Irgendwo stand einmal: In Schnellroda gehen sie zum Lachen in den Keller. Negativ verstanden bedeutete das wohl: Diese Menschen »dort« – also »wir« – hätten keinen Humor. Stimmt das? Eine Lehrerin hatte mir in der dritten Klasse ein Bonmot Nicolas Chamforts (1741 – 1794; Chamfort starb übrigens als Selbstmörder) ins Poesiealbum geschrieben: »Der verlorenste aller Tage ist der, an dem du nicht gelacht hast.« Ich galt als überaus ernstes Kind. Jahre später beklagte ein Lehrer meinen Eltern gegenüber, daß ich es bedauerlicherweise fertigbrächte, selbst über die ernstesten Dinge zu lachen. Man macht es selten allen recht: Eine Lektion, die man gerade als »verträglicher« Mensch nicht früh genug lernen kann! Positiv gewendet hieße der Vorwurf mit dem Keller als Ort des schnellrodaschen Lachens womöglich: Die dort meinen es ernst. Die spaßen, die taktieren nicht.
Wie auch immer (und wie immer) liegt in sämtlichen Auslegungen ein Fünkchen Wahrheit. Ultimativ wahr ist, daß unsereins, falls ihm zum Lachen zumute wäre und nur ein Anlaß fehlte, bei Bernd Zeller nachschlüge. Wir tun das ohnehin mit einiger Regelmäßigkeit. Zeller trifft unseren Humor. Er liefert uns mit seinen Karikaturen seit vielen Jahren zudem einen reichen Zitatenschatz, aus dem wir schöpfen, wenn wir uns rasch im Gewühl verbal zuzwinkern wollen. Beispiel? Wir sehen bei Zeller ein halbattraktives, mittelaltes Ehepaar beim späten Frühstück. Das Radio dudelt: »Wir begrüßen Sie zur Sendung ›Kontrovers‹ mit dem Thema ›Ökodiktatur jetzt sofort oder vorher erst Demokratie abschaffen?‹«. Die Frühstücksfrau, ungetrübt: »Mach aus, ich will kein Streitgespräch.« Unser Kurzverständigungswort: »Kontrovers«. Oder: Mann und Frau am Tresen. Er mit fliehendem Kinn und Bier, sie mit engstehenden Augen und Likörchen. Er defensiv, sie offensiv feministisch: »Das ist eure typische Art der Diskursverweigerung! Wenn ihr nicht weiterwisst, sagt ihr etwas, worauf man nichts entgegnen kann. Dieses Ausspielen von Rationalität gegen Emotion macht mich nur traurig.« Geheimwort: »Diskursverweigerung«. In einer anderen Karikatur hat Zeller einmal einen Infostandpolitiker-Typen sagen lassen: »Wir machen Politik für alle. Wem das nicht paßt, der hat hier nichts zu suchen«. Stichwort: »Politik für alle«.
Bernd Zeller wurde 1966 in Gera geboren, wo er noch heute lebt. Sein Sternzeichen ist die Waage, das paßt. Er ist ein ausgleichender und ausgeglichener Typ. Keine Zornfalten, kein hämisches Lachen. Ein netter, jugendlich wirkender Kerl ohne nennenswerte Frisur, mit nettem Lächeln. Eine Zeitlang trat er in der »Harald Schmidt Show« als »Unser Ossi« auf, er fungierte auch als Witzeschreiber für Schmidt. Zeller war Redakteur sowohl beim ostdeutschen Eulenspiegel, beim westdeutschen Pendant Titanic als auch bei der Neuauflage der pardon. Humorhalber ein Irrlicht! Zellers treffsichere Karikaturen wurden sowohl auf Spiegel online (linksliberal) untergebracht als auch in Publikationen der Friedrich-Naumann-Stiftung (liberal), im neuen deutschland (links), in eigentümlich frei (radikal libertär), auf der Achse des Guten (eher konservativ) und zuletzt auch in einer AfD-Mitgliederzeitschrift. Zeller bricht alle Konventionen! Hat sich seine humoristische Stoßrichtung also über die Jahre verändert? Nein. Eben nicht. Geändert haben sich bloß die Zeiten, nicht Zellers Blickwinkel.
