Wie sich alles wundersam fügt! Wir feiern die hundertste Ausgabe dieser Zeitschrift – und (der Zufall will es) gleichzeitig, exakt aufs Datum, den zehnten Jahrestag ebendieses Plakats: Division Antaios in achtunddreißig Porträts, achtunddreißig Schlagworten. Das Design ist heute vielleicht erläuterungsbedürftig. Es orientierte sich am Stil einer Pop-art-Kampagne zugunsten Barack Obamas. Damals, Obama war seit einem Jahr Präsident der Vereinigten Staaten und bereits Friedensnobelpreisträger, kursierte unter Demokraten-Fans dieses blauweißrote (um wenige Graustufen ergänzte) Meme des als messianisch bejubelten Halbkenianers, untertitelt mit den enigmatischen Buchstaben HOPE.
Als ob wir das nicht besser, enigmatischer könnten! Das Poster wurde uns damals, bei auf 2000 Stück limitierter Auflage, geradezu aus den Händen gerissen. In den Wohnungen alter Weggefährten hängt es bis heute gerahmt. Es wurde seither x‑fach nachgefragt, jedoch – es ist vergriffen.
Zur oben erwähnten wundersamen Fügung gehört eine coronabedingte Durchschnittshandlung: Auch im Haushalt derjenigen, die sowohl die Division Antaios verpflegen als auch seit 18 Jahren die Sezession druckfertig machen, kam es in den vergangenen Monaten zu gründlichen Durchgängen in Dachböden und Kellern. Und was schmiegte sich da, leicht spinnwebenumflossen, zwischen Kisten mit der Aufschrift »Puzzles, unvollständig« und »Grundschulkram«? Eine Rolle Division-Antaios-Poster, zehn Exemplare ohne jede Alterungsspur.
Dieses Sammlerobjekt zu interpretieren ist ein wenig so, als müßte man einen Witz erklären. Das Geheimnisvolle, Umstrittene, schwer Deutbare, sogar das Raunende gehört ja wesensmäßig zu dieser sagenhaften Division. Division? Diese paar Dutzend Gesichter? Eine Division, so belehrt uns das Volkslexikon Wikipedia, sei ein »militärischer Großverband von 10 000 bis 30 000 Soldaten, der sich aus mehreren Regimentern oder Brigaden sowie verschiedenen Unterstützungstruppen zusammensetzt.« Würde man durchzählen, käme unsere Division (die eine europaweite ist) sicher auf eine solch fünfstellige Zahl. Aufs Plakat gesetzt wurden freilich nur wenige repräsentative Porträts. Martin Lichtmesz hatte diesen Kampfbund (mündlich funktioniert auch der Wortwitz »Die Vision« sehr gut) damals folgendermaßen eingeführt:
»Die DIVISION ANTAIOS blickt auf eine ruhmreiche Tradition von über 1000 Jahren und auf erstaunliche Waffen‑, Geistes- und Inszenierungstaten zurück. Ihre Angehörigen versehen mehr oder weniger freiwillig ihren Dienst: Dem freudigen Streiter ist der gepreßte zur Seite gestellt.«
Die freudigen Streiter, die freiwilligen Kombattanten also, sind rasch auszumachen: Namentlich sind es zentral der Denker (»Think«) Dr. Karlheinz Weißmann, der in direkter Nachbarschaft zum »Tank« Dr. Erik Lehnert (der in seinem früheren Leben als Panzeraufklärer diente) einen »Thinktank« bildet. In schönstes Neudeutsch übersetzt, ist das eine »Denkfabrik«, als die das Institut für Staatspolitik – das herausgebende Organ der Sezession also – von Freund und Feind apostrophiert wurde und wird.
Es folgt eine Reihe drunter meine Wenigkeit. »Femme« als beigeordnete Parole ist erstens naheliegend. Unsere Division ist eine eher virile – nicht jedoch, daß sie Frauen per se ausschließen würde! Gemeinsam mit der Spezialistin für Geschlechterordnungen, Camille Paglia (»Sexus«), repräsentiere ich die stolze weibliche Minderheit innerhalb dieses heterogenen Streithaufens. Zweitens: ein hübsches Buchstabenspiel, reiht sich »Femme« doch an »Feme« an. Wie Paglia ist auch Ernst von Salomon, der Femechronist, selbstredend ein »Gepreßter«. Zu den freiwilligen Streitern zählten damals (heute wären mindestens noch Benedikt Kaiser und Caroline Sommerfeld unter den paradigmatischen Gesichtern; um die jeweiligen Parolen wäre man kaum verlegen!) auch Martin Lichtmesz (»Irrlicht«; Lichtmesz stieß aus einer völlig anderen Szene zu uns) und Götz Kubitschek. Kubitschek bildet mit so sprödem wie widerständigen »Ego non« den Abschluß der Klammer, deren Anfang – nein, es ist nicht König Heinrich, wie man vermuten könnte! – hier mit dem Bamberger Reiter gesetzt ist.
