Im Februar 2015 veröffentlichte die dschihadistische Organisation Islamischer Staat (IS) ein Video mit Aufnahmen der von ihr begangenen Zerstörung assyrischer Kulturschätze im Museum von Mossul im Nordirak. Genüßlich war darin festgehalten, wie IS-Mitglieder antike Bildwerke stürzten und sie mit Vorschlag- und Presslufthämmern zertrümmerten: Bis zu 2700 Jahre alte Plastiken verwandelten sich unter ihren Schlägen in Schutt und Staub. Das Video wurde in den westlichen Medien stark rezipiert und löste weithin Entrüstung aus. Übereinstimmend war die Rede von einem schweren Verbrechen gegen das kulturelle Gedächtnis. John Kerry, Politiker der US-amerikanischen Demokraten und Außenminister im Kabinett Barack Obamas, erklärte »diese Akte des Vandalismus« zu einer »Tragödie für die gesamte zivilisierte Menschheit«.
Fünf Jahre später tauchten in den westlichen Medien Bilder auf, die denen aus dem Museum von Mossul auf gespenstische Weise verwandt erscheinen: Sie zeigen Denkmäler, die unter den Händen eines mal wütenden, mal ausgelassenen Pöbels stürzen. Dieser Bildersturm findet weder in der arabischen Welt statt noch in einem Land, das zugleich Schauplatz eines Vernichtungskrieges ist, sondern im Zentrum des Westens, in den Metropolen der USA, sowie, davon ausstrahlend, in europäischen Großstädten. Daß aufgrund jüngeren Alters der kulturgeschichtliche Wert der angegriffenen Monumente geringer ist als der jener Artefakte, die der dschihadistischen Barbarei zum Opfer fielen, soll nicht in Abrede gestellt werden, nimmt dem Vergleich jedoch nicht seine Berechtigung. Denn auch im Zuge der »Black-Lives-Matter«-Unruhen wird über die Zerstörung der Symbole ein Angriff auf die Identität geführt, der sich nur dort ein zivilisierteres Gesicht gibt, wo er, unter dem Druck des Pöbels oder in vorauseilendem Gehorsam, behördlich durchgeführt wird.
Dieser Angriff zielt auf die Substanz. Mit dem Begriff des Vandalismus ist er nur unzulänglich, ja irreführend beschrieben. Zwar ist Vandalismus im öffentlichen Raum stets ein untrügliches Zeichen für eine schwere Störung der Ordnung. Ein Bildersturm dieses Ausmaßes begleitet jedoch in der Regel einen Systemwechsel, also den Zerfall und die Ablösung der Ordnung, die entweder, wie in der Endphase und im Nachgang des Zweiten Weltkrieges, auf feindliche Eroberung von außen oder, wie hier, auf revolutionären Umsturz von innen zurückzuführen ist. Die Geschichte der USA kennt für das gegenwärtige Geschehen kein Beispiel. Zwar haben sich in den vergangenen Jahren Angriffe auf Denkmäler konföderierter Führer gehäuft; auch beugten sich Politik und Verwaltung immer wieder dem Druck antirassistischer Lobbies und ließen Monumente, oft in Nacht-und-Nebel-Aktionen, doch unter unvermindertem medialem Aufsehen, aus dem öffentlichen Raum entfernen.
