Verhaltenslehren – ein kleines Lexikon von Benedikt Kaiser (BK), Götz Kubitschek (GK) und Erik Lehnert (EL)
Der Begriff VERHALTENSLEHREN ist im Verlauf der Diskussionen um die Ausrichtung der Alternative für Deutschland (AfD) zu einer Renaissance gelangt. Er ist dem zur Redewendung gewordenen Titel einer germanistischen Studie entlehnt: Helmut Lethens bahnbrechende Arbeit über die Verhaltenslehren der Kälte verwies auf Lebensversuche zwischen den Kriegen, die nach dem Schock der Materialschlacht und der Hinschlachtung einer halben Generation auf grobe Schnitte, Neuentwürfe, Mobilmachung und reinigende Rücksichtslosigkeit ausgerichtet waren. All diesen Entwürfen wohnte eine Art Nachahmungsverbot inne: Wegkommen von dem, was in die Katastrophe geführt hatte, herantasten an das, was neu und tragfähig sein würde.
Wenn wir nun von der AfD als einem Gegenentwurf zur Beutegemeinschaft aus Altparteien, Zivilgesellschaft und gekaperten Behörden sprechen, klingt daraus die Forderung nach einer Verhaltensänderung auf allen Feldern: Wer sich nicht beteiligen will an den Sauereien derjenigen, die ihre Beute- und Zerstörungspolitik für alternativlos erklären, muß sich tatsächlich ein Nachahmungsverbot auferlegen und überall dort, wo sich die Verfilzung und der politische Zynismus ausgebreitet haben, alternative Verhaltenslehren formulieren und sie befolgen. Daß dies in besonderem Maße und weit über eine Partei hinaus für diejenigen gilt, die sich nicht mehr beteiligen wollen, versteht sich von selbst. (GK)
Die METAPOLITIK hat es mit den Phänomenen zu tun, die hinter den unmittelbar das Gemeinwesen und seine Organisation betreffenden Dingen liegen. Es geht um den Hintergrund, vor dem sich die politischen Akteure bewegen. Die Begriffsbildung hat einen reaktionären Ursprung, der sich auf den Umsturz der Französischen Revolution bezog, der die Voraussetzungen der Politik vollständig geändert hatte. Diesem weltgeschichtlichen Ereignis ging die Wühlarbeit der Aufklärer und der Geschichtsphilosophen voraus, die ein Klima geschaffen hatte, in dem die Unzufriedenheit mit dem Absolutismus nicht Einzelmeinung blieb, sondern Zeitgeist wurde. Eine Renaissance hat der Begriff als Reaktion auf die 68er Revolte erlebt, die in ähnlicher Weise gesellschaftspolitische Weichenstellungen vollzogen hat. Die 68er dienen heute nicht zuletzt deshalb als metapolitische Blaupause, weil die vergleichbare Machtergreifung der 1933er auf weniger weiche Methoden setzte. Metapolitik geht es um den Zeitgeist, da ein politischer Angriff nur erfolgreich sein kann, wenn der Zeitgeist von der Notwendigkeit des Wandels überzeugt ist. Die Erfolge der AfD sind ein Beispiel für eine Machtoption, die metapolitisch in der Luft hängt. Das einseitige Setzen auf die parlamentarische Partizipation führt zwangsläufig dazu, daß an den Grundfragen nicht gerührt wird. Der Einfluß der AfD auf die Zivilgesellschaft ist gering, so daß diese gemeinsam mit dem politmedialen Komplex die AfD in die Zange nehmen kann. Der einzige Ausweg aus diesem Dilemma ist die metapolitische Offensive, die scheinbare Gewißheiten in Frage stellt. Das größte Hindernis für eine metapolitische Wende ist die Überzeugung, daß die Geschichte zu Ende ist, daß wir uns einem Optimum angenähert haben, das, abgesehen von Korrekturen und Verbesserungen, für immer Bestand haben wird. Es ist die Alternativlosigkeit, die Fragen verbietet, Ideen tabuisiert und dabei auf die unausgesprochene Zustimmung der Zivilgesellschaft setzen kann. Eine Alternative muß die großen metapolitischen Fragen nach der Lebensweise und der Form der Partizipation stellen. (EL)
Unter dem Begriff REALPOLITIK versteht man gemeinhin zweckbezogenes politisches Handeln. Realpolitik rechnet mit den Dingen, wie sie sind und trachtet nicht danach, die Dinge selbst zu ändern, sondern versucht unter den Gegebenheiten, ein bestmögliches Ergebnis zu erreichen. Es geht in der Realpolitik um eine gute Verwaltung des Zustandes und das Vermeiden von Risiken, weil man weiß, daß es keinen Idealzustand geben kann. Die Idee der Realpolitik ist das Gleichgewicht, das gehalten werden muß, um zu verhindern, daß jemand zu mächtig wird und daraus den Versuch ableitet, das System zu zerstören. Realpolitik erkennt damit an, daß es in der Politik um Macht geht, die einen in den Stand versetzt, Einfluß auf die Dinge zu nehmen, um nicht Objekt der anderen zu werden. Realpolitik ist ursprünglich ein nationalliberaler Kampfbegriff gegen den monarchistischen Legitimismus gewesen, dessen Politik man ein Verhaftetsein an Traditionen vorwarf, die mit den Bedürfnissen der Völker nicht in Einklang zu bringen waren. Realpolitik ist prinzipienlos, weil sie sich nach Opportunitäten richtet. Im Zeitalter der Nationalstaaten war dies unproblematisch, weil Realpolitik rückgebunden an das Wohl der eigenen Nation war, dem alles untergeordnet wurde. Diese Rückbindung sorgte dafür, daß man niemals alles auf eine Karte setzte, gleichzeitig die Dinge aber auch nicht laufen ließ. Die Friedensepoche von 1871 bis 1914 war in dieser Haltung begründet. Das Zeitalter der Massen hat die Voraussetzungen geändert. Demokratie und Realpolitik stehen in einem Spannungsverhältnis zueinander, da Interessengruppen ihr eigenes Wohl in den Vordergrund stellen und realpolitisch gesonnene Politiker nicht selten an den Wahlurnen abgestraft werden, weil sie ihre eigenen Versprechen, die sie gaben, um überhaupt gewählt zu werden, nicht halten können. Aus diesem Dilemma führt nur eine erneute Rückbindung der Realpolitik. (EL)
Das Wort STAATSPOLITIK provoziert Mißverständnisse, da es zum einen die Selbstverständlichkeit der Staatsbezogenheit von Politik zum Ausdruck bringt, zum anderen einen heute eher ungewöhnlichen Anspruch formuliert, der in einem scharfen Gegensatz zum gegenwärtigen Politikgebaren steht. Es macht deutlich, daß das Gemeinwesen, in dem Politik gemacht wird, kein Clan oder Orden, sondern ein Staat ist, mithin eine Institution, die sich aus Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsmacht konstituiert. Da alle drei Bestandteile in Auflösung begriffen sind, durch Migration, Globalisierung und Fragmentierung, ist eine Rückbesinnung als Auftrag an die Politik zu verstehen. Man kann der Staatspolitik andere Politikfelder wie Wirtschaftspolitik oder Kulturpolitik gegenüberstellen und wird dabei zwangsläufig zu einer Hierarchisierung kommen müssen. Die Dominanz von Wirtschafts- und Sozialfragen in der Politik hat zu einer Schieflage geführt, die die Grundlagen und damit das Ganze gefährdet. Wer der Wirtschaft den ersten Rang einräumt, wird nicht umhin kommen, zahlreiche Einrichtungen, wie Grenzen oder Steuern für entbehrlich zu halten, weil sie der wirtschaftlichen Entwicklung entgegenstehen. Ähnlich verhält es sich mit dem Volk, das nur als Staatsvolk gelten kann, wenn es in der Lage ist, grundsätzlich Einigkeit über die Notwendigkeit des Fortbestands des eigenen Gemeinwesens herzustellen. Die Staatsmacht stellt die eigentliche Aufgabe des Staates dar, der in erster Linie den Bestand und die Sicherheit seiner Bewohner nach innen und außen zu gewährleisten hat. Auch hier bedarf es regelmäßiger Anstrengungen, um nicht in die Wohlfühlfalle zu tappen und die eigene Existenz für eine Selbstverständlichkeit zu halten. (EL)
KULTURREVOLUTION von rechts gehört zu den unvermeidbaren Schlagworten, wenn es um die Metapolitik der Neuen Rechten geht: »Geistige Vorherrschaft«, »kulturelle Hegemonie«, »Gramsciismus von rechts«, vor allem aber »Kulturrevolution«. Popularisiert wurde der Terminus durch die Anthologie Kulturrevolution von rechts (Krefeld 1985 / Dresden 2017) Alain de Benoists. »Die alte Rechte ist tot. Sie hat es wohlverdient«, hieß es. Ihre geistige Immobilität und ihr fehlendes Verständnis für vielschichtige politische Theorie und Praxis seien verantwortlich für konstante Niederlagen. Mit Antonio Gramsci erklärt Benoist, daß Hegemonie als der Orientierung vermittelnde und die Richtung weisende Prozeß zu erlangen ist, wenn eine politische Bewegung ihre eigenen Ideen im kulturellen und im vorpolitischen Raum als führend zu setzen vermag, was wiederum einen langwierigen »Stellungskrieg« erfordern könne. Mit dieser Redewendung spielte Gramsci auf die verzweigten Schützengrabensysteme des Großen Krieges an. Wie diese besteht eine moderne westliche Zivilgesellschaft aus Stellungen, um deren Besetzung und Deutung gerungen werde: Es geht dabei um die Umwertung der bestehenden Werte, Setzungen und Begriffsverständnisse. Dieser Kulturkampf ist eine vielschichtige Angelegenheit, wobei kein Gewinn zu gering ist, denn jede eroberte Stellung zwingt den Gegner dazu, Verlagerungen vorzunehmen. Niemand kann voraussagen, wo Verschiebungen zu Bruchstellen führen: Metapolitik ist eine zähe Sache.
Der Zielpunkt ist klar: Verfügt man über kulturelle Hegemonie in einer Gesellschaft und kommt so der Kulturrevolution näher, kann daraus (real)politische Gestaltungshoheit werden. Eine solche Herangehensweise richtet sich auch gegen jene parlamentarischen Ansätze, denen gemäß ein Wahlerfolg bereits zu einer Tendenzwende führe. Alles nicht viel wert, so Benoist, wenn nicht die gesellschaftliche Stimmung über den Alltagsverstand der Menschen in eine andere Bahn gelenkt werde. Das erfordere langfristige Planung und Geduld. »Alle großen Revolutionen der Geschichte«, so schreibt es Benoist, »haben nichts anderes getan, als eine Entwicklung in die Tat umzusetzen, die sich zuvor schon unterschwellig in den Geistern vollzogen hatte.« Ohne revolutionäre Theorie keine revolutionäre Praxis, hieß es bei Lenin und, auf ihn aufbauend, bei Benoists Weggefährten Dominique Venner. Alain de Benoist unterstreicht, daß dies die »Rache der Theoretiker« sei.
Gewiß: 1985 ist lange Jahre her, die Verhältnisse haben sich geändert. Eine Kulturrevolution, meint Benoist heute, sei ein Baustein, aber angesichts der global zu beobachtenden Kontrastierung Volk versus Elite und multipler Netzwerkformen der Macht nicht (mehr) der entscheidende. (BK)
Der italienische Marxist ANTONIO GRAMSCI (1891 – 1937) wird heute links wie rechts der »Mitte« als Denker der »kulturellen Macht«, der »Hegemonie« und der »Kulturrevolution« rezipiert. Der Sarde verließ seine Insel mit zwanzig Jahren und zog nach Turin, wo er 1913 Mitglied der Sozialistischen Partei wurde. Nach der Spaltung der radikalen Linken und der Gründung der Kommunistischen Partei (KPI) 1921 stieg er rasch zu einem Führungskader auf –auf Landesebene, aber auch als Mitglied des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationalen (Komintern). 1924, zwei Jahre nach der faschistischen Revolution, konnte Gramsci legaler Abgeordneter seiner Partei werden und wurde 1926 sogar Generalsekretär der KPI, die allerdings aufgrund antifaschistischer Aggressionen verboten wurde. Mussolini ließ Gramsci inhaftieren und auf die Insel Ustica nahe Sizilien bringen. Dort wurde Gramsci zu dem politischen Philosophen, als der er heute populär ist. In seinen 33 Gefängnisheften, die er trotz faschistischer Herrschaft formulieren konnte, reflektiert er u. a. das Scheitern des Sozialismus und Kommunismus in Italien und analysiert Gesellschaftsverhältnisse, unter denen eine Minderheit in Schlüsselpositionen in Medien, Kultur und Wirtschaft eine absolute Bevölkerungsmehrheit ohne größere Zwangsanwendung regieren kann. In diesen Inseljahren nimmt Gramsci auch die bleibende Unterscheidung zwischen »bürgerlicher« und »politischer« Gesellschaft vor, wobei er mit ersterer den vorpolitischen Raum– Medien, Moral, Religion, Kultur – meint, während die politische Gesellschaft staatliche Apparate einschließt, auf die sich Kommunisten zu stark fixiert hätten. Der Staat herrsche aber nie »nur« repressiv, sondern kann auf Konsenssituationen zurückgreifen, die auf impliziten und expliziten Ideologien beruhen, auf Werten, die von relevanten Teilen des Volkes anerkannt oder geteilt werden, weil sie dem Alltagsverstand innewohnen. Gramsci geht weit über Marx hinaus, ökonomistischer Reduktionismus ist ihm fremd. Lenins Bolschewiki hätten auf die Machtfrage setzen können, weil die bürgerliche Gesellschaft in Rußland nicht ausgereift war; so war ein reiner Schlag gegen die politische Gesellschaft –den Staatsapparat –machbar. In Westeuropa hingegen sei dies kein Konzept; dort müßten Mentalität und Zeitgeist der entwickelten, vielschichtigen bürgerlichen Gesellschaft geändert werden, als langfristige Transformation der Geister – durch den Kampf um kulturelle Hegemonie, durch die Übernahme kultureller Macht: »Eine soziale Gruppe kann und muss sogar führend sein, noch bevor sie die Regierungsgewalt erobert: Dies ist eine der essentiellen Bedingungen für die Eroberung der Macht selbst.« Eine zentrale Rolle weist Gramsci den »organischen Intellektuellen« zu, also Denkern, die aus ihrem Milieu heraus und für dieses agieren, Überzeugungsarbeit leisten, auf das Volksempfinden und die Umwertung der herrschenden Werte einwirken sowie Gesang, Lyrik, Bildung, Schulung etc. der eigenen Reihen fördern.
Die Gramsci-Rezeption der Neuen Rechten (und zahlloser linker Gruppen) verlief indes insofern häufig einseitig, als vernachlässigt wurde, daß Gramsci bei aller Betonung des intellektuellen metapolitischen Ringens nie unterschlug, daß dies nicht isoliert von Kaderarbeit und Massenagitation im Rahmen einer weltanschaulich ausgerichteten Partei vonstatten gehen dürfe. Der Kampf um kulturelle Hegemonie als Kampf der Ideen war für Gramsci ein Teil der Arbeit – doch nicht der einzige. (BK)
Den Begriff TRADITIONSKOMPANIE hat Karlheinz Weißmann mit seinem Text »Biblische Lektionen« (Sezession 13) in die Diskussion gebracht. Er stammt von Erich Bräunlich, der als Orientalist und Privatdozent in Leipzig lehrte (gestorben 1945). Bräunlich bezeichnete mit dem Begriff »Traditionskompanie« eine – oftmals auch nur kleine – Gruppe, die in der Lage ist, das Selbstbewußtsein eines Volks zu wahren und zu verbreiten, und zwar in der besonderen Situation einer räumlichen Diaspora, im speziellen Fall: der Israeliten in Ägypten. Die geistliche und geistige Elite stellte damals letztendlich nichts anderes als Verhaltensregeln auf, die den Kern der Identität zu schützen vermochten. Wir verwenden den Begriff intentional: Die Situation des Deutschen ist die einer geistigen Diaspora. Die Konsequenz lautet: Es gilt den Kern der Identität zu wahren und zu gegebener Zeit fruchtbar zu machen.
Wer ehrlich ist, muß zugeben, daß die Aussicht auf Erfolg gering ist. Die Traditionskompanie, die wir sammeln können, ist keinesfalls die unangefochtene geistige Elite, von der oben die Rede war: Sie ist vielmehr eine widerborstige Ansammlung Gutwilliger, die von der Unverwechselbarkeit deutschen Lebens nicht lassen will. Sie spricht der politischen und geistigen Führung Deutschlands diesen guten Willen ab und sieht ihre Aufgabe in der Kritik an den herrschenden Verhältnissen und im Aufbau von Gegenöffentlichkeit, krisenfesten Strukturen und geistigen Orten. Der Notwendigkeit, die Identität zu wahren, steht der zersetzende Zug unserer Zeit entgegen. Er ist übermächtig. Das Konzept der Traditionskompanie ist daher der auf den ersten Blick hilflose, auf den zweiten aber sehr konkrete und konstruktive Versuch der Identitätswahrung durch die Sammlung der richtigen Leute im richtigen Geist. Es ist ein Konzept für Wenige. (GK)
CRITICÓN? Die jüngeren unter unseren Lesern können über diese Zeitschrift nichts mehr wissen. Sie war die publizistische Reaktion unserer Leute auf die 68er-Bewegung. Im Laufe der 1960er Jahre hatte sich das gesellschaftlichen Klima der Bundesrepublik nämlich gewandelt. Es fiel der konservativen Intelligenz zunehmend schwer, Publikationsmöglichkeiten zu wahren. Die Notwendigkeit, neue Veröffentlichungsräume zu erschließen, führte zur »Renaissance der konservativen Zeitschrift« (Karlheinz Weißmann): 1969 und in den Folgejahren wurden das CDU-orientierte Deutschland-Magazin, das protestantisch ausgerichtete Konservativ heute und die katholisch fundierte Epoche gegründet, ebenso William S. Schlamms Zeitbühne. Nachhaltigen Eindruck hinterließ indes allein das von Caspar von Schrenck-Notzing ursprünglich als Rezensionsorgan konzipierte Criticón (angelehnt an den Roman El Criticón des spanischen Philosophen Baltasar Gracián), dessen Debütheft – ein Arnold Gehlen-Panorama – vor exakt 50 Jahren erschien. Schrenck-Notzing ließ sie alle zu Wort kommen, »von den katholischen Traditionalisten über die Adenauer-Fraktion und die Klassisch-Liberalen bis zu den Nominalisten und Nationalrevolutionären« (Weißmann). Zu den regelmäßigen Autoren zählten – neben Schrenck-Notzing –Erik von Kuehnelt-Leddihn, Gerd-Klaus Kaltenbrunner, Robert Hepp, Hans-Dietrich Sander, Günter Maschke, aber auch Thomas Molnar, Alain de Benoist und zahlreiche weitere internationale Beiträger. Zentral war die Rolle Armin Mohlers, der in jedem Heft mit mehreren Beiträgen vertreten war und überdies die Bücherseite »Scribifax las für Sie« bespielte. Schrenck-Notzing faßte die inhaltliche Streuung retrospektiv so zusammen: »Schwerpunkte von Criticón waren das russische Dissidententum (vor dem Nobelpreis für Solschenizyn), der amerikanische Konservatismus (vor der Wahl Reagans), der britische Konservatismus (vor der Wahl von Mrs. Thatcher), die Emigrationen der Ostblockstaaten (vor deren Zusammenbruch), die deutsche Identität (vor der Wiedervereinigung), Parteien und Medien (vor dem Ausufern des Parteien- und Medienstaates).« Implementiert durch Schrenck-Notzing und Mohler wurde auch die Reihe der fundierten Autorenporträts. Es ist nicht die einzige Tradition Criticóns, die in der Sezession fortgeführt wird, das die würdige Nachfolge anzutreten hatte, als unter Gunnar Sohn und Ansgar Lange, den mediokren Nachfolgern Schrenck-Notzings, aus der intellektuell reizvollen »Sammelstelle in der Sturzflut des Gedruckten«, wie der Gründer sein Projekt im Frühjahr 1970 ankündigte, ab der Jahrtausendwende ein libertäres Wegwerfprodukt wurde, das 2005 eingestellt werden mußte. Doch noch heute ist das originäre Criticón (1970 – 1999) als inspirierendes »Blatt der rechten Intelligenz« (Claus Leggewie) eine Fundgrube nonkonformer Metapolitik. (BK)
Unter einer MOSAIK-RECHTEN verstehen wir das arbeitsteilige, heimatorientierte, politische Feld aus Partei, Vorfeld, Verlagen, Bürgerbewegungen, Orten und Initiativen. Der »Kooperationsverbund kritischer Kräfte« (Hans-Jörg Urban) aus Periodika, Jugendgruppen, Parteigliederungen und Außerparlamentariern stellte von Anbeginn an eine heterogene Allianz dar. Das liegt nicht zuletzt an der Notwendigkeit der breitestmöglichen Kräftesammlung des »patriotischen Lagers« und dem damit verbundenen Strukturaufbau, der durch den moderaten Rechtsruck der Jahre 2015 ff. nötig wurde. Die Mosaik-Rechte kennt dabei zwei Linien:
Es gibt – erstens –eine handlungsorientierte Ebene, welche die Struktur, Formalitäten und Organisatorisches umfaßt. Ein Mosaik muß getragen sein von der Überzeugung, daß parlamentarische und außerparlamentarische Akteure mit nicht hintergehbarem Bezug auf ein inhaltlich Einendes bausteinartig ein Gesamtmilieu abbildeten, bei dem jeder in seinem Beritt mit den dort typischen Verhaltens- und Aktionsweisen agierte, die organisationskulturelle Autonomie des Bündnispartners aber akzeptierte. Es gilt anzuerkennen, daß Parlament und Bewegung sich wie »Standbein und Spielbein« (Rosa Luxemburg) ergänzen, daß sich –in Abwandlung eines Diktums Antonio Negris – eine »kämpfende« und eine (künftig) »regierende« politische Rechte als dialektisches Paar ergänzen, gegenseitig strategisch vorantreiben und zugleich korrigieren.
Hinzu tritt – zweitens – die Ebene der Arbeitsfähigkeit, für die es nötig ist, in Richtung einer breiteren Bewegung zu wirken, die aufgrund ihrer organisatorischen Vielfalt – viele aufeinander angelegte Steine erzeugen erst das ganze Bild–als Mosaik-Rechte zu bezeichnen ist. Als Teilchenstruktur muß sie ein Netzwerk der effektiven, solidarischen Arbeitsteilung darstellen.
Mit der flächendeckenden parlamentarischen Präsenz einer Wahlpartei des rechten Lagers, der AfD, wurde diese Ausarbeitung nötig, da die historischen Lehren aller Rechtsparteien im deutschsprachigen Raum – die FPÖ bietet das schaurigste aller Beispiele – zeigen, daß viele Vertreter dieser Parteien parlamentsgläubig auftreten und ein außerparlamentarisches Umfeld für überflüssig halten. War die Mosaik-Metapher dafür gedacht, dem parteipolitischen Feld ein politiktheoretisches und ‑strategisches Upgrade zu verpassen, so hatte sie auch eine inhaltliche, mithin dialektische Komponente. Es gilt nach wie vor eine Rechte zu schaffen, in der viele Rechte Platz haben: einander entgegengesetzt, einander ergänzend. Das ist eine Chiffre für Arbeitsteilung – Wirkungsfeld 1 des Mosaiks – und inhaltliche Heterogenität – Feld 2 – zugleich. Die mosaikrechte Struktur ist ein Kind dieser Zeit, das man argwöhnisch beäugen darf. Doch angesichts der Zustände, die uns umgeben, wäre das Versäumen des Versuchs unverantwortlich. (BK)
Die MIMIKRY hat ihren Platz in der Biologie und bedeutet soviel wie »Nachahmung«. Die verschiedenen Arten unterscheiden sich vor allem im Zweck der Nachahmung. Man kann sich der Umwelt anpassen, um Freßfeinden das Aufspüren zu erschweren, man kann sich ein martialisches Äußeres geben, um unbehelligt zu bleiben, oder so tun, als sei man harmlos. Letzteres ist gemeint, wenn von »politischer Mimikry« die Rede ist. Bezogen wird sie ausschließlich auf die rechten Vertreter des politischen Spektrums, nie auf die linken. Dabei ist die Erfolgsgeschichte der grünen Emanzipationsideologie das beste Beispiel für eine erfolgreiche Anwendung der politischen Mimikry. In den 1980er Jahren waren die Grünen viel zu schwach, um zum offenen Angriff auf die Institutionen und Traditionen überzugehen, so daß sie gezwungen waren, gesellschaftlich virulente Themen wie Frauenemanzipation zu nutzen und zu befördern, um am Ende bei der Infragestellung der Geschlechter zu landen. Der gleichzeitige Versuch, auf diesem Weg die Pädosexualität zu entkriminalisieren, ist gescheitert.
Die Anwendung des Begriffs »Mimikry« auf die Rechte dient nicht der Beschreibung eines Sachverhalts, sondern der Dämonisierung. Der Normalbürger kann in der Regel viel mehr Übereinstimmung mit der rechten Zustandsbeschreibung und der Wirklichkeit feststellen als mit der linken. Um diese intuitive Sicherheit zu zerstören, wird suggeriert, daß diese Analyse und damit deren Richtigkeit nur Tarnung ist, hinter der sich in Wirklichkeit eine menschenverachtende Ideologie versteckt. Es ist nicht schwer einzusehen, daß dieses Vorgehen Teil der Mimikry der Linken ist, die sich als Aufklärer tarnen, um die Menschen im Zustand geistiger Unmündigkeit zu halten. (EL)
Der Begriff SELBSTVERHARMLOSUNG ist in den beiden vergangenen Jahren als vermeintliche Handlungsanweisung für die AfD zu seltsamer Berühmtheit gelangt. Diese Berühmtheit beruht jedoch auf einem Mißverständnis: Der gleichnamige Artikel aus meiner Feder (Sezession 76, Februar 2017) war als Warnung vor inhaltlicher Selbstverzwergung gemeint, nicht als Vorschlag, Mimikry zu betreiben und den politischen Gegner über die Härten und Kompromißlosigkeiten des eigenen Programms zu täuschen. So aber hat ihn dieser Gegner mißbraucht und umgedreht: Hier sei die Empfehlung ausgesprochen, den Wolf im Schafspelz zu geben.
Die eigentliche Gefahr der Selbstverharmlosung besteht darin, ab einem bestimmten Zeitpunkt vom Betteln um Verständnis für das eigene, ganz harmlose Programm nicht mehr lassen zu können, also Gelände geräumt zu haben in der Hoffnung, der Gegner würde das Feuer einstellen. So kommt es aber nie, und das ist der Grund, warum man der Hoffnung auf Anschlußfähigkeit die eigene Agenda nicht opfern sollte: Irgendwie wird man am Ende doch an ihr gemessen. (GK)
Sind VIRTUELLE NETZWERKE ein Wirkungsfeld für rechte Partisanen? Die Digitalisierung aller Lebensbereiche trifft ja naturgemäß auch den metapolitischen Raum. Außerdem können Anonymität und virale Zusammenkunft ein Segen sein: Memes, »Shitposting«, Schwarmangriffe und konzertierte Aktionen (für oder gegen etwas) online vernetzter, meist anonymer Akteure in sozialen Medien, die sich gegenseitig verstärken und mitunter dynamische Entwicklungen auslösen, die nicht zu lenken sind, markieren eine Seite. Diese wird von antifaschistischen Einflußgruppen wie der Amadeu Antonio Stiftung deshalb so hysterisch markiert, weil man Parallelwelten wie in rechten US-Onlineräumen fürchtet, in denen sich unter Verwendung von beißendem Sarkasmus, bewußter Überspitzung und spottsüchtiger Selbstradikalisierung meist jugendliche Akteure verselbständigen und dem politpädagogischen Zugriff der Antifa-nahen »Zivilgesellschaft« nicht nur verweigern, sondern ihn zum Teil extrem verhöhnen und attackieren.
Organisierte Onlinekampagnen von metapolitischen Netzwerken und Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die auch im realen Leben tätig sind, markieren eine andere Seite. Hierfür beispielhaft ist die Kampagne gegen die Unterzeichnung des UN-Migrationspaktes in Österreich und Deutschland. Martin Sellner initiierte die Aktion »Migrationspakt stoppen!« im Herbst 2018, weil er das Abkommen der Eliten als weiteren Schritt in Richtung einer globalkapitalistischen, völker- und grenzenlosen Welt begriff. Auch wenn er nicht bindend sei, war der Pakt als Willenserklärung konzipiert, die später zu nationalem Recht werden soll. Sellner verzichtete bewußt auf das Corporate Identity seiner Identitären, und konnte deshalb eine spektrenübergreifende Resonanz herstellen, die im Internet über Graphiken, Slogans und Memes eine erhebliche Eigendynamik herstellte; seine entsprechenden YouTube-Videos wurden hunderttausendfach abgerufen. Aber die Agitation verlief nicht allein im Raum der sozialen Medien, sondern wurde, um den Menschen konkretere Möglichkeiten anzubieten, um eine Online-Petition gegen die Unterzeichnung erweitert. Dank der Synergieeffekte einander überwiegend unbekannter Netzuser konnte das ursprüngliche Ziel von 30 000 Unterschriften innerhalb von zwei Wochen erreicht werden. Die mehrgliedrige Strategie sorgte für ein sorgenvolles Rauschen im deutschsprachigen Blätterwald; viele Tausend Menschen gingen nach virtueller Erstmobilisierung physisch auf die Straße, verteilten sachbezogene Flugblätter und machten so den Pakt überhaupt einer nennenswerten Zahl von Bürgern bekannt; sie zwangen die Herrschenden zu medialen Statements und weitschweifigen Rechtfertigungen. Das Fallbeispiel Migrationspakt zeigt, wie virtueller Aktivismus trotz Netzwerkdurchsetzungsgesetz und anderen Einschränkungen immerhin zur Vernetzung und Aktivierung oppositionellen Potentials beitragen kann. Wer die Petition unterschrieb, »hatte nicht seine Schuldigkeit getan«, wie Sellner formulierte, sondern wurde aktiv aufgefordert, sich weiter zu engagieren. Virtuelle Netzwerke, reale Übertragungen, konkrete Ergebnisse –im frühen 21. Jahrhundert ein umkämpfter Schwerpunkt metapolitischer Bemühungen und deshalb zunehmend im Fokus staatlicher wie zivilgesellschaftlicher Repressionsapparate. (BK)