Tradwife

PDF der Druckfassung aus Sezession 96/ Juni 2020

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

»Wel­che Zeit fän­dest Du eigent­lich am schöns­ten?«, frag­te mich eine Toch­ter jüngst. Sie hat­te gera­de eine kom­pli­zier­te und (so läuft es heu­te) »per­sön­li­che« Fra­ge zum The­ma Abso­lu­tis­mus zu beant­wor­ten. Wir leben in erzwun­ge­nen Heim­be­schu­lungs­zei­ten. Ich habe »Geschich­te auf Lehr­amt« stu­diert, aber bei­zei­ten– nach dem ers­ten Staats­examen – erkannt, daß mei­ne päd­ago­gi­sche Ader nicht auf Mas­se geht. Ich bin daher kei­ne Leh­re­rin gewor­den. Gera­de muß ich es sein.

Was wäre mei­ne »Traum­zeit« im his­to­ri­schen Bogen? Schwie­rig. Ich glau­be, daß mich jede Zeit eines Back­las­hes beson­ders inter­es­siert: sei es der Wie­ner Kon­greß, sei es das Bie­der­mei­er oder die Kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on, um nur die Neu­zeit zu beleuch­ten. Es fas­zi­niert mich, wenn die Geschich­te einen Rück­wärts­sal­to macht. Ver­mut­lich muß man ein gewis­ses Tem­pe­ra­ment oder einen beson­de­ren Trotz in sich haben, um die­se Gedan­ken­fi­gur nach­zu­voll­zie­hen. Es ist die Figur des Kat­echon, des Gro­ßen Auf­hal­ters, die hier wirk­sam ist.

Die­se Figur begibt sich durch das Bild mit den bei­den Frau­en gewis­ser­ma­ßen in Nie­de­run­gen. Die Nie­de­rung, also die tri­via­le Gestalt, ist in die­sem Fall ein soge­nann­tes Meme. Ein Meme ist die bild­li­che und inter­net­för­mi­ge Mani­fes­ta­ti­on eines Kul­tur­phä­no­mens. Es geht dabei nicht um Zwi­schen­tö­ne, son­dern um »das Eigent­li­che«, das in zuge­spitz­ter Ver­dich­tung dar­ge­bracht wird.

Hier geht es um die pla­ka­ti­ve Gegen­über­stel­lung zwei­er weib­li­cher, zeit­ge­nös­si­scher Typen. Auf der einen Sei­te haben wir die »befrei­te« Femi­nis­tin. Auf der ande­ren die soge­nann­te Trad­wi­fe. Das ist die jun­ge Frau, die gemäß über­kom­me­ner tra­di­tio­nel­ler Prin­zi­pi­en und Gül­tig­kei­ten lebt. Für Schat­tie­run­gen und Nuan­cen (ohne die es eigent­lich lang­wei­lig ist) ist in einer sol­chen Gegen­über­stel­lung kein Platz. War­um nicht? Ers­tens funk­tio­nie­ren Memes nun mal so. Sie pola­ri­sie­ren. Zwei­tens: Hier geht es wirk­lich ums »Gan­ze«. Die »Frau­en­rol­le« ist kein »Gedöns« (Ger­hard Schrö­der). Sie ist essen­ti­ell. Ent­wick­lungs­psy­cho­lo­gisch, bin­dungs­theo­re­tisch, gesamt­ge­sell­schaft­lich. Sie ist die Hefe jeg­li­chen Wachs­tums – kul­tur­über­grei­fend. Nun: Haben wir denn echt­mensch­li­che Vor­bil­der für unse­re »befrei­te Femi­nis­tin«, wie sie hier (nicht neu­tral, son­dern gen­re­be­dingt abschre­ckend) dar­ge­stellt ist? Oh ja, und wie: mas­sen­haft! Sie sind nicht immer täto­wiert und haben nicht aus­schließ­lich schwar­ze Lieb­ha­ber – aber der Ten­denz nach paßt es. Die Zeich­nung trifft. Jeder, der in Uni­ver­si­täts­städ­ten zugan­ge war oder auch nur Mas­sen­me­di­en kon­su­miert, kennt die­sen Typus. Die »befrei­te Femi­nis­tin« mit all ihren dres­sier­ten Vor­lie­ben und Gemenge­la­gen ist omnipräsent.

