Omri Boehm: Israel – eine Utopie, Berlin: Propyläen 2020. 256 S., 20 €
Seit einiger Zeit ist der Friedensprozeß im Nahen Osten nur noch eine Worthülse. Jeder Kundige weiß, daß es ihn de facto nicht mehr gibt. So ist die Zukunft dieser weltpolitisch wichtigen Region unsicherer denn je. Zahlreiche Intellektuelle haben sich aufgemacht, Auswege aus der verfahrenen Situation zu suchen. Von der einstigen Euphorie, die man bei vielen Israelis und Palästinensern nach dem Abkommen von Oslo Mitte der 1990er Jahren spüren konnte, ist nichts übriggeblieben.
Der deutsch-amerikanische Philosoph Omri Boehm, der über einen längeren Zeitraum in Deutschland und in den USA gelebt hat, vertritt aufgrund seiner Erfahrungen mit westlichen Demokratien einen liberalen Standpunkt. Israel zählt Boehm zufolge nicht zu den Verfassungsstaaten mit westlichen Standards. Um sich nicht wie viele jüdische Intellektuelle dem Vorwurf der Doppelzüngigkeit auszusetzen – für Israel gelten für sie häufig andere Maßstäbe als die, für die sie üblicherweise anderswo streiten – will er konsequent bleiben: Israelische Staatsangehörigkeit kann demnach primär nicht auf jüdischer Abstammung, also auf jüdischem Blut basieren. Ein solches Merkmal belegt den Widerspruch zwischen universalistischen Prinzipien der Liberalität und den faktischen staatsrechtlichen Regelungen.
Man ist nicht allzu parteilich, wenn man die Meinung teilt, rechtsnationale israelische Regierungen der beiden letzten Jahrzehnte hätten die Ideale von Simon Peres und Jitzchak Rabin verraten. Mit Netanjahus Annexion der Westbank und der Ansiedlung von hunderttausenden Neubürgern sind Fakten geschaffen, die kaum rückgängig zu machen sind. Daß sich die Palästinenser ihrerseits nicht mehr an geschlossene Abkommen halten wollen, liegt nicht nur für Boehm auf der Hand. Die Zwei-Staaten-Lösung, die lange Zeit versprach, bei adäquater Umsetzung den Schlüssel zur Lösung zahlloser Probleme zu bieten, ist längst in weite Ferne gerückt. Selbst die Gedanken von militanten Zionisten wie Wladimir Z. Jabotinsky und dessen Schüler Menachim Begin werden im Hinblick auf die Gegenwart erörtert.
Was also tun, um aus der Sackgasse zu gelangen?
Boehm argumentiert zugunsten der Ein-Staaten-Lösung. Die Staatsbürgerschaft Israels solle unabhängig von Religion, Herkunft, schichtenspezifischer Zugehörigkeit und so fort verliehen werden. Die ethnische Zugehörigkeit müsse mehr und mehr irrelevant werden. Nur so könnte die westliche Demokratie in Israel Heimstatt finden. Eine solche Basis, so sieht es der Autor, sei imstande, einen echten Friedensprozeß vorantreiben. Zumindest auf längere Sicht wäre es möglich, für viele Araber ein menschenwürdiges Dasein zu gewährleisten, etwa in der Gaza-Region. Soziale Verbesserungen könnten kriegerischen Aktionen immer mehr den Boden entziehen, was letztlich allen zugute käme.
So weit, so gut. Boehm weiß, daß seine Anregungen vor allem für linke und liberale Israelis folgerichtig erscheinen. Bevorstehende demographische Umbrüche, die in dem Buch ein wenig zu kurz kommen, würden aber in einem einheitlichen Staat den Bevölkerungsanteil mit jüdischer Herkunft noch stärker in die Defensive zwingen als es unter den derzeit realen Bedingungen ohnehin der Fall sein dürfte.
Zu den schwächsten Passagen der Schrift zählen die größtenteils polemischen Einlassungen über die Varianten des Populismus, deren zumeist ostentativer Philosemitismus einfach zum angeblich verdeckten Antisemitismus umgedeutet wird. Daß Trump Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkennt, paßt nicht ins Freund-Feind-Schema. Das Ideengebilde einer föderalen, binationalen Republik deklariert der Autor als Utopie, was freilich zu undifferenziert ist. Er hätte sein Wunschgebilde zur abstrakten (im Gegensatz zur konkret-umsetzbaren) Utopie erklären müssen. Das wäre plausibler gewesen, da es in Zukunft keine einflußreiche Gruppierung geben dürfte, die die Verwirklichung solcher Vorstellungen in Israel vorantreibt.
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