Karl Graf Stauffenberg – »Nicht gut genug für die Zigarre.«

von Dirk Alt
PDF der Druckfassung aus Sezession 94/Februar 2020

Eine über­füll­te Gast­stät­te in Wals­ro­de im nie­der­säch­si­schen Hei­de­kreis am Abend des 19. Novem­ber 2019. Unter der Schirm­herr­schaft der Fried­rich-Nau­mann-Stif­tung fin­det ein von Chris­toph Gie­sa mode­rier­ter Vor­trags- und Dis­kus­si­ons­abend statt, in des­sen Mit­tel­punkt Karl Schenk Graf von Stauf­fen­berg steht, der Enkel des Claus Schenk Graf von Stauf­fen­berg. Das The­ma des Abends lau­tet: »Radi­kal vs. extrem. Wie viel ›radi­kal‹ muß eine Demo­kra­tie ertra­gen?« – In Wahr­heit ist dies eine Fra­ge, die nie­mand ernst­lich zu stel­len beabsichtigt. 

Schon die Gruß­wor­te las­sen ahnen, was sich gleich dar­auf bestä­tigt: Die Ver­an­stal­tung dient der Anpran­ge­rung des poli­ti­schen Fein­des, der AfD, der man sich zunächst mit­tels dämo­ni­sie­ren­der Umschrei­bun­gen annä­hert, als fürch­te man, sie kön­ne andern­falls plötz­lich Gestalt annehmen.
Daß sich die­se Furcht als grund­los erweist, ist auch auf die Zusam­men­set­zung des zahl­reich erschie­nen Publi­kums zurück­zu­füh­ren: Aus­schließ­lich aus Auto­chtho­nen und über­wie­gend aus Rent­nern bestehend, reprä­sen­tiert es eine Kli­en­tel mit bil­dungs­bür­ger­lich-libe­ra­lem Selbst­ver­ständ­nis – offen­kun­dig ange­zo­gen von der Hoff­nung auf eine qua­si über­zeit­li­che mora­li­sche Auto­ri­tät, die sie mit dem Namen Stauf­fen­berg verbindet.
Die­se Hoff­nung zer­rin­nen zu sehen, berei­tet einem nur dann ein unge­trüb­tes Ver­gnü­gen, wenn man in der unfrei­wil­li­gen Demons­tra­ti­on genea­lo­gi­schen Nie­der­gangs nicht zugleich auch ein Mene­te­kel für die Gesamt­heit unse­res Vol­kes sieht. Und das ist es zwei­fel­los: Denn wer an die­sem Abend Refe­rent Stauf­fen­berg und Mode­ra­tor Gie­sa neben­ein­an­der sit­zen sieht, kann sich des Ein­drucks einer beklem­men­den phy­sio­gno­mi­schen Ver­wandt­schaft bei­der kaum ent­zie­hen. Sie tei­len die glei­che Bläs­se und Weich­heit, das Maus­ar­ti­ge des Erschei­nungs­bil­des, dem ein­zig der Bart Kon­tur verleiht.

Bei­de sind zudem mise­ra­ble Red­ner. Stauf­fen­berg, der sei­ne Face­book-Leser­schaft im Vor­feld der Ver­an­stal­tung wis­sen läßt: »Heu­te vol­le Hüt­te in Wals­ro­de, ich bin auf­ge­regt«, kann über die­se Schwä­che dank ein­stu­dier­ter Anspra­che zunächst noch eini­ger­ma­ßen hin­weg­täu­schen. Sei­ne Vor­stel­lung ist steck­brief­ar­tig: Alter, Schuh­grö­ße, »leicht über­ge­wich­tig«. Die ser und wei­te­re Anbie­de­rungs­ver­su­che, die der gelern­te Hotel­fach­mann beim Publi­kum unter­nimmt, kön­nen weder über die Dürf­tig­keit sei­ner Bot­schaft noch über sei­nen Man­gel an his­to­ri­schen Kennt­nis­sen hinwegtäuschen.
Über die Ereig­nis­se des 20. Juli ist von ihm wenig mehr zu erfah­ren, als daß er lan­ge Gesprä­che mit sei­ner Groß­mutter geführt habe, die sei­nen Groß­va­ter »gut gekannt« hät­te. Dar­auf, ob der heu­te ein Demo­krat wäre, will sich Stauf­fen­berg, wie von der selbst auf­ge­wor­fe­nen Fra­ge ver­un­si­chert, nicht fest­le­gen. Gleich­wohl, und das ist neben aller­lei staats­bür­ger­li­cher Phra­seo­lo­gie sei­ne zen­tra­le Aus­sa­ge, empört ihn die Aneig­nung des Begriffs Wider­stand durch die Rech­te, denn Wider­stand kön­ne man nur in einem Unrechts­staat leis­ten. Da zit­tert sei­ne Stim­me, ob vor Empö­rung oder Ner­vo­si­tät, ein wenig.