Die Trad­wi­fe hin­ge­gen bewegt sich ein wenig unter dem Radar. Frü­her hat man sie mit den Tätig­keits­be­rei­chen »Kin­der-Küche-Kir­che« zu brand­mar­ken ver­sucht. Das klappt heu­te nicht mehr so gut. Frau­en, die brot­ba­ckend und Klein­kin­der-auf-dem Rücken-tra­gend ein sou­ve­rä­nes, küm­mern­des Leben füh­ren, sind heu­te in »alter­na­ti­ven« Krei­sen und dar­über hin­aus hoch ange­se­hen. Die Mischung aus »cool« und »old­school« ist dabei wahr­haft prickelnd.

Die Bezeich­nung und das Phä­no­men Trad­wi­fe war bereits in der Vor-Coro­na-Ära aktu­ell. In den Nuller­jah­ren reüs­sier­te die Kali­for­nie­rin Lau­ra Doyle mit diver­sen erfolg­rei­chen Buch­ti­teln, deren bekann­tes­ter The Sur­ren­de­red Wife (dt. eben­falls 2001, Ein­fach schlau sein, ein­fach Frau sein) lau­te­te. Doyle, die jah­re­lang unter schar­fem Beschuß durch Femi­nis­tin­nen stand, for­der­te Frau­en bei­spiels­wei­se auf, »unnö­ti­ge Kon­trol­le über den Ehe­mann« fah­ren­zu­las­sen, dem Mann »in jedem Aspekt der Ehe zu trau­en – finan­zi­ell wie sexu­ell«, und letzt­lich die »Gol­de­ne Regel«:»Lobe dei­nen Mann – und sage ihm, wenn du glück­lich bist.« Das klang damals wie heu­te deut­lich aus der Zeit gefal­len, eine wahr­haft tol­le Provokation.

Der­zeit rekla­miert die »Tra­di-Frau« neue Rele­vanz für sich. »Try­ing to be a man is a was­te of a woman«, heißt er der­zeit auf Trad­wi­fe-Kanä­len: »Wenn du ver­suchst, wie ein Mann zu sein, ver­schwen­dest du dei­ne Weib­lich­keit!« Ich habe bei Goog­le »Coro­na Frau tra­di­tio­nell« ein­ge­ge­ben und über drei Mil­lio­nen Tref­fer erhal­ten. Die meis­ten Fund­stü­cke sehen die ange­stamm­te und angeb­lich wie­der­auf­er­stan­de­ne »Frau­en­rol­le« kri­tisch und lau­fen auf zwei Argu­men­ta­ti­ons­strän­ge hinaus:

Ers­tens: Die armen Frau­en sei­en es, die die der­zei­ti­ge Kri­se bewäl­tig­ten. Die Schlag­zei­le »Knapp 90 Pro­zent der sys­tem­re­le­van­ten Beru­fe wer­den von Frau­en aus­ge­übt« mach­te die Run­de durch die Sys­tem­me­di­en. Zwei­tens: Frau­en wür­den durch die Pan­de­mie in alte Rol­len­mus­ter zurück­ge­führt. Leider!

Ers­tens ist Quatsch. Ja, über 80 Pro­zent der Super­markt­kas­sie­re­rin­nen sind weib­lich. Sie kas­sier­ten vor, kas­sie­ren wäh­rend und wer­den nach der Coro­na­zeit kas­sie­ren. Das ist löb­lich, aber doch am Ende, par­don, kaum der Rede wert. Es ist nicht so, daß irgend­ein weib­li­cher Geni­us zum Kas­sie­ren oder Rega­le­ein­räu­men von­nö­ten sei. Man kann das alles recht schnell ler­nen. Ja: auch »mann« wäre hier ein­fach ein­zu­wei­sen. Und ja, die über­deut­li­che Mehr­zahl der Pfle­ge­kräf­te ist weib­lich. Sie ver­die­nen nicht beson­ders gut. Das ist schlecht. Durch die Frei­hal­tung zahl­rei­cher Bet­ten für etwa­ige Coro­na-Pati­en­ten, die dann nicht ein­tra­fen, hat­ten sie gera­de in Deutsch­land der­zeit eher wenig zu tun. Man darf sich dazu gern im Bekann­ten­kreis erkun­di­gen, in Ost wie West.

