Max Otte ist nicht mehr im Nahbereich der AfD aktiv. Am 7. Januar twitterte er: »Ich trete mit sofortiger Wirkung vom Vorsitz des Kuratoriums der Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) zurück und aus dem Kuratorium aus. Statt sich mit den Zukunftsfragen für unser Land zu beschäftigen, beschäftigt sich die AfD vor allem mit sich selbst.«
Nun ist letztere Verhaltensunzulänglichkeit kein Alleinstellungsmerkmal. Auch die Linkspartei ruft eine neuerliche Kampagne gegen ihr TV-Gesicht Sahra Wagenknecht aus, bei den Christdemokraten geht es seit Monaten um die Regelung der Machtkonstellation »nach Merkel«, und die Sozialdemokraten kreisen seit der Post-Schröder-Depression ohnehin nur um sich selbst. Aber die AfD will eine Alternative verkörpern; es gelten strengere Maßstäbe. Otte, ein an die preußischen Sozialkonservativen anknüpfender Denker, setzt seine Twitter-Kolumne mit der Anmerkung fort, daß ihm auch »als Fondsmanager die sozialen Belange sehr wichtig sind«. Die aus seiner Sicht »richtungweisenden Ergebnisse des Sozialparteitages« würden durch Jörg Meuthen hintertrieben.
Tatsächlich schert sich die Zweidrittelmehrheit im Bundesvorstand keinen Deut um die Eckpfeiler, die im November 2020 in Kalkar eingezogen wurden. Otte erkennt demgegenüber, daß Erfolge nur gedeihen können, »wenn die AfD soziale Belange und Bürgerbewegungen ernst nimmt«. Das Gegenteil sei der Fall. Und so schlußfolgert Otte, daß sich die AfD mit »dem Projekt FDP 2.0« schlechterdings »in die Bedeutungslosigkeit katapultieren« werde.
Man kann nun darüber streiten, ob es weise war, die DES just dann zu verlassen, wenn es um die Verfügungsgewalt über die Fördertöpfe geht. Aber Otte wird sich bei seinem Absprung etwas gedacht haben. Da er soziale Fragen und Bürgerbewegungen als elementare Felder benennt und der AfD ein wenig zu pauschal (gerade er kennt das Thüringer Gegenbeispiel) unterstellt, beides nicht ernst zu nehmen, wäre es naheliegend, daß er sich bürgerbewegt dezidiert sozialen Politiken verschriebe. Doch Otte vollendet seinen Twitter-Strang mit dem Hinweis, sich fortan stärker bei der WerteUnion (WU) einzubringen, jener (noch) geduldeten Miniaturplattform innerhalb der Regierungsparteien CDU und CSU, die den Blackrock-Neoliberalen Friedrich Merz vergöttert und mit marktradikaler Rhetorik selbst eine Beatrix von Storch als Sozialistin erscheinen läßt.
Parteipolitisch Rolle rückwärts – dafür vorpolitisch die Stärkung des gegenhegemonialen Lagers? Nein, statt dessen: Ratlosigkeit. Denn Ottes Projekt »Neues Hambacher Fest« – seine zweite verkündete Schwerpunktlegung neben der WU – ist kaum bekannt dafür, dem rechtsalternativen Feld Türen zu öffnen. Zu den bisherigen Rednern zählten mit Vera Lengsfeld (CDU) und Thilo Sarrazin (SPD) Akteure, die bei allem Unbehagen am Mainstream recht einträglich von ihrer Teilkritik an ihm leben können, oder solche, etwa Jörg Meuthen himself, die ja explizit zu den Gegnern einer bürgerbewegt-sozialen Alternative zu rechnen wären.
Wenn partei- und metapolitisch keine Impulse aus der Eifel heraneilen, dann publizistisch? Dafür spricht, daß kürzlich ein Büchlein des Bundestagsabgeordneten Harald Weyel (Die Verdammten Europas) mit einem Vorwort von Max Otte und einem Nachwort von Erik Lehnert angekündigt war: ein Zusammenrücken von renommierter Expertise, politisch-praktischen Erfahrungswerten und wissenschaftlichem Vorfeld. Dagegen spricht, daß der Name Lehnert verschwinden mußte – diesmal nach Intervention Ottes. Gestrichen wurde Lehnert ja schon 2020 von der DES-Liste. Verantwortlich damals war Ottes nunmehrige Stiftungs- (und Twitter-)Gegnerin Erika Steinbach.
Diese Wiederholung der Geschichte als Farce legt nahe, daß »organische Intellektuelle« mit entsprechendem Weltanschauungshorizont, die Projekte eigener Milieus verstehen und verstärken, nicht von außen kommen werden. Sowohl Christdemokraten ohne (Steinbach) als auch mit (Otte) CDU-Parteibuch helfen nicht weiter beim Versuch, das verhängnisvolle »Projekt FDP 2.0« (Max Otte dixit) zu verhindern. Was bleibt ist die Gewißheit, daß die authentische politische Rechte zwar Freunde in der »Mitte« benötigt, sich aber im Zweifelsfall nicht auf sie verlassen sollte.