Jonathan Aldred: Der korrumpierte Mensch

Jonathan Aldred: Der korrumpierte Mensch. Die ethischen Folgen wirtschaftlichen Denkens, Stuttgart: Verlag Klett-Cotta 2020.
443 S., 25 €

Das Erstaun­li­che an die­sem Buch ist sein Autor. Jona­than Ald­red, der Mann, der hier einen Streif­zug durch die Wirt­schafts­wis­sen­schaft des ver­gan­ge­nen hal­ben Jahr­hun­derts unter­nimmt, um zu dem Schluß zu gelan­gen, die­se Theo­rien hät­ten die öffent­li­che Moral ver­dor­ben, ist wirt­schafts­wis­sen­schaft­li­cher Dozent an der Uni­ver­si­tät von Cam­bridge. Das muß man auf dem Umschlag nach­le­sen, andern­falls wür­de man es nicht glau­ben. Sein Buch ent­hält Pas­sa­gen wie: »Ein Null­sum­men­spiel ist jedes Spiel, bei dem alles, was für den einen Spie­ler gut ist, für den ande­ren schlecht ist.« Man­cur Olson habe gesagt, daß Koope­ra­ti­on irra­tio­nal sei und nicht etwa (was der Wahr­heit ent­sprä­che) begrün­det, war­um klei­ne Grup­pen, die viel für das ein­zel­ne Mit­glied her­aus­schla­gen kön­nen, bes­ser koope­rie­ren, als gro­ße Grup­pen, bei denen der Ein­zel­ne sei­nen Nut­zen nicht sieht. Der­ar­ti­ges, das einem Ger­ma­nis­tik­do­zen­ten ent­sprä­che, der den Stab­reim in Goe­thes Faust kri­ti­siert, fin­det sich auf Schritt und Tritt. Ald­red gelingt das nicht gerin­ge Kunst­stück, selbst der Hypo­the­se der effi­zi­en­ten Finanz­märk­te, die wirk­lich auf den Müll­hau­fen der Wis­sen­schafts­ge­schich­te gehört, Unrecht zu tun. Die­se besagt näm­lich nicht, daß Bör­sen­händ­ler all­wis­sen­de Hyper­ra­tio­na­lis­ten sei­en, die nie­mals Feh­ler machen. Son­dern: daß die Vola­ti­li­tät an Bör­sen aus­schließ­lich den Schwan­kun­gen exter­ner Infor­ma­tio­nen geschul­det sei, die durch den Markt­me­cha­nis­mus gemäß dem vor­han­de­nen Infor­ma­ti­ons­stand rich­tig ein­ge­preist wür­den. Selbst in die­sem noch bes­ten Abschnitt sei­nes Buches dringt Ald­red nicht zum Kern der Sache vor. Der Aus­druck »Endo­ge­ne Unsi­cher­heit« taucht eben­so wenig auf wie der Name des Stan­ford­pro­fes­sors Mor­de­cai Kurz, der die Effi­zi­enz­mark­t­hy­po­the­se bereits Anfang der 1990er widerlegte.
Ent­we­der ist die­ses Buch aus dem Frust eines Dozen­ten geschrie­ben, der den Anfor­de­run­gen sei­ner Wis­sen­schaft nicht gewach­sen ist, oder es ist der zyni­sche Ver­such, an der berech­tig­ten Skep­sis des brei­te­ren Publi­kums gegen­über der heu­ti­gen Wirt­schaft zu ver­die­nen. In letz­te­rem Fal­le muß er eine abgrund­tief nied­ri­ge Mei­nung von der Intel­li­genz sei­ner Leser haben. Denn abge­se­hen von fach­li­chen Män­geln, die selbst dem dilet­tan­tisch gebil­de­ten Lai­en auf­fal­len müs­sen, ist sei­ne Argu­men­ta­ti­on all­ge­mein dünn. Flie­gend wech­selt Ald­red zwi­schen Kri­tik­punk­ten, die ein­an­der aus­schlie­ßen, behaup­tet, eine Theo­rie sei falsch (oft unter Ver­weis auf ein ein­zi­ges Expe­ri­ment der Ver­hal­tens­wis­sen­schaft, deren eige­ne Schwie­rig­kei­ten mit kei­nem Wort erwähnt wer­den), um einen Absatz wei­ter ihre Rich­tig­keit zu impli­zie­ren, wäh­rend er ihre Amo­ra­li­tät gei­ßelt. Den Öko­no­men, die bei Berech­nung der wirt­schaft­li­chen Fol­gen des Kli­ma­wan­dels die mensch­li­chen Schä­den ein­be­rech­nen, wirft er vor, den Wert von Men­schen­le­ben in Geld­be­trä­gen zu mes­sen, denen, die sich auf den wirt­schaft­li­chen Scha­den beschrän­ken, daß sie die mensch­li­chen Schä­den außer acht lie­ßen. Auch für die Kern­hy­po­the­se, die die dis­pa­ra­ten Kapi­tel mit­ein­an­der ver­bin­det, bringt er kei­ner­lei Bele­ge vor. Daß eine Rei­he – der brei­ten Mehr­heit der Men­schen unbe­kann­ter – öko­no­mi­scher Theo­re­ti­ker unse­re Moral ver­dor­ben und den Ego­is­mus legi­ti­miert hät­ten, bleibt eine blo­ße Behaup­tung. So wirkt das Buch in sei­ner Gesamt­heit eben­so wie eine Sati­re auf das Kon­zept der Meta­po­li­tik, wie eine Kari­ka­tur jeder ernst­haf­ten Kri­tik der heu­ti­gen Wirtschaftsweise.

Der kor­rum­pier­te Mensch. Die ethi­schen Fol­gen wirt­schaft­li­chen Den­kens von Jona­than Ald­red kann man hier bestel­len.

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