Sie können unterschiedlicher nicht sein. Und doch haben sie etwas Wesentliches gemeinsam.
Beginnen wir mit dem Freitagabend. Der Karolinger-Verleger, Raspail-Übersetzer und Vizekonsul von Patagonien zu Wien, Konrad Markward Weiß, und dessen Maître de Plaisir et des Cérémonies von Patagonien zu Wien und Impresario des Ferdinandihofs, Ronald Schwarzer, hatten zur “Patagonischen Nacht” geladen. Dem großen französischen Schriftsteller Jean Raspail, Verfasser des Heerlagers der Heiligen, war der Abend in ehrender Erinnerung gewidmet.
Im vergangen Jahr gab es anläßlich seines Todes ein Requiem in der Karlskirche und danach ein großes Leichenbegängnis. Das heurige Fest – es soll in Zukunft jedes Jahr ein solches steigen – bot Lesungen, Erzählungen, die patagonische Hymne erklang, weitere musikalische und komödiantische Darbietungen, viel Wein, und meine Wenigkeit kochte patagonische Erdäpfeln nach erfundenem Rezept.
Martin Lichtmesz hatte für diesen Abend ein kleines Stück frisch übersetzt aus einem seltenen Band mit dem Titel Boulevard Raspail, in dem der Schriftsteller seine Entdeckung des “Königs von Patagonien” erzählt. Die Chronik endet mit dem Satz:
Ich fragte den Prinzen: “Haben Sie denn keine Angst vor der Groteske?” Ich bereue diese Frage. Denn nichts ist grotesk am Menschen, wenn er sich zum König erträumen will. Jeder Mensch ist ein König. Diejenigen, die das niemals verspürt haben, und sei es nur eine flüchtige Sekunde lang, ich weiß nicht, wie sie sich nennen …
So beschrieb Weiß 2020 in einem Nachruf Raspails “Patagonismus”:
Antoine de Tounens, ein Provinzadvokat des 19. Jahrunderts, hatte sein Leben der fixen Idee verschrieben, sich ohne Ressourcen und Unterstützung zum König der patagonischen Ureinwohner aufzuschwingen, sie vereint gegen die chilenisch-argentinischen Unterdrücker zu führen. Abnehmenden Erfolgen stand bald zunehmender Realitätsverlust gegenüber; besiegt, verspottet, aber ungebrochen ging „Orelie-Antoine I.“ 1878 in einer elenden Dachkammer im französischen „Exil“ zugrunde. Man ahnt es: Hier fließen alle Faszinationen Raspails zusammen. Sein resultierender Roman erhält den begehrten Grand Prix de l’Académie française. Die Faszination vom geträumten Königreich am Ende der Welt aber verfestigt sich, wird ihm zur „Ersatznationalität“ – und grassiert: Vom Grab Antoines vernimmt Raspail augenzwinkernd die Berufung zum „Generalkonsul“, erschafft „Patagonien“ militärische und zivile Amtsträger, Institutionen.
In diesem Jahr erscheint bei Antaios von ihm übersetzt Der König von jenseits des Meeres, woraus der folgende, am nämlichen Abend ebenfalls verlesene Satz in meinen Augen eine sehr eigentümliche Form des Widerstands beschreibt:
Wenn man eine (fast) verlorene Sache vertritt, muß man ins Horn stoßen, auf sein Pferd springen und einen letzten Ausfall wagen, andernfalls man an Altersschwäche traurig im hintersten Winkel der vergessenen Festung stirbt, die niemand mehr belagert, weil das Leben anderswohin weitergezogen ist.
Wenn die eigene Nation und das eigene Volk nichts mehr Substanzielles hergeben können, verlegt sich der unbeugsame und durch nichts zu beleidigende Mensch auf das Reich der Literatur, das Reiche hervorzubringen vermag, die die Welt nie gesehen hat, nie sehen wird, und die der Seele für immer eine innere Richtschnur geben können. Wenn dieses Fest auf lange Sicht das letzte angesichts des galoppierenden Wahnsinns der Welt, die man irrtümlicherweise die “Realität” nennt, gewesen sein sollte, so war es ein doppelt würdiges.
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Samstagnachmittag. “Megademo” am Karlsplatz, vor der bereits erwähnten Karlskirche. Diesmal ließ die Polizei die Menge gnädig gewähren. Versickernlassen-Taktik. Statt “Polizeistaat” spielte die Obrigkeit diesmal den die “Bekloppten” (Joachim Gauck) spielenlassenden Onkel. Auch Predigten zu den Bekehrten – worum es sich bei Reden an Demonstranten grundsätzlich handelt – haben immer ihre aufschlußreichen Momente.
Mehrere Redner erwähnten die Spaltung innerhalb der “Szene”, allein, daß zwei neue Kleinstparteien auftraten, zeigt dies an. Das demoübliche “Kurz-muß-weg!”-Geschrei hielt eine Rednerin zu recht für zu kurz gegriffen, denn eine Marionettenregierung kann man um den Kasperl erleichtern, ohne das Schauspiel zu beenden, worauf aus der Menge “Kurz! Muß! Weg!” ertönte. Ein katholischer Pfarrer i.R. aus dem schönen Kärntner Städtchen Gurk kontrastierte die “Georgia Guidestones” exegetisch mit den Zehn Geboten.
