Eine Typenlehre von Ellen Kositza, Martin Lichtmesz und Caroline Sommerfeld
Teilt man die menschliche Psyche wie der Wiener Psychiater Raphael Bonelli in die drei Bereiche »Kopf«, »Herz« und »Bauch« ein, so ist die Angst als Funktion des Selbsterhaltungstriebes im Bauch zu verorten. Der Kopf muß die von der Angst ausgelösten Affekte unter Kontrolle bringen und die Gefahrensituation möglichst nüchtern abwägen, während das »Herz« die Aufgabe hat, »die Ordnung, die der Kopf erkannt hat, gegen den chaotischen Bauch durchzusetzen« (Bonelli). Wenn das gelingt, dann hat es ein Mensch geschafft, mutig zu sein.
Angstbewältigung kann aber auch mißlingen: Entweder die Bauch-Angst obsiegt und man wird kopflos, oder aber der Kopf flüchtet sich in die »Rationalisierung«, die eine erkenntnisabschirmende Pseudo-Ordnung simuliert. Im schlimmsten Fall führt eine mißglückte Angstbewältigung zu Zwangsneurosen oder gar Psychosen. Manche Menschen erstaunen uns, weil sie Dinge, die uns bedrücken, völlig unberührt lassen, ob aus Affektarmut, Informationsmangel oder unterschiedlichen Werturteilen und Gewichtungen – und umgekehrt geht es ihnen mit uns genauso.
Frei von Angst ist niemand, denn Mut ist nicht Abwesenheit von Angst, sondern deren Überwindung oder Konfrontation durch eine bewußte Entscheidung. Lao-Tse beschreibt im Tao-te-king die »Meister der alten Zeiten« als »vorsichtig wie derjenige, der durch einen winterlichen Fluß watet«, und »wachsam wie der derjenige, der sich vom Feinde umgeben weiß.« Sie waren »frei und sehend«, nicht wie Heimito von Doderers »Apperzeptionsverweigerer«, der seinen Kopf in den Sand steckt und dadurch erst recht zum Gefangenen der Lage wird. Wie ein Mensch seine Angst – und damit letzten Endes das Wissen um seine Verwundbarkeit und Sterblichkeit – bewältigt, ist ein entscheidender Schlüssel zu seinem Charakter.
Der Normopath
Der Psychiater Hans-Joachim Maaz hat in Das falsche Leben (2017) einen sich massiv ausbreitenden Sozialtypus charakterisiert, den er nicht ohne Bitterkeit den »Normopathen« nennt, also den Überangepaßten, den krankhaften Mitläufer, denjenigen, der unbedingt normal sein will. Die Gefolgschaft durch Anpassung stelle, so Maaz bereits vor vier Jahren, eine Riesengefahr für die Gesellschaft dar, da »das ungeliebte und abhängige Selbst sich nicht befreien kann; so wird es eher ›bis in den Tod‹ mitmarschieren als den Aufstand wagen«.
Der Normopath bewältigt seine innere Not (unleugbar hat er derzeit Angst vor Ansteckung, vor Jobverlust oder Zurückweisung durch seine peer group) durch eine äußere Fassade, und diese zunächst gespielte Fassade wirkt dann auf sein Inneres zurück. So kann er sich damit brüsten, »voll gut klarzukommen« im »neuen Normal«. Da diese Klarkommer-Pose von seiner Umwelt positiv sanktioniert wird, wird sie ihm zur zweiten Natur. Der Normopath ist keineswegs debil und stumpf, sondern ein perfekter Bewältigungsstratege – dies gereicht ihm in der Zukunft womöglich zum sozialdarwinistischen Vorteil.
Der Normopath nimmt am liebsten Zuflucht in seine geliebte Medienblase und hält die Verlautbarungen des Regierungskommuniqués in der Tagesschau für besonders wirklichkeitsnah: Die »Pandemie« erzeugt allerorten »schlimme Bilder«, doch man muß sich darüber »informieren« und der schweren Lage ins Auge sehen. Sein Credo ist #trustthescience – er befindet sich auf der sicheren Seite »der Wissenschaft«. Die kleinen Einschränkungen des Alltags werden durch deren Fortschritte bald überwunden sein, er jedenfalls freut sich schon auf den Urlaub mit »grünem Paß«, auf den neuen Job im staatssubventionierten Betrieb mit durchgeimpfter Belegschaft und auf den praktischen digitalen Zugang zu allem. Alltagsmaske? »Null problemo!«.
