Im Deutschen Bundestag war der gescheiterte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz wohl der erste, der es tat: Im September 2018, Chemnitz hatte seiner Kaste gerade schlaflose Nächte bereitet, plusterte sich dieser geschrumpfte Nachfahre eines Otto Wels im Rahmen der Generaldebatte auf und bezichtigte Alexander Gauland und dessen Fraktion der Nähe zum Faschismus.
Damals weckte die offenkundige Absurdität dieses Auftritts in mir eine irrige Erwartung. Ich betrachtete Schulzens Wahl der Waffen als Indiz dafür, daß die argumentativen Mittel nunmehr endgültig erschöpft seien, mithin als inhaltliche Bankrotterklärung, und ging davon aus, daß sich die hier vorgebrachte Verleumdung nicht mehr steigern ließe, ohne ihr Mißverhältnis zur historischen Wirklichkeit auch den Minderbemittelten zu offenbaren. Er und seinesgleichen sollten also ruhig auf diese Weise fortfahren. Auch ist keine Waffe so scharf, daß sie der beständige Gebrauch nicht abstumpfen ließe. Jedoch: Die Tatsache, daß Schulz seine Anschuldigung, kaum ausgesprochen, gleich noch einmal in geringfügiger Variation wiederholte, weil sie so gut angekommen war und ihm stehende Ovationen eingetragen hatte, hätte damals schon Anlaß zur Skepsis geben müssen.
Heute hat sich der Faschismus- oder Nazi-Vergleich, der bei Gründung der damaligen »Professorenpartei« 2013 bereits als ahnungsvolles Raunen durch die Presse ging, in der Mehrheitsöffentlichkeit zur bedenkenlos betriebenen Gleichsetzung von NSDAP und AfD gesteigert und erregt keinerlei Anstoß.
Seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte diese Diffamierungsstrategie infolge der Kemmerich-Affäre in Thüringen, als eine zunächst im Netz verbreitete Gegenüberstellung zweier Fotos Björn Höcke mit Adolf Hitler gleichsetzen sollte, wobei das Motiv des Handschlages als einziges optisch verbindendes Element genügte, im willigen Auge einen historischen Konnex herzustellen.
Das eine Foto hält den Moment fest, in dem Höcke im Thüringischen Landtag dem soeben gewählten Ministerpräsidenten gratuliert. Auf dem anderen Foto, einer Bildikone, erhält der bereits zum Kanzler ernannte Adolf Hitler am Tag von Potsdam, 21. März 1933, seine Herrscherweihen von der Integrationsfigur der bürgerlichen Rechten, Paul von Hindenburg. Die Suggestion dieser Gegenüberstellung, daß nämlich ein bösartiger Paria durch den Handschlag mit einem Vertreter des »Establishments« in den Stand versetzt werde, die Welt aus den Angeln zu heben, ist derartig abstrus, willkürlich und unzutreffend, daß die inhaltliche Auseinandersetzung damit nicht lohnt.
Derlei Unsinn wäre überhaupt nicht der Rede wert, wenn es nicht ein gläubiges, ihn zur weiteren Fanatisierung aufsaugendes Publikum dafür gäbe, wenn sich nicht auch die Politkaste, etwa der Generalsekretär der CDU, den Nazi-Vorwurf zu eigen machte und wenn nicht selbst die von einem Hofhistoriker wie Heinrich August Winkler vorgebrachte Mahnung vor »falschen Analogien« ungehört verhallte.
Wenn aber der Vergleich nach verbreiteter Meinung statthaft ist (und nicht etwa, wie man fürchten könnte, eine Verhöhnung der Opfer der NS-Diktatur darstellt), dann dürfen auch wir an dieser Stelle zu dessen wenigstens summarischer Überprüfung schreiten. Ich darf die Erwartungen gleich dämpfen: Zwar ist es nicht verboten, Äpfel mit Birnen zu vergleichen, der Ertrag solcher Vergleiche ist aber absehbar gering.
Beginnen wir mit den Gemeinsamkeiten. Gibt es sie? – Ja, denn sowohl NSDAP als auch AfD verdanken ihre Entstehung kollektiven Abwehrreaktionen. Ihre Triebkräfte sind bzw. waren Ängste, die in beiden Fällen ihre Berechtigung erwiesen haben – im ersteren vor rotem Terror, Verelendung und Fremdherrschaft, im letzteren vor unkontrollierter Masseneinwanderung und politischem Ausgeliefertsein. Im psychologischen Substrat beider Parteien verdichten sich die beherrschenden Ängste ihrer Epoche zu einer zivilisatorischen Krisenstimmung, für deren Auslösung und Verbreitung keine der beiden Parteien verantwortlich gemacht werden kann.
