Auf eisglatten Wegen und Stegen
Hier in Halle soll es in der kommenden Woche bis zu 16 Grad minus geben, Temperaturen im Plusbereich sind keine angekündigt.
Wer sich am Wochenende zudem in der anstandsgemäßen Nichteinhaltung etwaiger Ausgangssperren und 15-Kilometer-Leinen erging, der wurde bereits jetzt mit dem Ausblick auf beeindruckend vollgeschwemmte Auwaldlandschaften belohnt, oder durfte bei Schrittgeschwindigkeit die launigen Polarböen eines veritablen Schneesturmes genießen.
Ich will gar nicht groß sentimental werden, aber solche Witterungen haben unter Berücksichtigung der Gesamtlage für mich schon einen geschichtsträchtigen Beigeschmack. Weniger im Sinne des vielbeschworenen „Jahrhunderts“, welches wahlweise Winter, Hochwasser, oder Fußballspiele präfigiert, denn als Kulisse der chaotischen Verhältnisse.
Seien wir mal ehrlich: Das geballte Auftreten der Ausnahmezustände, der nicht abreißen wollende Strom unvorhergesehener und vorhergesehener Ereignisse macht sich einfach noch besser vor den knirschenden Untiefen meterhoher Schneeverwehungen. „Auch das noch!“ mag der eine betroffen seufzen – „das auch noch!“ frohlockt hingegen der andere und wartet ungeduldig auf die nächste große Schmelze.
Fakt ist jedenfalls, dass so eine Großwetterlage immer auch Chancen bietet. Mein dieswöchiger Heldenausruf geht daher kurz und bündig raus an alle Rodelrebellen und Wander-Widerständler, die – gerade wegen der widrigen Witterung – der Ordnungsmacht auf den Pisten und Stiegen der Republik das eine oder andere Schnippchen geschlagen haben.
Es gibt derzeit wenig Erbaulicheres, als den stets paarweise auftretenden Hygienehütern und Abstandsbewahrer dabei zuzusehen, wie sie sich bei ihren karikaturesken Verfolgungsjagden am Berg das gut gepolsterte Beamtenpopöchen prellen. Besser noch: Unbestätigten Gerüchten zufolge sollen an einzelnen Orten gar unbeaufsichtigte Streifenwagen unter sich spontan auftürmenden Schneemassen verschwunden sein – ein Beispiel, das Schule machen könnte.
Wegrennen ist nicht verboten (jedenfalls noch nicht) und der einwegbehandschuhte Arm des Gesetzes reicht einstweilen nur soweit, wie die spärliche Puste seiner strebermaskenbewehrten Büttel. Sportliche Betätigung an der frischen Luft ist ohnehin gut für die Gesundheit; das gilt im übrigen nicht nur für die Rodelpisten sondern auch für die Innenstädte der Republik.
Soweit, so gut. Meine Hymne für die kommenden Monate steht jedenfalls schon fest, und als mir gestern früh die ersten Wildgänse Richtung Norden entgegenflogen, habe ich sie vor mich hingesummt:
Der lang genug mit viel Bedacht
des Hauses Haft ertragen,
hat über Nacht sich aufgemacht,
die große Fahrt zu wagen.
Der sich im Dunkel abgemüht,
ihn konnt kein Zwang mehr halten,
mit allem, was da grünt und blüht,
im Licht sich zu entfalten.
Gleich Vogel, Falter, Baum und Strauch,
befreit von Winters Banden,
ist er zu neuem Leben auch
erwacht und auferstanden.
Und wenn er seiner Straße zieht,
wie es ihm will gefallen,
lässt er sein junges Wanderlied
hell in die Weite schallen.
Slentz
Es ist immer wieder erfreulich zu betrachten, wie einfache Naturereignisse (also etwa mehr als zehn Zentimeter Neuschnee) diesen Staat der hochgeschraubten Hygiene, Bürokratie und verwaltungsmäßiger Erfassung doch noch an seine Grenzen zu bringen vermögen. Das macht Hoffnung und gibt Lust auf mehr.