Der Mensch müsse doch zur Vernunft zu bringen sein. Daß dies über Jahrtausende so zufriedenstellend nicht gelang, im Gegenteil, stört die Neu-Aufklärer nicht, denn in der Gegenwart, meinen sie, dürfte es um so besser endlich möglich sei, da eine negative und eine positive Grundbedingung für die letztgültige Klärung der menschlichen Unvernunft erfüllt wären:
Zum einen stünde das drohende ökologische Weltende jetzt allen überdeutlich vor Augen und kündigt sich mit Klimaveränderung und Corona-Durchseuchung über zwei apokalyptische Reiter bedrohlich an. Zum anderen verfüge mindestens in den entwickelten Industrienationen eine kritische Mehrheit endlich über „Bildung“ und würde so die Zusammenhänge intellektuell durchschauen können.
Von Ann Pettifor erschien mit „Green New Deal. Warum wir können, was wir tun müssen“ gerade ein in seinem analytischen Anteil kluges Buch. Die britische Autorin, Ökonomin und Finanzexpertin, 2018 ausgezeichnet mit dem Hannah-Arendt-Preis, leitet das Netzwerk „Policy Research in Macroeconomics“ und den Forschungsbereich Globale Makroökonomik der „New Economics Foundation“. Ihre Kompetenz steht außer Zweifel.
Sie prophezeit, wenn sich nicht Entscheidendes ändert, den Zusammenbruch unserer bisherigen Zivilisation angesichts drohender ökologischer und sozialer Katastrophen und spricht das unregulierte globale Finanzsystem schuldig. Es jage nach immer höheren Renditen rund um den Globus und verschleiße so den Planeten. So ja längst bekannt, aber dennoch immer wieder notwendig, genau dieses Problem zu bezeichnen.
Lebensräume werden vernichtet, die letzte Ressourcen ausgeschöpft oder vergiftet. Genau diese Beurteilung der Lage von Menschheit und Natur ist richtig. – An sich reicht dem sensiblen Beobachter der Gang durch einen der vielen „Super-Märkte“, um ableiten zu können, wie es steht. Nur haben sich allzu viele Menschen fatalerweise daran gewöhnt, daß es so, wie der Super-Markt es ihnen seit Jahrzehnten werbewirksam vermittelt, nicht nur normal wäre, sondern genau so weitergehen könne und nach Marktlogik sogar müsse:
Dauerverfügbarkeit von allem, jedes materielle Bedürfnis unmittelbar zu befriedigen, Mangel unbekannt. Die meisten Produkte zwar geschmacksneutral und durchnormiert, dafür aber vertraut und offenbar im Überfluß vorhanden. (Als wegen der aktuellen französischen Corona-Kontinentalsperre in England der Brokkoli und anderes Gemüse knapp wurden, führte das, liest man, zu Hamsterkäufen.)
Ann Pettifor meint, die Welt mit einem „Green New Deal“ retten zu können. Die OECD-Staaten müßten den ärmeren Ländern bei der Finanzierung von Anpassungen an den Klimawandel helfen. So könnte eine finanzielle Umverteilung vom Produzenten zum Verursacher erfolgen. Wenn zehn Prozent der Weltbevölkerung fünfzig Prozent der Emissionen zu verantworten haben, so liegt das Erfordernis einer Lastenumkehr deutlich zutage. Was in ihrer Argumentation nun folgt, wirkt konservativ gedacht:
Da die Vereinten Nationen für eine solche Umsteuerung zu führungsschwach seien, müsse die internationale Kooperation unter Regie der Nationalstaaten erfolgen. Dies so zu denken ist beachtlich, da mindestens hierzulande schon der Gebrauch der Begriffe Nation und Nationalstaat sofort den Vorwurf auslöst, man wäre unrettbar rechts verrannt. Wenn sich Nation nun noch mit interner ökonomischer Steuerung verbindet, dann würden die Liberalen schnell noch „National-Sozialismus“ reden und dies als Todschlagargument benutzen. Und: Lassen sich das mobile Kapital und namentlich das Finanzkapital tatsächlich wieder national einhegen und domestizieren, nachdem sie die allergrößten Freiheiten genossen?
Die Autorin jedenfalls möchte das der Realwirtschaft entkoppelte Finanzsystem neu regulieren. Sie kritisiert die Hegemonie des Dollars und das „exorbitante Privileg“ der USA, „auf Kosten der übrigen Welt zu leben“. Alternativ dazu müsse endlich eine internationale Zentralbank geschaffen werden, die den einzelnen Ländern quasi ethisch verpflichtet wäre.
An die Stelle des alle Grenzen sprengenden Wachstumsgesetzes sollte eine stationäre Wirtschaft treten, die umweltbewußt agierte und die Verantwortung für die Lebensgrundlagen der Folgegenration übernähme. Lokal statt global, so die Devise. Freihandel sei kein Segen für die ärmeren Länder, sondern verfestige deren neokoloniale Ausbeutung, „nur um die Launen der schnellebigen westlichen Moden zu befriedigen.“
Sieben Schlüsselprinzipien werden entworfen, der erwähnte stationäre Zustand der Wirtschaft gehört dazu. Die aggressive, hochmobile Aktivität des international handelnden Kapitals müsse von nationalen Zentralbanken gebremst und kontrolliert werden. CO2-Steuern kommen hinzu, schröpfen einerseits die Emittenten und helfen mit den erlösten Mitteln andererseits dabei, Umstrukturierungen zu verwirklichen.
Klug und richtig, wenn Ann Pettifor den essentiellen Bedürfnissen der Menschen, also ihrem Überleben in einer geretteten Biosphäre und mehr sozialer Gerechtigkeit, die Priorität gegenüber den Begehrlichkeiten des Gewinnens und der Profitmaximierung einräumen möchte. Bedarfsorientierung: Es soll primär politischen Interessen der Allgemeinheit gefolgt werden, nicht den finanziellen Motiven Einzelner. Die Lage ist nahezu hoffnungslos, insbesondere ökologisch. Wer es nicht bemerkt oder in Zweifel zieht, mit dem lohnt kein Gespräch. Um den Preis entgrenzten Produzierens und Verbrauchens verödet der Planet; die Schöpfung ist nicht nur gefährdet, sondern tödlich getroffen, die Natur der große stumme Sklave, mißbraucht vom Druck der Überbevölkerung und ihren vermarktbaren Maximalbedürfnissen.
Die eigentliche Tragödie besteht jedoch darin, daß gegen die Sucht nach dem Mehr keine Regularien nützen. Ann Pettifor folgt der Illusion der Aufklärung, daß der Mensch doch einsehen müsse, was die Vernunft gebiete. Interessant daran ist mindestens, nationale Regulierungsmöglichkeiten zu fordern, was ansonsten ausnahmslos Konservative und Rechte verlangen.
Es soll aber wieder einmal etwas erfunden werden, was besser und ethischer funktioniere als der Kapitalismus, den niemand erfinden brauchte, weil er sich quasi evolutionär entwickelte, passend zur Bedürfnisstruktur des Menschen. Wer etwas regulieren wollte, müßte mit den Verfügungsrechten die Eigentumsverhältnisse ändern. Diese anzugreifen ist gefährlich. Dennoch interessant, daß genau sie, die Eigentumsverhältnisse, als Kern des Rechts und so als “Code des Kapitals”, aktuell infrage gestellt werden, wie in der verlinkten Neuerscheinung von Katharina Pistor, deren Analyse sogleich linksgrüne Sympathien weckt. Nur: Letztlich ist beinahe jeder Eigentümer, unter anderem der Fondsparer oder Pensionsanwärter.
Die Skepsis wird rechts gepflegt. Konservative wissen, daß der Mensch letztlich nur über harte Sanktionen zu Veränderungen bewegt werden kann. Einschränkungen erfolgten stets erst aus Not. Die Tyrannis stellte daher klassischerweise nicht die Herrschaftsform narzißtischer Größenwahnsinniger dar, sie bewerkstelligte, im antiken Griechenland etwa über die Herrschaften des Solon, des Peisistratos und des Kleisthenes, vielmehr radikale Korrekturen als Akte der Rettung.
