Ioan Culianu, Jacques Ellul und die moderne Propaganda

von Till Kinzel

PDF der Druckfassung aus Sezession 98/ Oktober 2020

Wenn wir ver­ste­hen wol­len, womit wir es bei dem um uns her­um zu beob­ach­ten­den Mora­li­sie­rungs­sog, der fast wie eine Natur­ge­walt wirkt, zu tun haben, müs­sen wir das Ver­hält­nis des moder­nen Staa­tes und der in ihm wir­ken­den Medi­en­sys­te­me zur Pro­pa­gan­da in den Blick neh­men. Denn die Wirk­sam­keit die­ser Pro­pa­gan­da soll­te man nicht gering­schät­zen, selbst wenn es gute Grün­de für die Annah­me geben mag, daß es die­ser Pro­pa­gan­da, vor allem der Mora­li­sie­rungs­pro­pa­gan­da, nicht gelingt, jeden von den jeweils pro­pa­gier­ten »Wer­ten« zu über­zeu­gen. Das dürf­te auch kei­nes­wegs der Zweck der Übung sein. Denn für die Zwe­cke des (hyper)moralisierenden Staa­tes, der sich nicht mehr an die mit sei­nem Begriff idea­ler­wei­se ver­bun­de­nen Gebo­te der Neu­tra­li­tät und der Sach­lich­keit hält und wohl auch nicht hal­ten will, reicht es völ­lig aus, mit­tels einer teils an Außen­stel­len dele­gier­ten Pro­pa­gan­da das Spiel der Ver­un­si­che­rung sei­ner Bür­ger zu betrei­ben und somit Kri­tik zu neutralisieren.

Wenn es kei­ne kla­ren Kri­te­ri­en mehr dafür gibt, was eine Pan­de­mie ist; was im »Kampf gegen rechts« eigent­lich bekämpft wer­den soll; was ein tat­säch­li­cher Flücht­ling und was ein Wirt­schafts­mi­grant ist; was Umwelt- und Natur­schutz im Unter­schied zu »Kli­ma­schutz« ist; was über­haupt die Maß­stä­be geis­ti­ger Bil­dung sind; was als Kunst und Kul­tur zu gel­ten hat; wie die Grund­rech­te aus­zu­le­gen sind (sie gel­ten ja in Coro­na-Zei­ten laut Bun­des­ver­fas­sungs­rich­ter Har­barth wei­ter­hin, nur eben anders); wie sich freie Mei­nungs­äu­ße­run­gen von »Haß und Het­ze« unter­schei­den – wenn alles dies ver­un­klart ist, fei­ert die Will­kür Urstän­de und die Kos­ten für die Betei­li­gung der Bür­ger an ihrem Gemein­we­sen wer­den in die Höhe getrieben.

