Sein Rumpf wurde zu Asche verbrannt; aber viele Tage lang hielt sein Kopf, diese Brutstätte abgefeimter Gedanken, auf der Plaza auf eine Stange gespießt, unbeschämt den Blicken der Weißen stand. Über die Plaza schaute er nach der St.-Bartholomäus-Kirche, in deren Gewölben, damals wie heute die geretteten Gebeine Don Arandas ruhten …
Wesentlich an diesem Bild ist, daß der Neger Babo, einstiger Sklave, dann Aufständischer und Meuterer, selbst als Hingerichteter den Blicken der Weißen “unbeschämt” standhält, die Kirche, die seinen ermordeten Herrn birgt, fest im leeren Blick.
Literatur ist mitunter von prophezeiender Funktion und Kraft – und dies nicht nur im Genre des Science-Fiction-Romans.
Ahnungsvolle Prophezeiungen betreffen gegenwärtig zunehmend die Vorausahnung des Untergangs der westlichen, mithin der weißen Welt, die uns gerade noch als die „entwickelte“ erschien, aber längst vielmehr eine gefährdete ist. Innerhalb der letzten Jahre sind es maßgeblich dystopische Filmstoffe gewesen, in denen die Fragilität der hochtechnisierten Kultur der weißen Moderne thematisiert wird.
In der Literatur reicht diese Traditionslinie weiter zurück. Ein starkes Beispiel dafür ist Herman Melvilles Erzählung „Benito Cereno“ von 1855, die auf einem spanischen Sklavenschiff spielt. Dieses Schiff, die „San Dominick“, richtungs- und anscheinend führerlos im Meer vor Chile treibend, wird von einem amerikanischen Robbenfänger entdeckt. Dem Kapitän der „Bachelor’s Delight“, Amasa Delano, erscheint das unheimliche Schiff wie aus der Zeit gefallen. Es wirkt auf ihn wie ein „weißgetünchtes Kloster auf einem Pyrenäenfelsen“, wie ein ruinöser Palast, wie altes Spanien also, grandios und prachtvoll, aber verwahrlost, ein Bild einstiger Größe, nurmehr aber noch ein Schatten, ein Abglanz früherer Stärke und Pracht.
Am Heck das verblassende Wappen Kastiliens und Leons, ist das Schiff im Zustande des Verfalls, offenbar also in Not. Der so arglose wie gutgläubige amerikanische Kapitän – der Name seines Schiffes kann mit „Junggesellenlust“ übersetzt werden – sieht sich sofort zur Hilfe verpflichtet, läßt sich also übersetzen und nimmt das spanische Schiff in Augenschein. Dabei bietet sich ihm ein seltsamer Anblick:
An Bord befinden sich mehrheitlich Schwarze, Sklaven, die sich jedoch frei bewegen und Arbeiten nachgehen, dazwischen wenige, verschämt wirkende Weiße, Reste der einstigen Besatzung, deren größerer Teil, wie dem Amerikaner berichtet wird, während verschiedener Katastrophen vor Kap Hoorn ums Leben kam. Daraus zwar gerettet, geriet das Schiff dann in lang andauernde Flauten. Die Vorräte schwanden, man litt an Hunger und Durst.
Geführt wird das lädierte Schiff von einem nobel herausgeputzten spanischen Kapitän, Benito Cereno, der allerdings schwer erkrankt scheint und von einem jungen Schwarzen, Babo, gestützt wird, der ihn scheinbar aufmerksam pflegt und in allem assistiert. Treu wie ein Hund.
Besonders stark eine Rasierszene: Babo nutzt dabei eine verschlissene spanische Fahne als Umhang für seinen „Herrn“. Der ist ihm, gehüllt in die Insignien seiner Nation, völlig ausgeliefert. Die Szene wirkt fürsorglich, der Schwarze scheint die Personifizierung der Hilfsbereitschaft, Uneigennutz und Umsicht, aber weit gefehlt, denn der Schein trügt.
Sollte dieser unglückliche Mann, fragte sich Kapitän Delano, einer jener Kapitäne ohne Autorität sein, wie ich sie gekannt habe, die aus Klugheit ein Auge darüber zudrücken, was abzustellen sie keine Macht besitzen? Ich konnte mir nichts Traurigeres denken als einen Befehlshaber, dessen Befehlsgewalt lediglich in seinem Namen liegt.
Auf dem Höhepunkt der Handlung stellt sich heraus: Die Sklaven hatten auf diesem Schiff gemeutert, sich befreit, im Handstreich die Macht an sich gerissen und einen Teil der weißen Besatzung gelyncht. Das Skelett des von ihnen ermordeten argentinischen Sklavenhalters Don Alexandro Arandas verwenden sie danach als Galionsfigur, die sie jedoch vor der Begegnung mit dem Amerikaner eigens verhüllten. Dazu schrieben sie das Motto „Sequid vuestro jefe!“ („Folgt eurem Führer!), eine zynische Anspielung auf den christlichen Mythos der Erlösung im Tode. Der Anführer der Schwarzen ist der Senegalese Babo, eben jener Schwarze, der den kränkelnden spanischen Kapitän mitleidsvoll zu stützen scheint, ihn aber, wie der Leser später erfährt, gänzlich in seiner Gewalt hat und den Plan verfolgt, die „San Dominick“ nach Afrika segeln zu lassen.