Rund um das Divisionspersonal entspannen sich seinerzeit so viele Diskussionen und soviel Rätselraten, daß man damit ein eigenes heiteres Anekdotenbändchen füllen könnte. Nur ein paar Beispiele: Es gab einen Diskothekenbetreiber und Konzertveranstalter, der eine Zeitlang im Ruch stand, »irgendwie rechts« zu sein. Ein fraglos unbequemer Zustand. Derjenige war nun überzeugt davon, unter der Parole »Fanal« abgebildet zu sein, und schrieb einen komplizierten Brief, in dem er sich so vornehm wie verständnisheischend verwahrte, unserer Division zugerechnet zu werden. (Wenn ich mich korrekt erinnere, dachte er, es würde als »Fanal« gewertet, daß er die slowenische Popgruppe Laibach hatte auftreten lassen.) Tatsächlich hatten wir unter »Fanal« Christian Böhm-Ermolli abgebildet, diesen radikalen, hochbegabten rechten Wiener Aktivisten (siehe Lutz Dammbecks Film Das Meisterspiel), der sich dreißigjährig 1996 im Sterbehaus sowohl von Beethoven als auch von Otto Weininger (höchstselbst bei uns unter »Gender« firmierend) das Leben genommen hatte.
Für Irritation sorgte ferner der Slogan »A Noi!« Etliche Divisionsangehörige der zweiten Reihe vermuteten dahinter etwas irgendwie Schwäbisches – als würde der besagte Schlachtruf eine dialektale Fassung von »Oh nein!« oder »Bloß nicht!« ausdrücken. In der Tat gab es zahlreiche 1848er-Revolutionäre aus dem Schwabenland – nur, der hier Abgebildete ist ein Mann des 20. Jahrhunderts, nämlich der Dichter, Putschist und Visionär Gabriele D’Annunzio. Er ruft »Zu uns!« Und, leider, »Feu« stellte auch nicht den jungen, sicher rechtschaffen begabten Sören M. dar, der uns 2008 einen Aufsatz mit dem Titel »Feudalismus 2.0« eingereicht hatte. Wir hatten diesen Text aus verschiedenen Gründen nicht drucken können – Sören dankte nun für die Würdigung. Zugegeben, das Antlitz ist verwechselbar, aber unser Feuer galt dem französischen Schriftsteller Pierre Drieu la Rochelle, der seinerzeit mit den Deutschen kollaboriert hatte.
Offenkundig bot das Plakat jedenfalls ein schönes, intellektuell anspruchsvolles Ratevergnügen. Zu den am meisten umrätselten Divisionsangehörigen gehörten außerdem »Gott« (das Bild zeigte den rumänischen Religionsphilosophen Mircea Eliade) und »Reich 4.0« (Grenzgänger Hans-Dietrich Sander, 1928 – 2017).
Nun: Was genau ist, metaphorisch gefragt, der Dreßcode dieser Division? Wer darf denn hier mitmischen? Was muß er mitbringen für diese Truppe, die keineswegs ihre Leute »dort abholt, wo sie gerade stehen«? Blut und Eisen sind es nun mal nicht. Hier versammeln sich auch »Ungediente« im konventionellen Sinne, und Ausländer. Der Faktor »Dissidenz« trifft auf die meisten Kombattanten zu. Ob der Alte Fritz und der Bamberger sich hier zuordnen ließen, wäre fraglich. Möglicherweise gab es Zeiten, wo buchstäbliche Dissidenz weder Option noch notwendig war.
Der Division Antaios und mithin auch diesem Projekt, der Sezession, geht es nie um ein prinzipielles »Dagegen«. Nur: um die Dinge in der Waage zu halten, ist genau dies eben meist das Erforderliche – nämlich die Gegenseite zu betreten, damit das Schiff nicht leckschlägt: »Der Rechte – in der Richte: ein Außenseiter.« (Botho Strauß) Wer ganz genau wissen will, um welche Kampfgefährten es sich im einzelnen handelt, kann gern den entsprechenden Artikel nachschlagen, den anno 2010 unser Freund Ernst Jünger als Gastbeitrag auf sezession.de verfaßte. Die Schlagwörter »sezession division antaios« mögen zum Auffinden genügen.