Die Prä­mie auf Dem­ago­gie und Denun­zia­ti­on, die vom Staat und sei­nen vor­ge­la­ger­ten »zivil­ge­sell­schaft­li­chen« Orga­ni­sa­tio­nen gezahlt wird, schreckt ab, weil die Bedro­hung durch Dämo­ni­sie­rung und Ver­teu­fe­lung sich mit rasen­der Geschwin­dig­keit aktua­li­sie­ren kann: Poten­ti­ell liegt das Arse­nal der Pro­pa­gan­da griff­be­reit da, das sich dem moder­nen Magi­er-Staat ver­dankt, wie ihn der rumä­ni­sche Kul­tur­his­to­ri­ker Ioan Petru Culia­nu genannt hat. Culia­nu betont im Anschluß an Giord­a­no Bru­no und im Kon­trast zu Machia­vel­li die Rol­le der psy­cho­lo­gi­schen Mani­pu­la­ti­on: Der Magi­er sei der Schlüs­sel zum Ver­ständ­nis der post­mo­der­nen Gegen­wart, denn er sei der »Pro­to­typ der unper­sön­li­chen Mas­sen­me­di­en, der indi­rek­ten Zen­sur, der glo­ba­len Mani­pu­la­ti­on und der Brain Trusts, die ihren gehei­men Ein­fluß auf die Mas­sen des Abend­lan­des aus­üben.« Der Mani­pu­la­tor-Magi­er benö­ti­ge für sei­ne Herr­schaft detail­lier­te Kennt­nis­se über das Sub­jekt und sei­ne Wün­sche, um die­ses zu »fes­seln«. Die Fes­seln, die für die Mas­sen gebraucht wer­den, sind all­ge­mei­ner Art; bei einem ein­zel­nen muß erst genau­er ana­ly­siert wer­den, wie man an ihn spe­zi­ell her­an­kommt. Der ein­zel­ne ist jedoch nicht schon des­we­gen vor Mani­pu­la­ti­on sicher, weil er sich abson­dert. Er ist allein auf sich gestellt eben­so gefähr­det, weil er der Abstüt­zung durch pri­va­te Insti­tu­tio­nen bedarf (Fami­lie, Freun­des­krei­se, Ver­ei­ne) – um dem Mani­pu­la­ti­ons­stre­ben zu entgehen.

Culia­nu zufol­ge ist die Magie in unse­rer Gesell­schaft trotz aller Auf­klä­rung kei­nes­wegs ver­schwun­den: »Der Magi­er beschäf­tigt sich heu­te viel­mehr mit Public Rela­ti­ons, Pro­pa­gan­da, Markt­for­schung, Mei­nungs­um­fra­gen, Wer­bung, Infor­ma­ti­on, Gegen­in­for­ma­ti­on, Des­in­for­ma­ti­on, Zen­sur, Tech­ni­ken der Spio­na­ge und sogar der Kryp­to­gra­phie, einer Wis­sen­schaft, die im 16. Jahr­hun­dert einer der Zwei­ge der Magie gewe­sen ist«. Heu­te sei die moder­ne Tech­no­lo­gie gleich­sam eine demo­kra­ti­sche Magie, die jedem ermög­licht, was der­einst nur dem Magi­er zuge­schrie­ben wur­de. Der Staat, so Culia­nu, habe die Funk­ti­on eines »inte­gra­len Magi­ers« über­nom­men, der mit­tels eines ideo­lo­gi­schen Instru­men­ta­ri­ums dar­an arbei­te, »eine gleich­för­mi­ge Gesell­schaft zu schaf­fen«. Zwar sei der Magi­er-Staat dem ent­ge­gen­ge­setz­ten Extrem, dem Poli­zei­staat, bei wei­tem vor­zu­zie­hen. Aber ein »geschmei­di­ger« Staat kön­ne höchst fili­gra­ne Metho­den der Mas­sen­len­kung insti­tu­tio­na­li­sie­ren – man den­ke an den Main­stream-Jour­na­lis­mus und sei­ne »Recher­che-Netz­wer­ke«. Argu­men­ta­ti­ve Kri­tik muß nahe­zu fol­gen­los blei­ben, solan­ge die Bann­kräf­te des Magi­er­staa­tes ihre Wir­kung behalten.

