Sich keinen Illusionen hinzugeben ist eine der wichtigsten Tugenden rechten Denkens. Der Rechte, oder genauer gesagt: der Reaktionär, zeichnet sich dadurch aus, daß er sich und anderen nichts vormacht. Das unterscheidet ihn nicht nur von dem in Utopien wohnenden Linken, sondern auch von jenem »Konservativen«, der die jüngst vergangene Vergangenheit für das wiederzugewinnende Paradies hält, ohne zu bemerken, daß die verderbte Gegenwart aus genau dieser vergifteten Quelle geflossen ist.
Wenn es also darum geht, als Rechter eine historisch-politische Lagebestimmung vorzunehmen, dann gilt es, sich in der Tugend der Illusionslosigkeit zu üben und harte Wahrheiten auch in ihrer ganzen Härte auszusprechen. Eine solche hat Greg Johnson, Philosoph und Vordenker der amerikanischen »Dissident Right«, mit Blick auf die herrschenden Eliten der westlichen Staaten festgehalten.
Die Individuen, Parteien und Konzerne, die über uns herrschen, seien von einer teuflischen Boshaftigkeit, die in der Geschichte der Menschheit ihresgleichen suche: »Als Platon und Aristoteles ihre Liste schlechter Regierungsformen zusammenstellten, konnte sich keiner von ihnen ein Regime vorstellen, das derart böse ist, daß es sich dem Austausch der eigenen Bevölkerung durch Ausländer verschreibt.« Die Diabolik, die Johnson hier völlig zutreffend diagnostiziert, bemißt sich nicht an schlechten politischen Maßnahmen, die mit historischer Regelmäßigkeit zu Hunger, Krieg und Tod führen, sondern an der bewußten und gewollten Verkehrung der ureigensten Aufgaben des Staates. Um konkret zu werden: Spätestens seit 2015 sollte jedem Deutschen eigentlich klar sein, daß das Ziel des BRD-Parteienstaates nicht die Einheit und das Wohl der Nation sind, sondern ihre ethnische Entkernung und damit die Zerstörung Deutschlands. Ob dieses Ziel selbst noch einmal anderen Zielen dient (von plumper Bereicherung bis hin zu moralischer Geschichtsentlastung ist vieles denkbar), ist dabei eine Frage von nur nachgeordnetem Interesse.
Der illusionslose Blick Johnsons auf die historisch einzigartige Bösartigkeit westlicher Regierungen bedarf einer gleichermaßen illusionslosen Ergänzung mit Blick auf die Verfaßtheit der Regierten. Es muß gefragt werden, was das Volk mit der Regierung zu tun hat. Die vielleicht schmerzhafteste und darum des Wunschdenkens gänzlich unverdächtige Antwort darauf findet sich in einem auf den 15. August 1811 datieren Brief des reaktionären Meisterdenkers Joseph de Maistre: »Jedes Volk [fr. nation] hat die Regierung, die es verdient.«
Dieser Satz, den de Maistre während seiner Zeit als Gesandter des Königreichs Sardinien in St. Petersburg niederschreibt, zeugt von seiner einzigartigen Fähigkeit, einen philosophischen Gedanken derart wuchtig und zugleich auf den Punkt verdichtet zu präsentieren, daß er einem Kopfstoß gleicht. De Maistre kultiviert, ja zelebriert diesen provokanten Stil in seinen Schriften und reichert ihn nicht selten mit lustvoll formulierten Paradoxien an, die sich nur einem Denker offenbaren, der in geduldiger Reflexionsarbeit bis auf den Grund der Dinge vorgestoßen ist.
»Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient« – über diese These empört sich in erster Linie unsere Menschenfreundlichkeit (oder zumindest dasjenige, was sich in uns als solche ausgibt): Wie kann man so etwas angesichts der übergroßen Zahl der Unschuldigen, die im Laufe der Geschichte von ihren Regierungen geknechtet, gequält und ermordet wurden, nur behaupten! Selbst ein sonst furchtloser Denker wie Emil M. Cioran, der sich nicht scheute, in den Abgrund des Nihilismus zu blicken, offenbart in seiner Auseinandersetzung mit de Maistre einen versteckten Hang zum Moralismus, wenn er dessen Werturteile als »unmenschlich« brandmarkt.