Was sich nun jedoch Bahn brach, sprengt alle Dimensionen. Listen in der angloamerikanischen Fassung der Netzenzyklopädie Wikipedia weisen rund neunzig Konföderiertendenkmäler aus, die zwischen Ende Mai und Anfang August durch den Pöbel zerstört oder aber behördlich entfernt wurden; die Demontage zahlreicher weiterer wurde durch Bundesstaaten und Städte bereits angekündigt. Zu den primären Zielen von »Black-Lives-Matter« gehörten darüber hinaus Standbilder und Büsten von Sklavenbesitzern und Befürwortern der Rassentrennung sowie von Persönlichkeiten, die mit einem Völkermord an amerikanischen Ureinwohnern oder deren Missionierung in Verbindung gebracht werden. Allein zwei Dutzend Denkmäler von Christopher Columbus wurden geschändet. In Portland, Oregon, wurde eine Statue des der Sklavenhaltung bezichtigten George Washington in Brand gesetzt und gestürzt. Auf dem Campus der Universität von Oregon stürzten die allegorischen Bronzefiguren »The Pioneer« (1919) und »The Pioneer’s Mother« (1932). In San Francisco, Kalifornien, zerstörte der Pöbel eine Büste des Oberbefehlshabers der Nordstaatenarmee im Bürgerkrieg, Ulysses S. Grant. In Madison, Wisconsin, köpften sie die Statue von Hans Christian Heg, einem Abolitionisten (also: Kämpfer für die Abschaffung der Sklaverei), der im Sezessionskrieg auf Seiten der Nordstaaten stand und fiel, und versenkten sie im Montana-See. In Rochester, New York, stürzten sie das Standbild des schwarzen Abolitionisten und ehemaligen Sklaven Frederick Douglass, ein Replikat des ersten US-amerikanischen Standbildes überhaupt, das einen Afroamerikaner darstellte (im Jahr 1899). Diese Beispiele mögen genügen, um das Maß der Willkür zu veranschaulichen, das den Zerstörungsrausch kennzeichnete.
Flächendeckend wurden darüber hinaus Monumente zu Ehren der Polizei sowie Soldatenfriedhöfe und Kriegerdenkmäler angegriffen, und zwar unabhängig davon, welchem Krieg diese gewidmet waren. In Richmond, Virginia, steckte der Pöbel das Memorial Building der U.D.C. (United Daughters of the Confederacy / Vereinigte Töchter der Konföderation) in Brand; auch die Bibliothek nahm Schaden. In Washington D. C. verübten sie Brandstiftungen am Ashburton House und an der St. John’s Episcopal Church, jener Kirche, in der seit Franklin D. Roosevelt beinahe alle US-Präsidenten am Tage ihrer Amtseinführung an einem Gottesdienst teilnahmen. Beschmiert wurden darüber hinaus das Lincoln-Memorial und das vor der indischen Botschaft stehende Denkmal Mahatma Gandhis. In Großbritannien, wo der Bildersturm das bisher lebhafteste Echo auslöste, gerieten vor allem Standbilder von Persönlichkeiten, die in den transatlantischen Sklavenhandel verstrickt waren, zur Zielscheibe – so das Denkmal des zu seiner Zeit, im 17. / 18. Jahrhundert, als Philanthrop geltenden Edward Colston in Bristol, das der Pöbel vom Sockel riß und ins Hafenbecken stürzte.
Vor dem Hintergrund des hier Skizzierten erübrigt sich der Einwand, daß die sogenannten Aktivisten, wenn es ihnen tatsächlich um die Durchsetzung eines geschichtsrevisionistischen Programmes ginge, die Musealisierung und gewünschte weltanschauliche Einordnung der von ihnen beanstandeten Objekte herbeiführen würden: Schließlich haben diese Beweischarakter. Ebenso überflüssig sind Hinweise auf die vielfältigen Möglichkeiten ironischer Umwidmung und auf subversive Späße, mit denen die herrschaftlich-hoheitsvolle Aura gebrochen werden kann, ohne daß dabei das Denkmal vernichtet werden müßte. Doch der Pöbel, der unter dem »Black-Lives-Matter«-Banner zusammenströmt, hat nichts Subversives. Sein Programm erschöpft sich in der Bekämpfung des weißen Amerikas, der alten Ordnung, die in mancher Hinsicht nur noch dem Namen nach fortbesteht – in ausgehöhlten Institutionen und schalgewordenen Ritualen.
