Der Name war Programm und klang doch wie eine mißglückte Schlagzeile. Die »Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit« (KgU) war die offensivste Bewegung gegen den stalinistischen Terror in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der anhebenden DDR zu Beginn der fünfziger Jahre. In ihrem Namen waren sowohl ihr Anspruch als auch ihr Dilemma vereint. Kam darin nicht Unvereinbares zusammen?
Bei vielen Deutschen waren die Erinnerungen an diverse Kampfgruppen von Wehrmacht und Waffen-SS noch sehr lebendig. Doch diejenigen, die sich ab 1948 im Westteil Berlins im Namen der Menschlichkeit den Kampf gegen den neuen Totalitarismus auf die Fahnen geschrieben hatten, waren weder kampferprobte Soldaten noch erfahrene Untergrundkämpfer. Diese in der Mehrheit jungen Idealisten sahen sich wie selbstverständlich in der Tradition der Widerstandsgruppen aus der gerade zurückliegenden NS-Diktatur. Sie setzten eine ähnliche Geisteshaltung in der sie umgebenden Gesellschaft voraus, was sich im Nachgang als zu optimistisch herausstellen sollte. Die KgU verzichtete in ihrem Befreiungskampf auf ein metapolitisches Programm ebenso wie auf eine langfristige Strategie und überließ das gutgläubig jenen Kräften, mit denen sie sich verbündet wähnte. Im entstehenden MfS, dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR, erwuchs ihr ein Gegner, der durch die Schule des Untergrunds gegangen war und dessen listigem wie paranoidem Vernichtungswillen sie nichts entgegenzusetzen hatte.
Etwas tun: das Entstehen einer NGO
Berlin war die Frontstadt des Kalten Krieges. Vom Beginn der Besatzungszeit an prallten hier die Systemgegensätze auf engstem Raum aufeinander. Im Schatten der Besatzungsarmeen hatten sich Ohnmacht und Wut angesichts östlicher Ein- und Absperrpolitik bereits Ventile gesucht. Es waren vor allem Westberliner Jugendliche, die immer wieder Grenzsperren und Schilder der SBZ umstürzten oder beschädigten. Dieser Widerstand glich gefährlichen Bubenstreichen – dennoch wurde die jugendliche Triebkraft dahinter bald von der KgU gebündelt.
Der entscheidende Gründungsimpuls kam allerdings von einer anderen Seite. Im Sommer des Jahres 1948 trafen die ersten Entlassenen der sowjetischen Speziallager im Westteil der Stadt ein und wurden von der Parteijugend der demokratischen Parteien und von Studenten betreut. Auf etlichen Veranstaltungen berichteten die ehemaligen Häftlinge von den Zuständen und Mißhandlungen in den Lagern und Zuchthäusern der sowjetischen Militäradministration und ihrer deutschen Helfershelfer. Aus Empörung über das verschwiegene Leid deutscher Landsleute und aus Frust über die Pattsituation der Mächte an der Zonengrenze wurde am 17. Oktober 1948 im überfüllten Titania-Palast im amerikanischen Sektor Steglitz, in der einzigen erhaltenen Versammlungshalle West-Berlins, die Gründung einer »Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit« ausgerufen. Ihr Motto klang wie ein drohender Appell: Nichtstun ist Mord! (Eine Ironie der Geschichte will es, daß 20 Jahre später wieder Westberliner Studenten eine Konferenz abhalten sollten, dieses Mal den Internationalen Vietnamkongreß, bei welchem das gleiche Motto nun gegen die Westmächte, allen voran die in Ostasien kriegführenden USA, gewendet wurde.)
In Rainer Hildebrandt und Ernst Tillich gab sich die Kampfgruppe eine Doppelspitze, die sich in operativen Fragen bald uneins war. Der Hauptinitiator Rainer Hildebrandt (in den ersten Dokumenten des MfS ist von der »Hildebrandt-Gruppe« die Rede) entstammte dem Bildungsbürgertum, war charismatisch, eloquent und feinsinnig. Er sah Gandhis Kampagnen für ein unabhängiges Indien als Vorbild für den deutschen Weg an und wollte die KgU entsprechend aufstellen. Ernst Tillich war Theologe (wie sein berühmter Onkel Paul Tillich) und verstand sich als religiöser Sozialist. Er hatte der Bekennenden Kirche nahegestanden und lehnte Hildebrandts Strategie für Deutschland als irreführend ab. Tillich war in vielem aktivistischer und militanter als sein Mit-Vorsitzender, geradezu exaltiert, aber wie dieser den Anforderungen nicht gewachsen, die die Leitung einer solchen Gruppierung in dieser Situation mit sich brachte. Beide waren sie in der NS-Zeit Verfolgung ausgesetzt gewesen, was dem MfS den propagandistischen Angriff auf ihre Person später erschweren, wenn auch nicht verunmöglichen sollte.
Der Kontakt zu den freigelassenen Insassen der Straflager hatte das erste Tätigkeitsfeld eröffnet, auf dem die Gruppe in der Folgezeit Großes leisten sollte. Die KgU nahm sich mit besonderem Engagement der Opfer an, befragte Flüchtlinge, Deserteure und versuchte praktische Unterstützung, etwa bei der Suche nach Verwandten, nach einer Unterkunft oder in der Bereitstellung von medizinischer Behandlung, anzubieten. Sie sammelte die Namen von Verschleppten und Freigelassenen, legte eine umfangreiche Kartei an, die bei ihrer Auflösung etwa eine Million Verzeichnisse enthielt und dem Roten Kreuz übergeben wurde.
Parallel zu dieser sozial-karitativen Arbeit wollten die Mitarbeiter der KgU die westdeutsche Öffentlichkeit über die Lage jenseits der Zonengrenze aufklären. So fanden beispielsweise Unterredungen zwischen Tillich und Berlins Oberbürgermeister Ernst Reuter statt, in denen letzterer vehement vor unüberlegtem Aktivismus warnte. Zu ihrem vierjährigen Bestehen entsandte Konrad Adenauer der KgU sogar ein Grußtelegramm. Gleichwohl versuchte die erste westdeutsche Regierung die Gruppe immer wieder unter ihre Kontrolle zu bekommen. Es wurde ihr jede Einmischung in die Innenpolitik untersagt.
Mit den ersten Flugblättern, Zeitschriftenausgaben (Tarantel) und Vortragsveranstaltungen wuchs auch die Aufmerksamkeit der östlichen Dienststellen. Sie nahm zu, als provokative Aktionen das Repertoire der KgU erweiterten, wie etwa ein Kranz aus Stacheldraht zu Stalins Geburtstag an die Adresse der SED. Ein besonderes Echo löste ihr offener Brief an Thomas Mann aus, in dem Mann aufgefordert wurde, auf seiner Deutschlandreise 1949 nicht den kommunistischen Ostteil durch einen Besuch aufzuwerten.
Auch westliche Geheimdienste waren auf die seltsame Truppe aufmerksam geworden und suchten Kontakt. Daß die KgU eine öffentlich zugängliche Anlaufadresse in Berlin-Nikolassee besaß (das erste Büro hatte sich in Hildebrandts Privatwohnung befunden), zeugte nicht nur von der ihr immer wieder vorgeworfenen Naivität, sondern vor allem davon, daß sich die KgU zwar als Widerstandsbewegung verstand, jedoch nie als Untergrundorganisation. Einer der letzten namhaften Zeitzeugen und Mitkämpfer Gerhard Finn, der 2013 einen ehrenden Nachruf im Tagesspiegel erhielt und ein ausgewogenes Werk zur KgU verfaßt hatte, sprach von »demonstrativem Widerstand«.
Die Verstrickung in die nebulöse Geheimdienst-Welt gehört zu den bis heute unaufgeklärten Kapiteln in der Geschichte der Kampfgruppe. In der tendenziösen Historiographie, der die meisten der wenigen Publikationen zur KgU entspringen, wird sie nicht selten zu einem dubiosen Netzwerk von »braun-gebrannten« Spionen und »wilden« Nachrichtenhändlern der frühen Nachkriegszeit degradiert. Der immer wiederkehrende Name des Baltendeutschen Heinrich von zur Mühlen etwa, der im Krieg vor allem als Verbindungsmann des Auswärtigen Amtes bei diversen Stäben, darunter dem OKW, tätig gewesen war (die Wehrmacht kannte er de facto nur aus Wehrübungen), erweist sich jedoch als wenig ergiebig. Mühlen hatte die KgU bereits 1951 verlassen. Ein angeblicher Insider-Brief aus seiner Feder an das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen wird von Jochen Staadt, der in seiner Sichtung der KgU-Sekundärliteratur viel Spreu vom Weizen trennt, als plumpe Fälschung entlarvt.
Die Spur der westlichen Dienste führt viel eher zum amerikanischen Riesen, der sich besonders ab dem Zeitpunkt der KgU zuwandte, als er von ihr erste Informationen über die Entstehung einer kasernierten Volkspolizei als Tarnung für eine zukünftige Armee erhielt. Geflüchtete hatten dies in den Sprechzimmern der Kampfgruppe berichtet – und da kein »Beichtgeheimnis« vorlag, sah die Gruppe es als ihre Pflicht an, deutsche wie alliierte offizielle Stellen davon in Kenntnis zu setzen. Der deutschstämmige Henry Hecksher, stellvertretender Leiter der Berliner Operationsbasis der CIA, wollte die KgU für sich nutzen. Bald schon galt er als der dritte Leiter der KgU – wenn nicht als ihr erster. Es stellt sich die Frage, inwieweit die KgU unter amerikanischem Einfluß ihre Selbständigkeit einbüßte, vor allem, als ihre Aktionen erste Erfolge in der DDR erzielten, den Gegner empfindlich trafen und riskanter wurden. Ob die immer wieder kolportierte Geschichte von der Einschleusung ehemaliger oder aktiver Beamter der Kriminalpolizei in die KgU auf US-Betreiben zurückging, ist nicht mehr sicher auszumachen.
Geheimdienstkriege sind mit Absicht unübersichtlich. Klarheit soll nur der eigene Dienst erlangen, niemals der Gegner oder der Adressat von Operationen, auch nicht der Freund, geschweige denn Dritte. Diese Welt, in der Zynismus, allseitiges Mißtrauen und Skrupellosigkeit zur zweiten Natur werden, konnte dem anfänglichen Idealismus der Kampfgruppen-Mitglieder nicht zuträglich sein. Daß die KgU unter Angabe der Klarnamen, wenn auch unter dem Cover »Büro Dr. Hoffmann«, bei Ämtern und Versicherungen firmierte, quittierten die CIA-Profis zwar mit Kopfschütteln (unter dem alliierten Hoheitsrecht war eine andere Form der Gründung nicht möglich), beließen es jedoch dabei. Es trat ein, wovor Ernst Reuter gewarnt hatte: Namen und Kontakte der KgU wurden von den Amerikanern genutzt, um im Osten Kundschafter zu gewinnen, welche bei Verhaftung durch die Sicherheitsorgane der DDR immer nur als »KgU-Agenten« in Erscheinung treten würden. Viele wurden so unwissentlich zu Mitarbeitern des US-Geheimdienstes und damit zu »Kanonenfutter« im geheimen Krieg der 1950er Jahre.
Auf der anderen Seite wurden die Aktionen der KgU immer erfolgreicher, so daß das MfS von einer gigantischen Untergrundorganisation ausging. Berühmt wurden die sogenannten F‑Aktionen, an denen sich die ostdeutsche Bevölkerung überraschend rege beteiligte. Es sollte an allen möglichen Orten ein großes F aufgemalt werden, als Zeichen für Freiheit und /oder Feindschaft dem System gegenüber, so Ernst Tillich. Tatsächlich hatte die Volkspolizei alle Hände voll zu tun, den Buchstaben vielerorts abzuwaschen oder durch die Buchstaben D und J zu FDJ zu ergänzen. Daneben schickte die KgU gefälschte Briefmarken in Umlauf, die den Präsidenten der DDR, Wilhelm Pieck, mit einer Schlinge um den Hals zeigten. In diese Kategorie gehören auch die selbsterstellten Steckbriefe, die besonders üble Schergen öffentlich anprangerten. Gefährlicher für das Regime waren die paßgenauen Fälschungen amtlicher Schreiben der DDR, die von der KgU lanciert wurden und einiges an Chaos in Partei und Wirtschaft anrichteten. Hier wurde eine besonders empfindliche Stelle getroffen.
Gerhard Finn spricht in seinen Erinnerungen auch das heikle Kapitel der Bewaffnung an, das der KgU nicht nur in der DDR-Propaganda, sondern auch in der heutigen, auf links gedrehten Geschichtsforschung wie ein Stigma anhaftet. Tatsächlich wurden sogenannte Reifentöter, das waren gebogene Stahlhaken, gegen sowjetische Militärfahrzeuge eingesetzt und »zumindest Experimente mit kleinen Brandsätzen« (Finn) gemacht. Nicht in jede Planung war die KgU-Führung involviert, nicht alles fand ihre Billigung. Nicht ein einziger ernstzunehmender Anschlag wurde von der KgU zeit ihres Bestehens verübt. Und längst nicht alle, die sich bei der KgU vorstellten oder in ihrem Namen losschlugen, standen unter ihrer Kontrolle. Sie war eben keine Untergrundorganisation mit straffer Hierarchie und Befehlskette. Ihre Mitglieder waren keine litauischen Waldbrüder, keine ukrainischen oder rumänischen Partisanen. Diese Tradition gab es in Deutschland nicht.
Gleichwohl waren die Behörden der DDR alarmiert. Der erste Minister für Staatssicherheit, Wilhelm Zaisser (ein Gegner Ulbrichts), gab den Befehl zum Gegenschlag. Daraufhin wurde unter dem Decknamen »Karo« alles über die KgU erfaßt, ausgewertet und bei Eignung ins Feld geführt. Die operative Aufsicht hatte der kommende Mann im Sicherheitsapparat der DDR, der damalige Staatssekretär Erich Mielke. Eine erste Verhaftungswelle Ende 1951 (Affäre Walter) führte zu 200 Festnahmen und in der Folge zu 40 Hinrichtungen. Aus der anfänglichen »MfS-Psychose« (Finn) wurde mit der Zeit ein kühler Wille zur Vernichtung, der dem MfS überdies einen gehörigen Professionalisierungsschub einbrachte. Erst durch die Kampagnen gegen die KgU wurde das MfS zu jener unerbittlichen Überwachungs- und Zersetzungskrake, die ihren Ruf für die kommenden Jahrzehnte begründete.
Den Unruheherd, der sich schließlich zum Volksaufstand des 17. Juni 1953 entwickeln sollte, hatte sie bei all dem glatt übersehen.
Goliath schlägt um sich
Der Volksaufstand des 17. Juni, der das Regime in seiner Wucht an den Rand des Zusammenbruchs brachte, ging nicht unmittelbar auf KgU-Einwirkung zurück. Es war die Elite des Sozialismus, die Bauarbeiter der Stalinallee und weiterer Baustellen, die in Streikkomitees gegen die völlig jenseitigen Normerhöhungen protestierten sowie bald gegen das Zwangssystem als Ganzes auf die Straße gingen. Es war dieser spontane Aufstand, der nur von sowjetischen Panzern erstickt werden konnte, der das MfS endgültig aufrüttelte.
Der neue Chef der Staatssicherheit, Ernst Wollweber, der den glücklosen Zaisser ablöste, besann sich auf seine Untergrund-Ausbildung an der Lenin-Schule in Moskau und schwor den Apparat gemäß eines Politbüro-Beschlusses vom September 1953 auf eine Offensive gegen Westdeutschland ein. Zugleich sorgte er mit der »Gnadenlosigkeit des Parteisoldaten« (Karl Wilhelm Fricke) für eine straffe Disziplinierung nach innen und brachte Aufklärung und Abwehr organisatorisch unter einen Hut. In den folgenden Kampagnen des MfS ging Repression mit ausgeklügelter Propaganda einher. Es begann eine Ära der Schauprozesse, an deren Ende stets lange Haftstrafen und nicht wenige Todesurteile standen. Letztere waren in den »Drehbüchern« für solche Prozesse bereits vor Beginn festgeschrieben. Je spektakulärer die Anklagen, etwa im Fall des Kraftfahrers Burianek oder des Lehrers Benkowitz, die eher am Rande mit der KgU zu tun hatten, die jedoch beide zu Top-Terroristen hochgeschrieben wurden, desto größer die Propaganda-Wirkung.
Nun rächte sich die relative Sichtbarkeit der KgU, da sich immer mehr V‑Leute der Staatssicherheit unter die Ratsuchenden mischten, die in ihrem Westberliner Büro erschienen. Das Umfeld der Hauptakteure wurde aufgeklärt, das Intimleben durchleuchtet, Adressen ausfindig gemacht und Infiltration in die Gruppe versucht. Gleichzeitig wandte sich das MfS verdeckt an die westdeutsche Presse mit der Absicht, die KgU in der bundesdeutschen Öffentlichkeit zu verleumden. Der »Sensationscharakter« (Staadt) von Exklusivzugängen zu vermeintlichen Aussteigern aus der »Terrorgruppe« KgU, die in Wahrheit vom MfS präpariert wurden, lockte West-Journalisten des Spiegel, des Stern u. a. in die Fallen der Desinformation. Auch auf arrangierten Pressekonferenzen wurden angeblich reuige Ex-Mitglieder der »verbrecherischen« KgU der Öffentlichkeit vorgestellt.
Ein in der einschlägigen Literatur immer wieder hervorgehobener Fall ist der des angeblich aus der KgU ausgeschiedenen Hanfried Hiecke. Er ist der »Held« der MfS-Broschüre Deckname Walter von 1953, in der die Bürger der DDR wort- und bildreich vor der gemeingefährlichen, US-geführten »Terrorgruppe« KgU gewarnt werden. Hiecke, der eigentlich Johannes-Siegfried Hiecke hieß und unbehelligt in Berlin lebte, soll aktiv zu der ersten großen Verhaftungswelle beigetragen haben, die 40 Menschenleben kostete. In der westdeutschen Öffentlichkeit verfing die Medienstrategie des MfS. Hier hatte die KgU bald mehr Gegner als im Osten, wo ihr Ruf trotz Dauer-Propaganda nicht sehr gelitten hatte. Bereits lange zuvor äußerten manche Prominente, wie etwa der bekannte Pastor Martin Niemöller, vernichtende Kritik gegenüber der KgU. Ihre Art, Widerstand zu leisten, wurde von Niemöller als verbrecherisch hingestellt, da durch ihre dilettantischen Aktionen viele unschuldige Menschen ums Leben gekommen seien. Im Gegenzug warf die KgU der einstigen Galionsfigur der Bekennenden Kirche heimliche Sympathien für den Kommunismus oder zumindest naive Unterschätzung seiner Gefährlichkeit vor. Klaus Röhls und Ulrike Meinhoffs Zeitschrift konkret widmete der KgU noch 1969 eine Ohrfeige.
Intern zerstritten, von außen verleumdet und schließlich von allen Seiten fallengelassen, wurde die KgU 1959 aufgelöst und verschwand aus dem Gedächtnis.
Lang lebt der Feind! Feindbilder und Feindberührung
Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit gehört zu den Legenden des Kalten Krieges. Doch anders als die geheimnisumwitterten Stay-behind-Netzwerke ist die KgU besser dokumentiert. Mit ihr verbinden sich Gesichter, Namen und Schicksale. In der bundesdeutschen Gesellschaft kaum bekannt, erwacht die KgU in Fachkreisen immer wieder zu einem unruhigen Nachleben, vor allem, was ihre ideologische Einordnung betrifft.
