Die früher vom naturwissenschaftlichen Unterricht vernachlässigten und jetzt von den Medien verschreckten Bürger stellen sich unter Mutanten vermutlich gruselig-verwachsene, ultraböse, jedenfalls schreckliche Monstren vor, die sich unheimlich viral, also wieder mal, Oh je!, exponentiell ausbreiten und uns auszulöschen drohen. Daß Viren, Proteinhüllen mit RNA-Genom, in ihrer mikroskopischen Winzigkeit schwer vorzustellen sind, macht es eher schlimmer. Nicht mal eigentliche Lebewesen, aber die Welt gefährdend.
Auf Plakaten gewännen sie vermutlich eine ähnliche Gestalt wie früher die bolschewistische oder faschistische Gefahr, die nach des Bürgers satter Behaglichkeit greift. Oder gleich THE WALKING DEAD, vor dem man die letztverbliebenen Ansiedlungen verrammelt.
Nun erscheint uns das Standard-Corona-Virus in seiner roten Stachligkeit, romantisch als “Wildtyp” bezeichnet, schon beinahe kuschlig vertraut, jedenfalls als berechenbar und beherrschbar. Es hätte noch glimpflich mit ihm und uns ausgehen können. Wir durften uns jeden Tag neue Streifen- und Tortendiagramme sowie allerlei Verlaufskurven anschauen; wir erkannten, die Regierung und die Helden in der Medizin hatte es eigentlich beinahe im Griff.
Wir hielten uns achtsam an die Regeln und folgten den Berichten der Landesämter für Gesundheit und Soziales etwa so wie früher dem Wetter- oder Börsenbericht, wir lernten endlich, was Inzidenzen sind und wo die vulnerablen Gruppen so wohnen und daß man zu Impfstoff jetzt im Branchenjargon Vakzin sagt. Alles sah schon richtig gut aus, zumal die Intensivstationen dann doch nicht “zugelaufen” waren und die schrecklichen Triagen ausblieben.
Die ganz Beflissenen und Anständigen unter uns konnten ihre Corona-App benutzen und abends meist erkennen: Uff, wieder mal heil durch den Tag gekommen und keinen Infizierten gestreift, obwohl es im Back-Shop doch riskant eng erschien.
Wir standen vorm Happy-End, warteten nur noch auf die weitere Ausschüttung von Mitteln aus “Sondervermögen der öffentlichen Hand”, surften schon bei Booking.com und ersehnten verdientermaßen die große Befreiung. Der Weg ins Offene lag bereits vor uns.
Wenn nur nicht die perfiden „Mutanten“ aufgetaucht wären, viel, viel aggressiver als die schon höchstaggressive Urform, bezeichnet mit schwierig zu merkenden Nummern, entstanden in irgendwelchen septischen Hotspots in Großbritannien, Südafrika, Brasilien und gepäppelt im nachlässigen Tschechien und g‘schlamperten Tirol, in abzuriegelnden “Mutantengebieten”, wie es jetzt so treffend heißt, jedenfalls selbstverständlich nicht hier bei uns, wo das Robert-Koch-Institut waltet wie eine Oberste Heeresleitung und uns dank des Ausnahmezustandes unserer fürsorglichen Regierung beinahe schon durchsterilisiert hatte. Wir waren ja artig, trugen willfährig erst die fröhlich kunterbunt-diverse “Alltags-”, dann demütiger die nachbefohlene ernste medizinische Maske, wuschen uns beflissen die Hände, kippten mehr Alkohol drüber, als wir je trinken könnten, akzeptierten all die Maßnahmen, hofften jetzt auf die allerlösenden Schnelltests und waren – „Stay home, save lives!“ – längst zu Helden auf den Sofas des Home-Office geworden.
Aber just in dem Moment kurz vor der Erlösung, vor all den zu erwartenden Auszeichnungen und Danksagungen vor der Front, gerade jetzt in den Zeiten der Lichtfenster unseres Bundespräsidenten überfallen uns mitten im schönsten Winterwetter hinterrücks die Mutanten, so daß der wohlmeinenden Regierung ja nichts anderes übrig bleibt, als noch mal zurückzuschießen, uns wieder in den Desinfektionstrakt zu schicken und weiter die Schotten dicht zu halten: Lockdown in Permanenz. Wer wollte denn in den Zeiten größter Gefahr den Ausnahmezustand aufheben, wenn doch nach dem beinahe schon domestizierten und handzahmen Standard-Virus jetzt die Mutanten kommen! Also bleibt besser Burgfrieden angeordnet. B.1.1.7, B.1.351 und auch P1 dürfen in unseren Mauern keine Chance auf Ausbreitung haben!
