Indem wir dankbar zu sein haben für unsere Existenz, was einschließt, daß wir sie – neben allem Wundervollen daran – in ihrer Armseligkeit, Dramatik und mit ihrem Leid hinzunehmen lernen.
Wir sollen dieses vermeintlich Negative eben gerade nicht negieren, sondern umgekehrt genau als den Kern des Lebens begreifen, und dies guten Mutes.
Glück wird zeitweilig erfahrbar, wenn wir uns bescheiden, also die Bedürfnisse unserer Natur reduzieren, und wenn wir zu würdigen wissen, was uns zukommt. Wir können es mit sanfter Hand festzuhalten versuchen. Aber sobald wir ein ersehntes Geschick herbeizerren wollen, wird es uns entgleiten. Das Geschick trägt oder verwirft uns, nicht umgekehrt.
Das vitale Wollen liegt in unserer Natur – wie in der jedes Mitgeschöpfs. Aber anders als die Tiere und Pflanzen vermögen wir es zu erkennen, dazu auf Abstand zu kommen und es nach unserem Maß einzurichten, wenn wir denn unser Maß finden und die Kraft, uns bedachtsam zu bescheiden.
Entgrenzen wir, überheben wir uns, fallen wir der Hybris anheim. Verfallen wir gar der Anmaßung und dem Hochmut, so befinden wir uns im Bereich von aller Sünden Anfang, der Superbia.
Man kann das religiös oder mythologisch auffassen, wenn man anders nicht darauf zu kommen vermag, man kann es philosophisch herleiten, aber vor allem wird man es unweigerlich selbst im Lebenslauf erfahren. Wir alle haben es probiert, Herren über das Schicksal sein zu wollen – und sind damit gescheitert.
Offenbart sich das nicht an äußeren Zeichen, so an den inneren Rissen, die manche von uns wie ein Pilzgeflecht durchziehen, selbst wenn sie Zuschnitt und Oberfläche nach über einen Beach-Body verfügen und damit im Porsche sitzen, was ihnen gegönnt sei, denn häufig liegt genau darin eine Kompensation empfundener Unzulänglichkeit oder gar des tiefen Bewußtseins unentrinnbaren Lebensleids.
Beständig haben wir uns zu stellen, uns zu positionieren. Sind wir wachen und offenen Sensorium, entbirgt sich uns das Wichtige und Entscheidende, häufig eher intuitiv und nur selten so, daß wir es begrifflich zu fassen vermögen.
Was wir empfangen, ist nicht sicher. Das Signal selbst vielleicht schon, unsere Widerspieglung und die so hochgehaltene Vernunft weniger. Also nachschwingen lassen, was uns erreicht, Zeit nehmen, Ruhe suchen. Irren werden wir immer, aber vermutlich weniger (also weniger gefährlich), wenn wir die innere Aufmerksamkeit pflegen und wissen, daß wir uns letztlich nicht sicher sein können. Skeptisch bleiben im Geiste, dabei aber fest in der Haltung.
Als vermeintliches Vermögen, in der Erkenntnis sichergehen zu können, ist der Begriff der Urteilskraft allzu schnell aufgerufen. Kant etwa verwandte sein ganzes Leben darauf, zu prüfen, was genau das kritische Denken gegebenenfalls vermag. Am Ende blieb viel weniger, als die übrigens höchst populistische Bildungspolitik locker jedem verspricht.
Demut hingegen wird heutzutage verlacht, aber gerade sie kann als der Tugenden wichtigste gelten, bewahrt sie doch vor der Entgrenzung ebenso wie vor kurzschlüssiger Fehl- oder Halberkenntnis. Demütig wissen wir: Bei uns selbst liegt nicht viel, im gesamten Sein jedoch alles.
Passe ich in meinem Dasein zum Sein, befinde ich mich – vorübergehend nur – im Zustande der Gnade, der Angenommenheit. Diesen Segen kann ich zu jonglieren versuchen, was nicht garantiert, daß ein paar Meter weiter der Absturz erfolgt, den ich hinzunehmen habe. Was sonst? Die freie Gnadenwahl, von der das Christentum ausgeht, ist dafür tiefer Ausdruck: „Denn er spricht zu Mose (2. Mose 33,19): ‚Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig; und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.‘ So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen.“
Man kann das sogar naturalistisch-physikalisch und dabei etwas trivial denken: Füge ich mich physiologischen Grundgegebenheiten nicht ein, erkranke ich. In gewisser Weise dürften u. a. Verfettung und Verblödung als Folgen eines falschen Lebens zu erkennen sein.