Delano wird also eine Inszenierung vorgeführt, eine Täuschung – mit dem Ziel, von dem Amerikaner Hilfe und Vorräte zu bekommen, letztlich aber seinen voll funktionstüchtigen und satt mit Vorräten ausgestatteten Robbenfänger kapern zu wollen, um die Befreiungsreise darauf fortzusetzen. Zwar fliegt die Sache gerade noch rechtzeitig auf, und die Amerikaner entern daraufhin das spanische Sklavenschiff, beenden die Meuterei, legen die Schwarzen in Ketten und überantworten sie einem Gericht in Lima, aber der stärkste Teil der Melville-Erzählung ist die düstere Charade, die dem anfangs leichtgläubig naiven Amerikaner an Bord der „San Dominick“ vorgespielt wird.
Ein “Happy End” gibt es nicht; Cereno bleibt, nur äußerlich befreit, ein innerlich ein Geschlagener und zieht sich – darin an Karl V. erinnernd – in ein Kloster zurück, wo er alsbald verstirbt.
Das Schicksal der “San Dominick” läßt einen für die Gegenwart relevanten Deutungszusammenhang erkennen. Sava Kličković wies darauf hin, daß Melville seiner Erzählung die symbolische Kraft nicht absichtlich verlieh, sondern diese eher implizit durchscheint. Gerade deswegen aber kann sie auf unsere Erfahrungswelt bezogen werden. Carl Schmitt tat das – vor allem im Sinne einer Selbstdeutung seiner Rolle und seines Schicksals im Dritten Reich. Ein interessanter Aufsatz Jiang Linjings widmet sich dieser Selbstverständigung Schmitts.
Der interpretierte die Erzählung umfassend im Sinne seines Geschichtspessimismus, indem er sich dabei der tragischen Weltsicht Donoso Cortés’ (1809 – 1853) anschließt:
Für ihn ist die Weltgeschichte nur das taumelden Dahintreiben eines Schiffes, mit einer Mannschaft betrunkener Matrosen, die grölen und tanzen, bis Gott das Schiff ins Meer stößt, damit wieder Schweigen herrscht.
In der von den Negern inszenierten Täuschung erkennt er den Antichristen, dessen Kennzeichen in der „Nachahmung Gottes” besteht:
Und das ist auch kein Wunder, denn er selbst, der Satan, verstellt sich zum Engel des Lichtes. (2Kor, 11:14)
Paul Noack (1925 – 2003) erkannte im entmachteten Benito Cereno „Schmitts klarste Selbstinterpretation seiner Rolle während der NS-Zeit.” Ernst Jünger wiederum protokollierte nach einem Treffen mit Schmitt in Paris 1941:
Carl Schmitt verglich seine Lage mit der des weißen, von schwarzen Sklaven beherrschten Kapitäns in Melvilles Benito Cereno, und zitierte dazu den Spruch: “Non possum scribere contra eum, qui potest proscribere.” („Ich kann nicht schreiben gegen den, der die Macht hat, mich zu beseitigen.”)
In Ex Captivitate Salus (1950) ergänzte Schmitt selbst:
Ich bin der letzte bewußte Vertreter des jus publicum Europaeum, sein letzter Lehrer und Forscher in einem existenziellen Sinne und erfahre sein Ende so, wie Benito Cereno die Fahrt des Piratenschiffes erfuhr. Da ist das Schweigen am Platz und an der Zeit. Wir brauchen uns nicht davor zu fürchten. Indem wir schweigen, besinnen wir uns auf uns selbst und auf unsere göttliche Herkunft.
Hier aber mal auf unsere Gegenwart bezogen: Anscheinend existiert eine uns gerade noch vertraute Welt. Jenseits aller technischen Innovationen ist sie allerdings ein Schatten ihrer selbst. Mag sein, wir weißen Europäer befinden uns selbst auf eben diesem Schiff – und die anderen, die Fremden, haben bereits die eigentliche Macht.
Es existiert zwar noch eine Staatsführung, ja, aber von einer Nation zu reden, das vermeidet gerade sie, weil sie das Vaterland als diskreditiert empfindet. – Und Deutsche, als Ethnie oder mindestens als Schicksalsgemeinschaft, soll es nach ihrer politischen Maßgabe schon gar nicht mehr geben. Wir sind die „San Dominick“ – und gewissermaßen tatsächlich auf dem Weg nach Afrika. Aber, um im Bild zu bleiben, die Schwarzen führen das Schiff.
