Der Althistoriker (Jg. 1979) stammt aus der deutschsprachigen Gemeinschaft in Wallonien / Belgien, denkt und schreibt Französisch, glaubt römisch-katholisch, lebt und arbeitet in Polen und ist, selbstverständlich, polyglott. Stärker noch als ein Europäer empfindet sich der Gelehrte alter Schule als bewußter »Abendländer«, und für die letzten authentischen Vertreter dieser rar gewordenen Spezies hat er – zunächst französisch als Que faire?, dann in vielen weiteren Sprachen – eine Art Manifest des stoischen wie selbstbewußten Überlebens im allumfassenden Niedergang vorgelegt.
Was tun? trifft offensichtlich einen Nerv: Nach wenigen Wochen mußte der kleine, formidable Renovamen Verlag aus der Dübener Heide eine zweite Auflage des bibliophil gestalteten Bändchens vorlegen.
Die Grundthese des in großen Bögen und Zeitfenstern denkenden Autors ist dabei, daß die europäische bzw. abendländische Seele längst im Scheiden begriffen ist. Ereignisse wie der Brand der Kathedrale von Notre-Dame stellten nur die Destruktionen eines Körpers – einer materiellen Gestalt, die innen längst leer und ausgebrannt ist – dar. Die Selbstabschaffung Europas sei eingeleitet, der Prozeß wohl irreparabel.
Aber trotz dieser geschichtsdeterministischen Sichtweise, die sich rechts der Mitte in den Jahren des andauernden Abstiegs verbreitet hat, möchte der Autor seinen Lesern Haltepunkte und Charakterschulungen an die Hand geben. Entweder, so formuliert er bestimmt, »überlassen wir uns der Verzweiflung und beschleunigen hierdurch noch das Unausweichliche, oder aber wir tun alles in unserer Macht Stehende«, fährt Engels fort, seine Option darzulegen, »um unserem Dasein einen Sinn zu verleihen und unsere Ehre und Würde so lange wie möglich zu wahren«.
Engels’ daran anschließende Überlegungen über kulturelle Idealbilder und persönliche Lebensführung sind, soviel kann aufgelöst werden, zweifellos an ein intellektuelles Publikum mit christlicher (Christ werden und bleiben sieht Engels als erste Pflicht) und gesamteuropäischer (europäisch zu denken sei heute grundlegend) Rückbindung gerichtet. »Suchende« bzw. »Neupolitisierte« werden mit der verabreichten Dosis Kulturpessimismus und mit anspielungsreichen Volten auf literarisch-politische Inbegriffe – von Dominique Venner bis Jelena Tschudinowa – nicht ohne weiteres zurechtkommen.
Für alle anderen gilt, daß man zunächst den bitteren Happen schlucken muß, wonach wir den »spektakulären Zusammenstoß« nicht verhindern können, der unsere westeuropäische Zivilisation hinwegfegen wird und der sich aus einem diffizilen Geflecht aus sozialen, nationalen, identitären, kulturellen und religiösen Fragen nährt. Was dann aber tun?
Engels trägt bereits bekannte und neue Gedanken zusammen und kompiliert diese zu einem Brevier des Standhaltens. Gegen jeden Haß und Widerstand durchzuhalten, anständig und widerständig, realistisch und doch hoffend, bildet eine der Argumentationsketten ab. Eine andere ist es, seine persönliche Lebens- und Netzwerkgestaltung an die Erfordernisse einer in Auflösung befindlichen Gesellschaft anzupassen, und das heißt: Das Alltagsleben solle jenseits der Großstädte stattfinden, in engmaschigen persönlichen Vertrauensräumen, mit Selbstversorgungsaspekten und nachhaltigen, nachbarschaftlichen Wirtschaftskreisläufen.
Neben dieser grundlegenden, gemeinschaftsbezogenen Sicht beleuchtet Engels auch die persönliche Ebene und skizziert vielfältige konkrete Ratschläge zur individuellen Lebensführung. Das alles, so liest man bei Engels heraus, sei trotz Annahme der Unabwendbarkeit des Niedergangs nicht als Flucht, sondern als eine Art Anlauf zu begreifen. Denn die eingeforderte »Selbstentfaltung« und anvisierte Neuorganisation des Lebens sei die Grundvoraussetzung dafür, daß auf den Trümmern des Alten etwas Neues entstehen könnte.
Engels läßt im Resümee indes keinen Zweifel daran, daß die Hoffnung nur mehr aus dem Osten komme – ex oriente lux. In diesem Sinne erscheint die »Emigration nach Ostmitteleuropa, dieser letzten Bastion des traditionellen Abendlandes«, als die tatsächliche »Engels-Option«. Ob dies aber wirklich als ernstzunehmende Alternative für seine Leser in Frage kommt, werden womöglich erst kommende Verwerfungen des großen Kladderadatsch beantworten können.
Was tun? Leben mit dem Niedergang Europas von David Engels kann man hier bestellen.
quarz
Zwei Gedanken dazu:
1. Engels ruft zu Recht in Erinnerung, dass im hierarchischen Stufenbau der kulturellen Identitäten die abendländisch-europäische einen wichtigen Platz hat, dem viele - wohl aufgrund ihres berechtigten Zorns gegen die Institution EU - seinen Rang zugunsten einer verengten, rein nationalen Identität absprechen. Letzterer wiederum begegnet Engels manchmal mit unangebrachter Geringschätzung.
2. Der Aufruf zur Sammlung und Selbsterziehung (und ich möchte ergänzen: zur fruchtbaren Vernetzung mit Gleichgesinnten) hat auch für jene uneingeschränkte Bedeutung, die den Kampf ums Eigene - anders als der Autor - noch nicht als verloren ansehen. Gerade für Widerstandskämpfer, die nicht nur ehrenhaft fallen wollen, sondern auch einen Erfolg für möglich halten, ist ein gesunder Personenkern und eine intakte Gemeinschaft eine wichtige Kraftquelle und Operationsbasis.