Die Insti­tu­tio­na­li­sie­rung von Mani­pu­la­ti­on und Pro­pa­gan­da als Form moder­ner Magie läßt sich noch bes­ser begrei­fen, wenn wir auf die scharf­sin­ni­gen Ana­ly­sen des fran­zö­si­schen Gesell­schafts­ana­ly­ti­kers ­Jac­ques Ellul (1912 – 1994) zurück­grei­fen. Sein grund­le­gen­des Buch über Pro­pa­gan­da ist bezeich­nen­der­wei­se nicht ein­mal ins Deut­sche über­setzt wor­den, gehört aber zu den wich­tigs­ten Stu­di­en, die über­haupt zu die­sem Pro­blem­kreis vor­ge­legt wur­den. Der fran­zö­si­sche Rechts­wis­sen­schaft­ler, Phi­lo­soph und Theo­lo­ge wur­de durch sei­ne Ana­ly­se der tech­no­lo­gi­schen Gesell­schaft bekannt, als deren Teil auch die Pro­pa­gan­da ver­stan­den wer­den muß. Der kana­di­sche Phi­lo­soph Geor­ge Grant (1918 – 1988), als »roter Tory« und Moder­ni­täts­kri­ti­ker im Geis­te von Heid­eg­ger, Leo Strauss und Simo­ne Weil ein Geheim­tip des kon­ser­va­ti­ven Den­kens, hat nach­drück­lich dar­auf hin­ge­wie­sen, daß die bei­den Bücher Elluls The Tech­no­lo­gi­cal Socie­ty (1954) und Pro­pa­gan­da (1962) die wich­tigs­ten ­aller Pflicht­lek­tü­ren für all jene sei­en, die ver­ste­hen möch­ten, was in den »fort­ge­schrit­te­nen« Gesell­schaf­ten unse­rer Zeit gesche­he. Grants Urteil über das ers­te die­ser Bücher gilt auch für das zwei­te: Wer das Buch nicht gele­sen habe, ent­schei­de sich, in bezug auf die Gesell­schaft kurz­sich­tig zu blei­ben, obwohl man ihm kos­ten­los die rich­ti­ge Bril­le ange­bo­ten habe.

Pro­pa­gan­da ver­dient eine sorg­fäl­ti­ge Lek­tü­re, weil es durch sei­nen ana­ly­ti­schen Zugriff geeig­net ist, ver­schie­de­ne Miß­ver­ständ­nis­se und Irr­tü­mer zu kor­ri­gie­ren, die in bezug auf Pro­pa­gan­da bestehen. Auch das heu­ti­ge Medi­en­sys­tem mit sei­nen qua­si-staat­li­chen Kanä­len wird dadurch begreif­ba­rer. Und wenn man Elluls Dia­gno­se einer all­um­fas­sen­den Pro­pa­gan­da das Gewicht bei­mißt, das man ihr mei­nes Erach­tens bei­mes­sen muß, wird man zu ernüch­tern­den Ergeb­nis­sen kom­men – was aber ganz im Sin­ne einer rea­lis­ti­schen Lage­ana­ly­se ist.

Elluls Buch trägt im fran­zö­si­schen Ori­gi­nal den Titel Pro­pa­gan­des, betont also schon durch die­se For­mu­lie­rung, daß es nicht eine Pro­pa­gan­da gibt, son­dern eine Viel­zahl von Pro­pa­gan­da­ar­ten. Durch die Lek­tü­re Elluls wird man von der Illu­si­on kuriert, mehr oder bes­se­re Bil­dung wür­de pri­ma facie etwas hel­fen, denn die­se ist gera­de – das ist die zen­tra­le The­se – die Vor­aus­set­zung dafür, daß die moder­ne Pro­pa­gan­da so erfolg­reich ist. Bil­dung ist daher in einer moder­nen Mas­sen­ge­sell­schaft, vor allem einer Mas­sen­de­mo­kra­tie im Sin­ne von Pana­jo­tis Kon­dy­lis, kei­ne Vor­beu­gung gegen Pro­pa­gan­da, wie man­che weis­ma­chen wol­len oder auch glau­ben, son­dern sozu­sa­gen selbst schon Prä-Pro­pa­gan­da, wie Ellul sagt: Der Geist wird mit gro­ßen Men­gen inko­hä­ren­ter Infor­ma­ti­on beschos­sen, die als »Fak­ten« oder »Bil­dung« (man den­ke hier vor allem auch an den gesam­ten Kom­plex der »poli­ti­schen Bil­dung«) aus­ge­ge­ben wer­den. Und daher sind nach Ellul aus­ge­rech­net die Intel­lek­tu­el­len die­je­ni­gen, die für Pro­pa­gan­da am anfäl­ligs­ten sind. Denn sie näh­men die größ­te Men­ge an Infor­ma­tio­nen aus zwei­ter Hand auf, die sich nicht veri­fi­zie­ren lie­ßen, und sie hät­ten den Drang, zu allem und jedem eine Mei­nung zu haben und schließ­lich däch­ten sie auch von sich selbst, sie sei­en in der Lage, alles selbst zu beur­tei­len. Daher aber brau­chen sie die Propaganda.

