… daß man Durchhalteparolen, Empörungstexte und Revolutionserwartungen nicht formulieren möchte“. Im Versuch, diesen Impuls aufzunehmen:
Sollten wir nicht vor allem darauf achten, auf Abstand zu bleiben? Nur so sehen wir klar. Dies darf allerdings nicht in Selbstgefälligkeit, näselnde Arroganz gegenüber den anderen und in Zynismus münden. Um dies zu vermeiden, braucht es Demut und mindestens Selbstdisziplin.
Wir werden von den Herrschenden und deren Zustimmern aktiv distanziert, auf offizielle wie inoffizielle Weise, aber sollten genau dies nutzen. Wie gesagt, keine kühle, keine besserwisserische, keine vermessen, überhebliche Distanz, sondern eine der genauen Sicht auf das, was geschieht – und so gleichfalls auf das unter den polierten Oberflächen Geschehende. Genau hinsehen, nachdenken, Analysen und Thesen formulieren, warten. Aber: präsent sein. Wacher als jene, die das Rampenlicht nutzen. Gelassenheit über, Anleihen nehmen an der guten alten Stoa.
Eine Schwundstufe dieser Haltung kennen wir: Laßt sie doch einfach machen! Die EZB- bzw. EU-Wirtschafts- und Finanzpolitik wird aus rein mathematischen Gründen in das Desaster der Euro-Politik führen, nachdem alle seit Maastricht dagegen beschworenen Sicherungssysteme entweder nie angeschaltet oder eben längst abgeschaltet worden sind. Zugunsten einer Vergemeinschaftung irrer Schulden.
Die EU-Technokraten selbst wissen es; sie sind aber Gefangene ihres Betriebssystems und fahren es bis zum Crash: Whatever it takes! Die Attacke der Brüsseler Kommission gegen das deutsche Verfassungsgericht dürfte den letzten Wohlmeinenden belehrt haben, mit welcher angsgetriebenen Vehemenz sich der Super-Staat gegen die Nation durchzusetzen bereit ist.
Ebenso unweigerlich wie die Wirtschafts- und Finanzpolitik der EU muß die linksgrüne Emanzipations‑, Migration‑, Inklusions‑, Energie‑, Gender- und Geschichtsrevisionspolitik scheitern, überhaupt der leerdrehende Diskurs darüber, weil er Begriffe nutzt, die für die Ableitung gedanklicher Schlüsse ebensowenig taugen wie für das Treffen alternativer Entscheidungen. Die Auflösung der wesentlichen kulturtragenden nationalen Institutionen ist fast vollzogen.
Überhaupt ist aus dem politischen und medialen Deutschland eine linksgrün dominierte Talk-Show geworden, auf der zwar permanent geredet wird, die den dringend nötigen Diskurs jedoch verhindert, indem sie ihn mit Sprachübungen ideologisiert, anderseits gerade dadurch sogar neurotisiert, so dass er eher einer therapeutischen Sitzung oder inquisitorischen Verhandlung ähnelt und – bei aller Beschwörung von Toleranz – mehr denn je diskriminiert und ausschließt, insbesondere alle, die – konservativ, rechts, nationalistisch – nicht ins Konzept der „Weltoffenheit“ passen wollen.
Es geht schon lange nicht mehr um die freimütige Klärung von Problemen, sondern eher darum, darauf zu warten, bis jemand die Grenzen der Regelpoetik des Politiksprech überschreitet, um ihn dann als Unmenschen, Würdeverletzer und mindestens gefährlichen Demagogen herauszuschreien.
Das grünlinke Neubürgertum lebt einen trivialidealistischen Illusionismus, der sich elementaren Problematisierungen wie aus Glaubensgründen verschließt, so etwa dem Problem, daß eine wirkliche Integration Fremder nur einer Nation möglich sein wird, die über ein identitäres Selbstverständnis verfügt. Wer nicht weiß, wer er ist, wer sein Erbe ebenso verwirft wie seine eigene Sprache und gewachsene Kultur, wer sich infolgedessen selbst kaum mehr kennt und auf süßliche Begriffe wie Weltoffenheit und Buntheit zurückzieht, der ist weder in der Lage, Gäste zu empfangen noch diese bei sich gar neu zu beheimaten.
Allen gegenwärtig erfolgreichen oder aufstrebenden Nationen und Bewegungen eignet absolut ein identitäres Selbstbewußtsein, also genau das, was hierzulande quasi verboten ist.
Mehr als um die offene Argumentation, den erfrischenden und Optionen gegeneinanderstellenden Meinungsstreit geht es hierzulande um durchritualisierte Bekenntnisse und Beschwörungen – und eben längst nicht mehr um das nachdenkliche Urteil. Mal wieder geht es also vor allem um die Fahne, die mehr ist als der Tod; nur ist es diesmal die Regenbogenfahne.
Das Indianern zugeschriebene Sprichwort, man müsse nur lange genug an der Biegung des Flusses sitzen bleiben, bis die Leichen der schlimmsten Feinde vorbeigeschwommen kommen, hat etwas Beruhigendes. Nur ist solche Haltung wohl nicht zu rechtfertigen. Denn:
Ein das Land und seine Kultur einst wesentlich tragender Bereich ist bereits vollständig paralysiert – das Bildungssystem. Es fällt dies allein deswegen nicht auf, weil die Schulen ihren Absolventen ungedeckte Schecks ausstellen und so der Elternschaft beruhigende Komplimente machen. Sowohl Universitätsprofessoren als auch Lehrmeister machen andere Erfahrungen mit den Absolventen und schlagen Alarm, der überhört wird, zugunsten neuer Phrasen: Ganztagsschule, Demokratie in der Schule, Klimarettung durch Schule.
