Das hat sie mit der Linken gemein. So, wie die Linke sich nurmehr als „demokratische Linke“ zu verstehen meint, im Dienste einer quasi institutionalisierten Revolution, könnte die AfD, ist sie erst assimiliert, zu einer domestizierten Rechten im Sinne trivialisierter Reaktion werden.
Viele vom Meuthen-Typus scheinen das so zu wünschen, und vielleicht braucht es tatsächlich eine solcherart gezähmte, mindestens konsequent konservative Kraft, die die fahnenflüchtige Christdemokratie ersetzt.
In der parlamentarischen Demokratie trivialisieren unweigerlich alle beteiligten Kräfte. Noch ist die AfD in der Berliner Republik nicht fest etabliert, nicht “angekommen”, noch wird sie diskriminiert und verächtlich gemacht. Dieses Ungemach allerdings konstituierte sie bislang von außen und sorgte für klare Kontur. Im fragwürdigen Vergleich: Der Aufstieg der Sozialdemokratie verdankte sich nicht zuletzt dem Bismarckschen Sozialistengesetz, also einer politischen Gegnerschaft von Staats wegen.
Die Demokratie gilt – im Westen – als einzige gültige Herrschaftslehre. Sie darf modifiziert, aber nie prinzipiell in Frage gestellt werden. Der Glaube an diese Form bürokratisierter Vernunft erfand sich seine eigene Dogmatik einer vermeintlich „offenen Gesellschaft“, die eine Vielzahl von Bedürfnissen, Auffassungen und Egoismen friedlich auszubalancieren in der Lage ist. Sie verhindert über permanenten Diskurs den Kampf der Antagonismen, sie gleicht oder schließt aus; sie schafft und bedient das juste milieu. Gegenüber ihren lauen parlamentarischen Verläufen, gegenüber den ihn bewerkstelligenden notwendig kleinkarierten Krämerseelen, Buchhaltern und Paragraphenhengsten darf man – Bei aller Wertschätzung des von ihnen gesicherten Ausgleichs und Kompromisses! – eine gewisse Abneigung hegen, ohne hoffentlich Faschist zu sein.
Der demokratische Parlamentarismus muß Bewegung, Tempo, Kraft und überhaupt das Besondere, das Charismatische und Markante bewußt vermeiden. Das wiederum läßt ihn bisweilen ältlich, behäbig und leicht sklerotisch erscheinen. Neben den Verfassungsgerichten achten inquisitorisch verfahrenden Deutungsbehörden auf die schon in der Schule zu vermittelnde reine Lehre, nach der alles andere als demokratische Vereinbarungen unweigerlich in die Gewalt führen müsse.
Gewalt ist Körperlichkeit, Darwinismus, Leidenschaft. Genau dem steht die Demokratie folgerichtig und wohl notwendig entgegen. Der Frage, inwiefern allein eine klare Setzung des Rechts für die Garantie notwendiger Sicherheiten ausreichte, sei hier nicht nachgegangen, denn Recht muß hinter sich eine rechtsichernde Macht versammelt wissen. Mit der Frage nach deren Wesen und Charakter eröffnet sich wiederum jene nach der Herrschaft, deren nur eine Form die Demokratie ist. Sie herrscht mit kleinstem gemeinsamem Nenner, also auch mit Leistungsreduzierung und Anforderungsvermeidung, u. a. an den Schulen. In der Demokratie soll jeder zu seinem Recht und irgendwie mit durchkommen; ihr Antlitz soll ein menschliches, oft allzumenschliches sein.
Zurück zur Trivialisierung: Selbst die Grünen werden in den Siebzigern nicht angenommen haben, daß sie mit ihrer Platznahme in den weichen Sesseln der Plenarsäle und um den Preis, mit abstimmen, mitregieren und dabei endlich satt mitverdienen zu dürfen, zu ebensolchen Kleinbürgern schrumpfen würden wie ihre einstigen Gegner. Die neuen Spießer sind nun mal grün.
Die Partizipation an der Macht hat noch jeden kapaunisiert, den Sponti Joschka Fischer ebenso wie den Schwätzer Gregor Gysi – mit dem Unterschied, daß dieser – kurz mal Berliner Wirtschaftssenator – Verantwortung bereits nach Wochenfrist wie angewidert abwarf, während jener sie wenigstens – als Außenminister im Stresemann – über Jahre wahrnahm, wenngleich auf teils unredliche oder gar kriminelle Weise, etwa im Bombenkrieg gegen Rest-Jugoslawien.