Neben einem hohen Lebens­stan­dard müs­sen also nach Ellul die Men­schen ein Min­dest­maß an Bil­dung besit­zen, wenn sie erfolg­reich pro­pa­gan­dis­tisch bear­bei­tet wer­den sol­len. Pro­pa­gan­da kön­ne dort nicht erfolg­reich sein, wo es kei­ne Spur west­li­cher Kul­tur gebe. Denn ein Mensch, der nicht lesen kön­ne, ent­ge­he den meis­ten For­men von Pro­pa­gan­da, was auch für den­je­ni­gen zutref­fe, der nicht lesen wol­le. Ellul setzt daher hin­ter der gewöhn­li­chen Auf­fas­sung ein Fra­ge­zei­chen, wonach Lesen­ler­nen ein Zei­chen mensch­li­chen Fort­schritts sei, denn das Wich­ti­ge sei nicht die Fähig­keit zu lesen an sich, son­dern das, was man lese, zu ver­ste­hen, dar­über nach­zu­den­ken und es zu beur­tei­len. Wenn die­se Fähig­kei­ten nicht vor­han­den sei­en, habe das Lesen kei­ne Bedeu­tung und zer­stö­re sogar die Fähig­keit zur Erin­ne­rung und zur Beobachtung.

Ellul stellt ernüch­tern­de Betrach­tun­gen dar­über an, wes­halb die Leu­te nicht in einen Zustand jen­seits der Pro­pa­gan­da gelang­ten. Er weist die Auf­fas­sung als illu­sio­när zurück, man müs­se den Leu­ten nur »gute Sachen zu lesen« geben oder man müs­se ihnen eine bes­se­re Bil­dung ver­schaf­fen. Das alles hält Ellul für unrea­lis­tisch, denn bevor man die zwei­te Stu­fe der Bil­dung errei­che, sei man bereits auf der ers­ten Stu­fe der Pro­pa­gan­da aus­ge­setzt gewe­sen, und so fin­de man sich in einer Welt der Pro­pa­gan­da wie­der, in die man ein­ge­paßt wur­de. Man kön­ne eine höhe­re Bil­dungs­stu­fe errei­chen, ohne auf­zu­hö­ren, ein Opfer der Pro­pa­gan­da zu sein, wenn man schon vor der Ent­wick­lung des kri­ti­schen Den­kens einer ent­spre­chen­den Pro­pa­gan­da aus­ge­setzt war. Ellul kon­sta­tiert daher nüch­tern: »Das offen­kun­digs­te Ergeb­nis der Grund­schul­er­zie­hung im 19. und 20. Jahr­hun­dert war es, den ein­zel­nen für die Super­pro­pa­gan­da emp­fäng­lich zu machen.«

