der auch den Naivsten klargemacht haben müßte, daß weder eine krasse Verfolgungsbiographie noch die richtige Hautfarbe diejenige vor Attacken des woken Mobs schützen, die unliebsame Wahrheiten auszusprechen wagt.
Hirsi und ihr Rechercheteam mußten feststellen, daß es äußerst mühselig war, überhaupt belastbare Daten zu finden. »Kriminalstatistiken, Gerichts‑, Polizei- und Regierungsberichte, akademische Quellen – keine davon liefert ein belastbares Bild.« Dieser Befund ist noch weitaus gravierender als das wohlbekannte Verschweigen oder Herunterspielen in den Medien, denn er zeigt, daß die Fehlentwicklung auf institutioneller Ebene beginnt. Lückenhafte Statistiken, beschönigende Politikeraussagen und ideologisierte akademische Arbeiten verdeutlichen, was die mit entleerten humanistischen Klischees hantierende Öffentlichkeit nicht wahrhaben will: Das Mentalitätsproblem des durchschnittlichen Westlers (nämlich der Unwille, sich und seine Kultur, nicht zu reden von seiner Ethnie, zu schätzen und entsprechend zu verteidigen) geht dem Einwanderungs‑, Islamisierungs‑, und Gewaltproblem voraus und hat es erst hervorgebracht – also genau das, was die Rechte seit Jahren konstatiert.
Durch sorgfältigen Vergleich von Daten, die auf ganz unterschiedlicher Basis erhoben wurden, gelangt die Autorin zu dem »Anscheinsbeweis«, daß »der Anstieg der Zuwanderung nach Europa um das Jahr 2015 zu einer erheblichen Zunahme der sexuellen Gewalt in den Ländern [führte], die die größte Zahl von Migranten aufnahmen.« Die Einzelfälle von sexueller Gewalt bieten ein bedrückendes Panorama, auch wenn dem Leser die Muster sattsam bekannt sind. Eindrücklicher als die Gewaltschilderungen ist ein mit versteckter Kamera aufgenommener Dialog in einem Pariser Vorort im Département Seine-Saint-Denis. Zwei Frauen wurden mit der Bemerkung »Dies ist ein Ort für Männer« daran gehindert, ein Café zu betreten. Man erklärte: »Sie sind nicht in Paris. Die Mentalität ist anders. Sie ist wie in der Heimat.« Mehr muß man über diese Art der Raumnahme nicht wissen. Besonders schmerzhaft ist der Dialog, wenn man sich erinnert, daß Saint-Denis die erste gotische Kathedrale Frankreichs samt Grablege der französischen Könige beherbergt. Heute ist das Viertel um die Kathedrale islamisiert und ein Brennpunkt der Kriminalität.
Die Stigmatisierung europäischer Frauen als Huren ist ein Nebeneffekt islamisierter Räume. Rechte, die mit der Islamisierung sympathisieren, weil sie in ihr das kleinere Übel gegenüber dem Liberalismus sehen, sollten darüber nachdenken, was das für ihre Mütter, Schwestern, und Frauen nach sich zieht und ob radikale Geschlechtersegregation mit dem gern beschworenen europäischen Erbe vereinbar ist. (Nein, und zwar auch mit dem voraufklärerischen nicht!)
Die Strategien, mit denen das politkorrekte Juste Milieu massive Probleme im Zusammenhang mit Einwanderung aus muslimischen Ländern zu erkennen vermeidet, sammelt Hirsi in einem »Das Lehrbuch des Nichtwahrhabenwollens« überschriebenen Kapitel. Als Opfer der Cancel Culture erscheinen dort übrigens auch Thilo Sarrazin, Uwe Tellkamp und Hamed Abdel Samad, deutsche Fälle, die Kreise bis in die USA (wo Hirsi nun lebt) gezogen haben. Sie stellt klar, daß das Versagen der Integration nicht auf eine angeblich omnipräsente »Islamophobie« zurückgeführt werden kann, seien frühere Einwanderergruppen doch mit »weit schlimmerer Feindseligkeit der Aufnahmegesellschaft konfrontiert« gewesen. Der Vergleich mit den erfolgreichen vietnamesischen Zuwanderern zeigt, daß auch die gängigen Argumente wie schlechte Sprachkenntnisse oder Traumatisierung nicht tragen, da es sich um Probleme handelt, mit denen diese Gruppen genauso zu kämpfen hatten.
Was sind ihre Lösungsvorschläge? So schätzenswert die Fairneß ihrer Beweiswürdigung ist, so wenig können diese befriedigen. Es ist richtig, daß das chaotische europäische Asylrecht geändert werden muß, aber die Änderungen, die sie vorschlägt, laufen schlicht auf die Erleichterung von Wirtschaftsmigration für leistungsfähige Bewerber hinaus. Die Forderung, die Push-Faktoren zu verringern, bedeutet im Klartext, weitere Milliarden ohne Gegenleistung und Garantien in außereuropäischen Ländern zu versenken. Die »Stabilisierung der muslimischen Welt« ist, anders als sie behauptet, keine Aufgabe der EU-Mitgliedsstaaten, schon gar nicht, wenn es um militärische Interventionen geht.
Als jemand, der selbst aus bedrückenden Verhältnissen geflohen ist, optiert sie erwartbar nicht für Remigration. Trotz einer bemerkenswert unaggressiven Haltung zu »rechtspopulistischen« Parteien fehlt ihr jegliches Verständnis für den Wunsch nach dem Selbsterhalt europäischer Ethnien oder von Ethnien überhaupt. Das Thema kommt in dem Buch nicht vor. Insofern ist Beute ein typisches Produkt universalistisch-globalistischer Denkmuster und sehr amerikanisch: Unberührt von den katastrophalen Mißerfolgen des US-Interventionismus in muslimischen Ländern, fordert Hirsi die weitere, auch militärische, Verbreitung liberalistischer Heilslehren. Denkt man an Afghanistan, Syrien und den Irak, kann man nur sagen: Viel Vergnügen! Und dringend hoffen, daß sich Europa derartigen Offensiven verweigert.
–
Ayaan Hirsi Ali: Beute. Warum muslimische Einwanderung westliche Frauenrechte bedroht, München: C. Bertelsmann 2021. 425 S., 22 €
Dieses Buch können Sie auf antaios.de bestellen.