Was Ann Pettifor sich als Ergebnis demokratischer Entscheidungen wünscht, harte Umsteuerungen nämlich, dürfte eher nur undemokratisch, etwa exekutiv-autoritär, herbeizuführen sein. Der Konservatismus ist gerade in seinen Mahnungen, man möge sich beschränken und das Bestehende bewahren, der stärkste Gegner des Liberalismus gewesen. Gewesen!
Aber daß der Mensch in komplexen Gesellschaften, ja sogar global, als “Weltgemeinschaft”, vernünftig zu handeln fähig und bereit sei, darin stimmten Liberale, Linke und Grüne immer noch überein. Während der Konservatismus mit Blick auf die Anthropologie warnte und darüber hinaus die im 20. Jahrhundert aufmunitionierte radikale Rechte – ebenfalls nachvollziehbar – den Auswüchsen der Moderne Bollwerke entgegensetzte, die sich nur mit den Mitteln der Diktatur errichten ließen. Aber selbst diese Bollwerke sind mindestens in Europa längst alle geschleift worden.
Ann Pettifor träumt weiter etwas diffus vom Regularium der Demokratie, von der Möglichkeit eines „Ewigen Friedens“ und der letztendlich-letztgültigen Erlösung des Menschen, der das nur notgedrungen angerichtete Böse und Falsche, endlich befreit und Fehlorientierungen korrigierend, in das überlegt Richtige und Gute wandelt. So, träumt man gern mit, soll dann wohl die Vorgeschichte der Menschheit beendet sein und das Reich von Licht und Hoffnung beginnen.
Die Demokratie ist aber die Herrschaftsform der satten Konsumenten und ihrer Bedürfnisbefriediger. Wo der Super-Markt im XXXL-Format funktioniert, da wollen die zu Verbrauchern geschrumpften Bürger ihn um jeden Preis so erhalten, weil er ihr dekadentes Wohlleben unterhält. Billig soll es sein, viel soll es sein, und wenn man sich an allem überfressen hat, soll es mit der Versorgung durch den medizinisch-pharmakologischen Komplex verbraucherfreundlich weitergehen. Auch dafür steht mittlerweile eine ganze Industrie zur Verfügung.
Ann Pettifors kritischer Bestandsaufnahme gibt es nichts auszusetzen. Genau so, wie sie es beschreibt, verhält es sich globalökonomisch grundsätzlich. Und insbesondere hat sie – ebenso wie viele andere kritische Ökonomen – absolut recht, wenn sie die Finanzindustrie massiv kritisiert. Aber der Kapitalismus ist nicht irgendwo verschanzt. Er sitzt auch nicht so fett und abgrundtief böse auf einem Geldsack, wie ihn etwa sowjetische Agitprop-Karikaturisten einst zeichneten. Nein, wir alle sind dieser Kapitalismus – als Teile und individuelle Nutznießer seines in sich genialen und zu unserer Triebstruktur passenden Systems; und wir alle bedienen quasi als Teilhaber die internationale Finanzindustrie und wollen von ihr bedient werden.
Der Unternehmer, der Ingenieur und Wissenschaftler, all die Bürokraten, Arbeiter und Dienstleister hängen genauso mit drin wie die von Steuermitteln ausgehaltenen Kretins und Verlierer. Gäbe es nicht dieses ökonomische System, das im Westen alle irgendwie auszuhalten in der Lage ist, müßte viel mehr und ganz neu über Wert und Würde nachgedacht werden.
Es war schon die Illusion der idiotischen westlichen Pseudomarxisten von 1968 ff., man könne, ja müsse den Menschen vernünftigerweise verbessern und seine „Produktionsweise“ umgestalten. Die armseligen Träume dieser Revoluzzer konnten überhaupt nur entstehen, weil die von ihnen geschmähten Väter – ob nun Kapitalisten oder Malocher – ihren Kindern in der Nachkriegszeit das Wohlleben in den Universitätsstädten finanzierten.