Ordnungen sind immer geschichtlich begründet: Geschichte legitimiert. Der wahre Grund, weshalb die Denkmäler nicht nur weichen, sondern zertrümmert werden müssen, ist die Tatsache, daß sich in ihnen bildhaft die von Weißen dominierte nationale Historie verdichtet. Solange die Abbilder dieser Weißen, seien sie Staatsmänner, Krieger, Entdecker oder Erneuerer gewesen, vor aller Augen stehen, laden sie zur Identifikation mit deren Tugenden ein, mit deren Erfindungsreichtum, deren Überzeugungs- und Durchsetzungskraft, deren Beharrlichkeit, Entschlossenheit, Pflichterfüllung und ja, auch deren Toleranz. Wenn sich unter ihnen Schurken und Schlächter befinden (wer wollte daran zweifeln, daß auch solche der Geschichte ihren Stempel aufgedrückt haben), knüpfen sie doch nichtsdestoweniger ein Band zwischen Gestern und Heute: jenes Band, das Linke und Globalisten endgültig zu durchtrennen beabsichtigen.
Das Monströse an »Black-Lives-Matter« ist dabei weder das strategische Zusammenspiel zwischen linken und globalistischen Eliten noch die breite, mit medialer Wucht erfolgende Mobilisierung der ihrer Herkunft entfremdeten Massen, denn beides sind wir längst gewohnt. Monströs ist jedoch die Stiftung eines vergifteten Gemeinschaftsprojektes, das weiße und nicht-weiße Amerikaner nur auf der Grundlage ethnischen Hasses, nämlich anti-weißen Hasses, zusammenkommen lassen will. Kundgebungen von »Black-Lives-Matter« verhehlen nicht, daß hier anstelle des Ideals das Ressentiment die Herzen bewegt. Besteht jedoch das Partizipationsangebot einer so umfassende Machtansprüche stellenden Bewegung darin, den niedersten Instinkten schuldbefreiten Lauf zu lassen, massenweisen Diebstahl etwa als »Reparationen« zu deklarieren, so muß daraus – um einen Begriff zu verwenden, den der jamaikanisch-amerikanische Philosophieprofessor Jason D. Hill als Gegenbegriff zum »systemischen Rassismus« geprägt hat – eine Revolution des »systemischen Nihilismus« folgen. In einem Interview mit dem Fernsehsender Fox News erklärte Hill, daß die »Nihilisten und Anarchisten«, die er hinter »Black-Lives-Matter« am Werk sieht, das System stürzen und »durch nichts« ersetzen wollten, »durch überhaupt nichts. Sie wollen das Gute eben deswegen zerstören, weil es das Gute ist.« (Tucker Carlson Tonight, 6. August 2020.)
Dieser Aspekt kann kaum überbetont werden, wenn von »Black-Lives-Matter« als einer Kulturrevolution die Rede ist, denn eine kulturstiftende Kraft ist dahinter nicht erkennbar. Wenn überhaupt, ist es das Establishment, das – wie etwa in Bristol – das entstandene Vakuum nach seinen kulturpolitischen Maximen auszugestalten sucht: Dort bereiteten Museumsrestauratoren die aus dem Hafenbecken gehobene Statue Edward Colstons mit dem Ziel auf, die von den Tätern hinterlassenen Schmierereien dauerhaft zu erhalten. Gleichzeitig ließ der arrivierte Künstler Marc Quinn, der unter anderem Skulpturen von Behinderten und Transsexuellen fertigte und in der Tate Gallery sowie im Museum of Modern Art ausstellte, eine an sozialistische Kunst erinnernde Statue einer die Faust reckenden »Black-Lives-Matter«-»Aktivistin« auf den leerstehenden Sockel pflanzen – Titel: »A Surge of Power« (»Geballte Kraft«). Huldigungen dieser Art läßt sich der Pöbel zwar gefallen, eigene schöpferische Leistungen bringt er jedoch ebenso wenig hervor wie er ein politisches Programm formulieren könnte oder wollte, das über die Abschaffung der Polizei und die Institutionalisierung anti-weißen Hasses hinausginge.