Der Normopath traut der normalen Wahrnehmung nicht (Wie fühlt es sich an, durchzuatmen? Wo sind die Seuchentoten? Bin ich gesund?) und ist deshalb nicht mehr bereit, elementarste Formen menschlichen Miteinanders (Besuch, Berührung, Krankenpflege, Gesichter) für das Normale zu halten, sondern will sie vehement ersetzen durch soziale Kontrazeptiva: Mittel, die die Empfänglichkeit für den Mitmenschen verhindern. Er ist dementsprechend unempfänglich für jede Form von Angst seitens derer, die seine Impfgewißheit und seinen Glauben an Wissenschaft und »Schöne Neue Welt« nicht teilen. Oftmals ist er nicht nur unempfänglich, sondern, da er ja ein Normopath ist, ausgesprochen aggressiv eingestellt gegenüber fremden Nöten, die nicht seiner Wahrnehmungsblase entstammen. Daß einer Angst vor der Impfung hätte? Kindisch! Daß einer Angst vor der Zukunft hätte? Verschwörungstheoretiker! Daß einer Angst vor der Diktatur hätte? Antidemokrat!
Die Angstbewältigungsstrategie des Normopathen kann einem wirklich angst machen. Sie wird noch gesteigert durch die Beobachtung, daß es sich um einen sich endemisch ausbreitenden Typus Mensch handelt. (CS)
Die Tätige
Waaas? Die wollen jetzt auch Kinder impfen? Wie bitte? Die schließen Hunderte Krankenhäuser und beklagen zugleich einen Mangel an Intensivbetten? Kann nicht wahr sein: Als »genesen« soll man nur ein paar Monate lang gelten? Die Tätige hört’s, schüttelt den Kopf und geht an die Arbeit. Das Kind muß ja gewickelt, das Huhn gerupft und die Saat gegossen werden. Auf dem Schreibtisch wartet die Arbeit, der Kleine muß um vier abgeholt werden, und morgen erwartet der Chef die Entwürfe. Bis Freitag muß dieser Antrag in der Post sein. Heute ist heute, morgen hab ich das zu erledigen und übermorgen jenes. Danach wird man sehen. Kann sein, daß es dann eine neue Devise gibt. Wenn es soweit ist, wird man reagieren müssen. Vorherige Spekulationen kosten nur Kraft und lenken ab. Und, hilft ja alles nichts: Die Büsche brauchen Wasser, das Kind die Brust, und wem der Sonntag gehört, ist ohnehin nicht disponibel. (EK)
Der Vernunftextremist
Angst, so äußerte sich schon vor längerem die linke Kämpferin »gegen den Haß«, Carolin Emcke, verenge den Blick und untergrabe die Vernunft. Dies passe auf alle »illiberalen Phänomene«, die unsere liberalen Gesellschaften zum Vorschein brächten. Von der Angst profitierten dann extremistische Meinungsmacher links wie rechts. In der Mitte sitzt dick und fett die unbeirrbare Vernunft. Der Vernunftextremist deutet die aristotelische Lehre vom Maßhalten in Bequemlichkeit und Überheblichkeit um. In der Mitte liegt die goldene Tugend des Maßes, nach beiden Seiten gibt es für ihn gleich große, maßlose und gefährliche Abweichungen. Erblickt er Angst auf beiden Seiten des politischen Spektrums, ist dies ein Spektakel für den Vernünftigen, der für sich den Sitzplatz in der Mitte mit Aussichtsplattform reserviert hat.
Maßhalten ist das Fundament aller Tugenden und hilft ausgezeichnet gegen Angst. Aristoteles eignet sich also trefflich als philosophischer Seelenführer – nur darf man ihn nicht umdeuten zu eigenen Gunsten und einfach behaupten, man befinde sich selbstverständlich in der Mitte.
Emcke ist ein besonderer Leckerbissen in Sachen Umdeutung zu eigenen Gunsten: Ihren eigenen Extremismus präsentiert sie stolz als »liberal«, dabei liegt er im Hufeisen in Wirklichkeit erheblich weit links. Ihre Angstlosigkeit und Haßlosigkeit sind reine Projektion der eigenen Irrationalität auf Andersdenkende, denn vor nichts hat sie mehr Angst als vor diesen. Wider jede Vernunft quält Leute ihres Schlages nämlich große Angst vor dem »Rechtsextremismus«. Aus der Sicht der reinen Vernunft erscheinen »Ängste« (immer im Plural) als unvernünftige Störungen des Gleichgewichts. Bei Emcke handelt es sich um willkürliche, frei flottierende Ängste, die nichts mit etwaigen Wirklichkeiten zu tun haben.