Ein unbekannter Typ klebte in seiner Ansprache das “Malzeichen des Tieres” aus der Johannesapokalypse, die “Zahl des Tieres” 666 und die Impfung zusammen. Exakt solche Auslassungen stimmen mich ärgerlich, denn es ist nicht ohne Bedeutung, daß apokalyptische Anzeichen sich dieser Tage verdichten, aber wer die Geimpften automatisch für sowohl des Todes als auch des Teufels hält, macht jeglichen ernsten Gedanken an endzeitliches Geschehen unglaubwürdig, obwohl er – kindlich, naiv und unangemessen – das Gegenteil beabsichtigt.
Monika Donner, möglicherweise die einzige seriöse Transsexuelle auf weiter Flur, gelang es, “zack, zack” die Kerngedanken aus ihrem Buch Coronadiktatur zusammenzufassen und einen Polizisten in meiner Sichtweite zu Tränen zu bringen mit dem Verweis auf den Verfassungseid, dem allzuviele Befehle Minister Nehammers an seine Exekutive nicht mehr entsprechen.
“Coronademos” sind prima Futter für “zeitgeschichtliche Betrachtungen” (Rudolf Steiner). Wenn ich oben schrieb, es handle sich um letzte Formen des Widerstands, so ist zu bemerken, daß diese hier zwar die überkommenen Mittel der “Demo” präsentierte, aber weder ein einheitliches Machtziel noch eine einheitliche Ideologie kennt – insofern das Feld des Politischen schon halb verlassen hat.
Das anvisierte Monstrum zeigt sich in vielerlei Gestalt. Die es bekämpfen wollen, verhalten sich wie die berühmten Blinden aus dem Gleichnis, die den Elefanten beschreiben. Verfassungspochern, Freiheitlichen, Basisdemokraten, Esoterikern, Traditionalisten und anderen Christen, Erbsenzählern, aufrechten Medizinern, Homeschoolern, Klassenkämpfern, Q‑Anhängern, Patrioten und Kinderschützern (womit längst nicht alle aufgezählt sind) bietet sich jeweils ein anderes Bild des Monstrums.
Es ist meiner Ansicht nach unmöglich, diese Leute jemals zu bündeln oder politisch “auf rechts” zu drehen. Mag mancher von uns dies bitter beklagen, mir erscheint es der Sache angemessen: das Monstrum ist genausowenig von uns wie von all diesen Blinden, Blinzelnden und Blickenden ganz zu erfassen.
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Sonntagfrüh. Vor der Minoritenkirche im 1. Wiener Gemeindebezirk, einem herrlichen gotischen Bau, strömt eine Menge festlich gekleideter Meßbesucher zusammen. Seit dem 29. Juni 2021 gehört die Kirche der Priesterbruderschaft St. Pius X. (FSSPX), die Italienische Kongregation, in deren Eigentum sich die Minoritenkirche vorher befand, tätigte aus wohlbedachten Gründen eine Schenkung. “Mariä Namen”, der 12. September, erwies sich als geeigneter Festtag, um mit Glanz und Gloria eine würdige Alte Messe vor geschätzt 500 Gläubigen zu zelebrieren.
An das Hochamt schloß sich eine Marienprozession an, die mit lautem Gesang und Gebet auch am Stephansdom vorbeiführte, woselbst die Erzdiözese gegenwärtig eine Impfstation in der NS-Euthanasie-Gedenkkapelle betreibt.
Mit Kummer und Sorgen beladen, doch auch mit vertrauendem Sinn / so zieh’n wir zum Bilde der Gnaden / die Pfade der Buße dahin / O führe Maria die Blinden, damit sie im Himmel dich finden …
Ich habe in diesen drei großen Menschenansammlungen derartig viele eigentümliche Physiognomien gesehen, daß dies allein der Erwähnung wert ist. Keine “Freakshow” ist gemeint, auch kein Aufzug von Selbstdarstellern, sondern ich sah den Gesichtern an, daß diese Menschen eigene Wege gehen und der “Herdenimmunität” nicht mehr zugänglich sind.
Mancher fand sich bei zwei, einige sogar bei allen drei Ereignissen dieses Wochenendes ein. Nun sind sie wieder zuhause und harren der Dinge, die da kommen werden. Mögen sie auch lange ausharren müssen, im Geiste sind alle rege.
Laurenz
@CS (1)
1. Ihre König-von-Patagonien-Nummer klingt auch nicht anders als die Erzählung des späten Che Guevara.
2. Der multi-optionale Widerstand ist natürlich nicht auf einen Nenner zu bringen, warum auch? Es geht nur darum, Existenz des Andersdenkens zu repräsentieren. Und wenn die Demo veraltet ist, was wäre denn die moderne Form des Widerstands? Nix als scheinkluge Sprüche, Frau Sommerfeld. Oder warten auch Sie, wie Niekisch, auf den Erlöser, der alle vereint?
"aber wer die Geimpften automatisch für sowohl des Todes als auch des Teufels hält, macht jeglichen ernsten Gedanken an endzeitliches Geschehen unglaubwürdig"
Viele Ihrer Kollegen schätzen das ganz anders ein.
https://youtu.be/uZdX5jL1Ero
Die Apokalypse war nichts anderes als billige Hoffnung auf die Endzeit des Römischen Reiches, welches die bekannte Welt bedeutete, vor allem in Anbetracht dessen, daß man militärisch selber nichts riß.
Telegram ist voll von zeitgeistigen Heilsbringern, welche die Apokalypse des "Jetzt" verkünden. Sowas geht immer nur mit Gläubigen & die sind nicht auszurotten.
Trifft die Taube den Falken und sagt, "ich glaube, Du tust mir doch nichts, lieber Falke!" Antwortet der Falke, "da wo Du glaubst, weiß ich schon".