Vom Erblühen einer Gegenkultur kann nicht einmal lokal die Rede sein, denn die Räume, die der Pöbel erobert hat, liegen wüst und brach. Die Wüste aber pflegt zu wachsen – wer dämmt sie nun ein? Diese Frage scheint die Anstifter und Förderer von »Black-Lives-Matter« nicht zu kümmern. Ob linke Politkartelle, globalistische Netzwerke oder multinationale Konzerne, die die Unruhen mit Millionensummen sponsern – sie eint der Glaube an die unbegrenzte Steuerbarkeit atomisierter Massen. Um deren weitergehenden Entwurzelung willen sind sie bereit, den fragilsten Teil unseres Reichtums zu opfern: unser geschichtliches Erbe. Man halte sich dabei vor Augen, daß die Säuberungen der Bibliotheken, die Angriffe auf Museen und Archive erst noch bevorstehen.
Auch uns Deutsche erinnern noch im öffentlichen Raum auffindbare Denkmäler daran, daß wir nicht immer wehr- und ehrlos waren und daß dieses Volk einst Gelehrte und Künstler, Kämpfer und Herrscher hervorbrachte. Wer je eine aufrichtige Andacht an einem Kriegerdenkmal hielt, wer sich je in die weichgemeißelten Züge des unbekannten Soldaten vertiefte, der weiß auch, daß der Ahnen zu gedenken zugleich ein Ansporn sein muß, es ihnen gleichzutun. Wenn sie uns die »geballte Kraft« empfinden lassen, die wir einmal aufzubringen wußten, so im gleichen Atemzug auch unsere heutige Schwäche, unsere Versäumnisse, unsere im Angesicht der Bedrohung unentschuldbare Verzagtheit. Daß unsere Ahnen uns auf eine fast bestürzende Weise überlegen waren, und zwar dergestalt, wie uns auch manche der jüngst Eingewanderten überlegen sind, liegt in ihrer Bereitschaft, das Leben für einen Glauben, für ein Symbol zu geben.
An Glauben mangelt es oft selbst uns wenigen, die wir die Symbole noch in Ehren halten. Seit Jahrzehnten zehren wir von der Substanz, deren kontinuierlichen Schwund wir resigniert zur Kenntnis nehmen, während wir uns zugleich an die Hoffnung klammern, sie möge wie nur scheinbar totes Holz eines Tages, in der richtigen Witterung, wieder austreiben. Jetzt, da sie direkt angegriffen wird oder der Angriff kurz bevorsteht, ist kein schützendes Gewebe mehr vorhanden, nichts, was die Schläge abfedern, und erst recht keine Kraft, die sie erwidern könnte.
Daß der von den USA ausstrahlende Bildersturm für das uns Drohende Modellcharakter hat, steht außer Frage – daß wir nachziehen werden, ebenso: Was bleibt auch anderes übrig? Es dürfte niemanden überrascht haben, daß die Systempresse die Ereignisse auf eine affirmative bis hämische Weise begleitete, die in Schlagzeilen wie »Hol den Vorschlaghammer!« (Spiegel-Online), »Plumps« oder »Völlig von den Sockeln« (beide Zeit-Online) unverhüllt zu Tage trat. Ebenso zwangsläufig werden in einschlägigen Netzwerken die Messer gewetzt, propagieren antideutsche Eiferer wie Jutta Ditfurth die Zerstörung von Kulturobjekten, angefangen mit »allen Kriegerdenkmälern« bis hin zum Berliner »Humboldt-Forum (Kuppel und Kreuz zuerst)«. Ihre einander im gemeinsamen Haß erkennenden Kohorten – Antifa und »Partyszene« – stehen bereit, diesen Worten Taten folgen zu lassen, denen sich niemand ernstlich entgegenstellen wird. Wer sollte dies auch wagen, da wir ja selbst nicht mehr an unsere Symbole glauben? Daher wird der Pöbel nicht nur die Welt ärmer und häßlicher machen, sondern auch uns, die wir es haben geschehen lassen.