Zwei Kenndaten machen den Erfolg oder Mißerfolg – je nachdem, wie man es wendet – der deutschen Energiewende sichtbar: Das ist zum einen der Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch (bezeichnet die gesamte Strommenge, die hierzulande verbraucht wird; auch Transportverluste) im Jahr 2018, der bei 37,8 Prozent lag, und zum anderen der Anteil der erneuerbaren Energien am Primärenergieverbrauch (Summe aller im Inland gewonnenen Energieträger zuzüglich des Saldos der importierten/ exportierten Mengen sowie der Bestandsveränderungen abzüglich der auf Hochsee gebunkerten Vorräte) im Jahr 2018 von 13,8 Prozent.
Diese notwendigen Erklärungen samt Einschüben verdeutlichen, daß die Energiewende zuvorderst eine Stromwende ist. Der Verkehr- und Wärmesektor blieben bisher weitestgehend unberührt vom subventionierten Vormarsch der Erneuerbaren. Daher liegt der Erneuerbarenanteil am Bruttostromverbrauch relativ hoch, aber rangiert beim Primärenergieverbrauch auf vergleichsweise marginalem Niveau.
Das soll sich nun ändern; speziell im Verkehrssektor forciert man staatlicherseits seit geraumer Zeit Technologien, die eine vollständige Umsetzung der Energiewende realisieren sollen. Der Träger der »Wende«, auf den gesetzt wird, ist die Elektromobilität.
Letztlich bedeutet ein Gelingen dieses Vorhabens eine Integration des Verkehrssektors in die Stromwende, insofern als der Sekundärenergieträger »Benzin« durch die Endenergie »Elektrizität« substituiert wird. Vermarktet wird dieser ökonomische und infrastrukturelle Kraftakt als eine Lösung für die ökologischen Problemstellungen, die mit dem Fortbewegungsmittel »Auto« verknüpft sind.
Insbesondere die Emissionsbilanz der Stromer soll besser als die der Verbrenner ausfallen. Die »Klimafreundlichkeit« einer Technologie ist in Zeiten der »Klimanotstände« das zentrale Charakteristikum ihrer Wertigkeit. Gleichwohl sind die ökologischen Auswirkungen des Automobils in zwei Kategorien aufzutrennen: seine Emissionen auf der einen sowie sein Ressourcenverbrauch und die daran gekoppelten Umweltfolgen (Abraum, Wasserverschmutzung etc.) auf der anderen Seite.
Wir haben es hierbei mit reziproken Größen zu tun– je nach Menge und verwendeter Ressource steigen oder sinken die Emissionen, die bei der Herstellung, Betrieb und Entsorgung /Wiederverwertung eines Fahrzeugs entstehen. Das grundsätzliche ökologische Defizit moderner Mobilität wird am Leergewicht deutlich: Wog der VW Golf 1 (Baujahr 1974–1983) zwischen 750 und 805 Kilogramm, so bewegt sich das Gewicht der aktuellen Baureihe, Golf 7, je nach Ausstattung im Rahmen von 1200 bis 1600 Kilogramm. Zugespitzt: Komfort wiegt.
Vergleicht man die materialintensivsten Versionen der jeweiligen Baureihen, ist eine Verdopplung des Leergewichts und damit ein erheblicher Anstieg des Ressourcenbedarfs zu konstatieren. Der leistungsstärkste VW ID.3, ein Elektronachfolger des Golfs, der mit einer akzeptablen Reichweite von 550 Kilometer auf dem Papier aufwarten kann, wiegt mit 1900 Kilogramm noch einmal wesentlich mehr.
Die Gewichtszunahme ist unter anderem auf die große verbaute Batterie (500 Kilogramm) zurückzuführen, die für die Reichweite unerläßlich ist. Demzufolge verzehrt die Herstellung von Elektroautos unter derzeitigen Gesichtspunkten noch mehr Ressourcen als die vergleichbaren Kraftwagen auf Verbrennungsmotorenbasis.
Es findet indes nicht lediglich eine reine Steigerung des Gewichts statt, sondern auch ein Wechsel der verwendeten Materialien. Elektroautos benötigen im Gegensatz zu ihren verbrennenden Vorgängern hohe Mengen an Lithium, Kobalt, Nickel, Seltene Erden und Kupfer.
Sowohl die Lithium-Ionen-Akkus als auch die für die Elektromotoren notwendigen Permanentmagnete können ohne diese Rohstoffe nicht produziert werden. Der ernüchternde Befund: Sie sind als kritisch einzustufen, wie eine im Juli dieses Jahres veröffentlichte Materialstudie der Landesagentur für neue Mobilitätslösungen und Automotive Baden-Württemberg (»Innovationsagentur und Kompetenzstelle des Landes BadenWürttemberg«) wieder einmal unter Beweis stellte.
