Die Rede ist von der „Rolle des erfolglosen Belagerers.“ Kubitschek führte sie in einem Vortrag folgendermaßen aus:
Man kann in der Rolle des erfolglosen Belagerers heimisch werden, und ich möchte sagen: Diese Rolle ernährt seltsamerweise ihren Mann, und das ist verlockend und hat furchtbare Konsequenzen (…)
Sich in einer rentablen Protestsimulation einzurichten und an der imaginären Front primär die Nachschublieferungen zu verwalten, ist tatsächlich die äußerst mögliche Verfallsform des Widerstands. Auch Sieferle beschreibt in seinem „Epochenwechsel“ (zu dem gerade ein digitaler Lesekreis stattfindet) eine ähnliche Dynamik. Nach ihm weist die „systemische Gesellschaft“ eine absolute Revolutionstoleranz auf, die jeden aktiven Widerstand gegen sie zur eigenen Stabilisierung nutzt.
Das hat Konsequenzen für die Aktivisten:
Sie werden bald lernen, daß sie mit solchen Programmen grundsätzlich zu kurz greifen und sich nur noch in Nischen des politischen Narrentums und der Sektiererei, des Terrorismus und der Phantastik ansiedeln können. Wenn sie aber bemerkt haben werden, daß ihre Aktionen die Systeme nicht mehr erreichen, sondern lediglich Störungen anrichten, die von diesen abgepuffert und verarbeitet werden können, so werden sie sich vielleicht daraufbeschränken, von vornherein nur noch zu stören, ohne diese Störung als Politikversuch im traditionellen Sinne mißzuverstehen. (Sieferle: Epochenwechsel, S. 236)
Diese tragikkomischen Widerständler werden
noch ganze Serien der Erfolglosigkeit, der Verbitterung und der Verzweiflung zu durchlaufen haben, bis sie dorthin gelangen, wo das dionysische Individuum, das sich die Ohren mit dem Walkman verstopft und zugleich öffnet, heute schon steht: zur Anerkennung der Tatsache, daß in der systemischen Welt eine gelungene philosophische Letztbegründung, eine elegante Diskursethik, ein umfassendes Weltrettungsprojekt oder eine Bibliothek offenbarter Wahrheiten nicht mehr wert sind als ein gut gemachter Videoclip. Vielleicht wird man sich aber damit trösten können, daß sie auch nicht weniger wert sind. (Sieferle: Epochenwechsel, S. 237)
Die „vitalen Rebellionen“ werden nach Sieferle zu machtlosen, maximal störenden Gesten des Widerstands. Es geht nur darum, einen Zipfel an Aufmerksamkeit zu erhalten, die einem die eigene Existenz bestätigt. Tatsächlich stabilisiert dieser ziellose Pseudo-Widerstand, ob in Form des ohnmächtigen Terrors oder des folgenlosen Protests, die systemische Welt, gerade durch seinen scheinbaren Störfaktor:
Ihr Wunsch, die Systeme zu verflüssigen, schlägt in sein Gegenteil um. Den Systemen werden neue Ebenen eingezogen, ihre Komplexität wird gesteigert, was ihnen eine Zähigkeit verleiht, welche weit über das hinausgeht, was zuvor der Fall war. (Sieferle: Epochenwechsel, S. 236f)
Tatsächlich können wir nicht umhin eine gewaltige Fähigkeit des westlich-liberalen Wohlfahrtsstaates zur Einbindung, Kommerzialisierung und Nutzbarmachung extremistischer Bewegungen feststellen. Während die fragile DDR jede Form einer offenen Rebellion (vom Rocker über Hippies bis zu Skinheads) unterdrücken mußte, konnte es sich die BRD „leisten“, all diesen Gruppen einen unterschiedlich großen Spielraum zu gewähren. Ja sogar der bewaffnete marxistische Aufstand der RAF in der BRD und der „weathermen“ in den USA änderte nichts an dieser Permissivität.