Nur weil die „Eigentumsverhältnisse“ eben so waren, wie die Grölfatze sie stürzen wollten, konnten sie selbst ja so großmäulig sein. Wohlstandskinder, die mit Marsriegel und Coco-Cola aufgewachsen waren, träumten in ihrem bereits schlechten Fitneßzustand von der Barrikade. Ein gefährlicher Romantizismus, der sich an Utopien berauschte und in testosteronigen Konterfeis wie dem Che Guevaras den neuen roten Heiland zu erkennen meinte. Glücklicherweise blieb das meiste davon „Rhetorik“, wurde allerdings dann doch leider maßgebliche „Kultur“.
Der Konservatismus muß ein Dilemma aushalten können: Er weiß – unter anderem mit Helmuth Plessner und Arnold Gehlen – um die Gefährdung und Zerfallstendenz der Gesellschaft und um die „Grenzen der Gemeinschaft“. Er sieht die Apokalypse nahen. Aber ebenso weiß er um die Unmöglichkeit, sie mit Mitteln der Vernunft und der Demokratie auf „humanistische“ Weise aufzuhalten. Er kann nur versuchen, ein paar Bestände zeitweilig und vorübergehend noch zu sichern, vielleicht wenigstens für die eigene kurze Lebensfrist.
Und die Rechte wird jäh und wieder, wenn sie von Modernisierungsängsten getrieben ist, den gefährlichsten Illusionen und revolutionären Gefahren von links die Gewalt entgegensetzen – auch dies mit nur zeitweiligem Erfolg und zudem belastet von Opfern. Die Konservativen und die Rechten befinden sich in etwa in der Rolle des Großinquisitors in Dostojewskis berühmter Parabel, die man in seinen „Gebrüdern Karamasow“ findet. Rechte Pflichtlektüre. Immer aufs neue eine ernste Meditation wert.
Die Rechte muß leider den Mut haben, um die letztendliche Vergeblichkeit menschlichen Bemühens zu wissen, um die tiefe Schuld, die unter anderem im Mythos der Erbsünde beschrieben ist. Sie muß diesen Gedanken aushalten. Eine Möglichkeit aber hat sie immer: Sie kann sich selbst und anderen demütig ein Beispiel geben, selbst wenn das nur eine Minderheit bewegt.
Ann Pettifor will – über neue ökonomische Regelungen – etwas ermöglichen, was der Konservatismus stets für eine Tugend hält: Maßhalten und Verzicht. Dazu vermag sich aber nur eine stille Elite zu bringen, die den anderen weiter beim Verschleiß der Welt zusehen muß.
Laurenz
@HB (1)
Da Sie ja anscheinend den Unfug der Frau Pettifor für uns gelesen haben, braucht es von uns keiner mehr zu tun.
Das, was Sie, HB, als Analyse richtig empfunden hatten, stimmt natürlich auch nicht.
In erster Linie ist Frau Pettifor Nazi.
Denn das, was sie fordert, ist nationalsozialistische Reinkultur, der Schutz von Tieren & Umwelt, & diese Forderung, wenn nötig auch mit Gewalt durchzusetzen. Eine Kriegserklärung an die USA, die bei einer zwingenden Veränderung des "Sentiments" notwendig ist, wird nicht ausgeschlossen. Frau Pettifor ist auch alt genug, um in den Anfängen der ökologischen Bewegung dabei gewesen zu sein. Das waren fast alles kleine Nazis, bis die Kommunisten bei den Grünen (weltweit) mal so richtig aufgeräumt hatten.
Das, was die Analyse beschreibt, kann man alles schon im ersten Buch "C(r)ashkurs" (aus 2009) von Mr. Dax, Dirk Müller, nachlesen. Müller beschreibt aber die jeweiligen Ursachen genauer. Müller ist kein Verschwörungstheoretiker, aber, zu Recht, ein Bär. Um es mit Börsen-Jargon zu sagen, Dirk Müllers "Timing" ist aber "beschissen", deswegen "performt" der von Ihm aufgelegte nachhaltige Fond meist miserabel. Seit unendliche Summen auch sozialistisch in den Aktienmarkt geschüttet werden, spiegelt die Aktienbörse nur noch Inflation wieder.