Zwar bezieht sich auch Ellul immer wie­der auf die pro­to­ty­pi­schen Bei­spie­le für Pro­pa­gan­da aus dem Bereich des Tota­li­ta­ris­mus (Lenin, Sta­lin, Mao, Hit­ler / Goeb­bels), aber die abend­län­di­sche Demo­kra­tie selbst ist der Ursprungs­ort der moder­nen Pro­pa­gan­da, und sie macht von den­sel­ben Tech­ni­ken Gebrauch, jedoch mit einer nicht zu unter­schät­zen­den Sub­ti­li­tät. Wenn Pro­pa­gan­da nicht mehr so genannt wird, son­dern »Fak­ten­check« oder »seriö­se Medi­en«, oder wenn die finan­zi­el­len Kon­tri­bu­tio­nen, die den Objek­ten der Pro­pa­gan­da abge­preßt wer­den, als »Demo­kra­tie­ab­ga­be« ver­brämt wer­den, dann ändert sie ihren grund­le­gen­den Cha­rak­ter zwar nicht, aber sie wird durch die blo­ße Über­macht des Framings unan­greif­ba­rer, weil die kri­ti­sche Außer­kraft­set­zung der offi­ziö­sen Ter­mi­no­lo­gie eine dop­pel­te Anstren­gung erfor­dert: die logi­sche wie mora­li­sche Destruk­ti­on der Gel­tungs­macht die­ser Begrif­fe und zugleich die Eta­blie­rung neu­er Begrif­fe, mit denen die Begriffs­in­hal­te vor der Ver­ein­nah­mung durch die »poli­ti­schen Wahr­heits­sys­te­me« bewahrt wer­den können.

Pro­pa­gan­da wird nach Ellul erkenn­bar als eine Form der Mas­sen­len­kung, die auf Dau­er gestellt ist. Zwar mag es immer wie­der mal Kam­pa­gnen geben, aber die­se sind leicht als Pro­pa­gan­da erkenn­bar und daher der all­sei­ti­gen Ent­wick­lung der Pro­pa­gan­da unter­le­gen, die sich über das gan­ze Medi­en­sys­tem ver­teilt und dabei gleich­sam osmo­tisch die »nöti­gen« Ver­än­de­run­gen auch in den Begrif­fen und Wör­tern vor­nimmt, um sozu­sa­gen den ste­ten Stein zu höh­len. Dabei ist auch kei­ne zen­tra­le Orga­ni­sa­ti­on mehr nötig, wie sie noch in den kom­mu­nis­ti­schen und natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Dik­ta­tu­ren vor­han­den war. Die Steue­rung des Sprach­ge­brauchs funk­tio­niert heu­te rein osmo­tisch – und sie ist auch des­we­gen so effi­zi­ent, weil sie kla­re Begriffs­be­stim­mun­gen scheut wie der Teu­fel das Weih­was­ser. Nur dadurch gelingt es, bei jedem denk­ba­ren Anlaß wie­der gegen »rechts« zu agi­tie­ren, als gäbe es irgend­ei­ne Objekt­kon­stanz, die damit ver­bun­den ist. Eben­so typisch ist das absichts­vol­le Chan­gie­ren von Begrif­fen, etwa wenn – als pars pro toto – im DLF die Nach­rich­ten erst von Migran­ten, dann von Flücht­lin­gen und dann wie­der von Migran­ten reden. Absichts­voll ist dies, weil dadurch genaue Begriffs­be­stim­mun­gen ver­wischt werden.

Gera­de solch ein unschein­bar wir­ken­des Bei­spiel ist hoch ­signi­fi­kant. Denn die Pro­pa­gan­da muß nach Ellul »Qua­si-Ein­mü­tig­keit erzeu­gen, und die oppo­si­tio­nel­le Grup­pie­rung muß ver­nach­läs­sig­bar wer­den, oder jeden­falls auf­hö­ren, eine hör­ba­re Stim­me zu sein.« Indem nun sol­che Begriffs­ver­wir­run­gen auf täg­li­cher und stünd­li­cher Basis immer wie­der aufs neue in die Welt gesetzt wer­den, wird es den­je­ni­gen, die dage­gen andenken wol­len, immer schwe­rer gemacht: »Pro­pa­gan­da fährt ohne ­Unter­laß mit ihren Atta­cken fort, der Wider­stand des ein­zel­nen ist frag­men­ta­risch und spo­ra­disch.« Pro­pa­gan­da zielt auch nicht in ers­ter Linie auf Gesin­nung, son­dern auf Hand­lung im Sin­ne von Par­ti­zi­pa­ti­on. Die­se aber muß kei­nes­wegs »aktiv« sein; sie kann auch »pas­siv« sein und doch eine Hand­lung dar­stel­len, indem eine Akti­on psy­cho­lo­gisch unter­stützt wird, etwa die Über­füh­rung wei­te­rer Migran­ten nach Deutsch­land. Wäh­rend tra­di­tio­nell Pro­pa­gan­da auf Ortho­do­xie ziel­te (auch reli­gi­ös), zie­le die wah­re moder­ne Pro­pa­gan­da auf Orthop­ra­xie, also ein Han­deln im Sin­ne der Propagandisten.

