Als Bibelwissenschaftler, Präsident des Herzl-Instituts (Jerusalem) und Vorsitzender der Lobbyvereinigung Edmund Burke Foundation (Washington, D. C.) ist Hazony ausreichend gut vernetzt, dieses Projekt als Schlüsselakteur voranzutreiben. Auf diesem Wege helfen Veranstaltungen in ganz Europa ebenso wie die Promotion seines Manifests, das in der englischsprachigen Erstausgabe als The Virtue of Nationalism (New York 2018) firmierte. Nun hat der Grazer Ares Verlag einen erwiesenen Kenner der US-Politik, den Sezession-Autor Nils Wegner, gewinnen können, jene Schrift ins Deutsche zu übertragen.
Zwei Dinge vorweg: Die Übersetzung ist ausgezeichnet, und ob man Hazony für politisch sympathisch oder eine problematische Erscheinung hält – an der Lektüre dieses Bandes führt für niemanden ein Weg vorbei, der sich ernstlich mit konservativer, rechter, nationaler Politik im 21. Jahrhundert zu beschäftigen beabsichtigt.
Hazonys Ausgangsbasis ist dabei seine Maxime, daß er als »jüdischer Nationalist und Zionist«, so die Eigenbezeichnung, das Ende der Nationalstaaten in einem globalen Weltstaat fürchtet. Nationale Selbstbehauptung und identitäres Wollen seien durch globalistische Akteure nachhaltig desavouiert; die Vorstellung, daß die Welt am besten geregelt sei, wenn Nationen ohne fremde Einmischung ihren eigenen Kurs fahren, ebenso.
Um diese Völker und Nationen auflösende Entwicklung umzukehren, bedürfe es einer nationalistischen Renaissance, und diese benötige wiederum ursächlich eine eigenständige nationalistische politische Doktrin. Nationalismus definiert Hazony hierfür als »antiimperialistische Theorie, die eine Welt der freien und unabhängigen Nationen schaffen möchte«. Der abzulehnende Imperialismus, als Gegenspieler des Nationalismus, sei demgegenüber eine Ideologie, die »der ganzen Welt Frieden und Wohlstand bringen will, indem er die Menschheit unter einem einzigen politischen System vereint«.
In diesem Sinne erscheinen ihm Adolf Hitler und dessen Gefolgsleute ebenso als Imperialisten wie liberale Interventionisten, die eine globalistische Ordnung auf den Trümmern der Nationalstaaten errichten wollen. Beide wären Widersacher jener »kollektiven Selbstbestimmtheit«, die für Hazony die Basis nationalistischer Theorie und Praxis darstellt. Problematisch ist zu werten, daß er die Genese dieser genuin politischen Basis religiös anhand der Bibel erklären möchte; stark sind hingegen jene Passagen, in denen er den Staat als Familie »in einem größeren Maßstab« vor Global-Imperialisten wie Ludwig von Mises in Schutz nimmt und liberale wie libertäre Axiome gleichermaßen negiert, indem er aufzeigt, daß jedes Individuum durch Bindungen wechselseitiger Loyalität gegenüber seiner Familie, seinem Stamm und eben seiner Nation gebunden ist.
Aus diesem nicht hintergehbaren Grund sei es unmöglich, die abstrakte Freiheit des Einzelnen herzustellen, ohne vorher die konkrete Freiheit der Familie, des Stammes oder eben der Nation erkämpft zu haben: »Wenn das Kollektiv zersplittert, verfolgt, bedroht und geschmäht ist, dass keine Hoffnung darauf besteht, dass es seine Ziele und Ansprüche erreichen können wird, dann ist dieses Kollektiv nicht frei, und der Einzelne ist es auch nicht.«
Hazony, und sein integraler Argumentationsweg zeigt dies unablässig, hat bei seiner vorgeblich allgemeinen nationalistischen Theoriebildung stets das besondere Beispiel Israels vor Augen, was mitunter problematisch für den europäischen Leser ist. Martin Lichtmesz hat daher in seiner Studie Ethnopluralismus (Schnellroda 2020) Hazonys Werk berechtigt als »eine politische Programmschrift mit zum Teil sehr eigenwilligen judäozentrischen Herleitungen und historischen Verbiegungen« bezeichnet. Bisweilen hält dieser Zugang aber auch Erkenntnisse bereit, die für das multikulturelle Europa von Morgen von Belang sind.
Dazu muß Hazonys Reflexion über Mehrheitsnation und zugewanderte Minderheiten – ethnokulturelle Vorherrschaften in Nationalstaaten müssen »eindeutig und unstrittig«, »Widerstand zwecklos« sein – ebenso gerechnet werden wie seine Absage an Nur-Patrioten, die nicht begreifen würden, daß die Liebe zum Eigenen zwingend auch politisch-kämpferisch vertreten werden müsse. Das alles ist zweifellos richtig – nur ist es eben in deutschen Nationalismusdebatten von Arthur Moeller van den Bruck und Ernst von Salomon bis zu den Gebrüdern Jünger bereits seit den 1920er Jahren präsent, in Frankreich spätestens seit der zunächst nationalistischen, dann nationalismuskritischen rechten Denkergarde von Alain de Benoist bis Dominique Venner.
Nationalismus als Tugend ist somit Nachhut und Vorhut zu europäischen Debatten zugleich: Nachhut, weil diese Dinge in unseren Breitengraden bereits vor Jahrzehnten diskutiert wurden; Vorhut, weil Hazonys Buch zeigt, wie die nationale Frage in Israel und den USA wieder offener ausgehandelt wird, was neuen Spielraum auch für europäische Debatten schaffen könnte. Hazony bis dato gelesen zu haben, dürfte nicht schaden.
Yoram Hazony: Nationalismus als Tugend. Aus dem Amerikanischen von Nils Wegner, Graz: Ares Verlag 2020. 272 S., 25 € – hier bestellen.