Auch das paßt ins Bild, denn Schwä­che gehört zum Mar­ken­kern die­ses Typus’. War­um sonst soll­te er auf den aus­ge­leg­ten Hand­zet­teln auf sei­ne Ver­ge­wal­ti­gung durch zwei Män­ner und dar­aus fol­gen­de Depres­sio­nen hin­wei­sen, wenn dies für das The­ma kei­ner­lei Rol­le spielt? Führt man sich dar­über hin­aus die Tätig­kei­ten vor Augen, die er auf sei­ner Netz­sei­te für nen­nens­wert hält – Geschäfts­füh­rung der »Gräf­li­chen Event­ma­nu­fak­tur Stauf­fen­berg«, Grün­dung des Ver­eins »Mit­ten­drin statt extrem dane­ben«, FDP-Kreis­vor­sitz im unter­frän­ki­schen Irmels­hau­sen –, und sieht ihn dort, auf der Netz­sei­te, in erns­ter Ein­kehr an der Büs­te des Groß­va­ters oder in gräf­li­cher Pose mit ange­lein­ten Jagd­hun­den vor Schloß­ku­lis­se, so liegt der Ver­dacht nahe, die­ser Mann näh­re sich von sei­nem Fami­li­en­na­men wie ein Aasfresser.

Ein Buch hat er auch geschrie­ben – mit pro­fes­sio­nel­ler Hil­fe, ver­steht sich. Es erscheint am Tag nach der Ver­an­stal­tung, und wird schon mal bewor­ben. Aus Ver­ant­wor­tung. Was der moder­ne Libe­ra­lis­mus mit dem 20. Juli 1944 zu tun hat (Ham­burg: Lau-Ver­lag 2019) fällt in die Spar­te jener Bekennt­nis­li­te­ra­tur mit Visi­ten­kar­ten-Cha­rak­ter, deren Ver­brei­tung in umge­kehr­tem Ver­hält­nis zur Zahl ihrer tat­säch­li­chen Leser steht, und beinhal­tet ein ent­we­der bin­nen eines Nach­mit­ta­ges oder per Email geführ­tes Inter­view Stauf­fen­bergs durch den Jour­na­lis­ten und Wulff-Bio­gra­phen Armin Fuhrer (Co-Her­aus­ge­ber von AfD – Bekämp­fen oder igno­rie­ren? Intel­li­gen­te Argu­men­te von 14 Demo­kra­ten, 2016).

Die­ser Stich­wort­ge­ber läßt Stauf­fen­berg viel Raum, ein Pot­pour­ri scha­blo­nier­ter Gedan­ken aus­zu­brei­ten, deren Red­un­danz, intel­lek­tu­el­le Armut und unfrei­wil­li­ge Komik den Leser mit­un­ter sprach­los machen. Daß er Ver­su­che unter­läßt, sei­ne Stel­lung­nah­men mit zitier­fä­hi­gen Fak­ten zu stüt­zen, mag mit einer all­ge­mei­nen Gedächt­nis- oder Zah­len­schwä­che zusam­men­hän­gen: Wäh­rend er das per­so­nel­le Netz­werk der Ver­schwö­rer des 20. Juli in sei­nem Buch unter Beru­fung auf die Schrif­ten­rei­he der Gedenk­stät­te Deut­scher Wider­stand auf »eine vier­stel­li­ge Zahl« schätzt (S. 83), spricht er in Wals­ro­de von »vier­hun­dert«.

Aller­dings geht sein Defi­zit an gedank­li­cher und sprach­li­cher Prä­zi­si­on über der­lei Ver­wechs­lun­gen hin­aus. Der syn­ony­me Gebrauch von »radi­kal« und »extrem(istisch)« führt bei­spiels­wei­se zu inter­es­san­ten Effek­ten: So wird die AfD auf S. 78 noch als »rechts­extre­me, neo­na­zis­ti­sche Par­tei« ange­spro­chen und Björn Höcke vor­ge­wor­fen, »die Demo­kra­tie abschaf­fen und eine Nazi-Dik­ta­tur errich­ten« zu wol­len. Nur sechs Sei­ten wei­ter nennt Stauf­fen­berg Höcke dann auf ein­mal Sei­te an Sei­te mit dem Juso-Vor­sit­zen­den Kevin Küh­nert im Zusam­men­hang mit »krude(n) rechts- oder linksradikale(n) Thesen«.
Das glei­che Phä­no­men tritt zu Tage, wenn Stauf­fen­berg die CSU kri­ti­siert, »die kei­ne Men­schen aus ande­ren Kul­tur­krei­sen in Deutsch­land wie Mus­li­me oder Hin­dus haben und daher Men­schen aus ande­ren euro­päi­schen Län­dern wie den Bal­kan-Staa­ten her­lo­cken möch­te« (S. 118), oder wenn, ver­blüf­fend wert­frei, von »christliche(n) Orga­ni­sa­tio­nen oder Pegi­das« die Rede ist, »die sich gegen den Islam oder den Isla­mis­mus enga­gie­ren« (S. 119). Ein letz­tes Bei­spiel: Stauf­fen­berg legt gro­ßen Wert auf die Fest­stel­lung, daß wir »ein sehr erfolg­rei­ches Grund­ge­setz haben« und »in einer gut funk­tio­nie­ren­den Demo­kra­tie« leben (S. 75). 