Nun, ein solcher Moralismus greift vollständig ins Leere, insofern von Individuen hier gar nicht die Rede ist. De Maistre geht es hier nicht um Schuld und Unschuld des einzelnen, sondern um einen Wesenszusammenhang von Regierung und Volk: Die Regierung ist entweder Ausdruck des Willens eines Volkes oder aber, wo dies nicht der Fall ist, zumindest Ausdruck dessen, was ein Volk mit sich machen läßt. Die Regierten sind immer auch die, die sich regieren lassen. Im Extremfall zeigt sich an der Knechtschaft eines Volkes seine Kraft- und Machtlosigkeit und damit die Tatsache, daß es das nackte Überleben der Freiheit, d. h. einem Leben nach eigener Wesensart, vorzieht. Ist diese Beobachtung menschenfreundlich? Nein. Aber sie ist wahr. Für de Maistre hat sie gar den Gewißheitsgrad »eines mathematischen Satzes«, von dem er sich, wie er selbst sagt, durch langes Nachdenken sowie lange und teuer bezahlte Erfahrung habe überzeugen lassen.
Dafür, daß de Maistre hier in der Tat eine fundamentale Wahrheit formuliert hat, spricht, daß sie sich sogar aus einer Denktradition heraus, die der de Maistres in gewisser Hinsicht diametral entgegengesetzt ist, nicht verneinen läßt. So sind etwa für den radikalen Vernunftoptimisten G.W. F. Hegel Staaten letztlich nichts anderes als die zu politischer Wirklichkeit geronnenen »Prinzipien der Volksgeister«. Im Staat verwirklicht sich der Geist eines Volkes, wobei jedes Volk, einem lebendigen Organismus gleich, den Prozeß von Entstehung und Kindheit, Blüte und Dominanz, Verfall und Verderben durchläuft. Freilich ist bei Hegel diese lebenszyklische Auffassung der einzelnen Völker zugleich eingebettet in eine umfassendere, für den Reaktionär schlicht inakzeptable Fortschrittserzählung, die die Weltgeschichte für den »Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit« ausgibt. Die Gemeinsamkeit bezüglich der Einsicht, daß jedes Volk die Regierung hat, die es verdient, bleibt von dieser Differenz aber unangetastet – nur, daß diese Einsicht bei Hegel von idealistischem Gewölk verhängt und damit implizit bleibt, wohingegen sie de Maistre in einem prägnanten Satz zur Kenntlichkeit entstellt.
Nebenbei sei bemerkt, daß der Reaktionär zwar das Fortschrittsdenken ablehnt, aber trotzdem einen Sinn der Geschichte kennt, zumindest wenn er wie de Maistre überzeugter Katholik ist. Nur liegt der Sinn für ihn nicht im menschengemachten Fortschritt, sondern in der göttlichen Vorsehung: Alles geschieht letztlich ad maiorem Dei gloriam. Zu »allem« gehören aber selbstverständlich auch alle Schrecknisse, die der einzelne zu erleiden hat, und zwar gleichgültig, ob er nach menschlichem Ermessen schuldig ist oder nicht. Diese Indifferenz des Bösen ist aber für den, der wie de Maistre mit beiden Beinen in der Tradition christlicher Philosophie steht, kein Widerspruch zur göttlichen Güte und Vorsehung: »Alles Schlechte nimmt seinen Anfang mit dem selbstverschuldeten Sündenfall des Menschen. Daß Gott diesen auf zeitlose Weise ›voraus‹-gesehen hat, heißt nicht, daß Er ihn zu verantworten hätte.«
Der Glaube an die göttliche Vorsehung steht zweifellos auch im Hintergrund des Satzes, um den es uns geht. Wollte man diesen Hintergrund thematisch werden lassen, könnte man das Zitat auch dahingehend umformulieren, daß jedes Volk die Regierung hat, die es gemäß seiner Rolle im göttlichen Heilsplan verdient. Im Kontext des zitierten Briefes fehlt eine solche Rechtfertigung allerdings. De Maistre geht es hier vielmehr um eine im wahrsten Sinne des Wortes ethno-logische Wahrheit, nämlich daß in der Dualität von Volk und staatlicher Gesetzgebung das Volk das fundierende Glied ist: »Jedes Gesetz ist also unnütz, oder sogar unheilvoll (wie großartig es in sich selbst auch sein mag), wenn das Volk des Gesetzes nicht würdig und nicht für das Gesetz gemacht ist.«
De Maistre illustriert diese Selbstverständlichkeit, dieses Korollar mit einem Bericht aus Georgien: Früher sei der König ausgeritten, um auf den Straßen von Tiflis Rechtshändel zu schlichten. Nach Anhörung aller Parteien wurde derjenige, der im Unrecht oder zumindest mehr im Unrecht war als der andere, vom Fürsten höchstpersönlich mit Stockschlägen (coups de bâton) bestraft. Das neue, von den Russen eingesetzte formelle Rechtssystem sei dem Volk bis heute fremd. Sie trauerten, wie de Maistre mit Berufung auf einen Bericht seines Bruders Xavier erzählt, der guten alten bâtonomie nach.
Was wäre allein dem 21. Jahrhundert an Kriegen – oder zumindest an fadenscheinigen Rechtfertigungen – erspart geblieben, wenn den Neocons oder der US-Öffentlichkeit die Einsicht in de Maistres Satz vergönnt gewesen wäre. Das Hirngespinst, daß ein mit Waffengewalt durchgesetzter Regime change auch dort Demokratie nach amerikanischem Vorbild schaffen könne, wo der Geist eines Volkes von ganz anderen Ideen geprägt ist, ist immer wieder neu an der Realität gescheitert.
Die wahrhafte Konstitution eines Volkes, das für es grundlegende und verbindliche Gesetz, wird nicht durch irgendein Schriftstück – ein Dokument namens »Verfassung« – bestimmt, sondern durch eine konkrete geistige Verfaßtheit, die jeder Art von Positivität vorgängig ist. De Maistre geht sogar noch weiter und behauptet, daß sich die Positivität und die wahrhaft verfassungsmäßige Bedeutung eines Gesetzes notwendigerweise ausschließen: »Ich halte es für unbestreitbar, daß kein einziges wahrhaft grundlegendes und konstitutionelles Gesetz niedergeschrieben werden kann, und wenn es niedergeschrieben wird, ist es nichtig.«
Man darf hierhin durchaus eine radikalisierte Verallgemeinerung des berühmten Böckenförde-Diktums erkennen: Nicht nur der »freiheitliche, säkularisierte«, sondern jeder Staat »lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann«. De Maistres Beispiel für ein staatsrechtliches Prinzip, das sich seiner formellen Setzung entzieht und widersetzt, ist das Gesetz der Thronfolge. Wer, so die rhetorische Frage de Maistres, hat dieses in Frankreich eingeführt? Offenbar war es weder das Volk noch der König. Der entscheidende Punkt: Wenn es sich um eine Setzung des Königs handeln würde, dann hätte er auch das Recht, es aufzuheben. Was aber durch einen Willkürakt aufgehoben werden kann, ist per definitionem nicht grundlegend. Die basalen Gesetze einer Nation entspringen ihrer âme générale, der überindividuellen Volksseele.
Trotz dieser Betonung der Eigengesetzlichkeit des Volkes ist de Maistre nicht nur kein Verfechter, sondern geradezu ein Gegner der Idee der Volkssouveränität, zumindest insofern sie von der falschen Vorstellung geprägt ist, daß die Masse sich in einem willkürlichen Verfahren von Null auf eigene Gesetze geben und so über sich selbst herrschen könnte. Die, die herrschen, sind niemals schlicht identisch mit denen, die beherrscht werden. Die Volksherrschaft beschränkt sich wohlverstanden auf die für jede Souveränität unerläßliche Bereitschaft des Volkes zu gehorchen. Der vermeintlich schöne Traum einer darüber hinausgehenden Volkssouveränität, einer hierarchielosen Herrschaft des Volkes über sich selbst, schlägt in die Herrschaft der Hierarchielosigkeit und damit ins terroristische Chaos um. Den historischen Beweis dafür hat die Französische Revolution erbracht, die de Maistre schonungslos in ihrem caractère satanique, in ihrem alle (insbesondere die göttlich-religiöse) Ordnung zersetzenden Wesen, beschreibt. Auch während der Revolution von 1789 sind die Volksmassen eigentlich keine souverän Handelnden, sondern von einem allgemeinen Geist – oder treffender: Ungeist – Beherrschte, nämlich vom perversen Geist der aufklärerischen Philosophen.
Es zeigt sich bei de Maistre also ein Gefälle von Geist und Politik, das sich mit heutigen Vokabeln auch als Vorrang der Metapolitik vor der Politik beschreiben ließe: Die Verkehrung der politischen Ordnung sowie die sie begleitenden Greuel resultieren aus einer Verkehrung des Denkens. Die Revolution, so de Maistre, werde daher erst dann wirklich an ihr Ende gekommen sein, wenn es zu einer »Offenbarung der Wahrheit im Geist der Massen« komme. Ist der Geist erst gesundet, genügten, wie es in den Betrachtungen über Frankreich von 1797 heißt, eine Handvoll Männer, um Frankreich einen König zu geben.
Was läßt sich nun aus diesen Überlegungen für unsere Lage in der BRD im Jahr 2021 gewinnen? Zweifellos leben auch wir in einer Zeit, in der jegliche althergebrachte Ordnung, alle historisch gewachsene Normalität unserer Lebensform ins Alptraumhafte verkehrt worden ist. Es ist naiv zu glauben, daß wir aus diesem Alpdruck erwachen, wenn nur die Kanzlerin endlich nicht mehr ist. Wenn de Maistre recht hat, dann ist »Merkel muß weg!« keine Lösung. Denn der Grund für die Misere liegt tiefer, und zwar in einer kollektiven geistigen Ver-rücktheit: Die Deutschen sind ein Volk, das zu großen Teilen kein Volk, sondern nur noch Bevölkerung sein möchte; ein Volk, das die eigene kollektive Identität willig in der Einheitsbrühe der »Diversity« ertränkt; ein Volk, das sich mit servilem Dank auf den Lippen im Namen der Gesundheit zu Gefangenen im eigenen Land machen läßt. So paradox es klingen mag: Gerade Rechte können in der BRD nicht auf das Volk zählen.
Die Annahme, es müßte nur tief genug gedacht, klar genug geschrieben und überzeugend genug argumentiert werden, um das Volk von der Wahrheit zu überzeugen und so eine politische Wende zu erreichen, wird derweil von der Wirklichkeit jeden Tag aufs neue widerlegt. Die Gehirne scheinen hermetisch verriegelt. Was also tun, wenn Metapolitik die Politik bestimmt, eine wirkungsvolle Metapolitik von rechts aber ein Ding der Unmöglichkeit zu sein scheint? Nun, der Reaktionär tut einfach das, was er ohnehin tut: denken, schreiben, reden; und zwar, weil er gar nicht anders kann, und nicht, weil er sich bestimmte Resultate erhofft. Er ist schließlich der Fürsprecher von Wahrheiten, die sich nicht in den Dienst der Menschen stellen lassen, sondern in deren Dienst sich der Mensch zu stellen hat. Reaktionäres Denken ist Metapolitik auf verlorenem Posten. Die Stellung halten kann eigentlich nur derjenige, für den nicht der Mensch, sondern Gott das Maß aller Dinge ist.