Den hier dargestellten Bildwitz halte ich für eines der zahlreichen Glanzstücke (weitere in diesem Heft auf den Seiten 30 bis 35). Im Vordergrund sehen wir zwei Frauen. Extrem normale Exemplare. Keine Influencer*innen, keine Leute mit sichtbarem Karrierepäckchen. Die eine, mit unprätentiöser Frisur in Kinnhaarlänge, Kleidungsgröße »casual fit«, hält ein Buch in den Händen. Ein aktuelles Reclam? Einen Lebensratgeber? Einen städtischen Eventplaner? Eine Handyhülle! Ihre stupsnasige (muß man sagen: weiße?) Gesprächspartnerin mit nachlässig gewupptem Dutt jedenfalls schaut ähnlich halbinformiert, man will kaum sagen: naiv, aus der Wäsche. Erstere sagt gemäß Sprechblase: »Man weiß nicht, was man heute glauben soll.« Das ist der typisch verknappte Zeller-Stil. Er hätte die Frau auch sagen lassen können: »Oh, diese Sprachregelungen und Denkverbote. Manchmal bin ich einfach total unsicher, was okay ist und was bereits verletzt.«
Zeller ist nicht so. Er ist kein didaktischer Witzemacher. Kein Prediger, keiner, der den Gag erklärt, damit der Witz auch hundertprozentig sitzt. Zeller setzt auf Assoziation, auf ein leises Zwinkern, auf das klandestine »weißt schon…«. Er verfügt über den probaten Federstrich dazu. Er philosophiert mittels seiner Witzigkeitspoetologie nicht mit dem Hammer, dem Morgenstern oder auch nur dem Säbel – nein, er führt ein elegantes Florett. Oder eben jene feine Feder, die ihm ermöglicht, jenen aufgeklärten Mann mit Geheimratsecken, bedenkenträgerischen Nasolabialfalten und eckigem Brillengestell zu skizzieren, der den beiden ahnungslos sich beratenden Frauen die ultimative Lösung zuzischt, gewissermaßen als Akt der Zivilcourage: »Doch, das weiss man!«
Was weiß man denn? Zeller läßt es offen. Das sich offenkundig jäh umwendende Bürokratengesicht vom Typus Fettauge, das stets oben auf der Suppe schwimmt, sagt bereits alles. Man WEIß es einfach! Als ich Bernd Zeller fragte, was das eigentlich für Leute (Kleinbürger? Bildungshuber? Der »Mainstream?«) seien, die er zeichnend entblößt oder »zur Kenntlichkeit entstellt« (wobei: er zeichnet nie Monströses), antwortete er in aller Redlichkeit: »Das sind die Leute, wie sie mir begegnen oder wie sie sich präsentieren. Also am häufigsten solche, die gern alles richtig und nichts falsch machen wollen. Gelegentlich jemand, der im Kontrast dazu steht. Da wir die Informationsgesellschaft haben, sind viele Journalisten und andere Höflinge darunter, die nicht wissen, daß sie Wendehälse vor der Wende sind.«
Ich fragte Zeller weiterhin: »Ihre satirische Karriere ist vieldeutig, gerade mit Hinblick auf das politische Koordinatensystem. Ist Ihr Echoraum eher links angesiedelt oder rechts? Oder gäbe es eine Art universales Gelächter, das solchen Zuordnungen entflieht?« Zeller, freimütig: »Die Einteilung nach Parteilinien oder das Bedienen von Echoräumen hielte ich für schwächend. Ich nehme die Perspektive ein, die eigentlich die freie Presse haben müßte: die des Bürgers auf den Hof. Ja, und was es da eben zu sehen gibt, hängt vom Hof ab. Nicht von mir.« Unser derzeitiges Hofgeschehen schreit offenkundig nach Bloßstellung, auch wenn Zeller das gewiß »so nicht sagen« würde. Er zeichnet ja nur auf. Er gibt zu Protokoll. Vor dem Gang in den Keller, in dem wir eher ein »galliges Gelächter« (Monika Maron) anstimmen, wissen wir also, daß wir dort Ausblühungen finden, die ganz wunderbare Muster ergeben.