Den Lesern jedoch, die hier zustim­mend nicken, muß auf S. 102 angst und ban­ge wer­den, denn dort for­dert er, wir müß­ten »anfan­gen, eine Poli­tik zu ent­wi­ckeln, aus der die Wahr­heit spricht. Mir kommt die Poli­tik der ver­gan­ge­nen 70 Jah­re seit der Grün­dung der Bun­des­re­pu­blik, und da neh­me ich die FDP über­haupt nicht aus, so vor, als sei sie bestän­dig in genau die fal­sche Rich­tung gelau­fen.« – Hört, hört!

Ähn­lich amü­sant lesen sich Pas­sa­gen, in denen Stauf­fen­berg Ein­bli­cke in sei­ne Jugend und das dama­li­ge fami­liä­re Umfeld gewährt: »Es mag komisch für ande­re klin­gen, aber für mich war das immer völ­lig nor­mal, auf einem Schloss zu leben.« (S. 24) Von lan­gen Gesprä­chen mit der Groß­mutter steht im Buch übri­gens nichts zu lesen. Statt­des­sen ergibt sich der Ein­druck, daß Nina Schenk Grä­fin von Stauf­fen­berg mit ihrem Enkel nichts anzu­fan­gen wuß­te und daß eine blei­ben­de Fremd­heit bei­der Ver­hält­nis präg­te: »Als Kin­der hat­ten wir eher Angst vor ihr. Sie war einer­seits eine sehr auto­ri­tä­re Per­son, ande­rer­seits völ­lig unemo­tio­nal. (…) Man hat­te bei ihr oft das Gefühl, man stö­re sie.« (S. 39) »Sie hat­te ihr Welt­bild, und ich paß­te da mit mei­nen lan­gen Haa­ren eben nicht rein.« (S. 43)

Im höchs­ten Maße auf­schluß­reich erscheint die fol­gen­de frei­mü­tig preis­ge­ge­be­ne Anek­do­te: Am Abend eines Fami­li­en­fes­tes raucht der 20jährige Enkel mit der Groß­mutter Zigar­ren, die sich für sein Emp­fin­den jedoch als alt und unge­nieß­bar her­aus­stel­len, sodaß er die sei­ne nach einem Zug aus­drückt. »›Die ist nicht gut‹, sag­te ich zu ihr. Ihre Ant­wort lau­te­te: ›Doch, die Zigar­re ist gut, aber du bist nicht gut genug für die Zigar­re.‹« (S. 43)

Im Lich­te sol­cher, sich im Lau­fe von Stauf­fen­bergs Bio­gra­phie mus­ter­ar­tig wie­der­ho­len­der Krän­kun­gen kom­plet­tiert sich das Bild eines gänz­lich talent­lo­sen, mit Kom­ple­xen bela­de­nen Cha­rak­ters, des­sen ein­zi­ge poli­ti­sche Waf­fe das Gewicht der Lee­re ist, die er ver­brei­tet. Deren Wirk­sam­keit wie­der­um hängt vom sozia­len Rah­men, vom Anpas­sungs­druck ab. Das Publi­kum in Wals­ro­de jeden­falls zer­fällt in drei Grup­pen: eine, die sich in ihrem Bekennt­nis­ei­fer gegen den Feind zu über­bie­ten sucht (und unter ande­rem for­dert, AfD-wäh­len­den Bun­des­wehr­an­ge­hö­ri­gen das Wahl­recht abzu­er­ken­nen), eine zwei­te, die den Refe­ren­ten mit his­to­ri­schen Nach­fra­gen über­for­dert, und eine drit­te, die schweigt, kon­ster­niert vor sich hin­starrt oder die Ver­an­stal­tung vor­zei­tig verläßt.

Nur weni­ge Male bran­det ein ver­hal­te­nes Rau­nen gegen die Gesprächs­bla­se, die Stauf­fen­berg und Mode­ra­tor Gie­sa wie eine schüt­zen­de Haut umschließt. An die Adres­se der drit­ten Grup­pe ist mög­li­cher­wei­se jener beschwich­ti­gend klin­gen­de Satz gerich­tet, den der Graf und Event­ma­na­ger auch in sei­nem Buch (S. 72) fal­len­läßt: »Poli­ti­ker sind auch nur Men­schen.« – Ganz recht, und man­che sind ein­fach nicht gut genug für die Zigarre.

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