Bezüglich des essentiellen Rohstoffs Kobalt kam die Studie beispielweise zu der Einschätzung, daß die statische Reichweite (die Zeitspanne, für die bei aktuellem Verbrauch dieweltweit bekannten und wirtschaftlich förderbaren Vorkommen eines nicht-erneuerbaren Rohstoffs noch reichen werden) seiner Ressourcen lediglich 170 Jahre betrage.
Zeitgleich wird die technische Folgenschwere eines Versiegens der Kobalt-Vorkommen als enorm hoch eingestuft. Konträr zu dem von grüner Seite kolportierten Bild, daß qua Elektromobilität eine Lösung der mit Öl verbundenen Knappheitsproblematik gefunden sei, wird statt dessen die Substitution eines knappen Rohstoffs mit einem anderen knappen Rohstoff vollzogen.
Darüber hinaus stellt sich kein autarker Zustand der Produktion und des Verbrauchs von Energie durch »grüne« Technologie ein, sondern die Abhängigkeitsverhältnisse verschieben sich – im Fall Kobalt im übrigen hin zur Demokratischen Republik Kongo.
Ferner geht mit dem Kobaltabbau im Kongo eine signifikante Rodung des Regenwaldes einher, welche die Biodiversität eklatant verringert und die Lebensgrundlage der Einheimischen gefährdet. Außerdem werden die lokalen Gewässer durch Bergbauabwässer verunreinigt.
Die negativen Umweltauswirkungen der Förderung betreffen jedoch nicht nur das Kobalt: Keiner der aufgeführten Rohstoffe kann in ökologisch unbedenklicher Weise gefördert werden. Derweil müssen bei der Verarbeitung der Rohstoffe und der Produktion der Batterie erhebliche Mengen an Primärenergie aufgewendet werden.
Das führt dazu, daß Elektroautos im Vergleich zu Benzinern mit einem großen »Treibhausgas-Rucksack« ihr Produktleben beginnen und aufgrund des deutschen Strommixes mit relativ hohem Kohlestromanteil diese »Geburtslast« erst nach Tausenden Kilometern abgearbeitet haben.
Eine vom ADAC in Auftrag gegebene und Ende Oktober veröffentlichte Lebenszyklus-Analyse kam diesbezüglich zu folgendem Ergebnis:
Das Elektroauto kann seine Vorteile im Vergleich zu Benzin und Diesel erst nach ca. 127.500 Kilometer oder 8,5 Betriebsjahren [Benzin] bzw. ca. 219.000 Kilometer oder 14,6 Betriebsjahren [Diesel] ausspielen.
Erst wenn der deutsche Strommix fast ausschließlich von Erneuerbaren bereitgestellt wird, »erfolgt die Amortisation der hohen Treibhausgas-Emissionen aus der Produktion bereits nach ca. 37.500 Kilometer gegenüber dem Benziner bzw. ca. 40.500 Kilometer gegenüber dem Diesel«.
Jedoch befindet sich das Ziel einer vollumfänglich erfolgten Stromwende in weiter Ferne und hat mit schwerwiegenden technischen Imponderabilitäten zu kämpfen, die durch eine Anbindung eines bisher nicht vom Stromnetz versorgten Energiekonsumptionsektors ins Systemkollabierende katalysiert werden würden.
Legt man nun die oben besprochenen ökologischen Negativfaktoren an die Projektion der OECD, daß die weltweite Anzahl der PKW bis 2050 auf rund 2,4 Milliarden ansteigen könnte, und verbindet das mit der in diesem Kontext von der Initiative Agora Verkehrswende geforderten Elektrifizierung des Verkehrs zur Einhaltung der Klimaschutzziele, gelangt man zum aberwitzigen Ergebnis, daß bei einer derartigen PKW-Explosion die Emissionen trotz vollständiger Elektrifizierung weit höher lägen als zum aktuellen Zeitpunkt mit einer Dominanz von Verbrennungsmotoren.
Das drängende Problem der automobilen Fortbewegung ist demnach ihre fortschreitende Verdichtung und der daran gekoppelte Flächen- und Ressourcenverbrauch und nicht ihr »klimafreundlicher« Ersatz. In Anbetracht der hier – freilich in gebotener Kürze – skizzierten Gegebenheiten bestünde eine ökologisch verantwortliche Verkehrspolitik zunächst darin, die bereits auf den Straßen befindliche Kraftfahrzeugsflotte so lange wie möglich in Betrieb zu halten und nicht durch Neukonsum frühzeitig zu ersetzen oder sogar weiter zu verdichten.
Das unlängst von der Bundesregierung verabschiedete milliardenschwere Subventionspaket zum Ankurbeln der Mobilitätswende unterminiert einen derartigen Ansatz nachhaltig. Vier Milliarden Euro Kaufprämien, die in den nächsten sechs Jahren bis zu 700.000 neue Elektroautos auf Deutschlands Straßen bringen sollen, helfen in erster Linie der Autoindustrie – der Natur indessen am allerwenigsten.