Die damaligen Leser mussten sich als Zeitgenossen ja unmittelbar angesprochen fühlen.

„Kam es doch auch vor, dass deutsche Frauen sich unter Ehebruch russischen Offizieren andienten in der Erwartung, dann vor Massenvergewaltigungen geschützt zu sein.“ Ist mir bekannt, in „Eine Frau in Berlin“ – das ich nur ausschnittsweise gelesen habe, weil es doch zu sehr an die Substanz ging – gibt es eine Phase, in der die Protagonistin aus diesem Grund ein halbfreiwilliges Verhältnis mit einem russischen Major eingeht. Allerdings würde ich das im Gegensatz zu den anderen Vorgängen, die Sie nennen, nicht unter „dem bürgerlichen Gemüt nicht nachvollziehbare menschliche Abgründe“ verorten. Es ist im Gegenteil sogar vollkommen nachvollziehbar, wenn man bedenkt, wie ausgeliefert diese Frauen 1945 waren.

nom de guerre

19. August 2020 14:40

@ Monika

„Und es wäre schön, wenn die junge Generation ein Gefühl für das Leid, dass ihre Großeltern erlitten haben, hätten.“ – Es ist nicht nur die junge Generation, der dieses Gefühl fehlt. Schon meine Mutter und ihre Brüder ("Boomer") konnten mit den Kriegserlebnissen meines Opas, den sie nur kriegsversehrt kannten, so gut wie nichts anfangen. Er war als 20-Jähriger in Italien schwer verwundet und in amerikanischer Gefangenschaft so weit es ging wiederhergestellt worden. Dennoch hasste er – ein unpolitischer Mensch – die Amis bis zum Ende seines Lebens. Meine Elterngeneration konnte bzw. kann das bis heute nicht verstehen. Inzwischen frage ich mich, was er in der Gefangenschaft erlebt haben mag, das diesen Hass ausgelöst hat.

Monika

19. August 2020 17:50

@ nom de guerre

Stimmt, auch mein Bruder ( Altlinker, Sex and drugs and blues) hat sich über die Kriegserlebnisse meines Vaters abschätzig geäußert. ( Alles Nazis, geschieht denen Recht). Da fehlt einfach Empathie und die Ideologie vernebelt die Wahrnehmung. Heute ist er der OberSpießer. Diese Verblendung wirkt fort und fort...

https://twitter.com/hartes_geld/status/1296073013214023680?s=21

Niekisch

19. August 2020 19:29

@ nom de guerre 19.8. 14:38: Nun, das Andienen hatte ich getrennt vom Vorherigen genannt. Jedenfalls sind wir uns einig, dass extreme Lagen extreme Verhaltensweisen hervorbringen, für die Verständnis aufgebracht werden kann. 

Ceterum censeo, dass ohne beharrliches Abtragen der Lügenberge nicht die geringste Chance besteht, zu einer grundsätzlichen Lageänderung zu kommen. Ich ziehe mich zeitweise in den Bereich der grundgesetzlich sehr weit geschützten Kunst zurück, um mit kryptisch-antipodischen Arbeiten Freiräume zu schaffen.

 

links ist wo der daumen rechts ist

20. August 2020 11:27

Natürlich ist Horst Mahler einer der klügsten Köpfe, die in den letzten Jahrzehnten gedacht haben, und sein Gespräch mit weiland Franz Schönhuber eine damalige gute Positionsübersicht im rechtsintellektuellen Lager.

Warum er aber die Rolle des Märtyrers zu spielen begonnen hat? Vermutlich weil er weiß, daß man „Aufklärung“ nicht ins Volk tragen kann, wenn die Urteilskraft bei den meisten ohnehin aussetzt bzw. nie vorhanden war. Dann bliebe eben nur die Umerziehung der Umerzogenen.

„Roosevelt oder Adolf Hitler“ ist natürlich allzu starker Tobak, da hätte auch „Wilson oder Rudolf Steiner“ gereicht.

ff

links ist wo der daumen rechts ist

20. August 2020 11:28

Ad WK1

Hier ist Deutschland rehabilitiert. Warum nicht an dieser Stelle ansetzen? Die „Ideen von 1914“, die Sieferle in sein Buch über die „Konservative Revolution“ eingeschmuggelt hat …

Ad WK 2

Gedenkt der Toten und ehrt die Gefallenen. Und vergesst nicht ganz, was auch „in deutschem Namen“ geschah. Es ist eigentlich (zu) viel geschrieben und (fast) alles gesagt.

Mein Großvater (Kriegsschauplätze Italien und Rußland) hat dazu immer gemeint: Wenn das alles schiefgeht, dann Gnade uns Gott. Seine persönliche Devise während des Krieges: Leben und leben lassen. Seine damalige Loyalität hat er nie in Frage gestellt, wurde aber durch die Erfahrung des deutschen Militärs („Nehmen Sie Haltung an, Sie in die Luft geschissenes Fragezeichen!“) auch irgendwann zum überzeugten Österreicher. Ich verurteile ihn weder für das eine noch das andere, sondern denke gerne an ihn.