Das Übergewicht der anderen, der Migranten und „Geflüchteten“, verschiebt die Macht im Land, und dieses Übergewicht wächst mit der Fertilität der uns heimsuchenden Völkerschaften enorm. Problematischer jedoch: Die politische Entschlossenheit der „Eliten“ zur unbedingten nationalen und ethnischen Selbstaufgabe verstärkt den Schwund des vor dreißig Jahren gerade noch Restvertrauten. Offenbar gibt es für viele ganz starke Gründe, dies gut und richtig zu finden; die anderen fielen in Lethargie und stoffwechseln sich durch die Konsumgesellschaft.
Die eigentlichen Ursachen für die Übernahme und Umvolkung jedoch liegen in einem phänomenalen gesellschaftsneurotischen Komplex des Westens, nämlich in der politisch-ideologisch suggerierten Schuld, unsere technologische und politisch-kulturelle Hochkultur wäre von einem Jahrtausendverbrechen der weißen Rasse an den „People of Color“, den „Natives“ und den „Indigenen“ begründet worden.
Die Sühne dafür soll in der Wahrnehmung der neuen „Anständigen“ offenbar in einer geradezu mit vorauseilendem Eifer vollzogenen Selbstaufgabe bestehen, in einem Akt des Brandtschen Kniefalls – allerdings nicht allein gegenüber einer besonderen Gruppe, nicht als Bitte um Vergebung für eine konkret beschreibbaren Schuld, sondern im Kotau vor der ganzen nichtweißen Welt, von der man geradezu übernommen, erobert, gewissermaßen bunt eingefärbt, im übertragenden Sinne sogar vergewaltigt werden will, um endlich, endlich den exklusiven Status des weißen Kolonialverbrechers loszuwerden, insofern man seine ethnische Sichtbarkeit – als Weißer – zuerst verbirgt und dann verliert.
Die politisch bestimmenden Kräfte in Deutschland erbitten, ja fordern mit Nachdruck den eigenen Identitätsverlust. Dann endlich, so ihre Auffassung, dürfen sie selbst zur Diversität der großen bunten Welt gehören, obwohl diese linksgrüne Wunsch-Welt jede Heterogenität eben dadurch verliert, daß aparte Besonderheiten nicht mehr gestattet sein sollen, wenn die triste Uniformität einer neuer globaler Mischmaschkultur herausgebildet ist.
So, wie alles, was geschehen war, als totale Schuld angesehen wird, wünscht sich Grünlinks – also die gesamte Einheitsfront von den Linken bis zu CDU/CSU – alles, was künftig zu geschehen hat, als totale Gerechtigkeit im Sinne der Selbstaufgabe des einst Eigenen.
In Herman Melvilles „Benito Cereno“ kapituliert eine in sich kränkelnde und alternde Hochkultur, die ihren Gründungsimpuls verlor und ihr reiches gedankliches und materiellen Erbe preiszugeben bereit ist, ja diese Selbstpreisgabe als Ausdruck neusten Selbstverständnisses von sich selbst fordert, vor den „Primitiven“, deren Begehrlichkeiten sie weckte.
Sicher, mit Blick auf Melvilles Erzählung darf die Schuld, in diesem Fall an der Sklaverei, nicht außer Acht gelassen werden, auf der ja tatsächlich ein gewichtiger Teil des Reichtums der alten Welt zurückgeht. Das Massaker der Schwarzen, verübt an der weißen Besatzung der „San Dominick“ ist eine Folge ihrer grausamen Versklavung. Das Böse wird einerseits ausgeteilt, andererseits erlitten, Täter und Opfer wechseln geschichtlich die Rollen. Babo steht gleichfalls für eine Variante Grausamkeit und Barbarei, die Spanier für eine andere.
Ja, der alte abendländische Westen hat Schuld auf sich geladen, so wie jedes Individuum, jedes Gemeinwesen, jede Kultur. Nur ist gerade eine Sühne, die in der vollständigen Selbstaufgabe, im kulturellen Suizid liegt, nicht mal als das etwas wert, was sie vorstellen soll. Bei aller Demut, die Menschen wie Staaten stets gut ansteht und sie vor Hybris bewahrt, bedarf es der aufrechten Haltung, um überhaupt in Würde handeln zu können.
Alter weiser Mann
Excellent! Der Mainstream wird durch Zuspitzung in seinen geistigen Grundlagen angegriffen, das trifft, setzt Giftpfeile, die den Gegner schmerzen und die nicht 100% Prozent Überzeugten herüberzieht. Effektiver als Verschwörungstheorien oder andere Mantel- und Degenstücke.
Den Vergleich mit Benito Cerono sehe ich aber skeptisch. Wir werden nicht verdrängt. Unsere Zukunft ist die amerikanische Welt, nicht mehr hautfarbig, sondern kulturell weiß. Am Rande - das kann auch die Mehrheit sein - die in ihrer fremden Herkunftskultur Verharrenden als Marginalisierte. Ob man dort gerne lebt, ist eine andere Frage.