Aggressive Feministen, wütende »BPoC« und Antifa-nahe Akteure rücken ihn in die Nähe von Sahra Wagenknecht (mit Recht) und der »Neuen Rechten« (mit Recht?). Gründe hierfür sind aktuelle publizistische Verlautbarungen Stegemanns in sozialen Medien, Zeitungen und seinem neuen Buch.
Die Öffentlichkeit und ihre Feinde umfaßt knapp 300 Seiten, und die ersten 60 von ihnen sind die schlechteren insofern, als daß die Wiedergabe von Systemtheorie, Öffentlichkeitsdefinitionen und Gesellschaftsauffassungen redundant erscheint; nichts, für das man ausgegrenzt werden müßte.
Danach wird deutlich, weshalb sich der Zorn der »woken« Fraktion des liberalen und linken Blocks auf Stegemann richtet: Er beweist ganz gegenständlich, nicht nur subkutan, daß er genuin »neurechte« Argumentationsmuster beherrscht. Man kann das an seiner Kritik des GEZ-eigenen »Framings« nachempfinden oder an seiner differenzierten Analyse liberaler und linker Emanzipationsideologie ablesen, wonach »von jedem Einzelnen verlangt (wird), sich selbst frei zu verwirklichen«, womit gemeint ist, daß man »sich permanent selbst revolutioniert« und damit Bindungen verschiedener Kategorie aufgibt.
Man sollte auch die Fundamentalkritik der Bemühungen jener von ihm befehdeten postmodernen Linken anführen, die ihren Frieden mit den politisch hyperkorrekt ummantelten Kapitalfraktionen der Gegenwart schlossen. Trägt man diese Aspekte zusammen und schiebt den öden Systemtheorie-Anlauf beiseite, wird evident, daß man es mit Annäherungen zu tun hat, die sich kaum übergehen lassen.
Nicht zuletzt Stegemanns Antagonisten sind die unsrigen: Emanzipation um der Emanzipation willen, Loslösung (»Entbettung«) der Menschen aus tradierten Strukturen für die Kreierung eines neues Menschen, totale Nutzbarmachung (»Optimierung«) des Einzelnen für Markt- und Gesellschaftsexperimente.
Wirkt eine solche Verknüpfung grundlegender Kritik nicht gleichbedeutend mit dem Abschied aus einem lebensweltlichem und politisch-ideologischem Kosmos der Linken, mithin: als Kehre nach rechts? Denn hinzu tritt ja die Negation der Migrationsverklärung. »Wer die Frage stellt, wie ein Sozialstaat mit einer grenzenlosen Migration zu vereinbaren ist«, bemerkt Stegemann, »wird von den Mitgliedern des neuen Liberalismus als gefährliches Subjekt beschimpft.«
Dort weiß man sich einig: »Alle sollen kommen dürfen, um den Rest kümmert sich ›die‹ Gesellschaft. Und da es sehr unwahrscheinlich ist, dass die Migranten sich ein Leben in den teuren Stadtvierteln leisten können, ist die Gesellschaft dann überall, nur nicht vor der eigenen Haustür.« Gegen derartige Kritik immunisiere man sich durch das Schutzschild der Cancel Culture: Der Gegner wird entmenscht, mindestens aber niedergebrüllt.
Sicherlich: Vieles von dem, was Stegemann 2021 analysiert, wird bereits seit Jahren in unseren Zusammenhängen dargeboten. Er holt, auf konzise Art und Weise, Theorie- und Denkarbeit nach, deren Bestandteile als Sezession-immanent vorausgesetzt werden können. Aber als Beobachter des »gegnerischen« Komplexes kann man es nicht außer acht lassen, wenn einer seiner klügsten Köpfe Linien zieht, die in das unsrige Feld weisen.
Freilich bleibt auch bei Stegemann (mindestens) ein blinder Fleck frappierend: Trotz seiner emphatischen Kritik der Cancel Culture und ihrer Grundelemente übersieht – übergeht? – er, daß es der bewährte (und immer häufiger: bewaffnete) Kampf gegen Rechts ist, in dem die Keime für das Monierte liegen. »Wozu braucht es Argumente, wenn es doch viel wirkungsvoller ist, unliebsame Meinungen durch Ächtung auszuschließen?«, bemängelt Stegemann. Diese Frage erscheint just als eine solche, mit der sich das Milieu rechts der Mitte seit jeher konfrontiert sieht.
Eingedenk dieser notwendigen Kritik: Stegemann begibt sich in diesem Buch auf die (ergebnislose) Suche nach einer dezidiert kapitalismus- und liberalismuskritischen Theorie, die ohne »woke« Identitätspolitik, postmoderne Verstiegenheit und antifaschistischen Dogmatismus auskommt und die Interessen der Mehrheitsbevölkerung ins Zentrum stellt.
Eine solche Theorie gibt es aber zumindest in Grundrissen bereits: Sie nennt sich Solidarischer Patriotismus.
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Bernd Stegemann Die Öffentlichkeit und ihre Feinde. Klett-Cotta-Verlag Stuttgart 2021, 384 Seiten, 22 €, hier bestellen.
anatol broder
ich war zwar nicht heiss darauf, doch nun ahne ich dank kaiser, worüber stegemann in seinem buch schreibt. aus sommerfelds darstellung stieg ich nämlich mittendrin aus: