Ich erlaube mir, die hier dargestellte Tragödie mit einem Bilddetail zu beginnen, das vielleicht zu erheitern vermag – damit die Stimmung nicht gleich in Tristesse kippt. Wir sehen ganz rechts im Bilde einen pflanzlichen Altarraumschmuck. Es ist ein Gewächs, das der Volksmund »Zimmerpalme« nennt. Ein unsensibles Immergrün, das keiner besonderen Pflege bedarf. Man kann es gelegentlich abstauben, muß es aber nicht.
Mich erinnert dieses heute eventuell modische Farbtupferl an folgende Anekdote aus meiner Kindheit: Im Übergang von der vierten zur fünften Klasse wollte ich gern (als einzige aus meiner Klasse; die anderen wollten gern die hessische »Förderstufe« erleben) auf die »Marienschule der Ursulinen«, eine Mädchenschule, wechseln. Das gestaltete sich nicht einfach. Es kostete Geld. Und man mußte neben guten Noten einen gewissen »Leumund« aufweisen. Ich, flehend: »Aber die Christine [Nachbarstochter] wurde doch auch einfach aufgenommen!« Meine Mutter: »Klar. Da schmücken die Eltern die Kirche auch mit Blumen aus!« Ich, vollends naiv und zugleich metaphernaffin: »Aber – das tun wir doch auch! Wir versäumen keinen Sonntag! Der Papa trägt zu Fronleichnam den Himmel! Ich gehe zur Ohrenbeichte, als einzige!«
Spät wurde mir klar, daß die Eltern von Christine wortwörtlich für den teuren sonntäglichen Blumenschmuck sorgten. Also für kostspielige Rosen- und Lilienbouquets; ein saisonaler Farbrausch für den Altar und ein kleiner, um so hübscherer für die Marienfigur auf der linken Seite. Hier im Bild sehen wir nur das steril-gelangweilte Palmengewächs, ein bißchen Pseudogrün also; bloß keinen falschen Aufwand, der dann gleich als papistischer Pomp und Prunk interpretiert werden könnte!
In der katholischen Amtskirche von heute geht es zuvörderst um Nüchternheit – was im Grunde protestantisch anmutet. Zum zweiten geht es allerdings um das genaue Gegenteil – nämlich um das Exzeßhafte. Bevor ich endlich auf das hier Abgebildete zu sprechen komme, möchte ich auf ein »viral gehendes« Video eingehen, das zu Ostern 2021 in einer katholischen Kirche in Inzing / Tirol aufgenommen wurde. Pfarrer Josef Scheiring schwingt hier mundnasenmaskenbewehrt das Tanzbein, und zwar vor einem Hochaltar, der hierbei stur das Hintergrundbild gibt.
Flankiert wird P. Scheiring von wild tanzenden Meßdiener*innen. Sie alle bewegen sich zu einem südafrikanischen »Coronahit« namens »Jerusalema«. Dieser populäre Song ist in Zulu-Sprache verfaßt – viel Vergnügen bei Übersetzungsversuchen! Nach der Tanzeinlage verläßt diese unheimliche Corona fröhlich klatschend (die sogenannte Gemeinde swingt hörbar mit) die Kirche. Vergleichbare Szenen sehen wir dutzendfach auf entsprechenden Kanälen. Der beschwingte »Jerusalema-Tanz« findet auf Krankenstationen und in Altarräumen der halben Welt statt. Fuldaer Nonnen zeigen ihn keck. Münchner Priesteramtskandidaten wackeln ebenfalls fröhlich mit den Hüften.
Dem Vernehmen nach geht es den tänzelnden Protagonisten darum, Heiterkeit und »Mut« in düsterer (Corona-) Zeit aufzuzeigen. Mit Goethe gesprochen: »Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.« Die Frage stellt sich, warum bei diesem Hype weder a) die islamischen Verbände, b) die orthodoxen Kirchen, c) die katholischen Gemeinschaften der Tradition (die also das II. Vaticanum nicht anerkennen, vulgo die Pius- und die Petrusbruderschaft) mitwackeln. Was macht das mit einem normalkatholischen Gemüt?
Schwenken wir auf einen anderen aktuellen Fall, nämlich auf das Bild: Am 10. Mai 2021 dominierte der »Hashtag« #liebegewinnt. Das bedeutete: An diesem Tag segneten katholische Pfarrer (mehrere hundert deutschlandweit) homosexuelle Partnerschaften. Zwei Pressefotos prägten dieses Ereignis. Auf dem einen, das durch die Medien ging, ist ein prototypisches Homopaar zu sehen: zwei graudurchwirkte Lesbierinnen in ihren späten fünfziger Jahren (klassisch: die eine kurzhaarig im »Anzug«, die andere mittelhaarig im Ökokleid), über die der Pfarrer maskenbewehrt seine Arme zum Segensgruß ausbreitet. Der Segnungsbevollmächtigte trägt rechts eine graue Schläfe im dunklen Kurzhaar. Das tut er auch im obigen Bild mit der Zimmerpalme – womöglich handelt es sich um dieselbe Person. Hier liest er offensichtlich vor, die Hände, wir erahnen es bloß, fromm gefaltet. Wir können nicht wissen, was er liest. Gewiß keine der zahlreichen Bibelstellen, die die sexuelle Begegnung zweier Menschen gleichen Geschlechts strikt untersagen und als Todsünde markieren. Vielleicht eine Fürbitte, deren Inhalt ins Befinden des Zeitgeistes gestellt ist?
Wir erinnern uns: Fürbitten sind erst seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1965) wieder Teil der heiligen Messe. Im angelsächsischen Sprachraum sind diese Fürbitten oft sehr persönlich und teils herzzerreißend – im deutschsprachigen Gebiet geht es fürbittend gern um die aktuelle Politik und sogenannte Gegenwartsprobleme. Der Herr soll machen, daß »die Populisten« nicht die Macht gewinnen, er soll machen, daß der Impfstoff für alle reicht.
Als gesichert darf gelten, daß das Hissen der sogenannten Regenbogenfahne innerhalb der seit Jahrhunderten überkommenen göttlichen Liturgie und selbst in ihrer modischen Version nicht vorgesehen ist. Gott hat (Gen 9,13–17) den Regenbogen zu Noahs Zeiten gestiftet als Bund zwischen Ihm und »allem Fleisch auf Erden«. Daß damit das lüsterne Fleisch der gleichgeschlechtlichen Zugeneigtheit gemeint sei, wäre eine äußerst freie, vermutlich blasphemische Interpretation.
Nun wird dennoch hier, siehe oben, mit heiligmäßiger Anmutung die Regenbogenfahne erhoben. Zwei ältere Frauen in offenkundig sakralen Gewändern tun es. Ihr Mutwillen und Fleiß sind offensichtlich. Die kurzhaarige Weißgewandete mit dem Fitneßarmband hat ebenso sichtbare Mühe, die bunte Fahne hochzuhalten, wie ihr noch kleineres, maskiertes Gegenüber. Viel Eifer liegt in diesem Bild; Gezerre und Anstrengung: Es gilt, die Fahne hochzuhalten!
Wie bescheiden, demütig, schicksalsbefohlen und doch erhaben wirkt da die Heilige Gottesmutter Maria im Hintergrund. Anders als die beiden Vertreterinnen ihres Geschlechts hält sie den Kopf bescheiden geneigt, wie zur Innenschau. Sie erscheint als eine Konjunktur aus Demut und Stolz, den Satz ihres Herrn nachsprechend: »Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.«
Papst Franziskus hat die Segnung homosexueller Paare untersagt. Beliebtes Gegenargument: Die Kirche segnet Autos, Braukessel und Tiere, warum nicht also homosexuelle Bindungen? Die Antwort ist eindeutig und logisch: Einem homosexuellen Menschen darf die Kirche trotz dessen Verirrung einen Segen spenden, aber niemals einer ganz und gar unbiblischen Partnerschaft, die im sexuellen Vollzug eindeutig und zweifellos sündhaft ist.
Es sagt viel über den geistig-moralischen Zustand unseres Landes aus, wenn ausgerechnet und vor allem deutsche Pfarrer dagegen (im Wortsinne: grundlos) aufbegehren. Sie tun es mit seichten Worten: »Gott läßt sich überall dort finden, wo Menschen in Liebe und Treue miteinander verbunden sind und einander in Respekt begegnen«: So reagierten mehrere Nürnberger Pfarrer auf das Verbot der Segnung homosexueller Paare durch die katholische Glaubenskongregation in Rom.
Rückenwind erhielten sie und Dutzende anderer Dissidenter (in Belgien stand die gesamte Bischofskonferenz für eine Segnungserlaubnis ein) durch ein Interview, das auf dem Leitmedium katholisch.de veröffentlicht wurde. Es sprach dort der junge, schicke »Kommunikationsexperte« Erik Flügge, der »Kampagnenstrategie an der Universität Bochum im Studiengang für crossmediale Glaubenskommunikation« unterrichtet: Das Segnungsverbot widerspreche »dem Wissensstand unserer Zeit über die Bibel, ignoriert theologische Forschung zu diesem Thema und humanwissenschaftliche Erkenntnisse über die Natur des Menschen und damit über die Natur der Schöpfung«.
Weiterer Rückenwind kommt nicht zuletzt durch den Papst selbst, der schließlich doch nur zu einem »Jein« zu den Segnungswünschen fand. Es kommt nicht darauf an, woher der Wind weht, sondern wie man die Segel setzt, wußte Sokrates.