Aber die Mitmenschlichkeit, die Gesellschaft, das Gemeinwesen? Wir können nicht ohne, schon der Arbeitsteilung wegen nicht. Nur ist mitunter von den anderen weniger zu erwarten als beständig verheißen. Sie sind mit ihrer eigenen Jonglage beschäftigt. Eher also ihnen zusehen, davon lernen, insbesondere von den Fallbeispielen fatalen, ja unweigerlichen Scheiterns.
Politik als die so oder so gestaltete Form der öffentlichen Angelegenheiten ist organisatorisch und systemisch notwendig, kann aber nur eine stets neu anzupassende Art des Krisenmanagements sein, das auf die großen Widrigkeiten zu reagieren versucht, etwa so wie die Kommandobrücke eines Schiffes in hoher See entscheidet und den Kurs zu halten versursucht. Aber häufig stimmt schon der Kurs nicht, und noch jedes Schiff – künstlich wie alle unsere Konstrukte und die vermeintlichen „Grundvereinbarungen“ der Politik – sank oder wurde irgendwann abgewrackt. Nicht das Schiff ist die Hauptsache, sondern das Meer, die „schwere See“, in der wir uns täglich befinden. Wir sind und bleiben das Pascalsche Schilfrohr im Wind.
Die Demokratie als ein im Gesellschaftsvertrag gebildetes Kollektivorgan menschlicher Vernunft zu begreifen mag einer der gefährlichsten Trugschlüsse der Geschichte sein. Weit wahrscheinlicher vermutlich, daß ein absolutistischer Monarch einzeln und für sich „vernünftig“, so aber gleichsam zum Wohle seiner Landeskinder entscheidet, als daß die es kraft einer Art von Schwarmintelligenz verstünden. Und selbst wenn sie das Richtige erkannten, setzten sie es nicht unweigerlich um, sobald sich dieses Erkannte zwar als gut und richtig, aber dennoch gegen ihre kurzfristigen und egoistischen Interessen gerichtet erweist. Was man als Einzelner begreift und als richtig oder segensreich erkennt, dem kann sich die Masse auf ewig verschließen – oder umgekehrt: Das Gute, Wahre und Schöne verschließt sich ihr.
Zur Demokratie bemerkte kürzlich Salman Rushdie in einem F.A.Z.-Interview:
„(…) Mit der Demokratie verhält es sich wie mit Geld oder mit Gott. Geld hat keinen Wert, solange wir uns nicht darüber einig sind, daß es Wert besitzt. Gott existiert nicht, solange wir nicht vereinbaren, daß er existiert. Dinge haben einen Wert, wenn wir an sie glauben.“
Hierzulande ist dieser Glaube an die Demokratie durchbefohlen. – Aber: Noch jede Demokratie bedurfte irgendwann einer Tyrannis, um das zu sprengen, was sich als – Kraft Mehrheitsentscheidungen! – unkorrigierbar, aber korrekturbedürftig verbaut erwies. – Den Sturm auf das Capitol haben wir unlängst erlebt … – Befinden wir uns jetzt in einem „zivilisierten Zwischenspiel“, wie Rushdie es im erwähnten Interview nennt?
Hebräer 13,14: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, und die zukünftige suchen wir.“ Das erste ist unmittelbar evident, die Unsicherheit, die Wanderschaft, das zweite läßt sich nur religiös oder quasireligiös hoffen. Eine nützliche Übung mag jedoch darin bestehen, vom Glauben an ein finales Ziel, gar von der Hoffnung auf eine Erlösung von zwangsläufiger Schuld konsequent abzusehen. Man bleibe im Jetzt und wende sich den kleinen Dingen zu. Die gestalte man, so gut es geht, richtig. Non multa!
Die derzeit immer impertinenter erfolgende „politische Bildung“, all die staatlichen Kampagnen für Gerechtigkeit, Antidiskriminierung, Gleichberechtigung, ganz zu schweigen von verlogenen AgitProp-Begriffen wie „Toleranz“, „Buntheit“, „Diversität“ und „Inklusion“, suggerieren wieder mal die Konstruierbarkeit eines Himmels auf Erden, eines Paradieses, in dem der Wolf beim Lamm liegt.