Und es wäre so pietätlos, jetzt erklären zu wollen, daß Mutationsvorgänge nicht nur Viren eigen sind und daß zu mutieren eben der Gang der Evolution ist, die solange neue Formen hervorbringt, bis wieder eine in die Welt paßt. Es wäre vermessen, noch zu erwähnen, daß einem Virus im Gegensatz zum Menschen weder Bösartigkeit noch Heimtücke zu unterstellen ist, so als käme ihm der freie Wille zu, nun englisch oder böhmisch, südafrikanisch oder brasilianisch, gut oder böse zu sein.
Noch arroganter wäre es, die Wissenschaftstheorie aufzurufen, um sich erklären zu lassen, daß die Unzahl der Tests die sogenannte Pandemie mitgeneriert, daß es endlich auf eine Differenzierung von „infiziert“ und „infektiös“ ankäme und daß die Enddiagnose „an oder mit dem Virus verstorben“ von der Konjunktion „oder“ her eine unfreiwillig komische Aussage ist, insofern wir Myriaden Viren in uns haben, sicher eine Unzahl kreuzgefährlicher darunter.
Die Fitneß und Resilienz unserer Gesellschaft ist mit der Physiognomie ihrer Hauptrepräsentanten ganz treffend zu illustrieren. Wir haben Angst, weil wir schon vor der „Pandemie“, dieser „weltweiten Naturkatastrophe“, sehr ängstlich waren und uns auf die Sicherheiten einer Sagrotan-Kultur verlassen wollten, die Mut zum Risiko oder mindestens die Einsicht in die Kontingenz des Wagnisses Leben nicht zu erfordern schien. Mut und Courage, so hieß es, brauchte es vor allem und zuerst doch gegen Rechts.
Nun aber der Ansturm der Mutanten, dem wir weiter in den Unterständen des Home-Office zu trotzen haben, abgesehen von Ausflügen zum Friseur mit den uns gerade zugestellten FFP2-Masken, die früher nur operierende Ärzte trugen. Gut frisiert zu sein, das hat mit Würde zu tun, wie der bayrische Ministerpräsident und Oberoffizier für Ausnahmeregelungen so treffend bemerkte. Und mindestens die Würde ist bei uns bekanntlich grundgesetzlich geschützt.
Apropos gesetzlich: Weshalb herrscht eine “Pandemie”? Nur insofern sie als solche subjektiv in sogenannten Infektionsschutzgesetz dekretiert wurde. Objektiv gibt es offenbar ein Infektionsgeschehen. Diese Infektionen sind von der vertrauten Symptomatik, die allgemein von Erkrankungen der oberen Atemwege bekannt sind. Landläufig nannte man das früher Erkältungen, virale oder grippale Infekte. Das auslösende “neuartige” Virus gehört zur gleichfalls bekannten Coronaviren-Familie. Etwa drei Prozent der von diesem “neuartigen” Erreger ausgelösten Infektionen verlaufen schwierig bis dramatisch, ja lebensgefährlich. Diese Erkrankung trifft auf eine hypochondrisch furchtsame und überreizte Gesellschaft mit Vergreisungstendenz.
“Pandemie” ist lediglich ein Begriff mit einer bestimmten Konnotation, eine Zuschreibung, ein Zeichen für etwas, dessen Bedeutung stets zu klären wäre. Beginnt man dies, regt es die offiziellen Zuschreiber auf, also die Exekutive und deren Unterstützungslegislative, weil damit die Revision ihrer Politik vom Ausgangspunkt her begehrt wird. Es gibt zu dieser vermeintlichen “Naturkatastrophe” nur einen archimedischen Punkt: Ist es überhaupt eine, jedenfalls eine herkömmliche, uns also mit Vernichtung bedrohende? Fragt man das aber, rufen die Herrschenden nach der Inquisition. Wie bei einer Glaubenssache.
Franz Bettinger
Corona: Für jeden, der etwas tiefer in die Materie einsteigen möchte, hier ein überzeugender, gut verständlicher Artikel auf Rubikon (mit Bezug auf renommierteste Quellen wie Nature, YAMA, NEJM, BMJ, Lancet…): https://www.rubikon.news/artikel/das-phantom-virus