Der Vernunftextremist hält das »Panikpapier« der Bundesregierung und die Doppel- und Tripelmaske für im selben Maße lachhaft wie die »Katastrophensehnsucht« der Verschwörungstheoretiker, denn in der Ruhe liegt ja bekanntlich die Kraft der Vernunft. Er verkennt dabei, daß bewußtes Panikschüren, Holzhammermaßnahmen und offen konzertierte Weltumbaupläne seitens der politisch Verantwortlichen überhaupt erst als Reaktion die Angst vor einer weit größeren Katastrophe als der COVID-19-Infektion auf der einen Seite des Hufeisens erzeugt haben. »Vernunft« wird dann zum extremistischen Totschlagargument, wenn von ihrer angemaßten Warte aus jegliche (auch berechtigte) Angst und Sorge für »irrational« und der politische Diskurs über deren Gründe von vornherein für beendet erklärt wird. (CS)
Die Blasenbewohnerin
Sie ist Akademikerin, im fortgeschrittenen Alter, hat keine Kinder (wenn auch einen mütterlichen Habitus), einen wohlhabenden Mann, gehört der gebildeten grünen Bourgeoisie an und lebt in einem schmucken Wiener Stadtteil, in dem Kirchen und Kindergärten mit Regenbogenfahnen geschmückt werden. Sie ist zwar der Ansicht, daß »Corona« ein bißchen mehr ist als ein Husten, hat aber persönlich keine übermäßige Angst davor. Sie ist Impfbefürworterin, hält Widerstand dagegen für reaktionär und abergläubisch und sieht keinerlei »Zwang« am Werk – ihr Freundeskreis und sie selbst haben sich doch alle schon freiwillig impfen lassen, ohne größere Folgeprobleme! Neulich haben sie und ihr Mann ein Haus außerhalb der Stadt erworben. Dort können sie jederzeit Sonnenschein, Blumen, Pflanzen, Kräuter und Bäume genießen, wenn ihnen der Großstadttrubel mal wieder zuviel wird. Ihr Leben ist größtenteils angstfrei, und sie bewältigen auch die Coronakrise mit heiterer Resilienz. (ML)
Der Gläubige
»Man steht hier in Gottes Hand, wie sonst auch; aber man fühlt deren warmen Grund, man bekommt ihn allmählich unter die Füße, nach dem Zusammenbrechen des dünnen Bretterbodens einer absurden Sekurität, deren zweifelhafte Präsenz uns die größten Strecken des Lebens hindurch doch notwendig tragen mußte« (Heimito von Doderer: Tangenten, 22. Juni 1942).
Es brauchte eigentlich nicht erst der Erfahrungen des vergangenen Jahres, um das »Zusammenbrechen des dünnen Bretterbodens einer absurden Sekurität« zu bemerken – wir Deutschen haben das Knacken bereits seit mehr als hundert Jahren wahrnehmen können. Mancher bemerkte es deshalb so spät, weil er sich auf die Sicherheit des Staates, des Sozial- und Gesundheitssystems, der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der funktionierenden Wirtschaft verlassen hat, auf die gleichgesinnten Freunde und die Familienbande. Die »zweifelhafte Präsenz« dieser Rundumversorgung hat ihn getragen, so kam es ihm jedenfalls vor. Bricht dieser Bretterboden nun endgültig zusammen, tragen also die Stützen eine nach der anderen nicht mehr, sieht man sich plötzlich aller Sicherheit beraubt, selbst vorher haltgebende Beziehungen zerbrechen. Namenlose Angst vor dem freien Fall, vor der Existenzvernichtung kann einen dann packen, oft begleitet vom Gefühl der Sinnlosigkeit aller lebenslangen Mühen der Existenzsicherung.
Wie wäre es, wenn dies alles geschieht, damit man bemerkt, daß es unter dem »dünnen Bretterboden« der irdischen Existenz noch einen zweiten, wesentlich tragfähigeren Boden gibt? Daß einem die für sicher gehaltenen Stützen sogar entzogen werden müssen? Für den Gläubigen kommt diese Erfahrung einem Gottesbeweis gleich, er ist deshalb in einem wirklichen Sinne ohne Angst. Tu autem, Deus, in aeternam permanes, heißt es in den Klagepsalmen. Wer im Glauben gefestigt ist, weiß sich in Gottes Hand, wer es noch nicht ist, bekommt, ängstlich strampelnd und sich an Bretterreste klammernd, den warmen Grund erst allmählich unter die Füße. Doch erreicht der Gläubige, während er auf Erden wandelt, jemals wirklich diesen Boden? Muß er nicht ständig darum ringen? »Wirket euer Heil in Furcht und Zittern«, schreibt Paulus an die Philipper. (CS)
Die Genesene
Sie ist durchaus eine tragische Figur. Sie hatte diese und jene Angst. Nichts Unnormales. Vor der fiesen Kollegin. Nachts allein im Haus. Oder vor Spritzen und Gewittern. Dann brach der echte Horror in ihr Leben. Krebs. Ein überlebter schwerer Autounfall. Tod des Kindes. Abgebranntes Haus. Jedenfalls: ein existentielles Drama. Der Terminus »Trauma« wird heute mißbräuchlich und inflationär verwendet. Traumatisiert ist nicht eine, die obszöne Anfragen im sozialen Netzwerk erhalten hat, und auch keine, die von ihrer Mutter früher zu Höchstleistungen angetrieben wurde. Eine echte traumatische Belastungsstörung kann nur dann eintreten, wenn das (Über-) Leben selbst auf der Kippe stand. Das Trauma ist eine Möglichkeit der Reaktion. Eine andere ist, die Dinge fortan zu relativieren. Eine Frage, die Psychotherapeuten gewöhnlich ihren Angstpatienten aufgeben, lautet: »Wenn das Befürchtete nun einträte – was wäre die ärgste Konsequenz? Denken Sie es mal bis zum Ende durch.« Handelsübliche Ängste können dann rasch »nichtig und klein« (Reinhard Mey) erscheinen. Ein ähnlicher Effekt kann bei denen eintreten, die das Äußerste durchhaben. »Wer das verlor / Was du verlorst, macht nirgends Halt«, besang Nietzsche diejenige, die nichts mehr zu verlieren hatte. Das muß nicht notwendig eine Haltung der Aussichtslosigkeit sein. Hingegen vielleicht die Gewißheit, niemals mehr tiefer fallen zu können. (EK)
Die Psychologen
»Kraft finden in der Krise: Mit Dumbledore und Beppo Straßenkehrer gegen Corona-Erschöpfung« war der Titel eines Artikels, der Ende April im Netzwerk des Mainstreamriesen 1&1 Mail & Media GmbH (GMX, web.de) kursierte. Unter Berufung auf zwei »Expertinnen« versuchte die Autorin praktische Tips zu geben, wie man mit der seelischen Belastung in der Coronaviruskrise (»hohe Infektionszahlen, weiter Lockdown, erneuter Frust«) umgehen könnte, unter anderem nach dem Vorbild von Charakteren aus Harry Potter oder Momo.
»Kraftquellen« könnte man sich demnach durch Musikhören, Tanzen, »Übungen der Achtsamkeit und Langsamkeit, etwa durch Yoga oder Meditation«, oder das Führen eines »Dankbarkeitstagebuchs« erschließen. Dabei soll man freilich nicht »die Umstände ausblenden«, sondern »es nehmen, wie es ist«, wie die Familientherapeutin Anette Frankenberger »betont«: »Ja, es ist anstrengend und schwierig gerade. Ja, ich bin traurig – oder vielleicht wütend. Und jedes Gefühl, das ich deswegen habe, hat seine Berechtigung«. Die Antwort lautet also: Gefühlsmanagement und Wohlfühltherapeutik. Man soll »durchhalten«, gleichsam die Beruhigungspille schlucken, um seine Gefühle kreisen (Angst wird übrigens gar nicht erwähnt), und dabei möglichst wenig in Frage stellen, was sie ausgelöst hat (die »Infektionszahlen« oder doch eher die Berichterstattung darüber?).
Tiefer bohrt hier der eingangs erwähnte Raphael Bonelli, eine kritische Stimme seit Beginn der Krise: »Was psychodynamisch jetzt geschürt wird, ist dieses ständige Thema der Angst«, konstatierte er in einem Interview mit der Zeitung Wochenblick, die ihn als »Mut-Psychiater« titulierte. Dadurch sei unsere Gesellschaft in den Bann einer »kollektiven Zwangsneurose« mit wachsendem Leidensdruck geraten. Die Maßnahmen werden von vielen als Demütigung wahrgenommen, wodurch auch Wut und Aggressionen steigen, insbesondere bei Menschen auf der anderen Seite des Meinungsspektrums. Für aus psychiatrischer Hinsicht besonders fatal hält er die Maskentragepflicht, die Beklemmungen und Kommunikationsstörungen auslöst und von vielen als »Geßlerhut« empfunden wird.