Was heißt also »sys­tem­re­le­vant«? Ist, wer das berühm­te Kon­glo­me­rat »Gas-Was­ser-Schei­ße« regu­liert, nicht sys­tem­re­le­vant? Wer die Kraft­wer­ke am Lau­fen hält? Wer die Ser­ver­leis­tun­gen regu­liert? Wer auch »in die­sen Zei­ten« Autos rich­tet, das Han­dy repa­riert, den Was­ser­scha­den am Haus begrenzt und den Müll abholt? Leu­te, Ihr habt Euch ver­rech­net. Das sind fast alles Tätig­keits­fel­der die­ser dumm geschol­te­nen Spe­zi­es namens Mann. Alle Brü­cken, die Ihr nutzt, alle Fern­seh- und Netz­werk­tech­ni­ken, die Ihr kon­su­miert, alle Brum­mi­fah­rer, die Euch Toma­ten, Hygie­ne­ar­ti­kel und Joghurt lie­fern: grosso modo kom­plett Män­ner­werk. Laßt es 95 Pro­zent sein.

Nun wird auch, ad zwei­tens, viel­fach beklagt, daß Frau­en ange­sichts der Kri­se in »alte Rol­len­mus­ter« zurück­fie­len. Es sei­en die Frau­en, denen nun das trau­ri­ge Los der Kin­der­be­treu­ung und ‑unter­rich­tung zufie­le. Dane­ben sei lei­der zu beob­ach­ten daß »es kaum weib­li­che Exper­tin­nen gibt, die über Virus, Anste­ckung und das Hoch­fah­ren der Wirt­schaft spre­chen«. Ein fie­ser Trick des Patri­ar­chats? Eine aktu­el­le Stu­die der Uni­ver­si­ty of Cali­for­nia stell­te gar fest, daß »die Bedro­hung durch das Sars-CoV-2-Virus sowie die damit ver­bun­de­nen Maß­nah­men in den Befrag­ten die Zustim­mung zu tra­di­tio­nel­len Geschlech­ter­rol­len und ‑ste­reo­ty­pen ver­stärk­ten, zumin­dest in gerin­gem Aus­maß.« Schock! Soll das hei­ßen, daß wir gera­de auf »Nor­mal­maß« zurück­zu­fal­len drohen?

Die Publi­zis­tin Lai­la Mir­zo hat­te die­se »Neue-Femi­nis­mus-Debat­te« in einer Ende-Mai-Aus­ga­be der Jun­gen Frei­heit aufs Korn genom­men. Sie kri­ti­sier­te zurecht, daß sich nun maß­geb­li­che Grü­nen-Poli­ti­ker wie Robert Habeck anläß­lich der »Kri­se« einer Ver­schwö­rungs­theo­rie gegen die Frau­en­eman­zi­pa­ti­on beflei­ßig­ten. Habeck, kla­gend: »Die Frau­en blei­ben mal schön zu Hau­se. Das war doch die unaus­ge­spro­che­ne Vor­aus­set­zung für den Shut­down.« Mir­zo unkt, daß im Gegen­teil die »Coro­na-Kri­se sogar als Stern­stun­de der Frau­en« gel­ten dür­fe. Für sie sind »Ver­käu­fe­rin­nen, Kran­ken­schwes­tern oder Alten­pfle­ge­rin­nen und alle Müt­ter« die »moder­nen Trüm­mer­frau­en, die unser Land am Lau­fen halten«.

Gut gemeint. Nur, Fakt: Frau­en in die­sen zu gro­ßen Tei­len anlern­ba­ren Beru­fen sind recht leicht aus­tausch­bar. Bleibt die Mut­ter. Neu­deutsch die Trad­wi­fe. Sie klagt nicht. Sie ist ein­fach da. Unver­rück­bar. Ich lie­be Retro-Zeiten.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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