Darüber hinaus dürfte es jedem aufrichtigen Analysten schwerfallen, ideologische oder strukturelle Gemeinsamkeiten zu finden, zumal die NSDAP ja niemals das war, als was sie den Nachgeborenen heute verkauft wird, nämlich eine rechte Partei (Gott bewahre), sondern eine pseudo- und paramilitärische, ihrem Selbstverständnis nach antibürgerliche Weltanschauungs- und Erlösungsbewegung, eine Partei, die angetreten war, zunächst alle anderen Parteien und anschließend die bestehende Welt hinwegzufegen: eine revolutionäre Partei, wenn die deutsche Geschichte je eine gesehen hat.
Obgleich dem Nationalsozialismus die Täuschung, vor allem aber die Korrumpierung des nationalkonservativen Bürgertums gelang, bildete nicht die Wiederherstellung einer verklärten Vergangenheit oder die Wiederbelebung alter Eliten den Horizont seines Programms, sondern eine durch Raumgewinne, rassisch-biologische Hochzüchtung und eine zugleich kämpferische und mörderische Auslese bestimmte Utopie, die sich aus der rigorosen Überzeugung speiste, daß Deutschland »entweder Weltmacht oder überhaupt nicht sein« werde (Adolf Hitler). Daß der sozialistische Anteil der NS-Weltanschauung (Überwindung des Klassenkampfes durch Zusammenschmelzen aller Schichten und Stände in einer Volksgemeinschaft) in der heutigen Geschichtsvermittlung zu wenig gewichtet wird, bedarf keiner Erklärung. Man muß sich jedoch schon marxistischer Faschismustheorien bedienen, die den Nationalsozialismus als bürgerlich-restaurative und kapitalistische Herrschaftsform apostrophieren, um überhaupt – und auch dann nicht ohne Mühe – Parallelen zur AfD konstruieren zu können.
Greifen wir stattdessen vier Aspekte heraus, anhand derer sich die Gegensätze auch einem Kurzsichtigen und Schwerhörigen erschließen müßten.
1. Öffentliches Auftreten: Für die frühe NSDAP war der antibürgerliche Affekt ehemaliger Frontsoldaten und Freikorpskämpfer konstitutiv. Ihre Kundgebungen, Aufmärsche, Fahnenweihen, Totengedenkfeiern undsoweiter waren militärischem Zeremoniell nachempfunden, prägten dabei aber eine eigene, an theatralischen Effekten reiche Liturgie aus und betonten die metaphysisch-sakrale Dimension eines Gemeinschaftslebens ebenso wie ein in der Geometrie der Marschblöcke vorweggenommenes Ordnungsversprechen. Demgegenüber weisen konventionelle, oft phantasielose und nicht immer durchkomponierte Veranstaltungsabläufe wie auch der Habitus ihrer Mitglieder die AfD als eine zutiefst bürgerliche Partei aus, wovon sich jeder bei Stammtischen und Vortragsabenden unschwer überzeugen kann. Das ist nicht immer sonderlich aufregend, und wenn gesungen wird, verläßt man besser den Saal.
2. Kampfbereitschaft: Unter allen Parteien der Weimarer Republik war die NSDAP nicht nur diejenige mit dem niedrigsten Altersdurchschnitt (1930: 27,5 Jahre), sondern auch die wehrhafteste und aggressivste: Von Anfang an begleiteten von ihr provozierte Saal- und Straßenschlachten ihren Aufstieg. Demgegenüber deuten die Zahlen politischer Straftaten gegen die AfD, deren Mandatsträger häufiger als die aller anderen Parteien Opfer von tätlichen Angriffen werden, auf ein ungünstigeres Kräfteverhältnis hin. Wo NSDAP-Kohorten den Kampf suchten, sind AfD-Mitglieder froh, wenn sie unbehelligt einen Wahlstand oder eine Versammlung abhalten können. Man kann daher sagen: Die NSDAP zeigte ihre Stärke im Austeilen, die AfD zeigt sie in der Hinnahme.
3. Personenkult: Während die NSDAP spätestens seit Mitte 1921 auf die messianische Figur ihres Führers und ein charismatisches Herrschaftsmodell festgelegt war, gibt es in der AfD keine Ansätze für einen Personenkult, der über die in anderen Parteien gepflegte und zur Schau gestellte Zustimmung hinausgeht. Es hat nichts mit Personenkult zu tun, wenn Amtsträger und Anwärter zugleich auch Hoffnungsträger sind, zur Identifikation einladen und schon deshalb beklatscht werden, um Geschlossenheit zu demonstrieren. Desweiteren fällt die AfD durch einen vergleichsweise hohen Verschleiß an Führungspersonal auf. Das in ihren Reihen immer wieder zu Tage tretende Querulanten- und Abweichlertum, zermürbende innerparteiliche Auseinandersetzungen und schwelende, nahezu unlösbare Grundsatzkonflikte lassen die AfD als komplettes Gegenteil der straff geführten, hierarchisch durchorganisierten Hitler-Partei erscheinen.