Die Stär­ke der Pro­pa­gan­da, so Ellul, ent­hül­le einen der gefähr­lichs­ten Män­gel der Demo­kra­tie. Man sol­le sich kei­ne Illu­sio­nen über die Ko-Exis­tenz von wah­rer Demo­kra­tie und Pro­pa­gan­da machen: »Nichts ist in gefahr­vol­len Zei­ten schlim­mer als in einer Traum­welt zu leben. Ein poli­ti­sches Sys­tem vor der Gefahr, die es bedroht, zu war­nen, bedeu­tet kei­nen Angriff auf es, son­dern ist der größ­te Dienst, den man ihm erwei­sen kann.« Die Mei­nung, »daß die Pres­se in der Demo­kra­tie einen brei­ten Fächer ver­schie­de­ner Rich­tun­gen bie­tet, also nicht nur eine Strö­mung ver­tritt«, kom­men­tiert Ellul in Ver­rat am Abend­land ent­spre­chend lapi­dar: »Das trifft für ver­hält­nis­mä­ßig unbe­deu­ten­de Ange­le­gen­hei­ten zu.«

Der Staat ist zur Beu­te von Mora­li­sie­rungs­in­ter­es­sen gewor­den, die auch gegen die Bür­ger und auf Kos­ten des Gemein­wohls ihre Prä­mie auf ihre angeb­lich höhe­re Moral ein­strei­chen wol­len. Der von ihnen erzeug­te Sog der Mora­li­sie­rung ist ein Indi­ka­tor für die man­geln­de Ambiguitäts­toleranz der­je­ni­gen, die ihre Nar­ra­ti­ve der »Bunt­heit«, »Welt­of­fen­heit«, »Demo­kra­tie« etc. für alter­na­tiv­los hal­ten und pro­pa­gan­dis­tisch all­ge­gen­wär­tig machen: Wer mora­li­siert, hält es schlicht nicht aus, daß der Ande­re legi­ti­mer­wei­se auch ande­re Wert­prä­fe­ren­zen hat und für die­se selbst­ver­ständ­lich Frei­heit einfordert.

Gegen den wir­kungs­mäch­ti­gen Mora­li­sie­rungs­drang unse­rer Zeit, der auf allen Ebe­nen das mehr denn je nöti­ge Prin­zip der Sach­lich­keit und der Ver­sach­li­chung ver­drängt, gibt es für den ein­zel­nen Wege der Selbst­er­hal­tung und Selbst­be­haup­tung, die aus der reich­hal­ti­gen Tra­di­ti­on der euro­päi­schen Mora­lis­tik ent­nom­men wer­den kön­nen. Das ist zwar poli­tisch nicht aus­rei­chend, aber ohne die Wie­der­an­eig­nung die­ser Tra­di­ti­on von Gra­cián über Scho­pen­hau­er bis Gómez Dávila wird sich die Bewah­rung von Sub­stanz nicht gegen das aktu­ell zu kon­sta­tie­ren­de Cre­scen­do der Mora­li­sie­rungs­pro­pa­gan­da durch­hal­ten lassen.

 

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