Jüngster Stein des Anstoßes war das in der Konsens-Presse als neues Standardwerk (Rezension in der Süddeutschen Zeitung 2015) gepriesene Buch von Enrico Heitzer, der eine kaum verhohlene Nähe zur Amadeu-Antonio-Stiftung erkennen läßt und die KgU als mächtige, halbstaatliche Gruppe von ehemaligen NS-Sympathisanten bewertet. Sein Antipode auf diesem Gebiet, der Politikwissenschaftler Jochen Staadt, weist in einer mehrteiligen Erwiderung auf Heitzer dessen handwerkliche Fehler nach und sieht Heitzers Forschungsbeiträge rund um die KgU als Versuch an, sie »in die Nazi-Tonne zu treten« (Staadt). Der Wahrheit näher gelangt man wohl eher mit Staadts Feststellung: »Die braunen Wurzeln lagen wohl kaum tiefer als in der übrigen Gesellschaft«.
Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit griff die DDR direkt an. Sie setzte auf Aktionsformen, die nach ihr die 68er in entgegengesetzter Richtung vervollkommnen sollten. Dabei geriet sie zwischen große und kleine Mahlsteine und mußte ihren Mut zur Dreistigkeit teuer bezahlen. In ihrem Selbstverständnis als Kampfgruppe brachte die KgU unmißverständlich zum Ausdruck, daß sie sich als im Krieg befindlich betrachtete. Trotz ihrer metapolitischen und operativen Fahrlässigkeit wußte sie, wie sehr der Marxismus auf Bewußtseinsbildung setzte und daß er dort angegriffen werden mußte. Ihr Widerstand sollte wachrütteln. Gleichzeitig erwies sich das sozialistische System als totalitärer Bürokratismus, der seine Gesellschaft lückenlos zu erfassen begann und der kaum noch »weiße Flecken« als Basis für Gegenaktionen übrigließ. In den Schlichen des Untergrunds versiert, machte dieses System die Schwachstellen seiner Gegner aus und drehte den Spieß kurzerhand um. Die KgU verlor ihr Hinterland. Mit dem Bau der Mauer verschwand der Westen vollends als Rückzugs- und »Aufmarschgebiet«.
Konnte ein Widerstand nach Art der KgU überhaupt noch glücken, könnte er es heute, unter veränderten Bedingungen und gegen einen »smarten Feind«? Abgesehen davon, daß echter, beherzter Widerstand sich nie nur nach Erfolgsaussichten richtet, gilt: Jedes Zeitalter hat seine Art des Krieges, seine Feinde und findet seine Soldaten. Die Lückenlosigkeit staatlicher Einkesselung hat dank der digitalen Weltrevolution Ausmaße erreicht, die jeden Ansatz zu frustrieren scheinen. Ähnlich niederschmetternde Ausmaße hat der Grad an westeuropäischer Überalterung erreicht, die jeden vorgetragenen Angriff zu einem sozial isolierten Hasardeurstück werden läßt. So wenig planbar Geschichte ist, so planvoll muß aber das Unerwartete einberechnet werden. Die KgU hatte den Aufstand des 17. Juni nicht vorhergesehen und dennoch auf ihn hingearbeitet, ohne sich dessen bewußt zu sein. Sie band Kräfte und Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden und gab eine Lücke frei. Es rächte sich, daß der im Untergrund groß gewordene Sozialismus sich nie der Paranoia entledigen konnte, die ein fortwährendes Leben im Untergrund der Psyche antut. Der Tunnelblick war der Horizont des Systems.
In unserer Lebenswelt scheint sich eine postmoderne Elite unter Einbeziehung von Versatzstücken der 68er mit Repressionsformen anzufreunden, die dem Stalinismus nahekommen. Diese Lebenswelt ist aber eine Welt der Enklaven geworden, die sich allesamt feindlich gegenüberstehen. Auch der Staat selbst ist zur Enklave geworden, der trotz digitaler Herrschaftskontrolle mehr weiße Flecken übrigläßt, als allgemein angenommen wird. In unserer Enklave müßte gelten, sich gleichsam generalstabsmäßig auf das vorzubereiten, auf das man sich nicht vorbereiten kann.