Man kann den Schwund an Charisma gutheißen, insbesondere wenn man zur Demokratie und der durch sie legitimierten Herrschaft des alle Probleme kleinbrechenden und durcharbeitenden Rechts- und Verwaltungsstaates steht. Man muß aber wissen: Die Demokratie ist erklärtermaßen die Herrschaftsform des Trivialen, des Mittelmäßigen und Gewöhnlichen. Auch das kann man befürworten, denn so werden – mit Odo Marquard formuliert – die „Romantik der Revolution“ und der dramatische Ausnahmezustand vermieden und stattdessen Recht und Sicherheit und damit friedlich dienstgraue Stetigkeit gewährleistet.
Man sollte sich aber darüber im klaren sein, daß man sich verwandelt, wenn man vom Kritiker zum Mitbestimmer wird. Produktiv – weil provokant – bleibt die Rechte eher, solange der Verfassungsschutz noch Dossiers über sie anlegt. Lehnt der sich erst zurück, liegt der Grund darin, daß die neue Kraft artig eingeordnet und zu den Akten geheftet wurde. Die Abenteuer sind dann vorbei, aber genau das mag ja das Ziel sein. Wer wollte politisch schon dauernd abenteuerlich leben?
Um Mißverständnissen vorzubeugen: Selbstverständlich sind die Erfolge der AfD innerhalb der Demokratie erfreulich. Schon ihre bloße Existenz hat seit 2013 ermöglicht, daß der Wähler im Sinne unser kraft AfD endlich reanimierten Demokratie nicht mehr nur zwischen sich weitgehend gleichenden Richtungen wählen, sondern manches erstmalig abwählen kann.
Selbstverständlich ist es gut, wenn die AfD als Fregatte den Begleitschutz für verschiedene konservative und rechte Verbände übernimmt. Viele von jenen, die sich in den Neunzigern um die „Junge Freiheit“ scharten und in subversiven Zirkeln trafen, fahren mittlerweile als Offiziere und leitende Ingenieure auf dieser Fregatte mit. Noch ist selbst das dramatisch. Aber wie wird es sein, wenn das Schlachtschiff erst gut vertäut im Hafen der Berliner Republik liegt und die ersten Parlamentäre zu Verhandlungen an Bord kommen? Das wird bei anhaltendem Wahlerfolg geschehen.
Demokratie ist Utilitarismus in politischer Gestalt. Sie sichert das größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl über Rechnerei und Abstimmungen. Sie funktioniert, solange alle leidlich versorgt sind, und sie will daher alle versorgen, zuerst in eigener Sache die sogenannten Volksvertreter mit dicken Diäten aus öffentlichen Geldern.
Wer sich nicht konsequent treu bleibt, wird schnell korrumpiert und gewinnt zur politischen Gewichtigkeit noch die physische. Daher diese Bütikofer-Bräsigkeit, die den Durchschnittsparlamentarier immer noch so aussehen läßt wie von Honoré Daumier gezeichnet. Macht ist nicht nur erotisch; sie macht, sobald sie gesichert ist, auch fett und träge. Das Wesen des stubenwarmen Parlamentarismus verkörpert sich eben morphologisch im Typus des „Abgeordneten“. Die phänomenale Lebensleistung und überhaupt die Physiognomie Elmar Broks mögen das signifikant illustrieren. Seit 1980 als Nachrücker im EU-Parlament, formten ihn die Jahrzehnte in Kunstlicht und hinter Glas. Die – im Wortsinne – natürliche Abneigung des „einfachen Mannes“ gegen den Politiker gründet im gesunden Menschenverstand, der evolutionär ein intuitives Gespür zur Beurteilung des Ethischen und Ästhetischen entwickelt hat.
Die Demokratie leistet sich insbesondere in Deutschland einen Hofstaat, gegen den sich der preußische Absolutismus und selbst die Staatsbürokratien in Kaiserreich und Weimarer Republik als schlank und hocheffizient ausnehmen. Ästhetische Ausdruck des Unmaßes ist aktuell der Ausbau des Bundeskanzleramtes.
Niklas Maak dazu in der FAZ:
„Es hat etwas Osterinselhaftes, wie man in Berlin, befeuert vom Steuergeldsegen, einen Halbmilliarden-Prestigebau an den anderen reiht – das neue Schloss, das Museum der Moderne, jetzt ein Regierungsviertel, dass langsam selbst die Dimensionen eines Kleinstaats annimmt. Das ist eine Opulenz, die an das Gebaren von ölgeldbefeuerten Wüstenstaaten erinnert, in denen Geld keine Rolle spielt.“
Diese Hofhaltung der Demokratie wird im föderalistisch verfaßten Deutschland noch erweitert um all die Provinzoperetten sich vermeintlich selbst verwaltender Bundesländer wie Mecklenburg-Vorpommern, das sich durch erstrangige landschaftliche Reize und ein interessantes historisch-kulturelles Erbe auszeichnet, darüber hinaus aber nur zwei Prozent zum Bruttosozialprodukt beiträgt, was wiederum nicht hindert, daß dort mit hohem Ernst die Geschäfte eines Landesparlaments, einer Landesregierung und einer Landesverwaltung aufwendig durchzelebriert werden.