4. Verhältnis zur Macht: Gemäß dem Berufungswahn ihres Führers gab es für die NSDAP nie etwas anderes als die ungeteilte Macht. Es ist zwar richtig, daß sie sich bei ihren Regierungsbeteiligungen auf Landesebene vor 1933 auf nationalkonservative Partner stützen mußte – wie auch die Kanzlerschaft Hitlers erst durch die Koalition mit der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) möglich wurde. Doch ebenso richtig ist es, daß der seit Mitte der 1920er notgedrungen verfolgte »Legalitätskurs« der Partei mit dem offenen Bekenntnis einherging, Republik und parlamentarische Demokratie beseitigen zu wollen; im Stillen rüstete man für den Bürgerkrieg. Auch wenn Hitler seit 1931 die industriellen und bürgerlichen Eliten umgarnte, versäumte er es nicht, jedem ihrer Einbindungsversuche seinen unbedingten Führungsanspruch entgegenzustellen (berühmtestes Beispiel: die Harzburger Front).
Im Gegensatz dazu sucht die AfD unermüdlich Anschluß an das bestehende Parteienwesen, insbesondere an die CDU, und wirbt mit einer bis zur Selbstamputation reichenden Anpassungsbereitschaft (Georg Pazderski im November 2019). Die ihr zugewiesene Rolle einer fundamentalen Opposition hat sie nicht gesucht, sondern trotzig grollend bezogen. Daß sie die Zurückweisungen, Verleumdungen und permanenten Kränkungen durch das System in Aggressionen ummünzen könnte (umstürzlerische Entgleisungen inbegriffen), wäre psychologisch begreifbar und zudem kalkulierte Folge der Ausgrenzungs‑, Kriminalisierungs- und Eskalationsstrategien ihrer Feinde. Aber: Wir können bisher nur Verbalattacken protokollieren.
So eindeutig der obige Befund ausfällt, so wenig Wirkung kann er in einer medialen Öffentlichkeit entfalten, die die ursprünglich linksextreme Verschwörungstheorie längst ins Bewußtsein der Mitte implementiert hat und sie dort als Denknorm zu verankern sucht. Davon, daß der Umgang mit den Liberalen infolge der Kemmerich-Affäre (Schmähungen, Sachbeschädigungen, tätliche Angriffe) bewiesen hat, es werde sich auf die gleiche Weise auch jede andere bürgerliche Partei faschisieren lassen, ist keine heilsame Wirkung zu erwarten. Im Gegenteil werden die Feigheit der Mitte, die nicht einsehen will, daß wann immer vom »Nazi« die Rede ist, wir alle gemeint sind, und die Willfährigkeit der Medien den antideutschen Kräften noch größeren Einfluß und noch verheerendere Wirkmöglichkeiten eröffnen.
Um sich dagegen zu schützen, müßte die AfD – wider ihre Natur – werden, was ihre Feinde ihr vorwerfen zu sein. Denn der Grund, weshalb sie in der verhetzten Masse Verachtung und Abscheu bis hin zu Lynchstimmungen weckt, ist weder in ihrer vermeintlichen Faschismusartigkeit noch in Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz oder ähnlichem zu sehen, sondern ausschließlich in ihrer Schwäche, ihrer Wehrlosigkeit. Vergessen wir nicht, daß sich die gleiche Masse von der mustergültig organisierten, ständig zum Zuschlagen bereiten NSDAP verzaubern ließ wie von der Eleganz eines Raubtieres. Hitler selbst wurde im kleinen Kreis nicht müde zu betonen, daß ausgerechnet jene Gegner, die er von der SA verprügeln ließ, später seine treuesten Anhänger wurden.
Würde eine heutige SA (mit der damaligen Schlagkraft) die bislang so mutig auftrumpfende »Zivilgesellschaft« zu Paaren treiben, wäre das Resultat mit Sicherheit das gleiche. Wer das nicht glaubt, sollte sich nur einmal vor Augen halten, daß sich die tatsächlich militanten, tatsächlich extremistischen, tatsächlich brutalen Milieus unserer Gesellschaft einer umfassenden Duldung erfreuen und von Parteien, Staat und Medien wenn überhaupt, dann nur widerstrebend, verständnis- und achtungsvoll, im Grunde furchtsam berührt werden: Das Raubtier könnte ja beißen.
Darum läßt sich auch fragen, ob sich nicht in Wahrheit hinter dem Ruf, der permanenten Beschwörung eines auferstandenen Faschismus ein uneingestandener Wunsch eben danach verbirgt. Falls ja, rührte der Haß auf die AfD nicht zuletzt auch aus der Verbitterung darüber, daß sie etwas so Imposantes, Unduldsames und Zerstörerisches einfach nicht zustande bringt.