Der westliche Liberalismus duldete mit mütterlicher Langmut die extremistischen Bocksprünge politischer und kultureller Randgruppen. Am Ende wurden sie gar zu Garanten und Beweismaterial seines Meinungspluralismus und seiner „Buntheit“. Jede westliche Großstadt, die etwas auf sich hält „leistet“ sich heute ein linkes Hausprojekt, wie ein feudaler Schloßherr eine Schmuck-Eremitage. Das Erfolgsrezept der systemischen „Antifragilität“ lautet: maximale Duldung durch ideologische Indifferenz bei gleichzeitig maximaler Wohlstandssteigerung, Vermarktung und Kommerzialisierung.
Diese Strategie rottete extreme Ideologien gründlicher aus als die offene Repression des Kommunismus. Die Binsenweisheit, daß die postsowjetischen Länder viel patriotischer, konservativer und religiöser sind, als der liberale Westen, beruht auf der Fragilität und der damit verbundenen offfenen Repression des Sozialismus.
Die Frage für uns als „Metapolitiker“ lautet: Inwieweit betreffen Sieferles Analysen den neurechten Widerstand. Trifft zu, was er sagt, so wäre eine Rolle als erfolgloser Belagerer nicht nur erbärmlich und parasitär, sondern sogar schädlich und systemstabilisierend.
Nehmen wir Kubitschek Metapher beim Wort und überlegen uns, welchen Nutzen ein offensichtlich harmloses, feindliches Feldlager vor der Stadt für deren Herrscher haben könnte. Die nackte Präsenz des Feindes „ante Portas“ wäre der ständige Grund, die Stadt im Belagerungszustand zu halten. Sie wäre die Rechtfertigung für die innere Überwachung und ebenso für den Erhalt des äußeren Schutzwalls.
Rasch wird uns klar, was diese metaphorische Ebene in der Realität bedeutet könnte. Die hysterisch übertriebene „Gefahr“ von Rechts, der „brown scare“, die als das extrem Andere, Äußere und Barbarische stilisiert wird, dient der „Friedensvolksgemeinschaft gegen Rechts“ als ideologischer Kitt. Die Bewältigungsindustrie braucht ihre rechtsextremen Schmuckeremiten als Anschauungsmaterial, ebenso wie die das Politkartell sie als Abschreckungsobjekte benötigt.
Gerade da, wo Rechte sich über übergroßes, unverhältnismäßig lautes Medienecho ihrer kleinen Aktionen freuen, dienen sie, nach dieser Interpretation, eigentlich den herrschenden Verhältnissen. Sie leben in einem gut umzäunten, überwachten und von V‑Männern durchseuchten „Szenetierpark”, den sich der ideologische Staatsapparat als Reservoir hält.
„Wandelnde Mahnmahle gegen Rechts“, nannte ein Nachrichtensprecher einmal rechte Skinheads und verriet damit mehr als er ahnte und wollte. In ritualisierten, periodisch wiederkehrenden „Schlägen gegen die rechte Szene“ wird ein unglückliches Opfer aus dem Gehege gezogen und öffentlichkeitswirksam hingerichtet, um gleichsam für die Erbschuld der ganzen Gesellschaft zu büßen.
Nils Wegner, der hierzulande bekannteste Vertreter und Erklärer des Akzelerationismus (den er klar von Gewalt und Terror abgrenzt), pflichtete Sieferele bei. Die „Crux der Sache für die Dissidenz – ob nun »neurechter« oder sonstwelcher Art“, sieht er darin, daß
alle versuchte Einflußnahme auf »den Diskurs«, aller Aktionismus und jede »Provokation« unter den gegenwärtigen, gänzlich marktbestimmten Bedingungen öffentlicher Kommunikation nur in eine »Simulation«
münden könne. Sein Ratschlag, sich von Medienmechanismen zu „entkoppeln“ und “positive Feedbackschleifen“ zur Steigerung der Widersprüche im bestehenden System zu schaffen, bleiben jedoch abstrakt. Konkret empfiehlt Wegner:
Das System ist darauf ausgelegt und entsprechend gehärtet, um solchen Angriffen zu widerstehen. Wenn ihr versucht, es umzustürzen, dann wird es euch töten. Ob nun mittelbar oder unmittelbar. Und sehr wahrscheinlich auch eine ganze Menge Leute, mit denen ihr zu tun habt. Findet euch damit ab. Konzentriert euch besser auf eure eigenen Familien und Gemeinschaften, um selbst eine gewisse Resilienz aufzubauen.