Ja, Föderalismus ist deutsche Tradition, er sorgt für Vielfalt, ermöglicht idealerweise Subsidiarität, aber er versenkt Milliarden. Die politische Rechte muß sich unter anderem daran messen lassen, inwiefern sie der Verschwendung Einhalt zu gebieten vermag. Bislang hält sie tapfer gegen, indem ihre Landtagsfraktionen etwa die Corona-Nachtragshaushalte so konsequent kritisieren und auf nachvollziehbare Relevanz prüfen wie keine andere Fraktion. Das ist verdienstvoll! Sie ist die einzige Kraft, die einen Revisionsdruck mit dem Ziel ausübt, Haushaltsdisziplin zu wahren und Mehrausgaben nicht zuzulassen, wenn sie nicht tatsächlich pandemieverursacht nötig sind.
Mag sein, die Rechte sehnt sich alsbald nach den Lesezirkeln, Waldgänger-Gesprächen und sogar den Schnüffeleien des Verfassungsschutzes zurück. Der Reaktionär steht im Gegensatz zum glücksökonomisch berechnenden Utilitaristen immer auf verlorenem Posten, indem er etwas anmahnt, was allzu vielen nur recht ist. Das Heideggersche Man will das Uneigentliche, unter anderem die Verbesserung der Lebensumstände zu Lasten der Ressourcen, die Technisierung der Welt zugunsten des Komforts, überhaupt das aufgeblähte Mehr.
Bisher gewann dieses Man immer. Es vereinheitliche und verödete die Welt und ließ ihre Diversität in jeder Hinsicht verarmen. Mag sein, der Reaktionär wird sich damit bescheiden müssen, ein mahnendes, rundum ungeliebtes und weitgehend unverstandenes Korrektiv zu sein. Im System angekommen, wird er eher von diesem System korrigiert, als daß er es selbst korrigieren könnte.
Mit dem Erfolg der Rechten beginnt ihre Einordnung ins Spektrum des Gewöhnlichen. Ihr ist vorm Hintergrund einer vielfach verfehlten Politik dringend Erfolg zu wünschen, selbst wenn damit das Abschleifen der harten Kanten beginnt. Ja, die AfD sollte ins Spektrum eingeordnet werden, darin aber die eigene Farbe behalten, was jedoch schwerfallen wird.
Und wir Karriereverweigerer, die gerade nicht voll einsteigen wollen in den demokratischen Betrieb, werden uns gegenseitig weiter fragen, ob und inwiefern wir überhaupt gute Demokraten sind und im Steinmeierschen Sinne zu den “Anständigen” gehören mögen, die auf eine Einladung zum Gartenfest ins “Bellevue” hoffen dürfen, um auch mal bei Hofe etwas Sekt zu kosten. Wie hältst Du’s mit der Demokratie? Dies scheint die Gretchenfrage der Gegenwart zu sein.
Franz Bettinger
Ja, die früheren Basis-Demokraten mit der grünen Farbe, das sind die neuen Spießer. Sie warnen vor dem Volk. Sie haben vergessen, wie sie sich an die Macht gewurstelt haben. Jetzt sitzen sie dort wie die Feudalherren. Mit zwar nur 8,9% bei der letzten BT-Wahl, aber 22% in den frisch gefälschten (?) Umfragen sind sie keine Kleinpartei mehr. Die grünen Frösche haben große Mäuler bekommen. Und sie haben die Antifa bekommen, eine SA, die aus Steuergeld bezahlt wird und ungestraft Häuser besetzen, Autos anzünden und Wahlen fälschen darf. Wenn Informationen selektiert, andere gelöscht und Gegenpositionen trivialisiert oder gar kriminalisiert werden, hat man einen gespenstischen Zustand erreicht, der an Schlimmes erinnert. Es war Joseph Goebbels, der diese Form von Kontrolle so beschrieb: 'Wir haben den deutschen Journalismus so diszipliniert, dass wir in den entscheidenden Augenblicken nicht einmal zu befehlen brauchten.' Der Unterschied zu unseren lebenden Goebbels-Figuren ist nur ein gradueller.