Der staatlich subventionierte Dauergebrauch dieser Worte deutet aber tiefenpsychologisch vielmehr darauf hin, genau das intensiv zu beschwören, von dem man nicht mal selbst überzeugt ist. Der Sozialismus kündete beständig vom hohen Ziel weltweiter Menschheitsbefreiung, ja ‑erlösung, ohne dem auch nur ein Stück näher zu kommen. Er wollte nicht weniger als alles, ein säkularisiertes Himmelreich, aber er gewann nichts. Je tiefer die unausgesprochene Einsicht in die Vergeblichkeit erfolgte, um so mehr rüsteten die Funktionäre die Rituale auf, um so schriller wurden die Losungen und um so größer die Transparente. So interessant wie pervers, daß die chinesischen Kommunisten für ihren erhofften Endsieg sogar den kapitalistischen Drachen reiten.
Ausnahmslos beschworen linksutopische Versuche den Horror herauf, dem sie entrinnen wollten. Je intensiver sie „die Massen“ dem vermeintlichen Glück entgegentrieben, um so schneller verließ der Mensch das politisch halbwegs sichere Gelände, weil er sich überhob, indem er seine eigenen Defekte zu bedenken vergaß. Immer wenn er meinte, nur gut sein zu können und dabei zu allem befähigt und berechtigt, war er heillos verloren. Sozialismus beginnt nicht mit einer irrigen Ökonomik, sondern mit einem verklärten Menschenbild.
Die Linke kreierte einen gefährlichen Religionsersatz, gemodelt aus der Genetik des deutschen Idealismus und von Marx, Lenin, Mao materialistisch überformt. Sie erkennt den Menschen pauschal als gut; jedenfalls wäre er das, wird argumentiert, wenn man ihm nur endlich gefällige Umstände einrichte. Gerade soll es wieder soweit sein und der Mensch ganz bei sich selbst ankommen können, meinen die linksgrünen Verheißer.
Die Rechte indessen mahnt. Sie mahnte immer und suchte ihre Legitimation u. a. im katholischen Menschenbild oder in Varianten pessimistischer Anthropologie, die den Menschen immerhin so nahm, wie er ist – und nicht so, wie er sein sollte. Damit bekommt man keinen Beifall, weil der Mensch sich von einem kritischen Bild seiner selbst gekränkt fühlt. Der treffende Aphorismus, den Kapitalismus habe man nicht erst erfinden müssen, den Sozialismus hingegen schon, könnte man dahingehend erweitern, daß man möglichst den Menschen ebensowenig neu erfinden sollte, da man sonst gefahrlaufe, monströse Chimären hervorzubringen.
Eine negative Anthropologie, aus der heraus der Nächste zwar als das Mängelwesen angesehen wird, das er ist, sich aber dennoch angenommen finden darf, und sei’s mindestens durch Gott, ist ein modus operandi, der das Mögliche versucht, anstatt das Unmögliche zu versprechen und damit Gefahr heraufzubeschwören. Den Menschen in seiner Beschränktheit zu sehen, das ist eben kein Totalitarismus, sondern dessen Verhinderung.
Der ehrenvollster und mutigster Teil der Rechte schritt ein, wenn die Hoffnungen und Utopien ins Irre wucherten. War die Linke zu sehr aufs irdische Leben versessen, hielt die Rechte ihr entgegen: Viva la muerte! Mitunter bedarf es dieser Konsequenz, mindestens in der Polarisierung der Kräfte. Offenbar ist es wieder an der Zeit, wenigstens Freikorps eines radikal konservativen Denkens zu bilden. Zur dringend notwendigen Korrektur einer höchst gefährlichen Tendenz.
Volksdeutscher
"Was wir ererbten Wesens und mit biographischer Prägung sind, das gilt es zu pflegen, also zu entwickeln."
Diesem dem geschichtlichen Bewußtsein huldigenden Spruch kann man uneingeschränkt zustimmen. Man kann ihn sogar biologisch wenden: "Was wir mit biologischer Prägung sind, das gilt es zu pflegen, also zu entwickeln." Vieles davon freilich, was unsere Biologie als Deutsche, Europäer und Weiße ausmacht, können wir nicht in ihrem Innersten beeinflussen, wohl aber in ihrem Äußeren durch unsere begangenen oder unterlassenen Handlungen. Auch unsere Biologie hat eine eigene Geschichte, auch sie gehört mit zu unserer großen Geschichte.