Dieser Ratschlag ähnelt Caroline Sommerfelds Strategem der Selbstrettung. Auch das neueste Buch von David Engels Was Tun weist eine Schlagseite in diese Richtung auf. Zusammengefaßt könnte man diese Haltung so beschreiben: Im Rahmen des Bestehenden ist es absolut unmöglich, mittels Tat und Organisation Wesentliches zu verändern. Im Gegenteil: Offene widerständige Akte stärken das System. Sie setzen das eigene Potential der Repression aus und geben es der Vernichtung preis. Stattdessen sei möglichst schonender, latenter Aufbau von Kräften, Strukturen, und Ressourcen das Gebot der Stunde. Die eigene Position soll strukturell untermauert und ideologisch verfeinert werden, um die derzeitige Phase möglichst schadlos zu „überwintern“.
Ich selbst stimme weder der Analyse unseres Systems als total antifragil noch der Konsequenz daraus zu.
Die oben skizzierte wirkungslose bis kontraproduktive Rolle des erfolglosen Belagerers ist in meinen Augen eine ständig drohende, aber nicht unausweichliche Verfallsform des rechten Lagers. Wenn es sich als Szene versteht und statt auf Strategie, Disziplin und Kampf um Macht, auf Ästhetik, Exzess und “Kontrolle des eigenen Kiez“, setzt, kurz zu einer existenzialistischen Erlebniswelt wird, wird es zum systemstabilisierende Erlebnispark.
Eine andere mehr als nur störende Form, die Johannes Poensgen als „antifragiler Widerstand“ beschreibt, ist meiner Meinung nach möglich. Ich will hier primär ihre Möglichkeitsbedingungen beschreiben und darlegen, warum ich das System für durchaus fragil halte. Meine Vermutung ist, daß die Analyse der Antifragilität und repressiven Toleranz des westlichen Liberalismus vor allem eine Erfahrung neomarxistischer Denker ist. Sie entstammt einer Erfahrung des realpolitischen Scheiterns trotz maximaler Mobilisierung und Kraftanstrengung.
Tatsächlich war das Ergebnis der Mobilisierung der gigantischen revolutionären Widerstandmasse der Linken (von dem Nachkriegsrechte nur träumen konnten) nicht viel mehr als der Kulturbruch hin zum “dionysischen Individuum“, das Sieferle beschreibt. Dieses wollte alles, nur keinen marxistischen Arbeiterstaat.
Das Ergebnis von SDS, RAF und APO sind institutionalisierte Demorituale, staatlich subventionierte „autonome“ Jugendzentren und von Cola und Flixbus finanzierte Konzerte. Die Ernte von Dutschke, Marcuse, Adorno sind ein Conni-Leipzig, das Neo-Magazin Royale und ein Audiolith-Shirt.
Diese Verschmelzung der Linken mit System und Konsum ist kein dummer Fehlschlag, sondern eine unausweichliche Notwendigkeit. Linke Ideologie und liberale Wirtschaftsform bilden einen existenzfähigen, dynamischen Aggregatszustand, der in seiner Bezogenheit und Widersprüchlichkeit gerade die Antifragilität des Systems ausmacht.
Für das rechte Lager sieht die Lage jedoch ganz anders aus, weswegen die Analysen neomarxistischer Denker hier nicht einfach übertragbar sind. Die linksterroristische Antifa ist etwa auf eine ganz andere Weise in die systemische Gesellschaft eingebunden als rechte Jugendgruppen. Die eine Seite ist eine staatlich subventionierte, Schlägergruppe, über die unterdrückte Haß- und Gewaltphantasien (“punch nazis in the face“) der linksliberalen Bourgeoisie ausgelebt und ventiliert werden. Das rechte Lager dient, in seiner ohnmächtigen, desorganisierten Verfallsform, als Objekt der Abschreckung und Triebabfuhr, als politisches Freiwild und Material für die Kontaktschuld.
Es gibt hier keinen lebensfähigen Aggregatszustand. Rechte Subkulturen konnten niemals in der Form kommerzialisiert werden, wie das mit linken Pendants der Fall war. Während „Wizo“ auf MTV läuft und „Feine Sahne Fischfilet“ von Heiko Maaß gelobt wird, wurden „Landser“ und „Stahlgewitter“ solche zweifelhaften Ehren nie zuteil. Auch das derzeit beliebte Deplatforming trifft ausschließlich rechte Akteure.
Während die Linke Rebellion tatsächlich von der systemischen Gesellschaft eingebunden und bis hin zum RAF Terror (siehe das Buch „Die RAF hat euch lieb“) verharmlost und toleriert wurde, antwortete man auf rechte Bewegungen immer schon mit Repression und „Containment“. Um sie systemstabilisierend zu nutzen, wurden, wie unter anderem Holger Apfels Buch „Irrtum NPD“ zeigt, gezielt einzelne positive Akteure ausgeschaltet und irre Provokateure subventioniert.
Diese offene Repression, die beim linken Lager nicht im Ansatz nötig war, zeigt die Fragilität des Systems an seiner rechten Flanke. Die Linken haben sich mit dem Status Quo verbündet. Die Rechten werden von ihm unterdrückt, hingehalten und eingehegt. Die Linken sind ins System eingefügt, die Rechten werden von ihm eingesperrt. Der Grund dafür ist die Unverdaulichkeit der (neu)rechten Ideen für die herrschende linksliberale Ideologie.
Die entscheidende Frage ist daher, ob das rechte Lager „ausbrechen“, also sich aus eigener Kraft in eine Form bringen kann, die der Rolle des „nützlichen Idioten“ nicht entspricht. Anders als im marxistischen Lager, für das tatsächlich die Fruchtlosigkeit jeglichen Aktivismus, jeder Gegenkultur und jeglicher „Organistaion“, offenkundig ist, gibt es im rechten Lager zahlreiche mögliche Strategien und Handlungsoptionen.
Kurz gesagt: „Antifragil“ verhält sich das Systems nur gegenüber “revolutionären” linken Kräften, denn hier sieht es große ideologische Schnittmengen. Gegen rechte und insbesondere neurechte Kritik verhält und erweist sich das System stets als potentiell fragil und daher sehr repressiv. Sein Erfolg beruhte und beruht einerseits auf einer klugen Strategie der Überwachung, Unterwanderung, Radikalisierung und des Containements. Andererseits tragen das organisatorische Chaos, der subkulturelle Existenzialismus und der resignative Defätismus im rechten Lager ihren Teil dazu bei.
Stimmt meine Vermutung, wäre das eine gute Nachricht. Denn die letzten drei Hinternisse für eine effektive Rechte liegen allesamt in unserem Handlungsbereich und können von uns nach und nach abgebaut und verändert werden. Die Rolle des erfolglosen Belagerers wäre kein Schicksal, sondern ein Verschulden. Schlüssel dazu sind eben die Fragilität des Systems und – angesichts dessen – die realistische Einschätzung der Handlungsspielräume des rechten Lagers. In meinem nächsten Beitrag skizziere ich sie.
Laurenz
@MS
Welches linke System hat sich noch nicht selbst ruiniert? Ob Zentralbank-Politik oder unsere Sozial-Mafia, welche immer neue Bedürfnisse erfindet, die in der Welt betreut werden müssen, allerdings nicht von der Welt bezahlt werden, ist auf Dauer nicht finanzierbar.
Und welche politischen Inhalte, außer einem fingierten Anti-Faschismus, hat denn die Linke noch? Nur phantastischen Irrsinn, wie Klima und Heuschnupfen. Im Prinzip werden alle weißen Nicht-Linken zu "Rechten" stigmatisiert, weil es gar keine Rechten gibt. Das, was HB mehr oder weniger in Seinem Artikel ausdrückte, so belegen doch heutige "Rechte" ganz normale politische Inhalte der einstigen Mitte.
Die tatsächliche Gefahr, und das belegen viele Aufnahmen von Grippe-Demos mit einem unvorstellbaren Ausmaß an körperlicher Staatsgewalt, sind unsere Neo-Volkspolizei und unsere Neo-Staatssicherheit.