Als ich selbst noch das Abitur abzunehmen hatte, fiel mir schlechten Gewissens auf, daß ich nichts anders verfuhr als VW: Ich zertifizierte etwas, was ich in Kenntnis des damit verbundenen Betruges aus berufsethischen Gründen so gar nicht zertifizieren dürfte. Solche Akte fragwürdiger und verlogener Zuschreibungen, politisch genau so bedingt und gewollt, lähmen das ganze Land.
Wir sollten also auf Abstand kommen, denn eingreifen lassen sie uns nicht. Wir werden stigmatisiert und kriminalisiert; wir gelten dem Establishment und seinen Nutznießern und Kostgängern als Nazis. Man darf dies nur nicht als Kränkung verinnerlichen, sondern sollte daraus produktiv Bewegung erzeugen.
Sogar im einfachen Sinne: Mittlerweile verbotene Worte und „Sprachregelungen“ bewußt weiter semantisch genau benutzen, ja besetzen, sich Sprachverhunzungen und oktroyierten Umbenennungen widersetzen, sich mindestens gegenüber dem Vorwurf, Faschist zu sein, gar nicht aufregen, sondern an Armin Mohlers Essay denken.
Gut, daß es die AfD gibt. Sie erschien als die rettende Fregatte, an deren Erscheinen wir vor 2013 nicht zu glauben wagten; und einige von uns haben mittlerweile an Bord angeheuert – fast alle eher als Bootsleuten denn auf der Brücke, wo Leute das Ruder führen, die wir früher gar nicht kannten.
Ohne die AfD gäbe es in Deutschland keine Opposition, jedenfalls keine von Bedeutung, insofern die Linke längst nicht nur in staatstragender Weise kooptiert wurde, sondern direkt den Kurs bestimmt. Was sie zu ihrer eigenen Verblüffung überflüssig werden ließ.
Nur läuft AfD unweigerlich Gefahr, sich dem Verhängnis auszusetzen, das Max Weber 1919 in seinem Vortrag „Politik als Beruf“ beschrieb. Indem sie das System akzeptiert und sich mindestens rhetorisch sogar als demokratischer als die Demokraten geriert, könnte sie letztlich zu einer Stellenjägerpartei unter anderen werden, eine „Pfründnerversorgungsanstalt“ also, deren Kandidaten und Mitarbeiter an die „Staatskrippe“ drängen.
Man sollte das der AfD nicht vorwerfen, denn sie versteht sich als Partei innerhalb des Systems, nur eben als einschlägig kritische. Hoffen wir, daß sie im bundesrepublikanischen System nicht ebenso ins Geschmackliche neutralisiert und durchverdaut wird wie alle anderen Kräfte, etwa die anfangs gleichfalls von außen dazugestoßenen Grünen.
Wenn die AfD gegenwärtig plakatiert „Filz raus! Freiheit rein!“, dann ist das einerseits so ehrenwert, wie andererseits zu erwarten steht, daß ihr Verfilzung droht, je näher sie der Macht rückt. Gewissermaßen so, wie die Linke längst mit eingefilzt ist. Das System korrumpiert, so lange es funktioniert. Daß es funktioniert, ist wiederum besser als dysfunktionales Chaos.
Man sollte das mindestens wissen, um nicht enttäuscht zu sein. Verführe die AfD anders, so wäre das ein Novum. Ob man das aktuelle, mehr und mehr von linksgrüner Leitkultur dominierte System nun schätzt oder es ablehnt:
Wer sich als „Demokrat“ hineinbegibt, wird naturgemäß evolutionär ins System einwachsen, das im übrigen weniger von Ideen und Haltungen bestimmt wird als von den profanen Bedürfnissen der Bürger, die man auf den Begriff Verbraucher reduzieren kann. Alle Demokratien sind Systeme der Verbrauchsoptimierung – nicht mehr und nicht weniger. Sie folgen allein utilitaristischen Motiven; alles andere ist Phrase.
Daher: Es bleibt die kritische Sicht von außen. Think outsite the box! Zurückgewiesen zu werden, sich rausgeschmissen immer wieder draußen wiederzufinden, gewissermaßen ja an der freien Luft, das hat etwas Erfrischendes. Man entrinnt dem Mief.
Man kann überhaupt gründlicher, besonnener und konsequenter nachdenken und beherzter handeln. Draußen vor der Tür. Was innen geschieht, bekommen wir ja mit. Wir könnten in der verbrauchten Innenluft an sich wenig ausrichten oder gar helfen. Nur wird es dort im Zuge der nächsten Jahre nicht weiter glimpflich abgehen können. Mag sein, es droht das Ersticken oder eine Saalschlacht. Die Fenster werden jedenfalls irgendwann aufgerissen. Abwarten.
Dann wird man uns vielleicht brauchen. Oder wir helfen offensiv aus freien Stücken.
Laurenz
@HB
Sie verlangen aber viel. Echte oder gespielte Dummheit nicht als solche zu benennen ist äußerst schwierig. Und auf Abstand werden wir doch sowieso gehalten. Was die Menschlichkeit von AfD-Mandatsträgern angeht, so haben Sie natürlich Recht. Rechte neigen meist dazu, einen unmenschlichen Moral-Kompaß anzulegen.