Einen Ausweg möchte uns der Schweizer Alt-68er und Facharzt für Allgemeine Innere Medizin auf 258 Seiten skizzieren, denn die Demokratie werde von einer in der Globalisierung angelegten Tendenz zur Zentralisierung und Vermarktlichung ausgehöhlt, der nur über eine Relokalisierung entgegengesteuert werden könne. Außerdem ergebe sich über die Orientierung am Lokalen eine Lösung der ökologischen Krise. So weit, so bekannt die Argumente, die bereits in ähnlicher Form von Politikwissenschaftlern wie Colin Crouch (Postdemokratie) oder Geographen wie Werner Bätzing oder Mike Carr (Bioregionalism) dargelegt wurden.
Bringt Mattmann also Neues vor oder elaboriert fundierte politische Lösungsansätze für den Weg hin zur verorteten Gesellschaft des lokalen Nahbereichs? Nein! Stattdessen will er alle »Probleme« dieser Welt gleichzeitig abhandeln, alles erklären, um schlußendlich nichts stringent erklären zu können: Wissenschaftskritik reiht sich an Kapitalismuskritik mit ständigen Einwürfen zu einer »lebensfernen Medizin« in der Coronakrise, Geopolitik an eine positive Analyse der Anfänge der 68er-Bewegung.
Diese Themenüberladung versieht Mattmann zusätzlich noch mit einer Vermischung der Erzählperspektiven: Beispielsweise springt er im Kapitel zur Entwicklung der 68er aus der Vogelperspektive des »sachlichen« Analysten in die Rolle des autobiographischen Ich-Erzählers, der eigene Erfahrungen mit politischen Rückschlüssen anreichert. Das Chaos ist perfekt.
Mattmann scheint sich selbst nicht im Klaren darüber, was er mit seinem Buch vorlegen möchte: Behauptet er eingangs, daß Deglobalisierung »keine sozialwissenschaftliche oder historische Abhandlung über die Globalisierung« darstelle, so versucht er genau das über die 258 Seiten anhand unterschiedlicher Fragmente zusammenzufügen – ohne Erfolg.
Damit nicht genug, verfängt er sich in unzähligen inhaltlichen Widersprüchen: Zum einen preist er den Individualisierungsprozeß innerhalb der Moderne, den katalysierenden Effekt der 68er auf diesen Prozeß verbucht er als Erfolg, zum anderen möchte er eine Rückbindung an lokale Gemeinschaften vollziehen.
Einmal kommt er zu dem Schluß, daß der »Kurswechsel« der 68er ins Lager der Globalisten abrupt erfolgte und als Verrat an ihren eigenen Wurzeln zu werten sei, um mehrere Seiten später richtigerweise auf den in der Individualisierung angelegten Konsumfetisch und die Auflösung von Bindungen zugunsten der Einfügung in ein globales Netz der Einzelnen hinzuweisen.
Genauso verheerend für seine »Analyse« wirkt sich sein verkürztes Globalisierungsverständnis aus: Diese ist bei ihm ein Projekt mächtiger Einzelakteure, vorwiegend in den USA angesiedelt, und nicht das Ergebnis einer sozio-ökonomischen Langzeitentwicklung, die auf fossilen Energien und technischem Fortschritt beruht. Zur Frage, inwiefern Mattmanns Abstellen auf demokratische Institutionen als Verwalter seines angestrebten ökologischen Verzichts an der realen Anthropologie scheitern muß, braucht man ob der vielen inhaltlichen Mängel und Widersprüche nicht mehr vorstoßen.
Eine Reflexion dieser Problemstellung sucht man zudem vergebens, denn zur »Essenz« seiner Deglobalisierung gelangt Mattmann qua seines erschöpfenden Anlaufs erst auf den letzten 38 Seiten. Dementsprechend oberflächlich und schlagwortartig fallen sie aus. Wer etwas zur Homogenisierungstendenz der Moderne bzw. der Geschichte der Globalisierung, ihrer Mechanismen und ökologischen Auswirkungen sowie einem politischen Ausweg aus dieser Krise lesen mag, greife lieber zu Rolf Peter Sieferle, Herbert Gruhl oder Rudolf Bahro. Wer hingegen ein schriftgewordenes Anschauungsbeispiel für die ideologischen Paradoxien der neuen sozialen Bewegung »genießen« will, die in ein wild durcheinandergeworfenes Themen-Potpourri eingebettet sind, der kann diese hier schmerzlich nachvollziehen.
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Peter Mattmann-Allamand: Deglobalisierung. Ein ökologisch-demokratischer Ausweg aus der Krise, Wien: Promedia 2021, 258 S., 22€.
Mitleser2
Wenn ein 68er die Welt erklärt, braucht man erst gar nicht anfangen zu lesen.
Aber auch Schick bleibt in seinem engen Weltbild gefangen: Globalisierung basiere auf "fossilen Energien und technischem Fortschritt", wie böse.
Ohne technischen Fortschritt wird es keine Lösung geben. Und ohne billige Energie kein Wohlstand. Aber vielleicht ist für ihn Wohlstand unerwünscht?