Bonelli plädiert hier für »Gelassenheit« auf der Basis von stoischer Lebensklugheit, aber auch realistischer Einschätzung der Lage: So thematisiert er immer wieder die tatsächliche Gefährlichkeit des Virus im Verhältnis zu seiner medialen und politischen Repräsentation. Die klassischen psychologischen Mechanismen Verdrängung und Verleugnung sieht er auch in bezug auf die Dysfunktionalität der Maßnahmen am Werk: Viele wollten die problematischen Nebenwirkungen der Impfstoffe, bis hin zu Todesfällen, nicht wahrhaben und reagieren mit aktivem Wegschauen.
Aber auch auf seiten der Angstmaschinerie gibt es Psychiater, die ihr Arsenal verwenden, um Einwände gegen die Eindämmungspolitik zu psychoanalysieren: So konstatierte einer, freilich auf privater Ebene und nicht als behandelnder Arzt, ich befände mich im Stadium der »Verleugnung« und wolle die Gefährlichkeit des Virus nicht wahrhaben. Meine »idiotischen« Argumente habe er wortwörtlich aus dem Munde von Patienten gehört. Offenbar gebe es hier eine gemeinsame Quelle, deren Phrasen nun auch ich »nachplappere«. Ich solle statt dessen lieber lesen, was das Deutsche Ärzteblatt schreibt. Ansonsten ist dieser Psychiater privat und beruflich am Ende seiner Kräfte, glühender Befürworter von Impfzwang, grünen Pässen und Freiheitseinschränkungen für Umgeimpfte und Ungetestete. Die Massenimpfungen betrachtet er als einzigen Ausweg aus der Krise – deshalb weniger Angst vor Nebenwirkungen, sondern mehr Mut und »Pioniergeist«, bitteschön! (ML)
Der Neo-Neostoiker
Mit der philosophischen Schule der Stoa verbinden wir eine altgriechische Weisheitslehre, die um 300 v. Chr. entwickelt wurde. Tugenden der Gelassenheit, der »Seelenruhe« und der emotionalen Unbeteiligtheit wurden großgeschrieben. Zenon von Kition, Seneca und Marc Aurel zählten zu den Vertretern. Denker wie Plutarch, Plotin und Galen wandten sich dezidiert gegen diese Attitüde des »Geschehenlassens«.
Im 16. Jahrhunderte, wir reden vom Späthumanismus, faßte dann der sogenannte Neostoizismus Fuß. »Erfinder« beziehungsweise Hauptvertreter war der Flame Justus Lipsius, der mit seinen Schriften eine Art populistische frühbarocke Neostoa vorantrieb. Eine noch publikumsnähere Neo-Neostoa ist neuerdings im Mainstream verbreitet. Aktuelle bestverkaufte Titel lauten etwa: Stoizismus – Tag für Tag: Wie du in 30 Tagen eiserne Disziplin, innere Stärke, umfassende Selbstkenntnis und stoische Ruhe erlangst.
Oder schauen wir in den Kalender Stoische Lebensweisheiten für jeden Tag (2021): »Hier warten 365 Zitate von den wichtigsten Stoikern auf dich, mit deren Hilfe du dein Leben gelassener und erfolgreicher gestalten kannst. Stoizismus ist in aller Munde: Die Rückbesinnung auf stoische Tugenden wird von Studenten, Berufseinsteigern und Chefs praktiziert, von der Hausfrau bis zur Spitzenmanagerin: Jeder möchte von den Stoikern lernen. Doch warum eigentlich?« Rhetorische Verkaufsfrage! Denn, na klar: Wir alle hätten gern eine dickere Haut.
In neurechten Kreisen lautet die (per Anstecker oder Aufkleber verbreitete) Losung »Me ne frego«, was frei mit »interessiert mich nicht« oder »geht mir am A*** vorbei« übersetzt werden kann. Man kann eine solche Haltung tatsächlich zu verinnerlichen lernen – dann ist sie mehr als ein Pfeifen im Walde. Wer es weniger säkular haben möchte, nimmt als stoisches Mantra das orthodoxe Herzensgebet. (EK)